Wahlen? Wahlen! – Wir bestimmen mit, Teil 1
Details
Infos zur Podcast Folge
Wahlen sind für unsere Demokratie elementar. Wir können damit aktiv mitbestimmen, wie unser gesellschaftliches Zusammenleben sein soll. Und wer schon einmal wählen war, weiß: Es ist auch ein soziales Event. Ob der soziale Charakter von Wahlen in Zeiten von Briefwahl und Co. verloren geht, wie Wahlen im Einzelnen funktionieren, und wie Parteien eigentlich entscheiden, wen wir wählen können – das alles findet Tatjana Lukáš in zwei neuen Folgen von „Rund ums Parlament“ heraus.
Rede und Antwort stehen ihr diesmal Christoph Konrath, Leiter der Abteilung für parlamentswissenschaftliche Grundsatzarbeit in der Parlamentsdirektion, und Marcelo Jenny, Politikwissenschaftler von der Universität Innsbruck.
Teil 2 erscheint am 07.06.2023.
Wenn Ihr Feedback, Fragen oder Themenvorschlägen zum Podcast habt, schreibt uns gerne an: podcast@parlament.gv.at
© Parlamentsdirektion/BEBE Medien
Wo kann man sich den Podcast anhören?
Folgen Sie unserem Podcast auf:
Transkript
Jingle: „Rund ums Parlament“. Der Podcast des österreichischen Parlaments.
Tatjana LUKÁŠ: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von „Rund ums Parlament“, dem Podcast des österreichischen Parlaments. Mein Name ist Tatjana Lukáš, und ich freue mich sehr, dass ihr wieder dabei seid. Ich habe es letztes Mal schon angekündigt. Wir reden in den kommenden Folgen weiterhin über Dinge, die für eine Demokratie fundamental sind und in dieser Folge dreht sich alles um das Thema Wahlen, insbesondere um die bundesweite Parlamentswahl in Österreich, nämlich die Nationalratswahl. Wie ihr das von uns gewohnt seid, tun wir das natürlich nicht an irgendeinem Ort. Nein, meine Gäste, die ich heute begrüßen darf und ich sind hier an einem Ort, an dem sich die Bundeswahlbehörde an den Wahlabenden einquartiert, nämlich im Festsaal des Bundesministeriums für Inneres. Wir sitzen hier im wunderschönen Palais Dietrichstein-Modena, einem der kunsthistorisch bedeutendsten Häuser Wiens, mit wunderbarem Deckenstuck, traumhaftem Lustern, Säulen – es ist herrlich. Von hier aus, vielleicht kennt man das von den Fernsehbildern, wird die Nationalratswahl geleitet und ich bin hier nicht allein. Bei mir sind zwei Gäste, nämlich Marcelo Jenny und Christoph Konrath. Ich freue mich, dass Sie beide zum Podcast gekommen sind. Wie gefällt es Ihnen hier in diesen wunderschönen Räumlichkeiten?
Marcelo JENNY: Ja, manchmal tue ich mich mit diesem Grau des frühen 19. Jahrhunderts ein bisschen schwer. Für mich hat es jetzt persönlich fast etwas Metternichhaftes.
LUKÁŠ: Also, das heißt, die Überwachung schwebt über uns oder?
Christoph KONRATH: Ein bisschen düster ist das schon.
JENNY: Ja, man merkt ein bisschen das Gewicht der Monarchie in dem Raum.
LUKÁŠ: Gut, ich sehe hier Bälle vor meinem inneren Auge, aber jeder nach seiner Fasson. Wahrscheinlich sind Sie stark von dem Wahlvorgang, der hier immer wieder stattfindet, beeinflusst. Wunderbar, Herr Jenny, wenn ich Sie kurz vorstellen darf. Sie sind Professor für Politikwissenschaften an der Universität Innsbruck. Sie forschen zu Themen wie Wahlverhalten, Wahlkampf, Parlamentarismus und politischer Kommunikation. Wahlen gehören also absolut zu Ihrem Spezialgebiet.
JENNY: Ja, genau so.
LUKÁŠ: Und, Herr Konrath, Sie sind Teil der Parlamentsdirektion des österreichischen Parlaments und Sie sind zuständig für die parlamentswissenschaftliche Grundsatzarbeit. Jetzt arbeiten wir nicht alle in der Parlamentsdirektion, wir Menschen da draußen, was genau tun Sie?
KONRATH: Das ist ein komplizierter Titel, aber im Grunde genommen stehen wir dem Parlament und auch der Parlamentsdirektion für eine Fülle von Fragen, die sich mit wissenschaftlicher Forschung beschäftigen, gerade auch mit Politik und Sozialwissenschaften, zur Verfügung. Wir sind auch Kontaktstelle, zum Beispiel für Universitäten und Forscherinnen und arbeiten selbst zu Fragen, die das Parlament betreffen, Parlamentarismus in Österreich und Demokratie. Aber wir unterstützen zum Beispiel auch die Demokratiewerkstatt oder das Jugendparlament, also von den kleinen bis zu den ganz großen Fragen.
LUKÁŠ: Also von der Schnittstelle zwischen Parlament und Wissenschaft bis zur Schnittstelle innerhalb des Parlaments, zwischen Arbeit mit Besucher:innen und parlamentarischen Inhalten.
KONRATH: Es geht auch darum, gewisses Expertenwissen hereinzubringen, das jetzt über juristisches oder ökonomisches Wissen, das zum Beispiel im Budgetdienst ist, hinausgeht. Da gibt es ja sehr viel, also ist mein Arbeitsbereich und der meines Teams sehr vielfältig und weit.
LUKÁŠ: Sehr gut, dann beginnen wir doch mit der ersten Frage und graben und so ein bisschen in das Thema Wahlen hinein. Was machen wir Bürgerinnen und Bürger eigentlich genau, wenn wir wählen gehen, Herr Jenny?
JENNY: Wir geben eine Stimme für eine der wahlwerbenden Parteien ab und wir haben die Möglichkeit gleichzeitig, wenn wir möchten, eine Vorzugsstimme für einen Kandidaten auf der Bundesliste, eine auf der Landesliste und eine auf der Regionalwahlkreisliste abzugeben, weil wir ein etwas komplexes Wahlsystem haben. Aber dazu würden wir ja noch kommen.
LUKÁŠ: Und wenn Sie das beschreiben müssten, was tun wir da, wenn wir wählen gehen? Wie würden sie das beschreiben, zum Beispiel einem Kind?
KONRATH: Wenn wir wählen gehen, dann suchen wir gemeinsam die Leute aus, die uns im Nationalrat vertreten sollen. Das sind Leute, die für fünf Jahre dort die Aufgabe übernehmen, über Gesetzesvorschläge zu reden, über das, was in Österreich politisch passieren soll, worüber man noch groß streitet und wo man auch einander kontrolliert. Und das findet alle fünf Jahre, manchmal sogar öfter, statt, und gibt die Möglichkeit, dass sich alle wahlberechtigten Menschen in Österreich an diesem Prozess beteiligen. Und es gibt auch die Möglichkeit, dass in der Zeit, wo Wahlen stattfinden, verstärkt über das geredet wird, was eigentlich Politik ist und was wir wollen. Also, ich würde Wahlen jetzt nicht nur auf den einen Tag beschränken wollen, sondern auch sehen, dass das oft Zeiten sind, wo man sich durchaus intensiver mit Politik befasst und wo man die Möglichkeit hat, selbst teilzuhaben.
LUKÁŠ: Jetzt ist in dieser kindhaften Erklärung vorgekommen: „Wir wählen Menschen, die uns dann vertreten“. Aber dürfen wir überhaupt Menschen wählen oder wählen wir nicht eigentlich Parteien?
KONRATH: Genau das ist das, was es ein bisschen schwieriger macht, weil die Erklärung oder was wir da tun, was wir uns vorstellen, gerade wenn wir dann in den Nationalratssitzungssaal gehen, sehen wir ja sehr viele unterschiedliche Menschen drinnen sitzen. Es ist auch ein bisschen dieser Gedanke, den viele dabeihaben „Ich habe meinen Abgeordneten, ich habe meine Abgeordnete, der gebe ich meine Stimme, die finde ich super“. Aber wenn wir dann in die Wahlzelle gehen oder zu Hause den Stimmzettel ausfüllen, also bei der Briefwahl, dann sind da zwar sehr viele Namen drauf, viele von denen wird man, glaube ich, nicht kennen, aber ankreuzen muss man ganz groß oben eine Partei, und auch das ist das, was der Herr Jenny schon gesagt hat. Ganz so einfach, wie es klingt, ist es in Österreich dann doch nicht. Und eine dieser Herausforderungen ist, ich habe nur eine Stimme, und die muss ich einer Partei geben, und wenn ich die einer Partei gegeben habe, dann darf ich mich auch noch für Personen entscheiden.
LUKÁŠ: Ja, es ist gar nicht so leicht. Man bräuchte als Bürger oder Bürgerin eigentlich eine bessere Ausbildung, um in der Wahlkabine richtig gut zu performen. So kommt es mir manchmal vor, gerade wenn man sehr jung ist, weil in der Schule wird das teilweise nur gestreift. Meine nächste Frage wäre, wer darf eigentlich wählen? Es darf ja nicht jeder wählen, der sich gerade zu dem Zeitpunkt der Wahl auf österreichischen Boden befindet. Sondern es gibt da ganz strikte Regeln, über die teilweise heftig diskutiert wird. Herr Jenny, vielleicht würden Sie kurz ausführen, wer darf wählen?
JENNY: Bei Nationalratswahlen, also bei den bedeutsamsten parlamentarischen Wahlen, sind es die Staatsbürger ab 16 Jahren, davon unabhängig, ob sie jetzt im Inland oder Ausland leben. Sie können genauso gut aus dem Ausland wählen, an der Parlamentswahl teilnehmen. Wenn Sie sich jetzt die Europawahl oder die Gemeinderatswahlen anschauen, da dürfen sie auch als Staatsbürger eines EU-Landes teilnehmen, sofern sie einen Hauptwohnsitz in Österreich haben.
LUKÁŠ: Und das Wahlrecht ab 16 Jahren, das ist ja relativ neu, also das gibt es seit ein paar Jahren. Hat sich das bewährt? Wählen die jungen Menschen ab 16 tatsächlich, oder wie ist die Wahlbeteiligung der Jungen ab 16?
JENNY: Es war ein großes, gutes Reformprojekt, das entsprechend groß propagiert wurde. Ich glaube, man darf jetzt nicht überbewerten, dass das zu besonders viel Euphorie, gerade auch bei den jungen Erwachsenen, geführt hätte bezüglich des Wahlvorgangs. Sie sind nicht viel weiter weg von dem, was wir dann in den Folgejahren ab 18 bis 25 erwarten. Also, sie sind ungefähr in dem Bereich, und das bedeutet, tendenziell sind sie unterdurchschnittlich in der Wahlbeteiligung. Aber das ist ein allgemeines Muster. Wahlbeteiligung steigt mit dem Alter an und erreicht irgendwo in den 40er, 50er Jahren ihren Höhepunkt und dann geht es wieder ein bisschen zurück.
LUKÁŠ: Das Wahlsystem in Österreich, wir haben im Vorgespräch schon kurz darüber geplaudert, ist ja recht speziell, nach dem der Nationalrat gewählt wird. Da fällt zum Beispiel auf, es gibt verschiedene Wahlkreise und dann haben wir noch die Landes- und die Bundeslisten. Warum hat sich das so entwickelt? Warum ist das so? Es könnte doch einfach jede Partei eine einzige bundesweit geltende Liste erstellen und davon kommen der Reinfolge nach so viele ins Parlament, wie eine Partei nach dem Wahlergebnis Mandate erhält. Wäre das nicht viel einfacher als diese komplizierte, aufgesplittete Variation?
JENNY: Ein Hauptgrund, warum wir das haben, ist der Föderalismus. Daraus folgt, dass wir wichtige Länder haben, dass wir wichtige Länderparteien haben, dass auch der Wunsch da war, dass wir vielleicht sogar kleinere Einheiten wie eben den Bezirken, den Regionalwahlkreisen die Gelegenheit geben, dass sie sowas wie einen regionalen Repräsentanten haben. Und deswegen haben wir bei den Wahlkreisen mehrere Ebenen eingezogen, um diverse Repräsentationsprinzipien abzubilden. Sie können, je nachdem, aus welcher Ecke sie kommen, sagen „ich will jemanden, der den Gesamtstaat repräsentiert“, „ich will jemanden, der das Land repräsentiert“ oder noch kleinräumiger, „ich will jemanden, der meine Region repräsentiert“ und all das können sie in gewisser Weise durch das Wahlsystem machen.
KONRATH: Es ist allerdings interessant, dass, als man über das Wahlsystem diskutiert hat, in den Jahren 1919, 1920, auch wichtige Persönlichkeiten gesagt haben, wir brauchen doch nur eine Gesamtwahl für Österreich, und wie sich's dann aufteilt, ist die Sache der Parteien. Und wenn man sich anschaut, wie damals diskutiert wurde, haben dann doch viele gesagt, wir haben noch vor ein paar Jahren, also in der Monarchie, ganz anders gewählt, weil dort gab es ein Mehrheitswahlrecht in Einerwahlkreisen, also so, wie man das zum Beispiel heute aus Großbritannien kennt. Und die haben gesagt es ist auch eine Erwartung, die vielleicht die Menschen haben und wir als Parteien tun uns dann auch leichter, wenn wir das verteilen können. Das war eine durchaus intensive Diskussion, und ich glaube, es zeigt auch eines und das begegnet uns seither immer wieder: dass Wahlen auch sehr viel mit Gewohnheit zu tun haben. Das zeigt sich, wenn man sich anschaut, wie damals diskutiert wurde: „Wir kennen es ja schon und wir wollen da durchaus manches beibehalten von dem älteren Wahlsystem.“
JENNY: Stellen Sie sich vor, jede Partei würde nur eine Liste machen für das gesamte Bundesgebiet. Das würde innerparteilich nicht leicht werden, sich darüber zu entscheiden, wer aus welchem Bundesland kommt jetzt an welchen Listenplatz. Daher ist es in gewisser Weise leichter. Wir machen Landeslisten. Damit kann jede der Landeseliten, wo die einzelnen Parteien wichtige Köpfe haben, die im Nationalrat vertreten sind und wo sie für sich selber ausmachen, wer auf einen möglichst guten Listenplatz kommt. In gewisser Weise hat man die Auseinandersetzung darüber, wer ins Parlament darf, ein bisschen dezentralisiert.
LUKÁŠ: Wer entscheidet bei den Parteien eigentlich, wer auf die Liste kommt und wer an welcher Stelle?
JENNY: Das ist je nach Partei unterschiedlich. Parteiorganisationen sind unterschiedlich. Die Parteigremien, die darüber entscheiden, sind unterschiedlich. Das kann sehr elitenbasiert sein, dass es die Spitzengremien in einer Partei sind, die diese Entscheidungen treffen. Oder man kann das sehr basisorientiert machen, hin zu: „Jedes einfache Parteimitglied darf daran teilnehmen“. Oder, wie es einzelne Parteien schon vormachen, sogar Parteisympathisanten, die eigentlich nicht in der Partei sind, zum Beispiel wie bei den NEOs-Vorwahlen, dürfen an diesem Prozess teilnehmen und dürfen diesen in gewisser Weise beeinflussen. Aber letztendlich gibt es keine staatliche Regulierung dazu, wie es die Parteien machen. Also ist es jeder Partei überlassen.
LUKÁŠ: Herr Konrath, gibt's da parteiintern unterschiedliche Vorgaben, was zum Beispiel Alter, Geschlecht, Herkunft et cetera angeht, von den Menschen, die man auf die Liste schreibt, um ein möglichst repräsentatives Angebot an die Wahlbevölkerung zu stellen?
KONRATH: Also wie Marcelo Jenny schon gesagt hat, hier macht das Gesetz eigentlich keine Vorgaben. Es gibt sowas wie einen Bonus, das sogenannte Klubfinanzierungsgesetz. Klubs sind dann gewissermaßen die Parteien, wenn sie gewählt sind im Nationalrat, da können wir ja noch drüber sprechen. Und wenn ein Klub mehr als 40 Prozent weibliche Mitglieder hat, dann bekommt er einen Bonus bei den Finanzmitteln, die dem zugeteilt werden. Das heißt, wenn ein Klub sagt, mir ist es wichtig, dass viele Frauen dabei sind, dann wird er dafür belohnt. Wenn jemand sagt, es ist uns eigentlich egal und auf das Geld können wir verzichten, dann ist das auch deren Entscheidung. Ich glaube, das ist etwas, was für Österreich auch typisch ist, dass Parteien unterschiedliche Schwerpunkte setzen wollen. Und es gibt Parteien, die sagen, uns ist es wichtig, dass wir mehr Frauen haben, dass wir auch Leute aus Minderheitengruppen dabei haben, seien es Sprachminderheiten, sexuelle Orientierung und so weiter und so fort. Und es gibt andere Parteien, die sagen, es ist viel wichtiger, dass wir die Menschen aus verschiedenen Parteiorganisationen dabei haben. Typisch ist hier, wenn man sich die ÖVP anschaut, die aus verschiedenen Gliederungen besteht, und wenn man die Wahlliste anschaut, dann merkt man: Okay, da wird geschaut, dass die auch alle entsprechend vertreten sind. Oder bei der SPÖ zum Beispiel mit dem Gewerkschaftsflügel. Während Grüne und NEOs, die stark auf das ganze Bundesgebiet ausgerichtet sind, in ihren Wahllisten viele unterschiedliche Gruppen berücksichtigen und da zum Beispiel nicht schauen, wie es auf die einzelnen Bundesländer verteilt ist. Bei den traditionell größeren Parteien wie SPÖ und ÖVP war es auch immer wichtig, dass die Länder dann am Ende des Tages vertreten waren. Es gibt also alle möglichen Quotenregelungen, die die Parteien intern haben, aber sie sind nicht verpflichtend.
LUKÁŠ: Ja, die haben eine ganz anderer Grundstruktur, auf die sie Rücksicht geben müssen.
JENNY: Zu diesem Punkt, wer entscheidet darüber, wer auf welchen Listenplatz kommt? Ein wichtiger Faktor ist hier einfach die Parteigröße. Wie viel Mandate kann ich denn erwarten? Weil die bekomme ich auf unterschiedlichen Ebenen. Eine große Partei bekommt auf allen drei Ebenen ihre Mandate. Eine kleine Partei bekommt sie nur auf der Bundesebene und vielleicht in den Ländern, wo sie einen gewissen Größenanteil erreicht. Aber kleine Parteien haben sehr oft ein Problem, überhaupt ein Mandat in einem Regionalwahlkreis zu bekommen. Also ist die Bestimmung, wer auf einer Regionalwahlkreisliste auf welchem Platz ist, eine überflüssige Übung, weil die um die guten Plätze auf der Bundes- und auf der Landesliste rittern und weniger auf den Regionalwahlkreislisten.
LUKÁŠ: Und ich habe ja auch als Wählerin die Chance, die Reihung dieser Listen zu beeinflussen, indem ich eine Vorzugsstimme vergebe. Was ist das genau, und wer wird da wem, wann vorgezogen?
JENNY: Ich kann eine Vorzugs- oder Präferenzstimme vergeben an eine bestimmte Person. Die Prozentanteile, wie viele das machen müssen, variieren wieder nach den Ebenen: sieben Prozent auf der Bundesebene, 10 Prozent auf der Landesebene und 14 Prozent der Parteistimmen auf der Regionalwahlkreisebene. Das heißt, ich entscheide mich für eine bestimmte Partei, und gleichzeitig finde ich eine bestimmte Person auf der Liste besonders gut, also kreuze ich diese Person an. Und es muss genügend andere geben, die meiner Meinung sind. Ich finde genau diese Person besonders gut und möchte, dass diese Person in den Nationalrat kommt. Wenn wir genügend groß sind als Gruppe wird diese Quote erreicht. Dieses Instrument ist gar nicht mal so schwach, weil, das Vorrücken bedeutet nicht, ich bin jetzt, sagen wir, auf Platz 15 einer Liste, und ich rücke jetzt auf Platz 14 vor. Nein, ich rücke auf Platz eins vor. Also, ich kann von ganz hinten nach ganz vorne springen, und das bedeutet, das erste Mandat, dass diese Partei tatsächlich kriegt, gehört mir als Person.
LUKÁŠ: Deswegen macht ein personenzentrierter Wahlkampf dann auch Sinn, sobald man auf die Liste gesetzt wird.
JENNY: Ja, auf jeden Fall, und ich glaube, dass zwei Argumente wie dieses Vorzugsstimmensystem nach außen darstellbar sind. Das eine ist, sie geben der Wählerin, dem Wähler, die Möglichkeit, nicht nur die Partei zu bestimmen, sondern tatsächlich auch den Abgeordneten, die Abgeordnete, die in den Nationalrat rein soll. Die zweite Motivation dahinter war aber natürlich aus Sicht der Parteien, die ihre Kandidatinnen und Kandidaten haben und die sollen ihren Beitrag leisten im Wahlkampf. Ich kann die nochmals ganz besonders motivieren, indem ich ihnen dieses Zuckerl gebe. Wenn du besonders viele Vorzugsstimmen sammelst, dann kommst du rein, sogar dann, wenn du eigentlich von Vornherein eine relativ kleine Chance hattest, weil du sehr weit hinten gereiht bist. Aber wenn du besonders fleißig bist im Wahlkampf, wenn du besonders gut darstellen kannst, dass du die richtige Person bist für den Nationalrat, dann kommt das der Partei zugute, unter Umständen durch zusätzliche Stimmen, die die Partei gewinnt. Und das ist der zweite Grund, glaube ich, warum wir dieses System haben.
LUKÁŠ: Das ganze System, das wir in Österreich haben, das heißt Verhältniswahlrecht. Welche anderen Formen von Wahlrechten gibt es noch weltweit, Herr Konrath?
KONRATH: Es gibt so viele unterschiedliche Arten zu wählen. Seit gut 250 Jahren, seit Wählen mehr Bedeutung bekommen hat, machen sich Leute Gedanken darüber, wie man ein Wahlsystem organisieren kann und wie man damit auch Menschen motivieren kann, mitzumachen. Es gibt zum Beispiel Wahlsysteme, wo sie mehrere Stimmen haben, wo sie streichen können. Es gibt Wahlsysteme, wo sie nur eine Kandidatin oder einen Kandidaten in einem Wahlkreis wählen und es hat unterschiedliche Effekte. Also, wenn man etwas Bekanntes hernimmt: Das Wahlrecht, das es im Vereinigten Königreich gibt mit dem Mehrheitswahlrecht, da haben sie einfach die Möglichkeit, sehr schnell einen Regierungswechsel herbeizuführen. Funktioniert auch nicht immer, aber im Grunde genommen kann man hier davon ausgehen, dass recht klare Mehrheiten zustande kommen. Bei einem Verhältniswahlrecht wie in Österreich geht es aber stärker darum zu sagen, wir wollen wirklich die Unterstützung, die eine Partei hat oder die bestimmte Personen oder Ideen haben, abbilden im Ergebnis, aber beim Mehrheitswahlrecht, kann sich das ziemlich verzerren.
LUKÁŠ: Darf ich eine Zwischenfrage stellen: Führt das dann dazu, dass es quasi nur so Großparteien gibt wie eben in den USA oder in Großbritannien und bei uns dadurch die Parteienlandschaft etwas bunter ist?
KONRATH: Die Parteienlandschaft ist in Großbritannien durchaus auch vielfältig, aber oft nur auf einer regionaleren Ebene. Wir sehen, wenn man das im Fernsehen anschaut, wenn man darüber hört, die zwei großen Parteien, aber tatsächlich sitzen auch im House of Commons sieben oder acht Parteien. Nur manche davon haben nur drei, vier Mitglieder und die sind dann ganz stark auf ihren Wahlkreis fokussiert. Bei uns ist es so, dass das Verhältniswahlrecht kombiniert ist mit einer Mindeststimmenanzahl, die bei vier Prozent liegt. Das führt dazu, dass man relativ große Gruppen drin hat. Aber wenn sie sich zum Beispiel Israel oder die Niederlande anschauen, dann ist das ganz normal, dass da zehn, 20 Parteien in einem Parlament sitzen, die dann auch nur über ein oder zwei Abgeordnete verfügen. Da ist natürlich die Herausforderung, wie ein einzelner Abgeordneter so das ganze parlamentarische Geschehen mitverfolgen kann. Die Idee zum Beispiel in Österreich ist, ich schaue, dass ich Gruppen von einer gewissen Mindestgröße schaffe. Normalerweise kommt man dann bei den kleinsten auf um die zehn Abgeordnete, wo ich dann auch im Parlament schon im Klub die Aufgaben verteilen kann und auch so ein Mindestmaß an gegenseitiger Unterstützung da ist. Aber das sind alles so Überlegungen, die hineinfließen, wenn man sich für ein Wahlsystem entscheidet.
JENNY: In Ergänzung dessen, was Christoph Konrath gerade gesagt hat, in der vergleichenden Wahlsystemlehre, unterscheiden wir derzeit zwischen drei Gruppen. Es gibt die Mehrheitswahlsystem, Paradebeispiel Großbritannien, mit den Einerwahlkreisen, in jedem Wahlkreis wählen sie genau eine Person, die ins Parlament kommt. Es gibt die Verhältniswahlsysteme, so wie es Österreich eines hat, und dann gibt es noch eine Gruppe dazwischen, die versucht, beides miteinander zu kombinieren. Dass wir einen Teil der Abgeordneten über ein Mehrheitswahlsystem wählen und einen Teil über ein Verhältniswahlsystem. Das bekannteste Beispiel ist Deutschland, wo sie genau diese Kombination aus beiden Prinzipien haben.
LUKÁŠ: Bevor wir uns jetzt langsam zu unserem Spaziergang zum Parlamentsgebäude aufmachen, hätte ich noch eine Frage, bevor wir losstarten, und zwar gibt es ja auch die sogenannte Mindestprozentklausel. Was ist das genau, und warum haben wir die?
KONRATH: Ich habe das jetzt schon gerade gesagt. An dem Beispiel, wie viele Parteien wollen wir in einem Parlament haben, und wie stabil soll das ganze System sein? Und da hat man in Österreich die Entscheidung getroffen, dass nur Parteien, die mindestens vier Prozent der Stimmen erreichen für das ganze Bundesgebiet oder zumindest ein Mandat in einem Wahlkreis haben, fix drinnen sind. Da gibt es seit den 1920er Jahren, also schon ziemlich lange, sehr viele ganz deutliche Aussagen vom Verfassungsgerichtshof dazu. Der Verfassungsgerichtshof ist nämlich in Österreich dazu berufen, Wahlen zu kontrollieren und zu überprüfen. Der war ganz oft mit dieser Frage befasst, warum es zum Beispiel in Kärnten, ein Bundesland, eine Fünfprozenthürde gab, also, sie mussten mindestens 10 Prozent der Stimmen erreichen, was ziemlich viel ist, um in den Landtag zu kommen. Und der Verfassungsgerichtshof hat immer gesagt, es ist okay, weil, es gibt legitimes Interesse, dass nur größere Gruppen im Parlament vertreten sind. Er hat dann auch immer dazu gesagt, wir wollen ein stabiles Parlament haben, so gewissermaßen, wenn mehr Parteien drin sind oder die klein sind, dann wird das ganze alles unsicher. Und das ist halt auch eine Entscheidung, die man trifft, wenn man ein Wahlsystem ausgestaltet. Man nimmt aber damit in Kauf, dass ein gewisser Teil der Stimmen, den Wählerinnen und Wähler abgeben, verloren geht, weil wenn ich eine Partei wähle, die es nicht in den Nationalrat schafft, die also unter den vier Prozent bleibt, dann werden diese Stimmen nicht gezählt, und es wird auch nicht dann berücksichtigt, wenn die Mandate verteilt werden. Das ganz Interessante ist dabei, es gibt immer wieder Vorschläge, mit denen gezeigt werden soll, wie hoch ist die Wahlbeteiligung, wie viele Menschen gehen überhaupt mit? Und da gibt es Leute, die sagen, es wäre doch mal interessant, typischerweise gehen um die 70 bis 75 Prozent in Österreich wählen, und wenn wir jetzt 20, 25 oder sogar 30 Prozent der Sitze im Nationalrat leer lassen würden, das sind ja die Nichtwählerinnen und Nichtwähler, dann würde man mal sehen, wie viele das sind. Noch mal zusammengefasst, es ist gerade in Österreich ein gutes Beispiel für den Wunsch, nicht zu viele Parteien in den Parlamenten, also Nationalrat und Landtagen, zu haben. Diese Parteien sollen auch eine signifikante Größe haben, die es dann ermöglicht, auf unterschiedliche Weise im Parlament gut zusammenzuarbeiten und sich nicht darauf einlassen zu müssen, dass vielleicht zwei Abgeordnete einer kleinen Gruppe dann einen überproportional starken Einfluss bekommen, weil man deren Stimmen noch braucht.
JENNY: Interessant ist ja, die Vierprozenthürde wird immer betont. Aber es sind ja zwei alternative Hürden, die existieren. Es ist entweder die Vierprozenthürde bundesweit oder ein Regionalwahlkreismandat. Ein Regionalwahlkreismandat bekommen sie mit weniger als vier Prozent der Stimmen, deutlich weniger. Unter zwei Prozent könnten sie es als Partei schaffen, in den Nationalrat reinzukommen. Die Hürde ist, sie müssen geografisch konzentrierte Wählerschaften haben. Die Anhängerschaft der Partei muss in diesem Regionalwahlkreis besonders hoch sein, damit sie dort dieses Mandat kriegen. Wir haben Regionalwahlkreise, die unterschiedlich groß sind. Gerade bei den größten könnte ich mir durchaus vorstellen, dass das mal einen Anlauf für eine neue Partei wert wäre, es über diesen Weg zu versuchen. Wenn ich so geografisch lokale, regionale Anliegen habe, die den Kern meiner Anliegen ausmachen, dann muss ich nicht zwingend vier Prozent haben. Es ginge auch über das Regionalwahlkreismandat.
LUKÁŠ: Ein Schlupfloch sozusagen, also eine weniger bekannte Möglichkeit. Nennen wir es so.
KONRATH: Das ist aber eine Möglichkeit, die jetzt eher aktuell wird. Als man in Österreich das Wahlsystem in diesen Zügen konzipiert hat, ist man davon ausgegangen, dass es recht große Parteien gibt und hat eigentlich gar nicht so an regionale Parteien gedacht. Das muss man auch dazu sagen. Aber das ist jetzt dann vielleicht weniger ein Schlupfloch, sondern einfach eine Möglichkeit, die sich bietet und die man ja auch nutzen kann.
LUKÁŠ: Darf ich vorschlagen, dass wir unser Gespräch fortsetzen bei unserem kleinen Spaziergang rüber ins Parlamentsgebäude?
JENNY: Gern!
LUKÁŠ: Jetzt stehen wir am Gang des wunderbaren Volksgartens, gegenüber, das ehemalige Parlament, beziehungsweise wo die Parlamentarier die letzten Jahre untergebracht waren, bevor die Renovierung abgeschlossen wurde. Schauen wir mal, was im Volksgarten schon blüht und sprechen wir nochmal ganz kurz ein bisschen über Wahlen. Weil, es gibt nämlich in Österreich auch eine Besonderheit, und zwar die Barrierefreiheit, die in Österreich ganz besonders bei Wahlen gefördert wird. Es gibt ja die Briefwahl und für Menschen, die nicht in die normale Wahlkabine gehen können oder zur Briefwahl, für die gibt es sogar eine fliegende Wahlkommission, die zu ihnen nach Hause kommt, um ihre Stimme abzuholen, was ich persönlich sehr toll finde. Warum ist das in Österreich so? Warum sind die auf so viele Eventualitäten eingerichtet, Herr Konrath?
KONRATH: Ja, ich denke, es ist ein großes Anliegen immer gewesen, dass die Wahl allgemein sein soll und dass jede und jeder die Möglichkeit haben soll, teilzunehmen. Jetzt haben wir schon darüber gesprochen, dass im Detail das Wählen vielleicht nicht ganz so einfach ist, aber dass man schaut, dass man es so einfach wie möglich macht. Und etwas, das es schon sehr lange gibt, ist eben die fliegende Wahlkommission, dass jemand zu den Menschen kommt, die krank sind und die nicht mehr aus dem Haus gehen können. Sehr lange wurde hingegen diskutiert über das Briefwahlrecht. Das war auch lang umstritten, hat sich jetzt aber doch ziemlich etabliert, und dann geht es noch um etwas, das auf den ersten Blick vielleicht eigenartig wirkt. Aber kann jede oder jeder wirklich auch in ein Wahllokal kommen? Wahllokale sind ja sehr oft in Schulen oder Amtsgebäuden.
LUKÁŠ: Altenheimen.
KONRATH: Die sind aber die einfachsten, weil, alle diese Schulen oder Amtsgebäude sind in Österreich oft sehr alt, und damit haben sie sehr viele Stufen. Das heißt, es ist auch da gar nicht selbstverständlich gewesen, dass man wohin kommen kann und das hieß, in jeder Gemeinde muss es ein barrierefreies Wahllokal geben, war lange die Forderung. Das hieß aber auch, dass es in einer Stadt wie zum Beispiel von der Größe der Wiener Neustadt, ausgereicht hätte ein barrierefreies Wahllokal zu haben und das kann schon eine Herausforderung sein. Und diese Sachen sind jetzt in den letzten Jahren immer mehr verbessert worden, sodass hier eine leichte Zugangsmöglichkeit ist, dass Stimmzettel und Informationen über wer steht zur Wahl in einer Schriftgröße zur Verfügung stehen, die man auch gut lesen kann, dass es Schablonen gibt für Leute, die blind sind oder schwer sehbeeinträchtig sind und so weiter und so fort. Was auch wichtig ist, ist dass man Wahlen in einer einfachen Sprache erklärt, aber nichts von dem geht ohne Herausforderung. Wenn man zum Beispiel sagt, ich mache es leichter und besser bei der Briefwahl oder bei fliegenden Wahlkommissionen, dann muss ich im Gegenzug sicherstellen, dass das geheime Wahlrecht gewahrt bleibt. Wenn ich zum Beispiel sage, ich hole in einer Gemeinde fünf Stimmen von Zuhause ab, dann darf ich die nicht extra auszählen, weil dann könnte ich schon relativ schnell zuordnen, wer wie gewählt hat. Also, das ist bei all diesen Sachen die ganz große Herausforderung und das macht nicht unbedingt das Wählen, aber die Ermittlung des Wahlergebnisses, die Auszählung der Stimmen schon schwieriger. Wir haben das ja auch vor ein paar Jahren erlebt, dass die Bundespräsidentenwahl wiederholt werden mussten, wo man gesehen hat, dass manche Regelungen doch eine große Herausforderung gerade auch in kleineren Gemeinden oder auch in manchen Städten darstellen können. Und dass es schon sehr wichtig ist, da ganz genau zu schauen und ganz genau sicherzustellen, wie man dann die Stimmen auch tatsächlich auszählt.
LUKÁŠ: Da drängt sich mir eine Frage auf, die sicher viele Hörerinnen und Hörer teilen. Wie weit ist es noch bis zum digitalen Wahlrecht? Bitte, Herr Jenny, gibt's da eine Perspektive mit der Blockchain im Hintergrund oder gibt es da irgendeine Aussicht?
JENNY: Ich glaube, technologisch gibt es Möglichkeiten. Die sehr viel größere Hürde ist das Vertrauen in die Technologie, in den Wahlvorgang als solchen. Es gibt Gesellschaften, es gibt Staaten, die machen das. Estland ist der Vorreiter in Europa und es gibt viele Gesellschaften, die sind da zögerlich, weil sie das politische Vertrauen in diese Art und Weise der Abstimmung nicht haben. Und das ist, glaube ich, die viel größere Hürde, wenn man an so was denkt, als wie setzen wir das technologisch um?
LUKÁŠ: Interessant, es gibt ja auch Stimmen, die sagen, dass die Wahl möglicherweise ihre Bedeutung verliert, wenn es so viele Möglichkeiten gibt. Da gibt es die Briefwahl, da gibt es die fliegende Wahlkommission, möglicherweise gibt es irgendwann die Möglichkeit, digital die Stimme abzugeben, und es müssen sich nicht mehr alle im Wahllokal als gesellschaftliches Happening treffen. Herr Jenny, wie würden Sie das einschätzen? Ist da was Wahres dran?
JENNY: Also, ich sehe die Vorzüge der Briefwahl: dass sie es leichter gemacht hat, nochmals wählen zu gehen, dass sie vielleicht einen Beitrag zur Stabilisierung der Wahlbeteiligung leistet. Gleichzeitig bedauere ich es bis zu einem gewissen Grad, weil sie etwas wegnimmt von der Wahl als soziales Ereignis. Bei dem man sieht, wer ins Wahllokal kommt, dass sich die Leute anstellen, dass sich die Leute aufmachen, am Wahltag gemeinsam zur Demokratie ihren Beitrag zu leisten. Dass das Hingehen zum Wahllokal als ein wichtiges, sichtbares Ritual der politischen Beteiligung für alle, ein bisschen an Bedeutung verliert.
LUKÁŠ: Wobei, das muss ich jetzt nur als persönliche Beobachtung hinzufügen, ja auch das politische Diskutieren durch diese zersplitterte Berichterstattung auf mehreren Kanälen ganz anders ist, als vor 20, 30 Jahren, wo noch die ganze Familie oder das ganze Land vor derselben Diskussion gesessen hat und am nächsten Tag dann darüber gesprochen hat. Das betrifft ja generell nicht nur die Wahloptionen, sondern auch die Vorberichterstattung. Die Diskussionen im Vorfeld gestalten sich inzwischen ganz anders, eben durch den medialen Wandel.
JENNY: Ja, die Zersplitterung in viele Kanäle. Andererseits glaube ich, wir haben sehr viele Kanäle, wo Diskussionen stattfinden, wo sich Menschen aufhalten. Ich glaube, die meisten ganz großen Themen schaffen es trotzdem bis in die kleinsten Kanäle hinein.
LUKÁŠ: Das mag wohl stimmen. Jetzt weg von den ganz großen Themen hin zu den vielleicht persönlicheren Fragen. Wir stellen jedem und jeder unserer Gäst:innen eine persönliche Frage. Und ich würde mit Herrn Konrath beginnen, wenn das in Ordnung ist. Herr Konrath, drei kleine Fragen und bitte drei kurze Antworten.
KONRATH: Ja.
LUKÁŠ: Frühling oder Herbst?
KONRATH: Frühling. Ich mag es, wenn das frische Grün kommt und sich alles wieder zu regen beginnt.
LUKÁŠ: Kompromiss oder beste Lösung?
KONRATH: Ich hoffe, dass der Kompromiss auch eine beste Lösung sein kann.
LUKÁŠ: Und wo beginnt für Sie Demokratie?
KONRATH: Demokratie beginnt für mich, wie das die Hannah Arendt gesagt hat, am Abgrund der Freiheit. Dazu kommt das Denken ohne Geländer. Das ist der zweite Satz, der dann darauf folgt.
LUKÁŠ: Sehr gut, vielen Dank. Dann zu Ihnen, Herr Jenny: Frühling oder Herbst?
JENNY: Ich mag alle Jahreszeiten. Ich mag den Herbst nach dem Sommer, nach der Sommerhitze und genauso mag ich den Frühling eben nach dem Winter, weil es das ist, was man am längsten vermisst hat. Und folgerichtig müsste ich derzeit auch sagen, der Frühling, weil ich zuerst den Sommer erleben will, bevor ich den Herbst mag.
LUKÁŠ: Sehr gut, also alle Jahreszeiten gehören zu den Favoriten. Sehr gut, Kompromiss oder beste Lösung?
JENNY: Kompromiss, wie Christoph Konrath schon gesagt hat. Man wünscht sich natürlich, dass es ident ist, aber davon kann man nicht ausgehen. Und die Stärke der Demokratie ist, dass man zu Kompromissen kommt, auch wenn man sehr unterschiedliche Vorstellungen hat, was die beste Lösung ist. Manche Systeme betonen das. Entweder darf man einseitig die beste Lösung aus der eigenen Sicht durchsetzen. In einem Mehrheitswahlsystem, in einem Verhältniswahlsystem, wo man zu Koalitionen gezwungen ist, geht es nicht ohne Kompromiss.
LUKÁŠ: Und wo beginnt für Sie Demokratie?
JENNY: Überall dort, wo eine Gruppe von Menschen ihre Wünsche, Bedürfnisse in den Prozess einbringen kann und das in einem Verfahren zu einem gemeinsamen Ergebnis bringt, das wiederum für alle eine gewisse Bindungskraft hat. Das kann schon beginnen, wenn sich eine Gruppe von Jugendlichen darauf einigt, was ist unsere nächste Aktivität und dann sich alle daran beteiligen. Ich finde, das sind schon demokratische Übungen.
LUKÁŠ: Und damit sind wir am Ende dieser Folge angelangt. Allerbesten Dank an Marcelo Jenny und Christoph Konrath für dieses sehr interessante Gespräch, das sich ja beim nächsten Mal noch im Parlamentsgebäude fortsetzen wird. Wenn euch diese Folge gefallen hat, dann hört auch beim nächsten Mal wieder rein und empfehlt unseren Podcast auch immer gerne wieder weiter. Ihr dürft „Rund ums Parlament“ natürlich auch abonnieren. Das geht überall, wo ihr sonst so Podcast hört, also auf Spotify, Apple Podcasts, Google Podcasts, Deezer oder Amazon Music. Jede Menge Informationen und Angebote rund um das österreichische Parlament und zu unserer Demokratie findet ihr auf unserer Website www.parlament.gv.at und den Social-Media-Kanälen des Parlaments. Falls ihr Fragen, Kritik oder Anregungen zum Podcast habt, dann schreibt uns gerne eine E-Mail an podcast@parlament.gv.at. Also ich würde sagen, ich freue mich, euch in der nächsten Folge wieder dabei zu haben. In diesem Sinne vielen Dank fürs Zuhören. Mein Name ist Tatjana Lukáš. Wir hören uns.
Jingle: „Rund ums Parlament“. Der Podcast des österreichischen Parlaments.
Fotoalbum zur Folge