Demokratie und Transparenz: Im Gespräch mit Fritz Hausjell
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Demokratie braucht Transparenz. Und genau darum geht es in dieser Folge von „Rund ums Parlament“. Unser Host Tatjana Lukáš trifft dazu den Medienhistoriker und Präsidenten von Reporter ohne Grenzen Österreich, Fritz Hausjell, auf dem Dach des Parlamentsgebäudes.
Mit dem Blick durch das neue Glasdach in den Nationalratssitzungssaal geht es im Gespräch um Fragen wie diese: Wozu braucht Demokratie Transparenz? Wie steht es damit in Österreich? Und muss sie auch Grenzen haben?
Wenn Ihr Feedback, Fragen oder Themenvorschlägen zum Podcast habt, schreibt uns gerne an: podcast@parlament.gv.at
Zu den in dieser Episode erwähnten weltweiten Rankings zu Pressefreiheit und Korruption geht es hier: Rangliste der Pressefreiheit nach „Reporter ohne Grenzen“: https://www.reporter-ohne-grenzen.de/weltkarte
Korruptionsindex nach „Transparency International“: https://www.transparency.org/en/cpi/2022
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Transkript
Jingle: Rund ums Parlament. Der Podcast des österreichischen Parlaments.
Tatjana LUKÁŠ: Hallo und herzlich Willkommen zu einer neuen Folge von „Rund ums Parlament“, dem Podcast des österreichischen Parlaments. Mein Name ist Tatjana Lukás und ich freue mich sehr, dass ihr wieder dabei seid. Vielleicht könnt ihr es aus den Umgebungsgeräuschen schon hören. Wir sind heute draußen. Für diese Folge mussten wir einige Stufen hinaufsteigen, nämlich auf das Dach des Parlamentsgebäudes, wo ich mich mit meinem heutigen Gast verabredet habe. Wenn ich mich da ein bisschen bewege, sind wir direkt über dem Sitzungssaal des Nationalrates, gleich neben der Glaskuppel, die den Saal seit der Sanierung überdacht. Und wenn man sich so umschaut, liegt hier quasi alles offen vor uns. Wir haben einen Blick auf den Volksgarten, auf den Heldenplatz, auf die imposante Hofburg. Und so, wie hier jetzt alles vor uns offen liegt, so sollte das in einer Demokratie ebenfalls sein. Das bringt uns zum heutigen Thema, nämlich der Transparenz, einer Grundlage jeder Demokratie. Und wenn ich sage, dass wir heute über Transparenz in einer Demokratie sprechen, dann meine ich nicht nur mich und euch, die uns da draußen zuhört, sondern auch meinen heutigen Gast. Er ist einer der bekanntesten Medienhistoriker Österreichs, Präsident der österreichischen Sektion von „Reporter ohne Grenzen“ und Professor am Institut für Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. Manche werden es schon erraten haben. Herzlich willkommen in diesem Podcast, Herr Professor Fritz Hausjell.
Fritz HAUSJELL: Ganz herzlichen Dank für die Einladung. Ich musste 63 Jahre alt werden, um auf das Dach des Parlaments zu kommen. Ich war natürlich schon öfter in verschiedenen Kontexten im Parlament und in verschiedenen Sitzungsräumen und durfte sogar schon mal von der Regierungsbank reden, jedoch nicht als Regierungsmitglied, als Experte. Aber das ist ein faszinierender Blick. Wir haben vor allem rundherum fast alle wichtigen Plätze, die auch eine Demokratie ausmachen. Wir haben daneben das wunderbare Wiener Rathaus. Ein wichtiger Ort, wo Demokratie praktiziert wird. Die Grundlage für Demokratie ist natürlich auch Bildung. Da vorne.
LUKÁŠ: Ja, die Nationalbibliothek.
HAUSJELL: Genau, die österreichische Nationalbibliothek. Der Bundespräsident. Jetzt nicht in aller Schönheit zu sehen das Gebäude, weil es gerade eingerüstet ist: das Bundeskanzleramt. Abgetretene oder weniger wichtig gewordene Mächte in einer Gesellschaft sieht man dann in den hohen Türme, sprich den Kirchen. Außerdem Museen, hier das Kunsthistorische und das Naturhistorische. Und was man jetzt nicht sieht, ist meine Wirkungsstätte, das Hauptgebäude der Universität Wien. Und was man auch nicht sieht, da müsste man jetzt über die Kuppel drüberschauen, ist der Justizpalast, da die Justiz auch eine ganz zentrale Einrichtung ist für eine Demokratie, damit die Gewaltentrennung gut funktioniert. Und was wir auch nicht sehen, ist ein markantes Medienhaus.
LUKÁŠ: Das stimmt, weil es das vielleicht gar nicht mehr so gibt.
00:03:52
HAUSJELL: Das ist immer bedroht. Wenn wir in die Geschichte blicken, ist das immer ein permanenter Kampf. Manchmal ist er ein bisschen weniger heftig geführt. Aber wenn wir uns in Europa umschauen – wir brauchen gar nicht weit schauen, nur zum östlichen Nachbarn –, wie schnell hier der demokratische Journalismus so weit ramponiert wird, dass man sich große Sorgen machen muss. Im eigenen Land müssen wir uns auch Sorgen machen.LUKÁŠ: Sie sprechen von Ungarn oder Tschechien, man kann es sich aussuchen. Oder Polen, es gibt so viele Kandidaten.
HAUSJELL: So ist es.
LUKÁŠ: Ich würde vorschlagen, dass wir einen kleinen Spaziergang hier oben auf dem Dach machen, in einem langsamen Tempo, damit unser Gespräch im Rundgang ausgeht. Sonst drehen wir zwei oder drei Runden möglicherweise.
HAUSJELL: Macht auch nichts.
LUKÁŠ: Dann machen wir noch etwas Sport. Vielleicht wollen wir den Begriff Transparenz mal ganz kurz für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer darlegen. Und wenn das möglich ist, auf einfache Art und Weise. Was bedeutet Transparenz außer Durchsichtigkeit, wie man es gemeinhin salopp übersetzen würde?
HAUSJELL: Man kann es direkt mit der Politik erklären. In vordemokratischen Zeiten, da ist unter Ausschluss der Öffentlichkeit entschieden worden, welche Regeln eingeführt werden. Und die Demokratie hat dann dafür gesorgt, dass das in der Regel in einem Parlament passiert, in einem offenen Prozess, wo alle, die daran interessiert sind, grundsätzlich mitzuhören können. Mitdiskutieren konnten die Parlamentarier:innen und es gibt die, die zuhören und darüber berichten. Das waren dann sowohl alle Gäste, die, die das wollten, als auch die Journalisten und Journalistinnen, die darüber dann in den unterschiedlichsten Medien berichtet haben. Die haben für die Transparenz gesorgt.
LUKÁŠ: Darf ich an dieser Stelle fragen, wann es das erste Mal der Fall war, weiß man das?
HAUSJELL: Eine eingeschränkte Transparenz hat der Reichstag gehabt in der Zeit der Monarchie. Das war eine moderate Demokratie, moderat unter Ausschluss der Frauen als Wählerinnen, also eigentlich nicht sehr moderat. Die Mehrheit hat hier nicht mitwirken können. Und die Journalisten hatten sich 1848 für ein paar Monate eine Pressefreiheit genommen und die wurde dann aber auch blutig wieder niedergeschlagen. Ungefähr 20 Jahre später kam es zu einer eingeschränkten Medienfreiheit, die dann in der Folge erstmals wirklich zu einer großen, umfassenden Freiheit geführt hat mit der Ausrufung der Ersten Republik 1918. Dazwischen hatten wir den Ersten Weltkrieg ab 1914. Das ist immer eine schlimme Zeit für Transparenz. Dasselbe dann 1933 mit der Zerstörung des parlamentarischen Systems. Wir haben das lange sehr verharmlosend „Selbstausschaltung des Parlaments” genannt. Das hätte nicht passieren müssen, nur weil Vorsitzende zurücktreten, damit sie mitstimmen können, wenn es um eine wichtige Abstimmung gegangen ist. Da ließe sich schon eine Lösung finden bei der wunderschönen Verfassung, die wir haben, wie unser aktueller Bundespräsident ja gerne betont. Und dann kam überhaupt das Desaster. Aber das war klar. Davon hat sich auch niemand erwarten dürfen, dass da noch formal Demokratie gespielt werden würde. Und die Medien sind komplett in den Dienst eines faschistischen Staates gestellt wurden, dann wurde relativ bald danach Krieg geführt. Da hat es keine Transparenz gegeben. Egal wo man hingeblickt hat.
LUKÁŠ: Darf ich an dieser Stelle fragen: Jetzt hat die Menschheit ja mehrere politische Systeme ausprobiert. Ist die Demokratie das einzige politische System, das Transparenz garantiert? Oder hat es irgendwann noch eine Spielart gegeben, wo Transparenz ebenfalls möglich war?
HAUSJELL: Es hat in der ganz frühen Demokratie diese eingeschränkte Form der Transparenz gegeben, da sind in den nichtdigitalen Foren offen Debatten geführt worden. Aber das war nur für die privilegierte Bürger:innenschaft, also nicht für die gesamte Gesellschaft. Also diese Errungenschaften sind eigentlich etwas noch ziemlich Junges. Diese Transparenz ist selbstverständlich noch nicht dort angelangt, wo wir sie idealerweise haben sollten.
LUKÁŠ: Auf das werden wir später noch zu sprechen kommen, was wir tun müssten oder was das hehre Ziel wäre, um komplette Transparenz oder wünschenswerte Transparenz zu bekommen. Vielleicht konzentrieren wir uns aber kurz auf das Hier und Jetzt. Wie steht es um Transparenz im Staate Österreich?
HAUSJELL: Wir haben ein Amtsgeheimnis, das vieles nicht transparent sein lässt. Wir haben leider als letztes Land in der Europäischen Union nach wie vor kein Informationsfreiheitsgesetz. Das sind zwei ganz wesentliche Einschränkungen. Das heißt, wenn es das gäbe, dann wäre mir sehr viel wohler. Die Bürger und Bürgerinnen hätten ganz sicher auch nicht nur die Möglichkeit, sich diese Informationen zu holen, die sie interessieren, sondern auch das Gefühl „Da will keiner was irgendwo verstecken”. Das ist fast eine Kindheitserfahrung: Wenn Eltern irgendwo was versteckt haben, dann war es was Wichtiges oder was Begehrliches. In der Demokratie sollten alle den gleichen Zugang zu diesen Informationen haben. Kleine Einschränkungen kann man immer haben, beispielsweise im militärischen Bereich sehr geheime Dinge. Aber selbst ein neutraler Staat wie Österreich hat da auch nicht allzu viele große Geheimnisse. Die Frage, wie Transparenz umgekehrt ist, wenn es gut läuft, hat uns vor dem Sommer eine feine Dokumentation auf ORF eins gezeigt. Hanno Settele hat die Situation in Österreich mit der in Schweden verglichen hat. Die haben dort Abfragen gemacht bei der Regierungschefin und in anderen Bereichen, die man bei uns nie stellen kann. Also was zahlt jemand Steuer oder welchen Posteingang hat die Regierungschefin, welche Mails sind da reingekommen und so weiter. Ich war erstaunt, dass das dermaßen schnell geht. Und natürlich stellen sich dann manche die Frage – wir diskutieren das hier auch im Zusammenhang mit dem Informationsfreiheitsgesetz –, was das dann für ein Aufwand ist und was das kostet, was das die Republik kostet, die Verwaltung. Und die Antwort dort ist: ja selbstverständlich, Demokratie kostet. Aber man muss die Frage stellen, was bringt sie. Und die Antwort war klar, es bringt wesentlich mehr Vertrauen seitens der Bevölkerung gegenüber einer Regierung. Solange sie nicht andere Wege findet, um irgendetwas geheim zu halten und uns Menschen anzuschwindeln. Wenn jemand bewusst kriminelle Handlungen setzen will, dann werden die gesetzt. Dann muss man darauf hoffen, dass die Justiz funktioniert, dass die Polizei funktioniert und dass die Medien funktionieren.
LUKÁŠ: Als vierte Gewalt.
HAUSJELL: Genau, die sind hoffentlich, wir erleben das leider jetzt in Österreich gerade ein bisschen anders, kein Teil von korruptiven Vorgängen.
LUKÁŠ: Wenn wir jetzt zurückschauen auf die letzten 30 Jahre, hat es da Entwicklung in Richtung Transparenz gegeben und ist die positiv zu werten oder negativ zu werten? Was ist in den letzten 30 Jahren so passiert, wenn man Meilensteine rauspickt?
HAUSJELL: Ein Meilenstein ist sicher, dass mittlerweile seit ungefähr zehn Jahren eine Minderheitenfraktion im Parlament Untersuchungsausschüsse einberufen beziehungsweise verlangen kann. Und dann muss es auch passieren. Das ist im Sinne des Transparenzschaffens ein wichtiges Instrumentarium, wo der Parlamentarismus auch gut dafür sorgen kann, dass er sagt: „Ja, wir schauen uns das ganz genau an und wir gehen über die rechtliche Verantwortung hinaus”. Weil die juristische Frage klären dann immer die Gerichte. Aber die Frage einer politischen Verantwortung, die ist zumeist enger zu stellen. Auch wenn es manchmal Parteien gibt, die sagen unsere rote Linie ist die juristische Überschreitung derselben. In einer Demoratie heißt es „Im Zweifel für den Angeklagten”, auch vor Gericht. Da denke ich jetzt noch gar nicht die Unschuldsvermutung mit. Aber teilweise bekommen viele den Eindruck, dass etwas gemacht worden ist, was einfach nicht in Ordnung ist. Auch wenn es, auch das gibt es ja, manchmal gar kein Gesetz gibt dafür. Es gibt manche korruptive Vorgänge, die werden dann erst in Gesetze gefasst, weil man sie beobachtet und sagt, das ist jetzt aber nicht im Sinne einer Fairness, im Sinne eines rechtschaffenen Umgangs mit Macht zum Beispiel.
LUKÁŠ: Was wäre da ein gutes Beispiel?
HAUSJELL: Das Kaufen von Mandaten. Also wenn sich eine Partei dafür bezahlen lässt, dass sich jemand von außen ein Abgeordnetenmandat, durch eine entsprechende Spende, kaufen kann. Wir hatten eine sehr engagierte Parlamentspräsidentin, Barbara Prammer. Die versucht hat, das Verhältnis zwischen den berichtenden Journalisten und Journalistinnen hier aus dem Parlament und den Parlamentariern zu versachlichen. Da gab es ein paar, explizit war es hauptsächlich in einer Partei versammelt, die sich gestört gefühlt haben. Dadurch, dass beispielsweise Pressefotografen, die hier im Parlament arbeiten, ihnen angeblich in ihre Unterlagen hineinfotografiert hätten, was nicht der Fall war, aber sozusagen so ein Misstrauen. Und sie hat damals sehr klug diese Pressefotografen gestützt, indem sie zwei wunderbare Ausstellungen unten in der Säulenhalle organisiert hat, um ein Verständnis auch auf der Seite der Parlamentarier zu gewinnen. Dass es wichtig ist, dass diese Arbeit, die Parlamentarierinnen machen, auch nach außen hin entsprechend medial aufbereitet wird, und zwar von unabhängigen Journalistinnen und unabhängigen Fotojournalisten. Weil jeder macht natürlich seine Social-Media-Präsenz. Aber was tun die Parlamentarier tatsächlich? Das interessiert uns ja alles, zumindest wenn wir politisch interessierte Bürger:innen sind. Und das hat einiges zur Versachlichung dieses Verhältnisses gebracht.
LUKÁŠ: Ja, und sie hat den Dialog offen gehalten. Eine schöne Art, um damit umzugehen. Anstatt jemanden zu bestrafen hat sie eher die Tür aufgemacht.
HAUSJELL: Sie hat die Türen auch in viele andere Richtungen aufgemacht. Sie hat sich sehr engagiert und dieser Prozess geht ja weiter fort, nämlich die jungen Menschen hier dafür zu begeistern und ein Verständnis zu schaffen, für das, was hier passiert .
LUKÁŠ: Wo wir jetzt schon bei der Transparenz sind: Vielleicht würden Sie uns zu Ihrer Person auch drei kleine Fragen beantworten, damit wir auch ein bisschen mehr wissen: Wer ist Fritz Hausjell? Die erste Frage ist sehr allgemein, und zwar, wenn Sie sich entscheiden müssten: Herbst oder Frühling?
HAUSJELL: Das ist ganz schwierig. Also beides. Beides liebe ich. Wahrscheinlich den Herbst noch ein klein wenig mehr, weil die Vielfalt der Farben, der Blätter, wenn sich die Natur dann in den Winterschlaf begibt, das ist einfach faszinierend. Auf der anderen Seite der Frühling, wenn alles so ganz frisch grün daherkommt. Sie sehen, ich bin auf dem Land aufgewachsen und wohne jetzt in einem sehr grünen Bezirk in Wien, im 18. Bezirk.
LUKÁŠ: Sie haben die Frage jetzt eigentlich nicht beantwortet, möchte ich an dieser Stelle festhalten.
HAUSJELL: Ja. Politische Verhaltensweise oder?
LUKÁŠ: Das passt gut zur zweiten Frage. Kompromiss oder beste Lösung?
HAUSJELL: Eher beste Lösung. Bei einem Kompromiss hängt es davon ab, in welcher Rolle man agiert. Wenn man in der Familie irgendwelche Konflikte managen muss, zwischen Geschwistern zum Beispiel, dann wird es wahrscheinlich eher der Kompromiss. Obwohl man natürlich denen auch die beste Lösung vorschlägt. Damit es dann für alle Seiten akzeptabel ist. Man muss nicht immer gleich ein aufwändiges, mediatives Verfahren mit Mediationsverfahren da dranhängen. Aber ja.
LUKÁŠ: Und wo beginnt für Sie Demokratie?
HAUSJELL: Sowohl beim Kompromiss als auch bei der besten Lösung. Beides hat zentral was mit Demokratie zu tun. In welchem Lebensbereich? Ja, Familie ist ein ganz gutes Beispiel. Aber auch Engagement in irgendwelchen Organisationen, NGOs.
LUKÁŠ: Österreich ist ja im Transparenzranking abgesunken, vom Platz 17 auf Platz 31 gerutscht.
HAUSJELL: Im Transparenzranking auch aber das ist das Pressefreiheitsranking.
LUKÁŠ: Das Pressefreiheitsranking! Und im Transparenzranking auch? Wo waren wir da und wo sind wir nun?
HAUSJELL: Da sind wir ein Stück besser. Aber das umfasst nicht 180 Länder.
LUKÁŠ: Ach so, Statistiker.
HAUSJELL: Aber es ist keine Einzelerscheinung. Bevor ich jetzt einen falschen Rang sag, wir sind auch dort ein Stück abgerutscht. Und wir sind auch von diesem Demokratieranking beziehugsweise -einstufung jetzt zurückgestuft auf eine Wahldemokratie. Das ist nicht sehr erfreulich.
LUKÁŠ: In kurzen Worten: Was ist eine Wahldemokratie oder was unterscheidet eine Wahldemokratie von einer strahlenden Demokratie?
HAUSJELL: Die Möglichkeiten sich einzubringen. Diese Rankings gehen ja auch alle ineinander über. Die Frage, welche Möglichkeiten haben real zum Beispiel Medien, damit sie aufklären können? Bei dem Demokratieranking geht es dann auch stark um die Frage, wie ernst werden Volksbegehren und andere öffentliche Petitionen genommen oder werden irgendwelche Demonstrationen behindert und ähnliche Dinge. Also das ist ein Potpourri an relativ konkreten Sachverhalten. Zum Beispiel Gesetze, die es nicht gibt, dort fließt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Frage nach der nicht vorhandenen Informationsfreiheit ein. Das spielt nicht nur im Bereich des Journalismus, sondern auch im Bereich des konkreten Engagements von demokratischen Bürgerinnen eine Rolle.
LUKÁŠ: Immer, wenn solche Rankings in Zeitungen veröffentlicht werden und die Zeitungen haben Diskussionsforen angeschlossen, dann ist hier die Frage, die über allem schwebt: Ist unsere Demokratie in Gefahr? Wie gefährlich ist es? Und da Sie das als Fachgebiet betreiben, Antwort auf diese Frage zu finden, stelle ich sie jetzt einfach Ihnen. Wir sind abgesunken in diversen Rankings. Ist unsere Demokratie in Gefahr?
HAUSJELL: Die Demokratie ist in vielen Ländern mehr oder weniger stark in Gefahr und unsere, in Österreich, ist das definitiv. Das ist jetzt keine alarmistische Feststellung. Wenn wir uns in einem Wettbewerb befinden, der ja jetzt kein Fußball-Wettbewerb ist, aber wenn das Ziel der verschiedenen Menschen in einem Land, die sich in der Politik und in unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Bereichen engagieren, [...] ist, dann ist es natürlich bedeutsam zu wissen: Wie gut sind wir als Land verfasst? Wie gut kann ich mich in diese Gesellschaft einbringen? Und das drückt sich in diesen Rankings auch aus. Diese Rankings geben der Politik die Hinweise, wo es Verbesserungspotenzial gibt. Wir haben diesen Pressefreiheitrang untergliedert in fünf Einzelrankings, die die Rahmenbedingungen ausmachen für freien Journalismus. Das sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die kulturellen Rahmenbedingungen, die politischen Rahmenbedingungen, die rechtlichen und die zentrale Frage, an die alle denken, wenn es um Freiheit des Journalismus geht: Wie sicher kann ich diesen Beruf ausüben? Das ist in unserem Land zum Glück keine zentrale Frage. Obwohl: wenn zum Beispiel auf Demonstrationen von Covid-Maßnahmen-Gegnern von dort berichtende Journalisten nicht ausreichend geschützt werden können oder wollen von der Polizei – ich unterstelle mal können, aber da muss man etwas tun –, dann ist das natürlich eine Gefährdung. In anderen Ländern werden Journalisten umgebracht, werden eingesperrt und so weiter. Da fällt dann das Ranking auch entsprechend schlechter aus.
LUKÁŠ: Darf ich an dieser Stelle ganz kurz einhaken? Wenn ich raten müsste, dann würde ich sagen, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind schwieriger geworden.
HAUSJELL: Die sind überall schwieriger geworden, bei uns aber deutlich stärker schwieriger geworden.
LUKÁŠ: Ja, weil wir es so lange in diesem Print-Himmel gelebt haben. Da ist es natürlich schlimm jetzt.
HAUSJELL: Das ist ein bisschen komplex, es ist ja nicht nur die Frage, wie sich der Journalismus finanziert, sondern wie hier Unabhängigkeit verloren gehen kann, wenn ich die Finanzierung über den Weg von sehr vielen Regierungsinseraten bekomme und da offensichtlich auch ein inhaltliches Steuerungsinstrument genutzt wird. Wir sehen, auf der Basis der Erhebungen, in welchen Medien wie viele Regierungsinserate platziert worden sind. Je nachdem, wie viele Menschen damit erreicht worden sind, kann man den Wert ausrechnen, wie viel Euro pro Kopf und Nase. Und dann sieht man, dass die Zeitung, wo jetzt auch dieser entsprechende Vorwurf ist und den die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt hat, dort die höchsten Zahlungen waren, pro erreichter Person. Andere, die diese letzten Perioden relativ kritisch berichtet hatten, haben dann gerade einmal 1/4 dieser Gelder bekommen oder gar nichts, bis hin zu Boykott von Regierungsinseraten ist das gegangen.
LUKÁŠ: Also wäre zum Beispiel das Gesetz zur Medienförderung ein Instrument, um dieses ganze Ranking maßgeblich zu beeinflussen?
HAUSJELL: Absolut. Die Medienförderung ist über 20 Jahre nicht nur nicht nachjustiert worden, sondern sie ist natürlich, durch die kontinuierliche Inflation, laufend weniger geworden und ist im Vergleich zu den Regierungsinseraten nur ein Bruchteil gewesen. 9 Millionen im Jahr ist nicht viel Geld für einen kleinen Staat. In kleinen Staaten ist es schwierig, die Vielfalt, die wir brauchen aus dem Markt heraus hervorzubringen. Deswegen braucht es unterschiedlichste Fördermaßnahmen.
LUKÁŠ: Ich würde gern noch ein Wort zu den Politikern und Politikerinnen selber sagen. Und zwar sind wir hier bei der Kuppel über dem Sitzungssaal, die ist jetzt nicht ganz durchscheinend, aber ein bisschen kann man schon durchsehen. Schauen wir mal.
HAUSJELL: Schauen wir mal.
LUKÁŠ: Schauen wir mal, wen wir erspähen – uns selbst in der Spiegelung der Sonne.
HAUSJELL: Wir sind transparent.
LUKÁŠ: Das stimmt. Wir sind transparent. Wunderbar. Meine anschließende Frage wäre: Wie transparent haben Politiker und Politikerinnen zu sein?
HAUSJELL: Also ich glaube, in den Bereichen, wo es inhaltlich relevant ist, sollten sie transparent sein, das heißt Einkommen, Nebeneinkünfte, da gibt es auch entsprechende Bestimmungen. Und vor allem ab welcher Größenordnung hat es Konsequenzen? Wenn ich sehr hohes Nebeneinkommen habe, hängt damit auch sehr viel Arbeit zusammen. Mache ich dann meine Arbeit als Abgeordnete ausreichend ordentlich oder habe ich dieses hohe Nebeneinkommen, weil mich jemand steuert oder steuern möchte über dieses Nebeneinkommen. Was völlig egal ist, aus meiner Sicht, ist das Privatleben. Das tut überhaupt nichts zur Sache bei der durchschnittlichen Abgeordneten. Bei den Spitzenpolitikern stellen wir gelegentlich die Frage, ob das im krassen Widerspruch ist zu dem, wofür man sich bei Wahlen hat wählen lassen. Aber wie viele Freunde, wie viele Freundinnen jemand nebenher hat, das ist völlig egal. Also in früheren Gesellschaften war wahrscheinlich die Frage, ob man erpressbar ist aufgrund eines abweichenden Sexualverhaltens. Da würde ich sagen, haben wir inzwischen eine Liberalität erreicht in der Gesellschaft, dass das jetzt wahrscheinlich niemanden mehr wirklich in der Unabhängigkeit gefährdet.
LUKÁŠ: Wahrscheinlich.
HAUSJELL: Wahrscheinlich. Ich finde es ja grundsätzlich klüger, sich zu outen. Früher war das immer das sogenannte „Outen”. Ich meine einfach dazu zu stehen und dann ist man nicht erpressbar.
LUKÁŠ: Eine Frage möchte ich noch anschließen, bevor wir dann dieses Gespräch langsam ausklingen lassen. Diese Pseudo-Transparenz über Social Media, die jetzt natürlich von Parteien und Politikern und Politikerinnen gezeigt wird: Nimmt das irgendeinen Einfluss auf die tatsächliche Transparenz ihres Tuns oder gibt es da Wechselwirkungen?
HAUSJELL: Naja, die Wechselwirkung ist, dass über die verschiedenen Social-Media-Kanäle alles daherkommt, also von der seriösen, gut recherchierten journalistischen Geschichte, die irgendjemand dann auch über einen Kanal ausspielt, über die politische PR der Abgeordneten, der gegnerischen Abgeordneten und so weiter. Es gibt verschiedene Wahlwerbung, wenn dann wieder Wahlen sind und es sind ja eigentlich permanent irgendwo Wahlen. Dann gibt es Fake News aus den ganz unterschiedlichsten Gründen, weil Leute einfach nur Traffic generieren wollen auf ihre Accounts und das dann zu monetarisieren und damit Geld zu verdienen. Und diese Mischung, diese sehr eigenwillige Suppe an Informationen, die ist für gar nicht so wenige Menschen nicht gut geniessbar, weil für viele oft nicht wirklich unterscheidbar ist: Was davon ist geprüfter Inhalt? Was ist nette PR in eigener Sache? Was ist Denunziation anderer? Und was hat überhaupt kein Fundament und auch nicht wirklich ein Motiv, sondern ist einfach nur schrill und aufmerksam und sagt „Was? Der hat schon wieder!” oder „Die hat das getan!” und so weiter? Da müssen wir ansetzen, wir müssen die Menschen befähigen, dass sie das einigermaßen unterscheiden können und da reicht die Schule nicht. Das Problem ist ja, der Großteil der Menschen geht nicht mehr in die Schule, das heißt, wir Erwachsene, wir brauchen diese Aufklärung auch wir, die wir da in diesem Bereich arbeiten. Wir unterschätzen dieses Problem und da ist der Journalismus gefordert, da ist auch ein Stück der Parlamentarismus gefordert. Öfter mal das auch klar zu machen in Debatten, warum über verschiedene Sachthemen Dinge im Umlauf sind, die Menschen auch verunsichern, irritieren und dann sagen „Ja, die stecken alle unter einer Decke, die wollen darüber nicht reden”. Daher braucht es das Aufgreifen dieser Räubergeschichten. Etwas nachzurecherchieren und dem Publikum zu zeigen, da ist nichts dran oder da gibt es nur einen ganz kleinen Kern. Aber 95 % der Geschichte sind einfach nur ein Witz und und ein Trugbild, das da vermittelt wird.
LUKÁŠ: Man kann dem Ganzen vielleicht einfach mit Transparenz begegnen.
HAUSJELL: Man muss diese Transparenz schaffen, was diese Kanäle anbelangt. Die klassischen Medien sind verpflichtet, dass sie uns als Mediennutzern keinen allzu großen Stuss bieten. Da haben wir ganz klare Gesetze. Diesen Bereich haben wir noch nicht wirklich gut geregelt.
LUKÁŠ: Ja, das ist wahr. Jetzt haben wir sehr viel über Transparenz gesprochen. Und in jedem Statement war der Wunsch nach absolut vollkommener Transparenz da. Jetzt zum Schluss die Frage: Gibt es Grenzen für Transparenz, wo Transparenz vielleicht gar nicht so taugt?
HAUSJELL: Ja, es gibt Bereiche, also zum Beispiel zwischen Politik und Medien, vertrauliche Hintergrundgespräche zum Beispiel. Wobei es dafür dann eben auch Regeln gibt, damit sie nicht missbraucht werden. Wenn man vertrauliche Hintergrundgespräche macht, um tatsächlich Medienberichterstattung daraus zu schaffen für besonders brave Journalisten und Journalistinnen, die sich das verdient haben, dann ist das ein Missbrauch solcher Regeln. Wenn es darum geht, dass ich alle die Journalistinnen und Medien einlade, die bei dieser Thematik gut aufgestellt sind, überhaupt interessiert sind, sich mit der Thematik zu beschäftigen und daraus keine Berichterstattung generieren, sondern etwas vorbereiten – damit Medien und Politik auf Augenhöhe agieren können. Das braucht maximal die Transparenz, dass sie sagen, so ein Gespräch hat stattgefunden. Diese und diese Medien sind alle eingeladen worden.
LUKÁŠ: Und im Parlamentarismus gibt es wohl auch hin und wieder Dinge, die hinter verschlossenen Türen stattfinden?
HAUSJELL: Na sicher. Wenn ich Sicherheitspolitik zum Beispiel debattiere, gibt es sicher Bereiche. Oder wenn ich die Organisation der Geheimdienste bespreche im Parlament, denn die gehören selbstverständlich auch parlamentarisch kontrolliert und in dem Sinne eine Transparenz, aber weiter nach außen sollte diese Transparenz dann nicht sein. Wobei Medien dürfen schon, wenn sie meinen, da gibt es Vorgänge, die nicht in Ordnung sind, dann dürfen sie dort sehr wohl Transparenz schaffen. Das ist das Privileg. Das ist ein hohes Privileg, das Medien haben. Die müssen dann nicht ihre Informanten und Informantinnen preisgeben. Das ist gut so! Ich meine, wenn sich die Geschichte als falsch herausstellt, das gibt es ja manchmal, hat's meistens eh keine Konsequenzen. Außer die Blamage für ein Medium.
LUKÁŠ: Ja. Wie der Spiegel?
HAUSJELL: Ja, sicher. Und dann ist es halt eine Frage der Fehlerkultur. Da sind wir jetzt nicht gleich wieder beim Thema Transparenz. Aber dass man als Medium und warum nicht auch manchmal als Politiker, dann, wenn man draufkommt, man hat sich geirrt, sagt, diese Information stimmt nicht. Die richtige lautet so. Warum sich nicht entschuldigen? Es bringt ja nichts mehr, man kann nur gewinnen durch so was.
LUKÁŠ: Ich finde auch. Man muss sagen, diese Fehlerkultur hat sich sehr weiterentwickelt in den letzten Jahren in den Medien, dass das transparenter geschalten wird. Und in diesem Artikel wurde das und das verändert, zu der und der Uhrzeit. Das ist auf jeden Fall begrüßenswert. Damit wären wir am Ende unseres Gespräches angelangt. Die Sonne ist da.
HAUSJELL: Jetzt bekommen wir als als Dankeschön vom parlamentarischen Himmel Sonne. Was für eine Sonne!
LUKÁŠ: Wunderschön! Vielen Dank für das Gespräch.
HAUSJELL: Ich danke für das angenehme Gespräch.
LUKÁŠ: Vielen Dank. Und das war's jetzt für diese Episode von „Rund ums Parlament”, dem Podcast des österreichischen Parlaments. Falls euch der Podcast gefallen hat, dann empfehlt ihn gerne weiter. Und wenn ihr ab jetzt keine Folge mehr verpassen wollt, abonniert „Rund ums Parlament” am besten gleich überall dort, wo ihr Podcast hört. Also zum Beispiel auf Apple Podcast, Spotify, Deezer oder Amazon Music. Für alle, die sich für die Rankings interessieren, über die wir gesprochen haben, geben wir gerne alle Informationen in unsere Shownotes. Wenn ihr Fragen, Kritik oder Anregungen zum Podcast habt, dann schreibt uns gerne eine E-Mail an podcast@parlament.gv.at. Weitere Informationen und Angebote rund ums österreichische Parlament und zu unserer Demokratie findet ihr auf unserer Website www.parlament.gv.at. Natürlich lohnt es sich auch immer, auf unseren Social-Media-Kanälen vorbeizuschauen. Und ganz besonders möchte ich euch die nächste Folge von „Rund ums Parlament” ans Herz legen. Da werden wir wieder im Parlament unterwegs sein, aber nicht hier oben auf dem Dach. Nein, wir werden die Kunstwerke betrachten, die im ganzen Gebäude zu sehen sind. Und wir werden uns erklären lassen, warum gerade diese Kunst es ins Parlament geschafft hat. Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr wieder mit dabei seid. Bis dahin eine gute Zeit. Mein Name ist Tatjana Lukás. Wir hören uns.
Jingle: Rund ums Parlament. Der Podcast des österreichischen Parlaments.
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