Jingle: "Rund ums Parlament". Der Podcast des österreichischen Parlaments.
Tatjana LUKÁŠ: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Rund ums Parlament", dem Podcast des österreichischen Parlaments. Mein Name ist Tatjana Lukáš, und ich freue mich sehr, dass Ihr wieder dabei seid, denn es geht weiter mit unserer Reise durch die Welt des Föderalismus. Was ist das? Wie funktioniert der in Österreich? Wie funktioniert der andernorts auf der Welt und wozu ist der überhaupt gut? Darüber haben wir schon in der ersten Folge gesprochen, und in dieser Folge wollen wir uns einmal genauer anschauen, warum die Republik Österreich überhaupt ein Bundesstaat ist. Wie ist es dazu gekommen, und hätte es auch anders kommen können? Um diese spannenden Fragen zu beantworten, habe ich einen, wenn nicht gar den österreichischen Experten für Föderalismus in den Podcast eingeladen. Die Rede ist von Peter Bußjäger. Schönen guten Tag!
Peter BUẞJÄGER: Hallo!
LUKÁŠ: Sie sind Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht und auch Direktor des Instituts für Föderalismus in Innsbruck.
BUẞJÄGER: Genau. So ist es.
LUKÁŠ: Herzlich willkommen.
BUẞJÄGER: Freut mich, dass ich da sein kann.
LUKÁŠ: Wir stellen am Anfang unserer Gespräche, bevor wir in medias res gehen, unseren Gästen immer drei Fragen, um ein bisschen besser herauszufinden, wer sie sind. Dürfte ich Ihnen diese drei Fragen stellen und um kurze Antworten bitte. Die erste Frage lautet: Frühling oder Herbst?
BUẞJÄGER: Lieber Sommer. Aber wenn es geht, auch Herbst.
LUKÁŠ: Immer, wenn es warm ist, ist es gut. Kompromiss oder beste Lösung?
BUẞJÄGER: Kompromiss, wenn es kein fauler ist.
LUKÁŠ: Und wo beginnt für Sie Demokratie?
BUẞJÄGER: Am besten bei mir selbst. Bei der Beteiligung von jedem einzelnen.
LUKÁŠ: Dann kommen wir doch zum Föderalismus, auf dass wir verstehen, was das ist. Wir sitzen ja heute hier im Bundesratssaal. Das ist der Ort, an dem der Bundesrat tagt, also ein ganz zentraler Ort für den Föderalismus. Viele unserer Hörerinnen und Hörer hatten vielleicht noch nicht die Möglichkeit, das neu eröffnete Parlament zu besuchen. Würden Sie denen kurz beschreiben, wie es hier um Sie herum ausschaut?
BUẞJÄGER: Es handelt es sich hier um eine Räumlichkeit im Parlament, das aus dem neunzehnten Jahrhundert stammt, als dieses Gebäude errichtet wurde. Nunmehr ist dieser Raum modernisiert, er ist angepasst an die modernen Erfordernisse, und er bietet Raum für die Mitglieder des Bundesrates. Er ist nicht so groß wie der Nationalrat, weil auch der Bundesrat derzeit 61 Mitglieder hat, und daher ist dieser Raum auf diese Größe angepasst.
LUKÁŠ: Ich finde es faszinierend, dass Sie das Wort Gold in Ihrer Beschreibung nicht erwähnt haben, denn man muss sagen, die Decken sind voller Gold, die Luster sind sehr golden, bis auf die Schreibtische und die Sessel und den großen Bildschirm hinten im Eck ist es sehr golden hier drin.
BUẞJÄGER: Das ist vielleicht auch auf meine alemannische Nüchternheit zurückzuführen. Aber wenn Sie es so sagen, fällt es auf: Es ist hier sehr viel Gold. Das Interieur atmet einfach den Geist der damaligen Zeit, und es ist sicher sehr illustrativ, das alles hier.
LUKÁŠ: Und darf ich fragen, gibt es hier Symbole, die im Raum verewigt sind, die auch Föderalismus hinweisen?
BUẞJÄGER: Nun, wenn ich mich hier umschaue, dann finde ich zunächst einmal die Wappen der österreichischen Bundesländer, die letztlich auch die Mitglieder des Bundesrates entsenden. Im Mittelpunkt steht derzeit das Wappen des Landes Burgenland, das im Augenblick auch gerade den Vorsitz im Bundesrat führt. Ich habe bereits mit Freude zur Kenntnis genommen, dass auf dem Dach des Parlaments, neben der Europafahne, neben der österreichischen Fahne, auch die Fahne des Burgenlandes weht, als vorsitzführendes Land im Bundesrat.
LUKÁŠ: Schöne Erklärungen auch für alle Passanten, die so vorbeispazieren, und sich denken: Warum eigentlich?
BUẞJÄGER: Allerdings wechselt die dort wehende Fahne ständig oder innerhalb relativ kurzer Zeiträume, nämlich halbjährlich mit dem Vorsitzwechsel im Bundesrat.
LUKÁŠ: Halbes Jahr finde ich gar nicht zu wenig, um sich auf dem Parlament zu repräsentieren. Also in medias res: Österreich ist föderalistisch verfasst, das heißt mit anderen Worten, Österreich ist ein Bundesstaat. Und um zu verstehen, warum das so gekommen ist, und nicht anders, müssen wir in der Geschichte zurückgehen, wie so oft, und zwar ins 19. Jahrhundert, in dem das Kaiserreich noch existiert hat. Denn Österreich bestand schon damals aus Einheiten, nämlich den Kronländern. Das haben wir inzwischen auch schon öfter gehört in diesem Podcast. Was waren denn diese Kronländer für Gebilde?
BUẞJÄGER: Der Bundesstaat, wie wir ihn heute haben, ist sicherlich nicht vom Himmel gefallen, sondern hat seine historischen Wurzeln. Wenn man in die Geschichte zurückgeht, dann können wir auch viel weiter zurückgehen als bloß ins 19. Jahrhundert, nämlich als die Habsburger Stück für Stück des heutigen Österreichs und viel mehr darüber hinaus erwarben. Und diese einzelnen Teile, die sie erwarben, das waren verschiedene Herzogtümer und Grafschaften und dergleichen. Aus denen sind die Kronländer geworden, und die haben eine historische Entität, die über viele Jahrhunderte zurückreicht, und bilden die Grundlage der heutigen Länder. Im 19. Jahrhundert hat das ganze dadurch eine neue Grundlage bekommen, als die verfassungsrechtlichen Grundlagen geschaffen wurden, nicht nur für die Kronländer, sondern auch dafür, dass in diesen Ländern eigene Gesetzgebungsapparat eingerichtet wurden, die sogenannten Landtage. Das war mit dem Februarpatent 1863 dann letztlich der Fall. Und aus diesen Kronländern oder einem Teil dieser Kronländer sind dann 1918/19 die heutigen österreichischen Länder hervorgegangen.
LUKÁŠ: Die Bundesländer.
BUẞJÄGER: Die Bundesländer. Wobei man sagen muss, das Burgenland ist 1921 dazugekommen.
LUKÁŠ: Es gibt ja aktuell sehr viele Diskussionen über Kolonialismus - diese Kronländer, die haben da nicht mit dem Lineal die Grenze gezogen, sondern das waren wirklich historische Gebiete, die immer schon zusammengehört haben. Die wurden dann zum Kronland zusammengefasst oder umbenannt, bestehendes zusammenhängendes Gebiet, oder?
BUẞJÄGER: Ja, die Geschichte verändert natürlich die die Grenzen. Wenn wir beispielsweise an Tirol denken. Das hatte in der Habsburgermonarchie eine ganz andere Dimension, umfasste das heutige Südtirol, das heutige Trentino. Insoweit ist das, was Tirol heute ist, Nordtirol und Osttirol ein abgetrennter Teil des damaligen Tirols. Das Burgenland wurde als das deutschsprechende Westungarn ohnehin erst nach dem ersten Krieg angegliedert an Österreich. Wenn man sich hingegen beispielsweise Salzburg anschaut, als Erzbistum reicht das viele Jahrhunderte bis ins frühe Mittelalter zurück, mit im Wesentlichen unveränderten Grenzen. Hier hat sich das eine oder andere getan. Selbstverständlich, die Dinge verändern sich, aber in der Wurzel haben wir hier eine sehr weit zurückreichende Geschichte.
LUKÁŠ: Also kann man vereinfacht sagen, die Kronländer sind der Ursprung der heutigen Bundesländer, zumindest der meisten?
BUẞJÄGER: Ja, wobei man immer im Blick haben muss, es waren damals mit diesem Februarpatent, die Landtage, die in den Kronländern eingerichtet wurden. Da waren es natürlich noch viel mehr, weil die Habsburgermonarchie nicht nur die Gebiete des deutschsprachigen Raumes der Monarchie umfasste, sondern weit darüber hinaus ging. Diese Gebiete sind dann bekanntlich nach dem Ersten Weltkrieg verloren gegangen.
LUKÁŠ: Ist es richtig zu sagen, dass der österreichische Föderalismus, wie wir ihn kennen, seine Wurzeln also im Kaiserreich hat?
BUẞJÄGER: Ganz sicher, ja, er hat seine Wurzeln in der Habsburgermonarchie. Ja!
LUKÁŠ: Und wenn die Kronländer damals mit diesem Februarpatent, Rechte und eigene Gesetzgebung et cetera bekommen haben: Was unterscheidet ein heutiges Bundesland von einem damaligen Kronland?
BUẞJÄGER: Diese Kronländer waren nicht Gliedstaaten eines Bundesstaates im heutigen Sinn. Es gibt gerade auch neuere Untersuchungen, die schon betonen, dass das Habsburgerreich, die Monarchie, im 19. Jahrhundert schon stark föderalistische Züge gehabt hat. Allerdings, in unseren staatsrechtlichen Kategorien war es kein Bundesstaat, sondern da bildeten diese Kronländer eine Art von Selbstverwaltungskörper, Gemeinden höherer Ordnung, wenn man so sagen will. Sie hatten zwar formal einige, nicht so wenige Gesetzgebungshoheiten, allerdings durften diese nur mit Sanktion des Kaisers ausgeübt werden. Es dauerte auch manchmal einige Jahre, bis der Landtag eine Genehmigung des von ihm beschlossenen Gesetze bekam. Das sind alles Dinge, die in unserem heutigen Sinn nicht mit der Bundesstaatlichkeit vereinbar sind.
LUKÁŠ: Jetzt hat das Habsburgerreich 650 Jahre umspannt, aber Föderalismus war dann eigentlich eine moderne Tendenz. Eine moderne Tendenz, um überhaupt so ein Riesenreich gut verwalten zu können, sehe ich das richtig?
BUẞJÄGER: Ja, das kann man schon so sagen, wobei man natürlich auch darüber diskutieren kann, wie weit die Wurzeln des Föderalismus im Allgemeinen zurückreichen. Tatsache ist aber, dass der erste moderne Bundesstaat, wenn man das so sagen will, die Vereinigten Staaten von Amerika waren. Im Ausgang des 18. Jahrhunderts begründet und aus einem Unabhängigkeitskrieg gegenüber England hervorgegangen. Und die nachfolgenden Bundesstaaten, vor allem auch das sich zeitgleich mit den österreichischen Ländern in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts herausbildende Deutsche Reich - das war dann ein klassischer Bundesstaat. Orientiert auch an diesem amerikanischen Vorbild, und vor allem aber die Schweiz, die nach 1848 ein Bundesstaat war. Das waren die Modelle. Dem gegenüber war dieses österreichische Modell doch deutlich zurückgeblieben.
LUKÁŠ: Ja, weil Monarchie...
BUẞJÄGER: Ja und auch, weil die, die Habsburgermonarchie, dann letztlich doch davor zurückscheute, die Dezentralisierung weiter voranzutreiben. Die Monarchie hatte immer Probleme, die Fliehkräfte zusammenzuhalten. Von daher war man einem Föderalismus nach dem Vorbild dieser anderen Länder eher kritisch, weil man fürchtete, dass dadurch bestimmte Fliehkräfte noch weiter beschleunigt würden.
LUKÁŠ: Das greife ich auf: Fliehkräfte zusammenhalten, denn am Ende des ersten Weltkriegs war das Kaiserreich Geschichte und aus Österreich ist eine Republik geworden. War damals von Anfang an klar, welche der Kronländer der Republik Österreich beitreten? Zum Beispiel hätte beispielsweise Tirol einfach nicht mitmachen können.
BUẞJÄGER: Ja, tatsächlich war es so, dass es keineswegs so gesichert war, dass die Geschichte sich so entwickelt würde, wie es dann tatsächlich gekommen ist. Es gab verschiedenste Optionen zum damaligen Zeitpunkt. Auf der einen Seite steht, dass bereits in den ersten Novembertagen 1918 die von den meisten Ländern sogenannte Beitrittserklärung zum deutsch-österreichischen Staat gekommen sind. Es gibt in der Bundesstaatslehre eine lange Diskussion darüber, welchen rechtlichen Inhalt diese Beitrittserklärungen überhaupt haben und es ist müßig, letztlich darüber zu diskutieren. Tatsache ist, sie haben damit die Bereitschaft bekundet, diesem neuen österreichischen Staat beizutreten, aber es gab dann doch Bestrebungen, teilweise andere Wege zu gehen. Der bekannteste Fall ist jener von Vorarlberg, wo im Frühjahr 1919 in einer Volksabstimmung entschieden wurde, oder bekundet wurde, dass sich dieses Land an die Schweiz anschließen solle, was dann letztlich aus verschiedensten Gründen nicht geglückt ist. Es gibt auch das Beispiel Tirols, wo man durchaus realistisch darüber nachdachte, ob im Interesse der Erhaltung der Einheit mit Südtirol, eine Eigenstaatlichkeit nicht eine Lösung sein könnte. All diese Wege haben sich dann aber zerschlagen und so haben sich die Länder dann letztlich alle in diesen österreichischen Staat eingefunden oder einfinden müssen.
LUKÁŠ: Kurze Zwischenfrage: Diese neuen Bundesländer, die es heute gibt, wie viele Kronländer waren das dann damals?
BUẞJÄGER: Naja, insgesamt gab es in der Monarchie 16, das waren dann aber alle, auch die nicht deutschsprachigen Regionen. Wenn man sich die österreichischen Kronländer anschaut, bildeten das heutige Vorarlberg und Tirol ein gemeinsames Kronland, Salzburg war ein eigenes, Oberösterreich war auch ein eigenes, Niederösterreich, also das Land unter der Enns war auch ein eigenes Kronland, umfasste allerdings auch Wien. Das Burgenland gab es noch nicht und dann waren halt noch Steiermark und Kärnten, teilweise aber auch in anderen historischen Grenzen.
LUKÁŠ: Ich hab jetzt mitgezählt. Ich bilde mir ein, acht Kronländer waren die neuen Bundesländer.
BUẞJÄGER: Na ja, Tirol und Vorarlberg waren schon eins. Oder? Denn Salzburg, Oberösterreich, Niederösterreich inklusive Wiens, und dann haben wir noch Steiermark und Kärnten. Das wären dann sechs.
LUKÁŠ: Gut, dass wir nochmal nachgezählt haben. Es ist jetzt vorher schon angeklungen, dass das eher von Diskussionen geprägt war, wer nach dem Ersten Weltkrieg dem Bundesstaat der Republik Österreich beitritt. Der sogenannte Vater der österreichischen Verfassung Hans Kelsen, von dem wir schon einiges gehört haben, und der erste Kanzler der Ersten Republik Karl Renner, die haben nach dem Ersten Weltkrieg den Landesvertretern ein anderes Konzept vorgeschlagen als dem Bundesstaat. Die Landesvertreter haben abgelehnt. Was wäre das für ein System gewesen, das diesen beiden vorgeschwebt ist?
BUẞJÄGER: Man muss die beiden Personen da auseinanderhalten. Karl Renner als Staatskanzler war der Politiker, der darauf bedacht war, dass dieses neue Österreich ein lebensfähiger Staat wird. Er war sehr skeptisch gegenüber dem Föderalismus, weil er fürchtete, dass die Zentralgewalt sich nicht durchsetzen können würde. Und in den Länderkonferenzen, die nach dem Zusammenbruch der Monarchie geführt wurden, in denen es darum ging, diesem neuen Staat mal die Grundlagen zu schaffen, präferierte Karl Renner ein Modell das sogenannte Self-government in England, das ihm vorschwebte, eine Art von regionaler Selbstverwaltung. Aber das genügt den Ländervertretern nicht. Soweit sie überhaupt mit dem Begriff was anfangen konnten, waren sie wahrscheinlich skeptisch, ob in einem solchen Modell überhaupt irgendwelche Gestaltungsspielräume verbleiben würden, politischer Art für die Länder. Die nahe Schweiz war da, zumindest für die meisten Ländervertreter, das weitaus interessantere, attraktivere Beispiel und sie wollten daher und präferierten einen Bundesstaat nach Schweizer Vorbild mit starken Ländern, die über durchaus weitreichende Kompetenzen verfügten. Und in der Situation, in der Österreich im Ausgang, also im Anfang des Jahres 1919, war, musste Karl Renner, das wohl oder übel akzeptieren, diesen Wunsch der Länder, weil die Staatsgewalt damals im Wesentlichen von den Ländern getragen wurde. Bei Hans Kelsen war es eher so: Er war dann als Experte dem beigezogen im Rahmen der Ausarbeitung der neuen Bundesverfassung und er war an sich grundsätzlich dem Föderalismus insoweit kritisch gegenübergestellt, weil er, wie viele andere auch, letztlich auf einen Anschluss Österreichs in Deutschland hoffte. Der dann durch den Staatsvertrag von Saint-Germain durch die Alliierten verunmöglicht wurde. Und vor diesem Hintergrund war es für Kelsen schwer vorstellbar, dass im Bundesstaat Deutschland ein weiterer Bundesstaat integriert sein sollte, das sozusagen drei Ebenen des Föderalismus hier bestehen sollten. Er war der Meinung, dass eine föderale Struktur Österreichs einen solchen Anschluss an Deutschland letztlich erschweren würde. Von daher war er dem eher kritisch gegenübergestellt. Als dann letztlich aber klar war, dass die Weichen in Richtung des Bundesstaates gestellt wurden, war Kelsen eben der Experte, der verschiedene Entwürfe für diesen Bundesstaat erarbeitete, relativ zentralistische und aber auch relativ föderalistische. Er hat der Politik sozusagen mehrere Menüs vorgestellt, und sie konnte sich dann das jeweilige Menü aussuchen.
LUKÁŠ: Das finde ich alles sehr, sehr interessant, muss ich sagen. Das mit dem Schweizer Vorbild war mir bisher überhaupt nicht so bewusst.
BUẞJÄGER: Ja, das spielt durchaus eine Rolle.
LUKÁŠ: Es haben sich aber nicht nur die Länder und die Verfassungsmacher eingemischt in die Diskussion, wie Österreich ausschauen soll in der Zukunft, sondern natürlich haben auch die großen Parteien mitdiskutiert. Wer wollte denn was? Und vielleicht müsste man an dieser Stelle für die historisch weniger Bewanderten ganz kurz feststellen, wen gab es denn damals, und wie stark war derjenige?
BUẞJÄGER: Es gab zwei große Lager. Das eine waren die christlich-sozialen, Vorläuferpartei der heutigen ÖVP. Das zweite große Lage waren die Sozialdemokraten, ein drittes, kleineres Lager waren die deutsch-freiheitlichen. Es war so, dass die christlich-sozialen ganz eindeutig einen Bundesstaat präferierten, und zwar einen starken Bundesstaat nach Schweizer Vorbild, mit relativ weitreichenden Kompetenzen der Länder. Dem konnten die Sozialdemokraten relativ wenig abgewinnen. Sie präferierten eigentlich einen Einheitsstaat, fügten sich aber dann darin, dass auch sie einen einen föderalen Staat akzeptierten, unter der Voraussetzung, dass Wien ein eigenes Land sein würde in diesem Bundesstaat. Aber sie verlangen dafür auch, dass dieser Bundesstaat doch im Schwergewicht zentralistisch ausgerichtet war, in dem Sinn, dass der größte Teil der Kompetenzen letztlich auf der Bundesebene verbleiben würde und dass die Länder im Wege des Bundesrates, in dessen Sitzungssaal wir uns hier befinden, relativ wenig mitreden würden können. Unsere Verfassung ist ein Kompromiss, ich würde sagen, kein fauler Kompromiss. Aber natürlich, gerade im Bereich der föderalen Ausgestaltung atmet die Staatsorganisation sozusagen auf Schritt und Tritt den Geist dieses Kompromisses. Und ein Teil dieses Kompromisses ist es, dass die Christlich-Sozialen durchgesetzt haben, dass es einen Bundesrat geben würde als Vertreter der Länder in der Bundesgesetzgebung, und andererseits setzen sich die Sozialdemokraten dahingehend durch, dass dieser Bundesrat, die Bundesgesetzgebung, die in der ersten Kammer über den Nationalrat läuft, möglichst wenig vom Bundesrat beeinträchtigt werden kann. Und mit diesem Kompromiss aus dem Jahre 1920 leben wir mit einigen durchaus wesentlichen Abänderungen, die seither erfolgt sind, noch immer. Immerhin kann seit 1984 der Bundesrat Kompetenzänderungen zu Lasten der Länder verhindern. Das konnte er bis dahin nicht. Insoweit gibt es schon durchaus...Das ist auch nicht die einzige Aufwertung des Bundesrates, die seither stattgefunden hat. Aber es verbleibt doch eine starke Dominanz des Nationalrates und insgesamt in der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern eine Dominanz des Bundes.
LUKÁŠ: Wie stark das unser jetziges Leben nach wie vor beeinflusst, diese Entscheidungen, die damals getroffen worden sind.
BUẞJÄGER: Natürlich also eine Verfassung ist ja auch nicht dazu da, dass man sie auf Schritt und Tritt ändert. Eine Verfassung soll ja eine solide Basis für das politische Leben sein und nach dem – wenn man’s- das kann man wirklich so sagen - Unglück der ersten Republik, haben wir Gott sei Dank seit 1945 stabile Verhältnisse. Diese stabilen Verhältnisse hat auch die Verfassung garantiert und ermöglicht. Das alles bedeutet aber nicht, dass diese Verfassung nicht auch geändert werden kann und sie wurde auch immer wieder angepasst. Auch der Bundesstaat ist ein dynamisches System, er hat sich in diesen über 100 Jahren auch durchaus wesentlich verändert.
LUKÁŠ: Vielen Dank für diese sehr spannenden Einblicke in die föderalistischen Strukturen Österreichs. Ich habe was gelernt. Ich hoffe, die Hörerinnen und Hörer da draußen auch. Danke, Herr Bußjäger. Das war's schon wieder mit dieser Folge. Wir hören uns nochmal in dieser Staffel. Bis dann!
BUẞJÄGER: Gerne, freut mich.
LUKÁŠ: Und bei Euch bedanke ich mich dafür, dass ihr diesmal wieder dabei war. Ich hoffe, das ist auch beim nächsten Mal so. Dann treffe ich mich nämlich mit zwei neuen Gästen, um darüber zu sprechen, wie Föderalismus ganz praktisch funktioniert und wie er sich ganz praktisch in unserem Leben bemerkbar macht, wobei man muss sagen, wir haben ja schon ein paar Glimpses bekommen, wie er in der Modernen nachwirkt. Wenn Euch diese Folge gefallen hat, dann haben wir da natürlich nichts dagegen, wenn Ihr uns weiterempfehlt oder abonniert. Das geht überall, wo es Podcast gibt, ob auf Spotify, Apple Podcasts, Google Podcasts, Deezer oder Amazon Music, und dann verpasst Ihr garantiert keine Folge mehr. Jede Menge Informationen und Angebote rund um das österreichische Parlament und zu unserer Demokratie findet Ihr auf unserer Webseite www.parlamen.gv.at und den Social Media Kanälen des Parlaments. Falls Ihr Fragen, Kritik oder Anregungen zum Podcast habt, dann schreibt uns gerne eine E-Mail, und zwar an podcast@parlament.gv.at. Also ich würde mich freuen, Euch in der nächsten Folge wieder dabei zu haben. In diesem Sinne sage ich vielen Dank fürs Zuhören. Mein Name ist Tatjana Lukáš. Wir hören uns!
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