Kunst im Parlament: Historismus trifft Moderne
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Das Parlamentsgebäude von Theophil von Hansen ist schon für sich ein Prachtbau voller Kunstwerke. Nach der Sanierung des Gebäudes zogen aber auch Kunstwerke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler mit ein. Zusammen mit dem Kurator Hans-Peter Wipplinger und Giuseppe Rizzo, dem Leiter der Abteilung Corporate Identity & Public Relations, Kunst und Kultur der Parlamentsdirektion, betrachtet sie Host Tatjana Lukáš aus der Nähe.
Bei diesem besonderen Spaziergang durch das Parlament beantworten die beiden Gäste Fragen danach, welche Künstler hier ihre Werke präsentieren, warum es überhaupt moderne Kunst im Parlament braucht und welches Kunstwerk die Gäste auch gern bei sich zuhause hätten.
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Transkript
Jingle: Rund ums Parlament. Der Podcast des österreichischen Parlaments.
Tatjana LUKÁŠ: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „Rund ums Parlament“, dem Podcast des österreichischen Parlaments. Mein Name ist Tatjana Lukás und heute geht es bei uns um Kunst. Über Kunst lässt sich bekanntlich trefflich streiten. Das wollen wir aber heute gar nicht tun, sondern wir wollen Kunst entdecken. Ich werde für euch, liebe Hörerinnen und Hörer, heute zur Kunstdetektivin mutieren und gemeinsam mit meinen beiden Gästen die neuen Kunstwerke im sanierten Parlament erforschen. Wir haben eingeladen zum einen Giuseppe Rizzo. Er ist Leiter der Abteilung Corporate Identity und Public Relations Kunst und Kultur der Parlamentsdirektion. Und zum anderen ist Hans-Peter Wipplinger bei mir. Er ist Kurator für die Kunst im Parlament und damit für die Auswahl der Kunstwerke zuständig. Herzlich willkommen in unserem Podcast.
Hans-Peter WIPPLINGER: Danke.
Giuseppe RIZZO: Freut uns, hier zu sein.
LUKÁŠ: Wir stehen ja hier im wunderschönen Vestibül. Wer unseren Podcast schon länger begleitet, weiß wir sind hier schon durchgewandert. Würden Sie vielleicht ganz kurz als kunstverständige Menschen uns beschreiben, wie es hier ausschaut, was das Besondere an diesem wunderschönen Raum ist?
WIPPLINGER: Das ist sicherlich eines der prachtvollsten Stiegenhäuser, die es in Wien gibt. Das Parlament wurde von Theophil Hansen, dem Architekten, erbaut, 1883 fertiggestellt, und es trägt die Handschrift des Historismus. Das heißt einer Stilweise, die sich sehr stark auf vergangene Epochen konzentriert hat und verschiedene Elemente, stilistische Elemente angenommen hat. Hier im Parlament dominiert der Hellenismus. Hier gibt es vielfache Anknüpfungspunkte, aber die ganze Ringstraße hier in Wien ist dominiert von historistischen Bauten. Gleich in der Nachbarschaft, im neobarocken Stil, ist das Burgtheater oder im neogotischen Stil das Wiener Rathaus, also eine sehr eklektizistische Bauweise mit Vergangenheitsbezug. Dieses Stiegenhaus ist beeindruckend. Wenn man sich hier umschaut mit diesen Säulen, mit diesem Wandschmuck, den Theophil Hansen und seine Künstler hier umgesetzt haben, mit sehr vielen skulpturalen Arbeiten, mit einem langen Fries von Alois Johann Schram, das wir im oberen Vestibül dann sehen, dann ist man einfach erstaunt, wenn man in diesen Saal hier tritt.
LUKÁŠ: Das stimmt, das ist wunderschön. Haben zum Beispiel diese Sterne, die an die Decke gemalt wurden, irgendeine Bedeutung?
WIPPLINGER: Nicht, dass ich jetzt konkret wüsste, was sich Theophil Hansen dabei gedacht hat, aber im oberen Bereich sehen wir sehr viele, auch wie im ganzen Haus, allegorische Anknüpfungspunkte. Das sind Erzählungen, die man vielleicht heute gar nicht mehr versteht. Und ich würde fast sagen, dass auch damals die breite Öffentlichkeit sie nicht wirklich verstanden hat. Das waren Chiffren für eine gewisse kunsthistorisch oder mythologisch versierte Klientel. Und vielleicht kann ich da auch gleich den Bogen schlagen zur zeitgenössischen Kunst, die auch einer gewissen Auseinandersetzung bedarf, um sie lesbar zu machen.
LUKÁŠ: Wenn ich mir was wünschen darf für unseren heutigen Spaziergang, der ja der modernen und neuen Kunst im Parlamentsgebäude gewidmet ist: Wenn wir an solchen allegorischen Referenzen vorbeigehen, vielleicht könnten Sie hin und wieder eine kleine Geschichte oder Anekdote dazu erzählen, falls Ihnen etwas auffällt.
WIPPLINGER: Gut, ich werde mich bemühen.
RIZZO: Das ist großartig. Ich werde immer sagen, das sieht toll aus. Bitte, Hans-Peter, erzähl mir was darüber. Ich bin das breite Volk.
LUKÁŠ: Ich bin das breite Volk hier.
RIZZO: Wir sind das breite Volk.
LUKÁŠ: Wir sind das breite Volk. Wunderbar. Dann dreht sich das breite Volk mal um zu dem ersten modernen Kunstwerk, das wirklich sehr ins Auge sticht, was eine Leistung ist in diesem prunkvollen Prachtstiegenhaus. Das erste Kunstwerk besteht aus Spiegeln, die sich an einem Stahldrahtseil nach oben schlängeln. Was ist es und was will es uns sagen, Herr Rizzo?
RIZZO: Was es ist und was es sagen wird, das überlasse ich dann der Betrachterin, dem Betrachter, wenn sie dann vor Ort und Stelle sind. Ich kann es jetzt einfach nur mal beschreiben. Es ist, Sie haben es schon angedeutet, ein Stahlseil, das von unten durch die Decke gespannt wird – zu dem „durch“ komme ich dann noch. Es sind konzentrische Spiegel, die parallel leicht in der Achse verändert aufgezäumt sind. Und in diesen Spiegeln sehen wir uns jetzt gerade, wenn wir uns in dem Spiegel betrachten. Aber gleichzeitig reflektiert auch die ganze Architektur, die WIPPLINGER vorher auch beschrieben hat, von diesem Raum. Wenn wir genau hinschauen, sehen wir auch die Sternchen, die vorher beschrieben worden sind. Es bringt uns als breites Volk in Verbindung mit dieser Architektur durch diese Kunst. Und das finde ich großartig. Das weitere Spiel ist, dass es so ausschaut, als würde diese Skulptur durch die Decke durchgehen, weiter bis nach oben. Und ganz weit oben, nämlich im dritten Obergeschoss, kommt Eva Schlegel wieder vor, wo sich all diese Spiegeln zu einer gesamten Skulptur vereinen. Das ist dann oben im neuen Restaurant.
LUKÁŠ: Wir haben es jetzt schon kurz erwähnt. Dieses Kunstwerk ist also von Eva Schlegel, 1960 geboren, eine österreichische Künstlerin. Das Kunstwerk heißt „Extension of Public Space“ und beginnt hier im Vestibül, aber setzt sich im Restaurant fort. Warum diese Fortsetzung im Restaurant?
WIPPLINGER: Ich würde sagen, wenn man hier in das untere Vestibül hereinkommt, das ist ja noch ein relativ zurückhaltender Ort. Und je weiter man nach oben tritt, steigert es sich. Im oberen Vestibül ist dieser prachtvolle Wandschmuck. Und ähnlich steigert sich auch die Lichtsituation nach oben kommend. Und oben im Restaurant – das ist eine Wintergarten-ähnliche Lokalität – dort ist diese, von RIZZO schon skizzierte, drehbare Skulptur. Worum geht es der Künstlerin? Zunächst einmal muss man sagen: Es ist eine unglaubliche Herausforderung, in einem so geschmückten Raum ein zeitgenössisches Kunstwerk noch zu implementieren. Und es ist wohl eine der wenigen Möglichkeiten, hier einen Eingriff, eine künstlerische Intervention zu machen, ohne dass es wie eine Faust aufs Auge daherkommt. Was macht sie? Ihr gesamtes Werk ist dominiert von der Hinterfragung von Wahrnehmung. Und mit diesen Spiegeln schafft sie es einerseits, den Raum zu erweitern, zu entgrenzen, aber auch einen Fokus zu richten auf verschiedene Elemente und Aspekte der Skulpturen, der Wandmalereien et cetera. Das heißt, sie lenkt unseren Blick, der sich bei jedem Schritt auch ändert durch die Spiegelungen und transformiert den Raum auf eine sehr schöne Art und Weise. Die Kunst von Eva Schlegel, diese Spiegelarbeit, macht sich nicht wichtig, sondern sie lenkt den Blick weiter auf die Pracht, die hier schon existiert. Aber das Schöne daran ist, dass diese Kunst des 19. Jahrhunderts von Theophil Hansen und seinen Künstlerkollegen eine Brücke schlägt ins 21. Jahrhundert. Mit diesen ganzen minimalistischen Ansätzen dieser Kreisform der Spiegel und das finde ich eigentlich sehr schön und gelungen.
LUKÁŠ: Auch interessant, weil Kreisformen sind an sich im Vestibül ja kaum zu finden. Das ist eigentlich die erste Kreisform, die in diesen Raum findet. Sonst ist alles sehr eckig.
WIPPLINGER: Das stimmt. Das ist wie so oft bei Theophil Hansen: Erst einmal dominiert eine sehr strenge Symmetrie in diesem gesamten Gebäude, und es dominiert, das werden wir noch vielfach sehen, auch das Quadrat. Und es dominieren auch Dreiecksformen. Aber die Kreise, die Spiegelkreise, heben sich hier schon allein aus formalen Gründen ab.
RIZZO: Und die Herausforderung war natürlich auch, die Zustimmung des Bundesdenkmalamts zu bekommen, weil man hier an den Wänden und an der Decke nichts angreifen darf. Und das hat die Künstlerin auch kongenial gelöst.
LUKÁŠ: Ich würde vorschlagen, dass wir vielleicht dem Kunstwerk folgen, den Weg, den es uns weist, und die Stiegen hinaufgehen. Darf ich fragen, welche Kriterien Sie anwenden, um die Kunstwerke auszuwählen?
WIPPLINGER: Ja.
LUKÁŠ: Oh, hier steht ein Riesenkunstwerk in einem goldenen Rahmen.
WIPPLINGER: Aus dem 19. Jahrhundert. Das ist noch nicht gehängt, ganz offensichtlich, denn es hat ja schon Gemälde gegeben, die über die Jahrhunderte des 19. und des 20. in Auftrag gegeben wurden. Nach '45 waren es eben die Nationalratspräsidentinnen und -präsidenten, die porträtiert wurden, und davor im Herrenhaus wichtige Vertreter eben jenes Hauses. Analog zu den aristokratischen Porträts haben auch die Bürger begonnen, sich porträtieren zu lassen und sind damit in die Ahnengalerie eingegangen.
LUKÁŠ: Darf ich fragen, denn beim amerikanischen Präsidenten ist es ja ganz PR-mäßig aufgemacht, welcher Künstler oder welche Künstlerin den Präsidenten porträtieren darf. Dürfen in Österreich auch die Politiker und Politikerinnen das selbst aussuchen?
RIZZO: Also zumindest die letzten Nationalratspräsidenten hatten die Wahl, ihren Künstler, ihre Künstlerin auszuwählen. Zumindest von den letzten drei, vier Präsidentinnen, respektive Präsidenten weiß ich das.
LUKÁŠ: Aber jetzt komme ich noch einmal auf die Frage zurück.
RIZZO: Zur Auswahl.
LUKÁŠ: Genau, wie funktioniert das mit der Auswahl? Ich schätze mal, die Künstlerinnen und Künstler werden aus Österreich sein müssen. Ist das ein Auswahlkriterium Nummer eins?
WIPPLINGER: Das war kein Auswahlkriterium, aber ich fand es logisch, den Fokus zu richten auf herausragende Repräsentanten dieses Landes, zumal wir als Kulturnation sehr wichtige Positionen vorweisen können. Man kann aber nicht mit jedem Künstler, jeder Künstlerin ein In-situ-Projekt angehen, wo Arbeiten spezifisch geschaffen werden für einen Ort. Wo Künstlerinnen eingehen auf die Architektur, auf die Räumlichkeit, auf inhaltliche Kontexte wie Demokratie, Parlament, was heißt das, gesellschaftlich zu reflektieren, was dieses Haus so macht? Es müssen Künstlerinnen und Künstler sein, die konzeptuell orientiert arbeiten und produzieren. Es ging nicht darum, nur Bilder an die Wand zu hängen oder Skulpturen hier abzustellen, sondern die Arbeiten sind für den Ort entstanden.
RIZZO: Ich glaube, das ist ein wesentlicher Teil. Dass man auch versteht, dass es konzeptuell für einen Raum geschaffen worden ist, was wir bei der Eva Schlegel gesehen haben. Viele glauben, dass es eingekaufte oder angemietete Kunst ist, wie das auch viel früher gehandhabt worden ist und man das an die Wände dann gehängt hätte oder hat. Das ist wirklich ein Change in dieser Geschichte, dass Künstlerinnen für einen bestimmten Raum sich Gedanken machen und überlegen, wie sie den Raum mit ihrer Kunst und mit der Interaktion des Individuums in Verbindung bringen. Das ist bei allen sehr gut gelungen.
Tatjana Lukáš: Es sind also alles Auftragsarbeiten, die wir hier heute miteinander besprechen.
WIPPLINGER: So ist es, so ist es.
Tatjana Lukáš: Und jetzt gerade sind wir im Blauen Salon angekommen, nach unserem kurzen Spaziergang. Hier sehen wir von Heimo Zobernig die Bilder „Interferenzen”. Es sind vier Stück in verschiedenen Blau-, Grün-, Violetttönen. Ich bin ein Laie, ja? Dafür sind Sie da, um uns zu erklären, wie sehen diese Bilder genau aus? Vielleicht haben Sie auch besseres Vokabular als ich im Repertoire. Und was wollen sie uns sagen, beziehungsweise wie interagieren sie mit dem Raum?
WIPPLINGER: Heimo Zobernig, einer der herausragenden Künstler dieses Landes, ist prädestiniert, so eine In-situ-Arbeit zu machen. Es gibt verschiedene Deutungsebenen, was diese vier Leinwände betrifft. Ich fange mal damit an, dass dieser Saal historisch bedingt immer ein Empfangssalon war. Und ich mache das ja jetzt als Kurator hier in diesem Haus schon das dritte Mal. Und zuvor hingen hier schwere, alte, unter Anführungszeichen, Schinken aus dem 19. Jahrhundert, ins 20. Jahrhundert hineingehend, und das sah schon ein wenig verstaubt aus. Und da haben wir wieder diesen Brückenschlag in die Gegenwart. Was hat sich also dieser Künstler gedacht? Zunächst einmal ist er ausgegangen, so nehme ich an, vom Blauen Salon, so wird der bezeichnet. Und nachdem er ein sehr Farblehren-analytischer Künstler ist, hat er sich die sieben Spektralfarben angeschaut. Und diese vier untersten Farben, die Spektralfarben, sind definiert durch Blau, durch Indigo, durch Türkis und durch Violett. Und das heißt, es ist aber nicht nur eine Farbe, die ausgewählt wurde, sondern er hat hier in der Farbe kleine Kristallplättchen beigemischt. Die sind mit dem freien Auge nicht wirklich sichtbar, aber sie sind in der Farbe inkludiert. Und das gibt den Effekt, wenn man hier durch den Saal schreitet, dass die Farben sich verändern, so wie bei einem Regenbogen. Mit jedem Schritt erscheinen diese vier Farben in einem anderen Licht. Das hat mit physikalischen Prozessen, mit Lichtführung zu tun. Das heißt, es differiert, je nachdem wo ich als Betrachter stehe und wohin ich mich bewege einerseits, aber auch von dem Lichteinfall, dem künstlichen Licht, Oberlicht und dem natürlichen Licht, das von den Innenhöfen herauskommt. Er ist ein Künstler, der sich sehr intensiv mit Minimalismus, minimalistischer Kunst auseinandergesetzt hat. Es sind rechteckige Formen. Da kommen wir zu einem anderen, vielleicht soziologisch, gesellschaftlichen Aspekt. Die Höhe dieser Leinwände sind einheitlich bei 2,70 Meter begrenzt. Und das ist wiederum eine Anspielung auf die durchschnittliche Wohnungshöhe in Wiener Wohnbauten. Das heißt, der Raum ist, nehme ich mal an, um die 8 Meter hoch, vielleicht sogar höher. Es ist ein repräsentativer Raum, der Raum des Nationalratspräsidenten, der Nationalratspräsidentin. Und er bricht konzeptuell, auch inhaltlich, mit dieser Vorstellung, was das Volk und was die Repräsentanten des Volkes im Sinne von Raum schaffen, Raum kreieren. Damals machte das Theophil Hansen mit diesen ionischen Säulen, die den Raum auch schmücken und mit dem Stukkolustro. Das ist in diesem Fall kein echter Marmor, sondern das ist eine Scheinmalerei, eine alte Handwerkstechnik, die hier angewendet wurde. Und die Gemälde sind nicht rein monochrom, sondern sind sehr grob mit Pinsel aufgetragen, implizieren auch dieses Handwerk und nicht diese glatte, minimalistische, monochrome Struktur. Also es sind zahlreiche Aspekte, die sich der Künstler hier gedacht hat. Ich finde es gut, weil es macht den Raum, es definiert den Raum einfach vollkommen anders und bringt ihn ins 21. Jahrhundert.
RIZZO: Definiert ihn anders, irritiert. Das Kunstwerk heißt „Interferenzen”, das zeigt einfach vieles, was er da angedacht hat. Also ich finde es immer großartig, wenn wir uns hinsetzen und man sich eintauchen lässt in einer dieser Farben, dann bringt das Ruhe, also wirklich eine Interferenz. Es referiert zum Betrachter, zur Betrachterin. Es macht das, was Kunst machen muss: ein bisschen Irritation, ein bisschen den Gedankenraum öffnen. Und wenn ich das Bild so anschaue, dann denke ich immer: Was sehe ich? Das könnte ein Wald sein, das könnte eine andere Dimension sein. Und wenn man sich vorstellt, dass hier im Empfangsraum vielleicht nicht immer alles so ist wie wir, wenn wir plaudernd durch die Gänge gehen, sondern dass auch thematisch schwere Dinge besprochen werden, ist das etwas ganz tolles. Man kann kurz beim Aufschauen irgendwo abdriften und vielleicht auch etwas tanken und dann wieder zurückkehren in die Verhandlung oder was immer besprochen wird. Also ich finde, das ist einer der Räume, die sehr klar zeigt, was Kunst mit uns macht.
Tatjana Lukáš: Das Volk und die Räume, die normalen Wohnungshöhen wurden jetzt erwähnt. Wenn man als Besucher oder Besucherin hierher kommt ins sanierte Parlament, wird es auch Führungen zur Kunst geben? Werden die Menschen das erfahren können? Denn es gibt hier ja keine Plaketten, wo kurz erklärt wird, was dieses Kunstwerk kann. Wird es einen Audioguide geben? Was kann man sich da erwarten?
RIZZO: Das wird es alles geben. Einen Audioguide noch nicht, aber es wird Kunstführungen geben, die begleitet sind, damit jedes dieser Kunstwerke klar in Szene gesetzt werden kann. Es wird auch die berühmte angesprochene Plakette geben, auch mit dem Asset barrierefrei, mit Brailleschrift und Pyramidenschrift und gleichzeitig aber auch mit einem QR Code, wo dahinterliegend alle diese Informationen, die wir jetzt hier besprechen, abrufbar sind. Auch Biografien der Künstlerinnen und eine Werksbeschreibung, damit das allen zugänglich gemacht wird.
LUKÁŠ: Dann würde ich vorschlagen, dass wir in den nächsten Raum gehen.
WIPPLINGER: Aber beachten wir vielleicht noch die Art der Hängung.
RIZZO: Ja, unbedingt.
WIPPLINGER: Das war dem Künstler Heimo Zobernig auch sehr wichtig. Es ist nämlich nicht eingepasst in die Symmetrie der Farbfelder, die im Hintergrund die Wand strukturieren, sondern ihm war wichtig, es gerade aus der Symmetrie herauszunehmen, um hier wieder einen gewissen Bruch zu schaffen.
RIZZO: Diese Irritation.
WIPPLINGER: Ja.
LUKÁŠ: Das ist wirklich schön. Und tatsächlich, die Farbe verändert sich, wenn man an ihnen vorbei geht. Teilweise glänzen sie, teilweise erscheinen sie matt. Das ist wirklich schön. Gibt es eigentlich eine Idee, einen roten Faden, der sich durch die Auswahl aller modernen Kunstwerke zieht?
WIPPLINGER: Die künstlerischen Positionen sind sehr pluralistisch in ihrer Handschrift, in ihrem Ansatz, in ihrer Biografie. Wir waren gerade bei Zobernig, der war zweimal bei der Documenta in Kassel – viele der Künstlerinnen und Künstler haben internationale Ausstellungen bestritten. Der rote Faden ist in der Tat die Auseinandersetzung mit dem Haus, der Geschichte, der Architektur. Und es ist spannend, zu verfolgen, wie unterschiedlich die Lösungsansätze gemäß auch ihrer künstlerischen Philosophie und ihres Brandings umgesetzt wurden.
LUKÁŠ: Und die Künstlerinnen und Künstler wurden also vorab ins Parlament, das noch eine Baustelle war, eingeladen?
RIZZO: Korrekt.
LUKÁŠ: Und es wurden ihnen vielleicht der ihnen zugedachte Ort gezeigt? Oder durften sie auch die Orte mit aussuchen?
WIPPLINGER: Es gab Baustellenrundgänge mit den Künstlerinnen und Künstlern. Und es war von vornherein definiert, wo etwas stattfinden kann oder soll. Ich würde sagen, 8 von 10 Beiträgen sind an neu geschaffenen Orten, an den Ausbauten, im Dachboden oder im ehemaligen Kellerbereich entstanden. Und Schlegel und Zobernig haben sich von einem sehr üppig gestalteten Raum inspirieren lassen. Aber jeder der Künstler hat sich zwischen zwei und vier Orte überlegt und dann Konzepte entwickelt. Und dann wurde im Kreise eines Gremiums analysiert: Ist das technisch umsetzbar? Ist es von Seiten des Bundesdenkmalamts kein Problem? Ist es auch funktional für die Menschen, die hier arbeiten? Das heißt, ragt da nicht eine skulpturale Arbeit zu sehr heraus und kann jemanden verletzen? Wie ist es mit dem Brandschutz? Es sind viele Parameter, die man beachten muss bei Kunst an Bauprojekten. Aber die Künstlerinnen und Künstler sind Profis. Es sind keine Anfänger, sondern die haben einen sehr großen Erfahrungsreichtum durch ihre vergangenen Werke und sind damit wunderbar umgegangen.
LUKÁŠ: Es ist auch schön, weil sie sind ja auch Handwerker in einem gewissen Sinne und sich dann unter die anderen Handwerker zu mischen, während die noch am tun sind, ist vielleicht eine schöne Situation. Wir sind jetzt gerade im neu geschaffenen Stiegenhaus und sehen hier die Arbeit „Galaxie”, eine grafische Wandarbeit von Esther Stocker. Wie kann man das beschreiben? Als Laie würde ich sagen, es ist fast ein bisschen verpixelt. Also es hat etwas von Pixel-Art.
RIZZO: Sehen Sie eine Galaxie? Ist es eine Galaxie? Ist das die Assoziation, die Sie haben, wenn Sie es jetzt anschauen?
LUKÁŠ: Nein. Ich habe tatsächlich digitale Assoziationen, wenn ich das sehe.
RIZZO: Durch das Quadratische, also durch das Gepixelte.
LUKÁŠ: Durch das Quadratische und durch diese Gemenge, die an der Wand entstehen, durch diese Bündelungen. Was wollte uns die Künstlerin da mitgeben?
WIPPLINGER: Soll ich?
RIZZO: Ja, bitte.
WIPPLINGER: Esther Stocker hat hier über 12 oder 15 Meter mal 20 Meter eine Wandmalerei gemacht, die mit dem einfachen Quadrat operiert. Dieses Quadrat ist in vier verschiedenen Größen hier dargestellt. Schwarze Quadrate auf weißer Wand in einer Anordnung, die an verschiedenen Stellen immer wieder die Quadrate in einer Verdichtung zeigen und dann aber auch wieder vereinzelt auftretende Quadrate. Für mich ist das eine Metapher für „Wie funktioniert Parlament? Wie funktioniert Demokratie?” Das heißt, es gibt gewisse Interessensgruppen, die sich zusammenfinden, zum Beispiel Fraktionen. Da verdichten sich Meinungen, da wird ausverhandelt. Aber es gibt natürlich auch periphere Quadrate, die irgendwo im Raum oder in den Ecken schweben, die nicht diese große Lobbybewegung hinter sich haben und die aber in einer Demokratie – Stichwort Minderheitenrechte – trotzdem geschützt sind, sodass deren Meinung auch zur Geltung kommt. So abstrakt dieses Kunstwerk daherkommt, so viele Interpretationen gibt es im Konnex mit dem Haus und dem Inhalt der Arbeit, die hier vonstatten geht.
LUKÁŠ: Jetzt gibt es also bei diesem Kunstwerk einen starken demokratischen Anklang in der Interpretation, die wir gerade gehört haben. Ist das bei allen Kunstwerken so, die ausgesucht wurden? Haben die alle ein demokratisches Moment?
RIZZO: Ich würde ja sagen. Das ist, Hans-Peter, korrigier mich bitte, in diesem Konzept auch so drin, wir sind hier nicht in einem Museum. Das heißt, In-situ-Arbeiten im Parlament sind etwas anderes, als wenn ich sage, beim neuen Kunsthaus oder bei der neuen Albertina werden Künstler herangetragen, einen Raum zu gestalten. Das ist hier am Ort des Geschehens, nämlich da, wo Demokratie gestaltet wird, wo wir sie erleben, im Herzen der Demokratie. Und ich bin mir sicher, dass die Künstlerinnen diesen Aspekt sehr wohl eingebaut haben.
WIPPLINGER: In der Mehrzahl haben sie sich mit diesen Begriffen „Parlament” und „Demokratie” auseinandergesetzt. Manche Künstlerinnen, wie zum Beispiel Martina Steckholzer, sind eher formal an die Sache herangegangen, denn das war auch Teil des Briefings, sich mit den Ort und dem Bildprogramm des Hauses von Theophil Hansen auseinanderzusetzen. Aber en gros würde ich sagen, ist das das Thema gewesen oder Teil des Briefings auch.
LUKÁŠ: Bevor wir zum nächsten Kunstwerk gehen: Wir haben immer eine kleine Rubrik, damit wir unsere Gäste besser kennenlernen. Und ich würde Ihnen jetzt jeweils drei Fragen stellen, die mit Kunst so nichts zu tun haben – vielleicht für Sie schon, wir werden es gleich hören –, mit der Bitte um kurze Antworten.
RIZZO: Du zuerst.
LUKÁŠ: Wenn Sie sich entscheiden müssten: Frühling oder Herbst?
WIPPLINGER: Wir leben in Mitteleuropa, also nicht in einer Klimazone, wo es nur Regenzeit und Trockenzeit gibt. Ich bin ein Verfechter des Frühlings, aber wissend, dass ohne den Herbst der Frühling auch nie so prachtvoll zur Geltung kommen würde. Es braucht den Winter und die Farblosigkeit, um das Grün wiederzu erkennen und die blühenden Farben, die dann aus der Natur sprießen. Also antipodisch. Das eine bedingt das andere.
LUKÁŠ: Herr Wipplinger ist antipodisch und ich glaube, das ist fast die Antwort auf die zweite Frage, die aber erst gestellt werden muss, nämlich Kompromiss oder beste Lösung?
WIPPLINGER: Parlament funktioniert wie Demokratie auf Kompromissen. Man muss einen Schritt zurückgehen. Ich denke mir, so lange es eine gute Lösung ist, dass das Ergebnis dann auf dem Tisch liegt, ist es fein. Wenn eine schlechte Lösung herauskommt, macht für mich ein Kompromiss keinen Sinn. Dann wird es mediocre, dann wird es mittelmäßig. Und das soll insbesondere in der Kunst nicht der Fall sein.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie Demokratie an?
WIPPLINGER: Für mich hat das sehr viel mit Freiheit zu tun. Freiheit des einzelnen Bürgers, aber auch Freiheit als Individuum gestalten zu können und so zu leben, wie man möchte. Also Freiheit ist für mich ein wichtiger Begriff und Respekt vor einer anderen Meinung.
LUKÁŠ: Vielen Dank.
RIZZO: Haben wir noch Zeit?
LUKÁŠ: Jetzt bitte ich Giuseppe Rizzo in den Fragenring.
RIZZO: Dann sage ich gleich Frühling.
LUKÁŠ: Bevor ich die Frage gestellt habe.
RIZZO: Ich glaube, die Fragen sind wahrscheinlich die gleichen. Also Frühling auf jeden Fall. Rinascere, das ist Wiedergeburt, was der Frühling jedes Mal uns zeigt. Und das finde ich einfach großartig. Aber ich bin ganz bei dir. Kein Frühling ohne Herbst und kein Herbst ohne Frühling.
LUKÁŠ: Kompromiss oder beste Lösung?
RIZZO: Es wird fad. Ich bin auch für Kompromiss. Und ich glaube, dass in der Frage bester Lösung schon eine sehr individuelle Komponente ist. Was heißt schon beste? Und beim Kompromiss bin ich einfach auch gezwungen, mir anderes anzuhören, auch vielleicht meine eigene beste Lösung nochmals in Frage zu stellen. Deshalb bin ich ein Verfechter des Kompromisses. Immer gewesen.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie Demokratie an, Herr Rizzo?
RIZZO: Salopp gesagt morgens 6:15 Uhr, wenn der Wecker klingelt. Aber was ich damit sagen möchte, ist, wirklich im Alltag, wo uns hoffentlich immer mehr bewusst wird, wie großartig wir in dieser Spielanordnung, diesem Lande, mit Demokratie unsere Lebensqualität aufrechterhalten. Das ist das, was du auch gesagt hast, Hans-Peter. Freiheit, Meinungsfreiheit, dass wir hier stehen, dass wir diese Aufnahme machen können, dass wir sehr locker reden können, ohne gebrieft zu sein. Das ist in vielen Ländern nicht möglich. Und das ist ein Luxus, an dem wir uns nicht nur 6:50 Uhr morgens, sondern tagtäglich immer wieder ein kleines Bewusstseinsmoment einbauen müssten. Das wäre der Wunsch.
LUKÁŠ: Vielen Dank für die Antworten. Wir befinden uns jetzt im Plenarium und jetzt hat die Kunstdetektivin wirklich was zu tun. Denn es gilt, die Kunstwerke zu finden, die nicht offensichtlich als Wandgemälde einem ins Auge springen. Was könnte hier das Kunstwerk sein?
RIZZO: Hans-Peter.
LUKÁŠ: Er weiß es natürlich schon.
RIZZO: Also wir sehen mehrere natürlich.
WIPPLINGER: Vielleicht darf ich davon ausgehen, für die Hörer auch, die das vielleicht nicht wissen, dass hier im Zweiten Weltkrieg in diesem Saal eine Bombe eingeschlagen hat. Und das Architektenteam Fellerer und Wörle nach '45 diesen Raum in einer unglaublich post-45-sachlichen Manier wieder aufgebaut haben. Es dominiert Holz. Das ist vielleicht auch der Grund, warum diese zwei künstlerischen Interventionen von dem Tiroler Künstler Peter Sandbichler nicht auf den ersten Blick sichtbar sind, weil sie eben auch aus Holzmodulen bestehen. Wir sehen hier ein langes Fries aus Holz. Das sind quadratische Elemente und sie beschreiben die Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart im Kontext demokratischer Höhen und Tiefen.
LUKÁŠ: Wollen wir da kurz hingehen und uns das anschauen?
WIPPLINGER: Gerne. Peter Sandbichler knüpfte an die Friesgestaltungen im Außenraum an, die vorher nicht wirklich sichtbar waren, weil sie hoch oben lagen. Jetzt gibt es aber durch diesen Ausbau von Jabornegg und Pálffy die Möglichkeit, die alten Friese mit den Göttern und Allegorien zu erkennen. Hinter dieser Wand befinden sich die alten Friese und hier ist sozusagen die Transformation.
LUKÁŠ: Bevor wir uns dem Kunstwerk näher widmen: Es war hier sehr viel von Friesen schon die Rede und jetzt würde ich Herrn Giuseppe Rizzo bitten, kurz für unsere Hörerinnen und Hörer den Begriff Fries zu erläutern.
RIZZO: Oh mein Gott.
LUKÁŠ: Was ist ein Fries?
RIZZO: Was ist ein Fries? Ein Ornament, ein Band, ein Schmuckelement, das entweder nur mit Ornamenten ästhetisch dargestellt wird, also die Ästhetik im Vordergrund ist. Aber es kann auch ein Fries sein, wo eine Geschichte darauf erzählt wird, was wir in der Antike sehr gut kennen. Ja, ich glaube, dass das für das breite Volk und auch für mich hoffentlich verständlich genug gewesen ist.
LUKÁŠ: Wunderbar. Nur damit sie wissen, was wir da überhaupt besprechen, weil sie ja nur mit dem Hören dabei sind.
RIZZO: Natürlich.
LUKÁŠ: Ja, also bitte, dieses Fries.
WIPPLINGER: Also dieses Fries geht in die Dreidimensionalität, wie das Friese oder Relief so an sich haben und es ist am Computer generiert. Dieser Computer hat Informationen bekommen, über die Höhen und Tiefen einer Zeit. Jeweils eines dieser orthogonalen Flächen ist einem Ereignis zugeschrieben. Es ist wiederum ein Quadrat mit einem X, das bei Theophil Hansen sehr oft vorkommt, bei Fenstergittern und Türengittern, bei Bodenausformungen, bei Fliesen et cetera. Und darunter befindet sich ganz am Anfang die Jahreszahl 1848, das heißt, das waren die ersten bürgerlich revolutionären Tendenzen auch hierzulande, nicht nur im Rest Europas. Wir wissen, dass es nicht wahnsinnig viel gebracht hat. 1848 vielleicht, dass der Reichskanzler Metternich zurückgetreten ist, aber das war es dann auch schon. Man fiel in Zeiten der Restauration wieder zurück. Aber der Künstler hat sich eben mit der Geschichte auseinandergesetzt. Und wenn wir dann weitergehen und weitergehen, dann zeichnet sich zum Beispiel 1907 ab, dass das allgemeine Männerwahlrecht seine Spuren hinterlassen hat oder 1918 das allgemeine Frauenwahlrecht sich eingeschrieben hat.
LUKÁŠ: Also, wenn ich es richtig verstehe, nur damit ich mit dem Verstehen gut mitkomme. Wenn die Einkerbungen tief sind, dann bedeutet es etwas. Weil sie sind wie eine Welle. Teilweise sind sie tiefer und teilweise geht die Oberfläche ganz weit raus, so dass viel weniger Struktur da ist. Wenn die Einkerbungen tief sind, was war dann los im Staate Österreich?
WIPPLINGER: Sie können das nicht so präzise sagen, aber es hat sich etwas bewegt. Weil wir da bei 1861 stehen: da gab es dieses Dekret vom Kaiser, das ist die Geburtsstunde des österreichischen Parlamentarismus. Und das hat sich jetzt niedergeschrieben in einer abstrakten Art und Weise. Genauso, wenn wir weitergehen, in den Jahren 1938 bis '45, da tut sich nichts. Da war die Demokratie durch den Nationalsozialismus tot. Also hier haben wir Bewegungen, Auf und Abs und irgendwann dann, in den dreißiger Jahren bis zum Ende des Weltkriegs, da ist es ein flaches Relief. Also es beginnt schon '33 oder '34 und endet hier mit '45. Wie so oft agieren Künstler mit abstrakten Symbolen. Wir haben hier auch diese Informationstische. Magst du vielleicht was dazu sagen?
RIZZO: Danke, lieber Hans-Peter. Es ist genau so, wie du das jetzt beschrieben hast. Unten sehen wir die Jahreszahlen und hier sind wir am Ort, wo auch die Demokratiewerkstatt Demokratievermittlungsprogramme anbietet. Hier sind zwei Medientische. Und wenn wir draufschauen, sind hier auch Jahreszahlen und ich bekomme hier Inhalte, Content über dieses Jahr, über diese Jahreszahl, was da passiert ist. Beispielsweise 1955 Staatsvertrag. Das ist jetzt nicht symmetrisch, dass ich dann beim Fries unten das sehe aber ich kann in einer Spielanordnung hier Informationen vom Medientisch bekommen. Ich kann dann rübergehen und mich fragen: Was hat der Künstler 1955 für eine Veränderung in dieses Fries hineingebracht? Und so wirken diese zwei Elemente zusammen. Einerseits die Kunst, also das, was wir ästhetisch hier sehen durch dieses Muster. Und hier bekomme ich dann den Content und weiß dann Bescheid, was 1955 passiert ist.
LUKÁŠ: Das finde ich ein sehr spannendes Kunstwerk, weil mit 1919 plötzlich neue Formen eintreten, die es in der Zeit vorher gar nicht gegeben hat. Das ist wirklich schön und spannend, das mitzuverfolgen, wie der Künstler das interpretiert hat.
WIPPLINGER: 1927 war ein wichtiges Krisenjahr, auch ein problematisches Jahr für Österreich aufgrund des Justizpalastbrands, Schattendorf und so weiter, es gab bürgerkriegsähnliche Situationen. Da sehen wir diese Kontraste, diese herausragenden Formen und diese flache Struktur. Oder '29 diese Turbulenzen der Weltwirtschaftskrise. Ich glaube, man kann auch darüber rätseln, warum diese Form dann entstanden ist, aber sie ist gefüttert und intendiert vom Künstler in Bezug auf Historie, die war und die man hier im Detail auch recherchieren und sich informieren kann.
LUKÁŠ: Finde ich ganz toll, weil es ganz viel Raum für eigene Interpretation lässt.
RIZZO: Wir sehen hier beim beim Abschnitt '37 bis '40 oder bis '44, da ist es am klarsten ersichtlich, da ist das Muster sehr klar und der Hintergrund, die Demokratie, ist nicht von hinten nach vorne gedrungen, sondern sie ist weg. Also das ist für uns Betrachterinnen ein Element, wo es klar wird, wie der Künstler mit dieser Thematik umgeht.
WIPPLINGER: Ich finde auch, das ist eine sehr gute Referenz zum Decodieren des übrigen Kunstwerkes. Es gibt aber noch etwas in diesem Raum. Und zwar spannende Holzsitzmöbel, die auch ganz bequem sind, sehr einladend und die junge Menschen, die sich da in der Demokratie Werkstatt weiterbilden, ansprechen werden, weil sie so ein bisschen zum Verweilen einladen.
RIZZO: Korrekt. Das ist das zweite Kunstwerk und vom Material gleich auch aus Holz. Es ist wie, als hätte man ein Element rausgenommen aus diesem Fries. Wenn die Besucherinnen dann kommen, werden sie es verstehen, mehr als in meiner Erzählung. Und es ist als Tisch, als Sitzmöglichkeit, aber wir können es auch aufstellen, es kann auch als Trennwand dienen.
LUKÁŠ: Wollen wir es mal kurz ausprobieren und uns hinsetzen zu dritt?
RIZZO: Sehr gerne.
LUKÁŠ: Wie es sich so plaudern lässt auf diesem Resonanzkörper.
RIZZO: Sehr angenehm.
LUKÁŠ: Und es ist auch vom selben Künstler und ist auch in dieser Resonanzkörper Arbeit enthalten?
RIZZO: Korrekt, ja.
WIPPLINGER: Es gibt Resonanzkörper eins Fries, Resonanzkörper zwei sind diese Sitzmöbel, benannt „Podium”. Und es ist ja auch eine lange Tradition, mehr als 150, 120, 130 Jahre alt, als im Zuge des Gesamtkunstwerkbegriffes die Architekten – denken wir an Loos, an Otto Wagner, an Josef Hoffmann oder auch Koloman Moser – nicht nur Künstler waren, auch nicht nur Architekten, sondern auch Möbel designt haben. Es ist eine lange Geschichte und Peter Sandbichler setzt diese in den Fokus. Viele andere, Jorge Pardo, Franz West, Ólafur Elíasson, all diese Künstler machen auch, produzieren auch, gestalten auch Möbel. Und ich finde das einfach sehr gelungen, weil es auch einerseits wieder die Idee aufnimmt. Giuseppe Rizzo hat ja schon gesagt, es ist ein Möbel. Die Schulklasse, die Demokratiewerkstatt, die können hier arbeiten, ihren Laptop aufklappen, im Kreis sitzen und etwas diskutieren. Es gibt sechs solcher Module, die wiederum die oft hier vorkommende orthogonale Form von Theophil Hansen aufnehmen. Man kann sie aufstellen, man kann eine Barriere machen, wenn eine zweite Schulklasse hier in diesem Raum ist. Es suggeriert in gewisser Weise auch Protestformen, Barrikaden – man denke an 1848 –, wenn man sie aufstellt. Also auch hier gibt es wieder vielfältige Interpretationsmöglichkeiten. Es ist nicht nur ein designtes Möbel, sondern es ist voll mit einem historischen Kontext.
LUKÁŠ: Und es ist auch stapelbar und kann so dann wieder zur Skulptur werden.
WIPPLINGER: So ist es.
RIZZO: Korrekt. Ja, genau.
LUKÁŠ: Das letzte Kunstwerk, das werden wir in der neu geschaffenen Plenarlounge jetzt sehen. Vielleicht können wir schon ein bisschen anteasern, was uns jetzt erwartet.
WIPPLINGER: Musik.
LUKÁŠ: Oh, Musik. Wo gehen wir hin?
RIZZO: Constantin Luser.
WIPPLINGER: Ein steirischer Künstler, in Graz geboren, hat dort Industrial Design studiert, bevor er dann sowohl an der Akademie, als auch an der Angewandten in Wien studiert hat. Sein Schaffen geht sehr stark aus von der Zeichnung, von der Linie, vom Lineament. Aber irgendwann vor sieben, acht Jahren hat sich die Linie auf dem Papier selbstständig gemacht und ist in den Raum hineingegangen. Das heißt aus der Linie, es klingt ein bisschen abstrakt, ist eine Skulptur entstanden. Seine Arbeitsweise ist ein Changieren zwischen figurativen Elementen, aber auch abstrakten Elementen. Er erzählt Geschichten in einem Material, das sich wiederum sehr gut einpasst in die Materialverwendung, die auch Fellerer und Wörle verwendet hat. Wir sehen hier sehr viel Messing, die Griffe beispielsweise. Constantin Luser hat seine skulpturale Wandarbeit auch aus Messing gestaltet. Es ist eine Zeichnung, es ist eine Skulptur und es ist darüber hinaus auch noch ein Musikinstrument, weil diese Skulptur auch bespielbar ist. Es gibt sechs Ausgänge und wenn man so will, hat das natürlich nicht nur im Titel damit zu tun. Es heißt „Demokratietrompete”, dieses Wandfries. Das ist der erste Teil und der zweite Teil ist diese Waage, die im Raum wie ein Mobile schwebt. Alles aus Messing, die Türgriffe habe ich schon erwähnt, dieses Element kommt sehr oft vor. „Tu felix austria” steht da unten rechts. Fußball spielt natürlich auch eine große Rolle hierzulande, obwohl wir nicht die besten sind in diesem Metier.
RIZZO: Vorsicht.
WIPPLINGER: Naturelemente, Landschaft, es ist in gewisser Weise ein Österreichbild, aber es hat eben auch wieder was mit Demokratie zu tun. Denn wenn man dieses Instrument bespielt und es gibt sechs Mundstücke – also schon vorgedacht, sollte eine weitere Partei vom Volk ins Parlament gewählt werden –, dann können die Parteien gemeinsam musizieren. Und je nachdem, wie das oft so ist, harmonisch als Ergebnis dann die Klänge erzeugen oder Disharmonien erzeugen, was ja auch nichts Neues mehr ist. Seit Arnold Schönberg wird ja auch die Disharmonie zelebriert.
LUKÁŠ: Es lebe die Zwölftonmusik! Wunderschöne Konzerte, Entspannung pur. Kann man dieses Instrument auch spielen? Wenn man da jetzt reinbläst, kommt bei der Klangtrompete etwas raus?
WIPPLINGER: Das kann man. Die Mundstücke sind noch nicht da, da wird noch ein Kasten verfertigt, wo nicht jeder sich dann bedienen kann, sondern das muss schon orchestriert sein. Aber ich freue mich darauf, wenn das Instrument, wenn die zwei Trompeten das erste Mal mit Leben erfüllt werden und den Raum beschallen.
LUKÁŠ: Toll. Also kann man dann so kleine Happenings, kleine Konzerte hier veranstalten.
WIPPLINGER: Constantin Luser ist auch ein Musiker und daher kommt das eben.
RIZZO: Es ist wie ein großartiges Wimmelbild. Ich stand jetzt schon öfter da und immer wieder entdecke ich Elemente, es ist wie ein Wimmelbild für Erwachsene. Also zum Beispiel das Element da oben, das sich auch in der Perspektive ändert. Ich verrate da nicht viel.
LUKÁŠ: Warum nicht? Wir müssen alles verraten.
RIZZO: Nein, die Leute sollen herkommen und sich dieses wunderbare Wimmelbild anschauen.
LUKÁŠ: Wir müssen die Leute neugierig machen.
RIZZO: Das ist Sinn und Zweck.
LUKÁŠ: Ich finde sehr schön, dass das so verspielt ist. Und es ist auf jeden Fall das humoristischste Kunstwerk, das wir bis jetzt gesehen haben. Es ist sehr lebendig, es ist fröhlich. Es erscheint golden, auch wenn es nicht aus Gold ist. Es hat etwas sehr Positives und Warmes an sich. Und diese Waage in der Mitte ist Justitia auf modern.
WIPPLINGER: Ja, die Justitia hat ja diese Waage in den Händen. Und hier geht es natürlich auch um Ausgeglichenheit, um Abwägen von Argumenten vom schon besprochenen Kompromiss.
LUKÁŠ: Von dem wir alle Fan sind, der gute Kompromiss. Eine letzte Frage hätte ich jetzt noch an Sie beide. Und zwar würde ich gern mit Ihnen, Herr Wipplinger, anfangen. Welches dieser Kunstwerke hätten Sie gern zu Hause, wenn Sie könnten?
WIPPLINGER: Oh, viele davon. Allerdings habe ich nicht die räumlichen Möglichkeiten dazu, sondern müsste das Ganze in Miniatur umsetzen. Aber ich bin ein Fan von all diesen Künstlerinnen und Künstlern, die hier ihre Werke präsentieren.
LUKÁŠ: Das ist sehr diplomatisch, aber ich bestehe darauf. Wenn man sich eines mitnehmen dürfte, dann würden Sie sich natürlich irgendeines aussuchen und mitnehmen. Warum dieses wunderbare Angebot ausschlagen? Welches wird am besten vielleicht in Ihre Lebenswelt oder Wohnwelt passen? Das hat mit der Güte der Kunstwerke an sich ja gar nichts zu tun.
WIPPLINGER: Ich will jetzt nicht diplomatisch sein, aber ich kann es mir rein von der Dimension her nicht vorstellen. Eine Arbeit, von der wir noch nicht gesprochen haben: Peter Kogler beispielsweise hat sich auch hier eingebracht und verewigt oder auch Martina Steckholzer. Aber es sind auch Gedächtniskunstarbeiten, die ich faszinierend finde, von Peter Weibel oder auch von Hermann Becker. Die hier als Leihgabe existierenden Arbeiten rekurrieren auf unsere Geschichte, auf unsere Vergangenheit und gemahnen uns, dass wir uns mit der Vergangenheit auseinandersetzen müssen, damit wir die Gegenwart gestalten können und die Zukunft antizipieren können. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich würde eine kleine, zwei mal zwei Meter Arbeit von Konstantin Luser eigentlich ganz schön in meinen vier Wänden finden.
RIZZO: Also ein Teil aus dem Wimmelbild. Fragt sich nur, welchen Teil du rausnimmst.
LUKÁŠ: Giuseppe Rizzo, was passt in die Wohnung, in das Haus, in die Villa?
RIZZO: Genau. Fangen wir gleich mal an, passen wird keines dieser Kunstwerke. Ich versuche auch in der Diplomatie zu bleiben. Wenn man fast zwei Jahre das begleitet, dann hat man zu jedem Kunstwerk eine Affinität. Und wenn ich jetzt wirklich die Möglichkeit hätte, würde ich sie alle einfach nehmen. Und das ist jetzt nicht diplomatisch gemeint, weil es zu zu jedem Kunstwerk eine eigene Resonanz von meiner Wenigkeit gibt. Aber ich würde wahrscheinlich, ähnlich wie du, Hans-Peter, ein Teil dieses Wimmelbildes nehmen, würde es wahrscheinlich kombinieren mit Peter Kogler und würde wahrscheinlich auch einen Spiegel von der Eva Schlegel irgendwo in meinen bescheidenen vier Wänden unterbringen.
LUKÁŠ: Selbst ein Kunstwerk aus den vorhandenen Kunstwerken gestalten.
RIZZO: Genau, so ungefähr.
LUKÁŠ: Eine Collage.
RIZZO: Eine Collage, genau.
LUKÁŠ: Wunderbar, dann bedanke ich mich vielmals für das Gespräch.
WIPPLINGER: Sehr gerne.
RIZZO: Wir danken.
LUKÁŠ: Danke für die Führung. Wir verabschieden damit Giuseppe Rizzo, Leiter der Abteilung Corporate Identity und Public Relations Kunst und Kultur der Parlamentsdirektion, und den Kurator Hans-Peter Wipplinger. Vielen Dank für die Führung und für das Gespräch.
WIPPLINGER: Sehr gerne.
RIZZO: Dankeschön.
LUKÁŠ: Und damit sind wir am Ende dieser Episode von „Rund ums Parlament”. Ich habe es sehr schön gefunden. Ich habe sehr viel gelernt und bin zum Nachdenken angeregt worden. Schaut euch das an und besucht das Parlament und führt euch diese wunderbaren Kunstwerke zu Gemüte. Danke fürs Zuhören und falls euch der Podcast gefällt, dann erzählt gerne anderen Menschen davon. Und damit ihr keine Folge von „Rund ums Parlament” mehr verpasst, einfach unseren Podcast abonnieren. Das geht zum Beispiel dort, wo ihr gerade diese Episode hört. Spotify, Apple Podcasts, Amazon Music. Ihr wisst, wo ihr gerade unterwegs seid. Falls ihr Fragen, Kritik oder Anregungen zum Podcast habt, dann könnt ihr uns gerne eine E-Mail schreiben, und zwar an podcast@parlament.gv.at. Wir antworten auf jeden Fall. Weitere Informationen und Angebote rund ums österreichische Parlament und zu unserer Demokratie findet ihr auf der Website www.parlament.gv.at und bei den Social-Media-Kanälen des Parlaments. Und in rund zwei Wochen gibt es dann schon wieder die nächste Folge von „Rund ums Parlament”. Da begegne ich dann dem Präsidenten des Nationalrats, Wolfgang Sobotka, und werde mit ihm unter anderem seinen Lieblingsort hier im Parlament besuchen. Ich freue mich sehr, wenn ihr dann wieder mit dabei seid. Bis dahin eine gute Zeit. Mein Name ist Tatjana Lukáš. Wir hören uns.
Jingle: Rund ums Parlament. Der Podcast des österreichischen Parlaments.
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