Jingle: Rund ums Parlament. Der Podcast des österreichischen Parlaments.
Tatjana LUKÁŠ: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Rund ums Parlament", dem Podcast des österreichischen Parlaments. Mein Name ist Tatjana Lukáš. Schön, dass ihr wieder dabei seid. In dieser Folge wollen wir weiter über die Beziehungen sprechen, die das österreichische Parlament in die ganze Welt unterhält. Nachdem es in der letzten Folge um die Zusammenarbeit mit anderen europäischen Parlamenten in Sachen Raumfahrtpolitik gegangen ist, wollen wir heute über eine ganz andere besondere internationale Beziehung des Parlaments sprechen, nämlich die Beziehung zur Europäischen Union. Jetzt werden sich einige von euch denken: Das Parlament und die EU? Dazu gibt es aber schon eine Folge. Ja, das stimmt, aber dieses Thema ist so vielschichtig, dass wir dazu einfach noch nicht alles gesagt haben. In der letzten Folge zur Europäischen Union ging es ja darum, wie sich ein Bundesstaat wie Österreich mit all den Interessen seiner Bundesländer in die EU einfügt. Dieses Mal wollen wir uns anschauen, wie EU-Gesetze im Bund umgesetzt werden und wie der und an der EU-Gesetzgebung mitwirken kann. Meine lieben Hörerinnen und Hörer, heute habe ich einen Podcasttipp, passend zu dieser Folge von „Rund ums Parlament“, für euch: Den Europa-Podcast „Irgendwas mit EU“. Das ist der Podcast des Verbindungsbüros des europäischen Parlaments in Wien, der Vertretung der europäischen Kommission in Österreich, in der wir heute zu Gast sind. In „Irgendwas mit EU“ schauen die Macher:innen regelmäßig hinter die Kulissen der Europäischen Union. Und wenn euch diese Folge von „Rund ums Parlament“ gefällt, dann solltet ihr da auf jeden Fall mal reinhören. Finden könnt ihr alle Folgen überall da, wo ihr sonst auch eure Podcasts hört. Meine Gäste, die ich mir heute eingeladen habe zu diesem Thema, sind ausgesprochene Kenner und Kennerinnen dieses Themas. Das ist einerseits Sophie Velberg, Vertreterin des österreichischen Parlaments bei der EU in Brüssel. Herzlich willkommen im Podcast!
Sophie VELBERG: Hallo!
LUKÁŠ: Danke fürs Kommen! Und ich begrüße auch sehr herzlich Wolfgang Bogensberger. Sie sind stellvertretender Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich. Schön, dass Sie heute hier sind!
Wolfgang BOGENSBERGER: Vielen Dank, dass ich bei Ihnen dabei sein kann, und herzlich willkommen im Haus der Europäischen Union!
LUKÁŠ: Da greifen Sie schon ein bisschen vor, denn Ihnen ist dieses Haus ja nicht fremd. Ich glaube sogar, Ihr Büro ist in eben diesem Haus angesiedelt. Stimmt das?
BOGENSBERGER: Ja, eine Etage höher ist ein kleines, neun Quadratmeter großes, spartanisch eingerichtetes Büro, in dem ich einige Zeit hier verbringe. Aber auch sehr viel außerhalb des Büros an Arbeitszeit verbringe.
LUKÁŠ: Da muss ich persönlich nachfragen. Die spartanische Einrichtung ist eine persönliche Entscheidung oder eine Entscheidung der Europäischen Union?
BOGENSBERGER: Eine Entscheidung der Europäischen Union. Wir haben nützliche Einrichtungen, aber wir haben keine Dekors, Ornamente oder sonstige Dinge, wie man vielleicht vermuten möchte, wenn man sich in einer Stadt wie Wien befindet, wo sehr viel alte Bausubstanz vorherrscht, was auch durchaus in den öffentlichen Einrichtungen häufig der Fall ist. Wir sind in einem modernen Zweckgebäude.
LUKÁŠ: Lassen Sie uns doch gleich ein bisschen über dieses Gebäude sprechen, das ja in eine Gründerzeitreihe eingegliedert wurde, von außen verglast ist und damit die Transparenz der EU symbolisieren soll.
BOGENSBERGER: Die Transparenz der EU. Wir wollen eine Einrichtung sein, die von den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen wird, genutzt wird. Wir haben öffentliche Bereiche, wo jeder Mann, jede Frau reinkommen kann, sich informieren kann. Und was uns auch ein besonderes Anliegen ist: Wir versuchen, dieses Haus auch nach Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu gestalten, sodass wir aktuell gerade mitten in einer Zertifizierung sind, dass wir ein sogenanntes grünes Haus sind. Das heißt, alle Aspekte, wie wir eigentlich in Zukunft leben sollen, um möglichst wenig Ressourcen zu verbrauchen, um nachhaltig zu leben, wollen wir auch selbst anwenden in der Art und Weise, wie wir leben und arbeiten hier in Österreich.
LUKÁŠ: Frau Velberg, wir starten ja unseren heutigen Spaziergang hier im Foyer. Dürfte ich Sie vielleicht bitten, den Raum kurz aus Ihrer Sicht zu beschreiben?
VELBERG: Eigentlich hat der Herr Bogensberger die Worte schon getroffen. Es ist sehr zweckdienlich. Es erinnert mich auch an die vielen Gebäude der EU-Institutionen in Brüssel. Die sind immer alle sehr sachlich, aber modern. Man merkt, dass hier gearbeitet wird.
LUKÁŠ: Von der Einrichtung her haben wir eine an Mies van der Rohe angelehnte Sitzecke. Einen kleinen gelben Enzi haben wir hinter uns, ein bekanntes Wiener Außenmöbelwerk. Und ein großes Moosbild, das, so glaube ich, lebt.
BOGENSBERGER: Das lebt, das Bild! Das ist eben einer unserer Zugänge, dass wir versuchen, möglichst naturnah auch im städtischen Bereich zu leben. Deswegen haben wir uns nicht für eine abstrakte Malerei entschieden, sondern für ein lebendes Bild, das von einem österreichischen Künstler entworfen worden ist und das jetzt schon seit zwei Jahren unsere Wände ziert. Wir freuen uns tagtäglich darüber.
LUKÁŠ: Ja, es ist toll, ich mag das sehr gerne. Pflanzen beleben jeden Raum, so spartanisch es sein mag. Nicht zu vergessen, es hängen auch zwei Porträts hier. Wir schreiben das Jahr 2023, wer strahlt uns entgegen?
BOGENSBERGER: Da sind wir ganz besonders stolz, dass wir aktuell in den europäischen Einrichtungen Frauen an Spitzenfunktionen haben. Also die Europäische Kommission wird geleitet von der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, und das Europäische Parlament wird von der Frau Metsola geleitet. Beides sehr wichtige Einrichtungen im europäischen Kontext. Das ist erstmals in der Geschichte, dass beide dieser Einrichtungen von Frauen geleitet werden. Dazu kommt, das ist eine ganz wichtige Einrichtung, die jetzt nicht hier bildhaft vertreten ist, aber die Europäische Zentralbank wird ebenfalls von einer Frau geleitet. Also, Frauenpower auf europäischer Ebene ist nicht nur ein abstrakter Begriff, sondern konkrete Wirklichkeit geworden.
LUKÁŠ: Ja, im Werden begriffen. Frau Velberg, Sie sind ja in Brüssel.
VELBERG: Ja, genau.
LUKÁŠ: Sie vertreten das österreichische Parlament bei der Europäischen Union. Hat die sogenannte Verbindungsstelle in Brüssel auch ein eigenes Haus, und was ist Ihre Aufgabe dort?
VELBERG: Ein eigenes Haus haben wir nicht in Brüssel. Ich bin sozusagen die Außenstelle der Parlamentsdirektion in Brüssel. Ich habe meine Büroräumlichkeiten im Parlament, das sozusagen den nationalen Parlamenten diese zur Verfügung stellt. Ich sitze dort auch mit Kollegen, die, genauso wie ich, für ihr jeweiliges nationales Parlament in Brüssel vor Ort sind. Wir versuchen uns auf europäischer Ebene zu vernetzen und den Informationsaustausch zwischen Brüssel und unserer jeweiligen Hauptstadt in beide Richtungen aufrechtzuerhalten. Je nachdem, was kommt.
LUKÁŠ: Sie sind für vier Jahre bestellt?
VELBERG: Genau, mein Term ist vier Jahre und dann wechselt das, wie auch bei den anderen Kollegen, die von den anderen nationalen Parlamenten da sind. Das ist so die übliche Rotation.
LUKÁŠ: Und könnte das auch verlängert werden?
VELBERG: Ja, theoretisch ja.
LUKÁŠ: Unendlich oder gibt's da eine Frist?
VELBERG: Das orientiert sich ein bisschen auch an dem Außenministerium, zumindest in unserem Fall. Da sind ja auch üblicherweise die Kollegen, die auf Außenposten oder Botschaften sind, für vier Jahre entsendet. Aber je nachdem, wie gut man sich tut, kann man auch verlängern.
LUKÁŠ: Sie sind ja stellvertretender Leiter hier. Können Sie unseren Hörerinnen und Hörern vielleicht in knappen Worten erklären, was genau die EU-Kommission ist und tut?
BOGENSBERGER: Ja, gerne. Die Europäische Kommission ist eine europäische Einrichtung. Sie hat die Aufgabe, die europäischen Interessen zu verfolgen. Das heißt, die Europäische Kommission achtet darauf, was ist das Beste für die europäischen Bürgerinnen und Bürger? Nicht bloß, was ist für portugiesische oder was ist für estnische oder was ist für bulgarische Bürgerinnen und Bürger oder auch österreichische Bürger, sondern was ist für die Gesamtheit der europäischen Bürger am wichtigsten? Das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt der Europäischen Kommission, dass das im Fokus ist und dass man das nie aus den Augen verliert. Im Wesentlichen ist es eine unabhängige Einrichtung. Das heißt, sie steht nicht unter dem Einfluss einer nationalen Regierung oder einer sonstigen, sondern es ist eine Einrichtung, die ausschließlich dem europäischen Gemeinwohl verpflichtet ist. Arbeiten tut sie ähnlich wie eine nationale Regierung. Das heißt, wir haben Personen, die für bestimmte Fachbereiche zuständig sind. In der Europäischen Kommission heißen diese Personen Kommissare. Das ist ungefähr vergleichbar mit der Tätigkeit einer Ministerin, eines Ministers auf einer innerstaatlichen Ebene. Diese Kommissare werden aus allen Mitgliedsstaaten bestellt, rekrutiert. Das heißt, ein Mitgliedsstaat hat die Möglichkeit, eine Persönlichkeit vorzuschlagen. Diese Persönlichkeit wird dann im Europäischen Parlament auf ihre Eignung für diese Tätigkeit getestet, geprüft. Das ist ein Vorgang, den wir innerstaatlich nicht kennen, aber auf europäischer Ebene ist das gang und gäbe. Das ist ein sehr intensives Eignungsverfahren für Kommissarinnen und Kommissare. Es werden auch immer wieder welche abgelehnt. Insgesamt formen diese Kommissare, die aus jedem Mitgliedsstaat kommen, das Kollegium der 27 Kommissare der Europäischen Kommission. Diese Kommissare sind zwar aus einzelnen Mitgliedstaaten kommend, aber sie sind nicht Vertreter ihrer Mitgliedsstaaten in der Europäischen Kommission. Ab dem Moment, wo sie in der Europäischen Kommission tätig sind, müssen sie das europäische Interesse verfolgen. Das heißt, der Kommissar aktuell aus Österreich ist der Herr Hahn. Das ist nicht der österreichische Kommissar in der Kommission im Sinne von er vertritt österreichische Anliegen in der Kommission, sondern es ist der europäische Kommissar, der aus Österreich stammt. Das ist ein großer Unterschied. Er muss dann letztlich europäische Interessen verfolgen, die in vielen Fällen mit österreichischen Interessen übereinstimmen können, aber nicht notwendigerweise übereinstimmen müssen. Der Herr Kommissar Hahn ist für das EU-Budget zuständig. Das wäre etwa, wenn man das in der innerstaatlichen Terminologie erfassen möchte, der europäische Finanzminister.
LUKÁŠ: Eine wichtige Position.
BOGENSBERGER: Und die Europäische Kommission, vielleicht noch ergänzend, ist eine Verwaltungseinrichtung. Sie gibt Geld aus. Das europäische Budget ist ein sehr umfangreiches Budget, und die Kommission ist damit beauftragt, dieses Geld entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu verwenden. Also für Klimaschutz, für europäische Transportnetze, für Sicherheitsfragen, Migrationsfragen, Außengrenzschutzfragen et cetera. Die Europäische Kommission hat zudem auch noch, und das ist auch sehr ähnlich einer innerstaatlichen Regierung, das Vorschlagsrecht für gesetzgeberische Akte. Das heißt, wenn sich der europäische Gesetzgeber, das ist das Europäische Parlament und der Rat, mit europäischer Gesetzgebung beschäftigen, machen sie das immer auf der Grundlage eines Vorschlags der Kommission. Das ist ganz wichtig. Das wird immer ein bisschen durcheinandergebracht. Die Europäische Kommission beschließt keine Gesetze, die Europäische Kommission schlägt immer nur Gesetze vor. Beschließen tut es der Rat und das Europäische Parlament. Die Einrichtung, die vorschlägt, beschließt nicht, und die Einrichtungen, die beschließen, schlagen nicht vor. Das ist im Wesentlichen das europäische Balance-System, das eigentlich sehr gut funktioniert. Eine wichtige Aufgabe, die der Kommission noch zukommt, ist, dass die Kommission auch, und das macht sie auch manchmal kritisch, darauf achtet, dass die Mitgliedsstaaten auch das Recht einhalten, dass sie zuvor mitbeschlossen haben.
LUKÁŠ: Da waren wir in der vorangegangenen Folge schon mal. Was passieren kann, wenn man es nicht einhält, was man da tut. Das Subsidiaritätsprinzip, ich darf daran erinnern. Vielen Dank für diese ausführliche Erklärung. Trotzdem ist es natürlich nur eine kleine Einführung in die Aufgaben der Kommission, aber nichtsdestotrotz für unsere Hörerinnen und Hörer sicher spannend. Ich möchte kurz überleiten zu diesem Haus, in dem wir stehen, in dem Haus der Europäischen Union. Sie sagen, das ist ein offenes Haus. Wenn man nun reinkommt zur Tür, man darf die Drehtür nur einzeln durchschreiten zum Beispiel, nicht wie im Kaufhaus, wo sich diverse Teenager reindrängen, dann steht man hier in diesem Saal. Was kann man hier tun als normaler Bürger, als normale Bürgerin, wenn man hier reinkommt? Denn es wirkt doch nach Büroräumlichkeiten, sagen wir mal so.
BOGENSBERGER: Wir sind eine Einrichtung, die vielerlei Bedürfnisse abdecken möchte, also die Vertretung der Europäischen Kommission. Wir sind so etwas ähnliches wie eine Botschaft der Kommission in den Mitgliedsstaaten. Den europäischen Einrichtungen wird manchmal vorgeworfen, dass sie zu weit weg sind von den Bürgern, und wir wollen das eben reduzieren. Wir sind die Kommission vor Ort. Wenn Bürgerinnen und Bürger ein Anliegen haben, dann müssen sie nicht irgendwie nach Brüssel schreiben, sondern können zu uns kommen. Und deswegen ist es hier auch sehr zweckmäßig eingerichtet wie im Büro, nicht zufällig, sondern das hat wirklich einen Arbeitshintergrund. Wir arbeiten in dieser Vertretung multinational. Das heißt, wir sind aus acht verschiedenen Nationen zusammengesetzt, ungefähr 25 Leute. Die kommen aus Deutschland, aus Frankreich, aus den Niederlanden, aus Bulgarien, aus Ungarn, aus Slowenien, aus der Slowakei, und auch ich bin ein Vertreter davon, ich stamme aus Österreich. Wir versuchen einerseits, was man mit dem neuen deutschen Wort „Outreach“ sagt, also nach außen zu wirken, über unsere Tätigkeit zu informieren. Wir versuchen aber vor allem auch, die europäische Ebene mit der innerstaatlichen Ebene in Verbindung zu bringen. Wir kommunizieren in beide Richtungen. Wir versuchen der europäischen Ebene, unseren Kommissarinnen, Kommissaren und der Kommissionspräsidentin zu erklären, welche wichtigen Vorgänge passieren gerade in Österreich, die von europäischem Interesse sind. Und andererseits versuchen wir auch innerstaatlich darüber zu informieren, was passiert gerade auf europäischer Ebene, was besonders wichtig ist. Der Hintergedanke ist, dass die Beziehungen versachlicht werden, dass sie professioneller werden. Wenn also die Kommissionspräsidentin in zwei Wochen mit dem Bundeskanzler Nehammer zusammentrifft, fragt sie nicht, was ist denn los, sondern wie gehen wir damit um? Was können wir damit leisten? Welche Hilfestellungen können wir machen? Wir sind einen Schritt weiter und wir versuchen, diese Beziehungen insofern zu erleichtern und zu professionalisieren.
LUKÁŠ: Wunderbar, da komme ich nochmal auf meine Eingangsfrage zurück. Und wenn ich als Bürger oder Bürgerin nun in dieses Haus spaziere, was kann ich hier aktiv tun?
BOGENSBERGER: Sie sind hier herzlich willkommen, zunächst einmal. Sie können sich über alle möglichen Dinge informieren. Da sind Fächer mit Informationen über Gesetzgebungsmechanismen, über einzelne Politikbereiche et cetera. Und wir haben hier auch einen großen Veranstaltungssaal. Der ist gleich daneben, und vielleicht können wir da hineingehen. Wir machen regelmäßig Veranstaltungen zu bestimmten interessanten Themen. Ich möchte vielleicht eine der größten Veranstaltungen, die wir in letzter Zeit gehabt haben, erwähnen. Das war rund um den Europatag. Da haben wir über 300 Erstwählerinnen und Erstwähler hier gehabt, Schülerinnen im Alter von 16 plus, 16 bis 18 Jahren. Wir haben dann hier einen Demokratie-Workshop gemacht. Einer unserer Experten, die da Rede und Antwort standen, war der Bundespräsident Van der Bellen. Er war da, hat sich mit den Schülern ausgetauscht und hat die zentrale Botschaft, die wir auch gerne vermitteln, aber besonders prominent vertreten. Demokratie ist nicht etwas, wo man nur zuschaut, sondern Demokratie ist etwas, woran man sich beteiligen muss. Das zentrale Thema war, nächstes Jahr sind Europawahlen. Das ist wichtig. Es ist ein Recht, das Bürgerinnen und Bürger sich in der Vergangenheit erstritten, erkämpft haben. Das muss auch genutzt werden. Wenn man zwar Wahlrecht hat, aber sich nicht an den Wahlen beteiligt, ist man damit einverstanden, dass sich andere darüber erklären, was passieren soll, aber selbst ist man mit allen anderen Entscheidungen einverstanden. Das kann sehr risikoreich sein, wie wir in der Abstimmung beim Brexit erlebt haben, wo die jungen Menschen mehrheitlich für den Beibehalt des Vereinigten Königreichs bei der Europäischen Union eingetreten sind, aber unterdurchschnittlich an dem Referendum teilgenommen haben. Und insofern nutzt das nichts, wenn man zwar etwas denkt, aber das nicht in den entsprechenden Situationen auch zum Ausdruck bringt. Dafür haben wir diese Veranstaltung gehabt, und wir haben dann versucht, die Schülerinnen und Schüler, die aus allen Teilen Österreichs gekommen sind, für diese enorm wichtige Wahl zu sensibilisieren.
LUKÁŠ: Sehr gut. Dann würde ich sagen, gehen wir mit diesem Schwung an Motivation in den Veranstaltungssaal.
BOGENSBERGER: Bitte, gerne.
LUKÁŠ: Auf dem Weg dorthin würde ich Ihnen gerne beiden drei Fragen stellen, damit wir unsere Gäste besser kennenlernen können. Ich würde mit Ihnen, Frau Velberg, beginnen.
VELBERG: Ja.
LUKÁŠ: Es sind einfache Fragen. Die erste lautet: Frühling oder Herbst?
VELBERG: Frühling.
LUKÁŠ: Okay, Kompromiss oder beste Lösung?
VELBERG: Kompromiss.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie Demokratien an?
VELBERG: Bei der gemeinsamen Meinungsfindung, Entscheidungsfindung für eben den Kompromiss, der meiner Meinung nach meistens auch die beste Lösung ist, weil dann alle Beteiligten damit gut leben können und sich alle auch daran beteiligt haben, diese Entscheidung herbeizuführen.
LUKÁŠ: Vielen Dank. Und Sie, Herr Bogensberger, Frühling oder Herbst?
BOGENSBERGER: Ich mag beides sehr, aber leichter Vorteil auch für den Frühling, weil der Frühling das Entstehen und das Blühen in sich birgt.
LUKÁŠ: Kompromiss oder beste Lösung?
BOGENSBERGER: Ganz klar: Kompromiss. Kompromiss ist ein bisschen schlecht in der öffentlichen Bewertung angekommen, aber ich finde den Kompromiss eigentlich etwas Grandioses, weil ein Kompromiss es ermöglicht, dass man nicht über andere drüber fährt, sondern achtsam miteinander umgeht, respektvoll auch mit abweichenden Meinungen umgeht und letztlich eine Lösung versucht zu erarbeiten, mit der möglichst viele, wenn es gut geht alle, leben können. Das steht im Gegensatz zu der Diktatur der Mehrheit, wo man sich dann nicht kümmert über andere abweichende Meinungen, wo man drüberfährt. Oder der Diktatur von einzelnen Personen, die dann wie der Herr Putin, einfach sehr alleine entscheiden über etwas, was viele Menschen nachteilig befasst.
LUKÁŠ: Und wo fängt für sie Demokratie an?
BOGENSBERGER: In der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Universität, in allen Lebensbereichen. Ich bin ein Vertreter, dass alle Lebensbereiche Demokratie-mäßig durchflutet gehören. Alle Dinge, die für Menschen wichtig sind und die für sie von Relevanz sind, sollen die Chance bieten, dass man sich daran auch beteiligt. Dass man sich äußert, dass man an den Entscheidungen teilnehmen kann und soll. Das heißt nicht notwendigerweise, dass ich mich immer durchsetze, aber dass, wenn ich etwas gerne sagen möchte, dass ich das auch sagen kann und dass das zumindest in die Entscheidung miteinfließt. Das ist ein elementares Prinzip, ohne das ich nicht leben möchte.
LUKÁŠ: Vielen Dank. Dann würde ich sagen, kommen wir in diesen neuen Raum, den Veranstaltungsraum mit Glasdach, EU-Flagge und Screens an den Wänden, mit Stühlen in blau gehalten und Robert Schumann als blau gehaltenes Porträt an der Wand. Kommen wir zurück zu unserem Thema. Wie wirkt die EU-Gesetzgebung auf Österreich ein und – vice versa – wie wirkt Österreich bei der EU-Gesetzgebung mit? Also zunächst noch einmal ganz grundsätzlich für unsere Hörerinnen und Hörer, im Zuge des EU-Beitritts Österreichs wurde die Zuständigkeit des Parlaments zur Gesetzgebung in bestimmten Politikbereichen eingeschränkt. Da spricht man auch von der Übertragung von Souveränitätsrechten an die EU. Was bedeutet das? Das heißt, dass in vielen Bereichen nicht mehr allein das österreichische Parlament entscheiden kann. Welche Rechte hat das österreichische Parlament also an die EU übertragen, Frau Velberg?
VELBERG: Vor dem EU-Beitritt war das österreichische Parlament der Gesetzgeber. Das heißt so viel wie, dass die Regeln, die in Österreich gelten, die Gesetze, vom österreichischen Parlament verabschiedet wurden. Mit dem EU-Beitritt wurden in bestimmten Bereichen die Rechte, diese Gesetze zu verabschieden, auf die EU übertragen. Vor allem geht es dabei um Verordnungen und Richtlinien. Verordnungen gelten direkt im jeweiligen Mitgliedsstaat, sind auch bindend, ohne dass auf nationaler Ebene noch was zu tun wäre. Richtlinien geben einen gewissen Spielraum vor und geben vor, in welcher Form das im Nationalstaat umgesetzt wird. Das heißt, das nationale Parlament kann nicht mehr alleine bestimmen oder nicht mehr alle Regeln selbst machen. Das ist eben dieser besagte Verlust der Souveränitätsrechte. Und deswegen wurden schon auch im Zuge des EU-Beitritts Österreichs dem nationalen Parlament Informationsrechte und bestimmte Mitwirkungsrechte zuerkannt, die das nationale Parlament im Entscheidungsprozess für EU-Gesetze auch beteiligen.
LUKÁŠ: Das heißt also, wenn die EU ein Gesetz verabschiedet hat, wie muss dann das österreichische Parlament darauf reagieren, beziehungsweise wie setzt es dieses Gesetz dann um?
VELBERG: Ich nehme jetzt her das Beispiel einer Richtlinie. Diese Richtlinie gibt bestimmte Rahmenbedingungen vor. Es ist dem Nationalstaat überlassen, ob das jetzt in Gesetzen oder auf Bundesländerebene umgesetzt wird. Zum Beispiel gab es eine Richtlinie zu Whistleblowern, also Hinweisgebern. Die wurde vor Kurzem in Österreich in ein Gesetz gegossen, das HinweisgeberInnengesetz, und somit umgesetzt in entsprechender Weise.
LUKÁŠ: Und kann das österreichische Parlament auch einfach ein EU-Gesetz, wenn es einmal erlassen ist, nicht umsetzen?
VELBERG: Nein, Verordnungen gelten, wie ich schon gesagt habe, unmittelbar. Richtlinien sind auch umzusetzen. Da gibt es üblicherweise eine bestimmte Frist. Das sind üblicherweise zwei Jahre. Wenn dann nichts passiert, dann kann der Mitgliedsstaat im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens angeklagt werden.
LUKÁŠ: Was kann dann passieren?
VELBERG: Dann geht das bis zu Vertragsstrafen oder dann kann er zur Umsetzung verpflichtet werden. Aber üblicherweise passieren solche Umsetzungen dann manchmal ein wenig verspätet. Aber ja, es kommt vor.
LUKÁŠ: Bisher haben wir darüber gesprochen, wie die Europäische Union in den politischen Prozess ihrer Mitgliedsstaaten eingreift. Aber die EU ist schließlich eine demokratische Organisation, also funktioniert es auch andersrum. An den Gesetzen, die in Brüssel beschlossen werden, haben die Mitgliedsstaaten vorher mitgewirkt. Wie machen sie das, und welchen Einfluss haben die einzelnen Staaten auf die EU-Gesetzgebung?
BOGENSBERGER: Also ich würde meinen, dass die Europäische Union so etwas wie eine super demokratische Einrichtung ist, weil an keiner einzigen Stelle in diesem gesamten Prozess keine Entscheidungen gibt, an denen die Mitgliedsstaaten nicht in irgendeiner Form beteiligt sind. Das heißt, bei allen Gesetzen, die auf europäischer Ebene erlassen werden, ob das jetzt Verordnungen sind oder Richtlinien, wie die Frau Velberg gesagt hat, ist eine wesentliche österreichische Beteiligung dabei. Das fängt an, dass das Vorschlagsrecht von der Europäischen Kommission vorgenommen wird. Einer der 27 Kommissare stammt aus Österreich. Das heißt, da kommt schon eine gewisse österreichische Denkweise auch mit hinein, und diese Vorschläge müssen immer vom Kollegium gemeinsam vorgelegt werden. Der europäische Gesetzgeber besteht aus dem Europäischen Parlament und dem Rat. Im Europäischen Parlament sitzen 19 österreichische Abgeordnete, die direkt vom österreichischen Volk gewählt sind. Wenn man vergleicht, aus Deutschland sitzen 96 Abgeordnete. Das heißt, Österreich ist mit 19 Abgeordneten, also mit einem Fünftel der Abgeordneten Deutschlands vertreten, aber die Bevölkerungszahl in Österreich ist nur ein Zehntel. Somit ist Österreich überproportional in dem Gesetzgebungsprozess, wo das Europäische Parlament beteiligt ist, vertreten. Zusätzlich sind zwei der Vizepräsidenten im Europäischen Parlament aus österreichischer Herkunft, der Herr Karas und die Frau Regner. Und letztlich, der zweite Gesetzgeber, der Europäische Rat, das ist das Treffen der Fachminister aus den jeweiligen Mitgliedsstaaten. Da kommt der Landwirtschaftsminister oder der Innenminister oder die Klimaministerin. Die kommen nach Brüssel, beraten im Rat gemeinsam über einen Vorschlag der Europäischen Kommission. Wenn sie sich dann darauf einigen, ist natürlich auch die Möglichkeit einer österreichischen Einflussnahme dabei. Das heißt, wenn dann ein europäisches Gesetz verabschiedet ist, ist sowohl im Vorschlagsbereich als auch im Verhandlungsbereich der europäischen Gesetze immer eine österreichische Einflussmöglichkeit dabei. Und wenn dann das Gesetz verabschiedet wird, das europäische Gesetz, und innerstaatlich umgesetzt wird und unter Umständen Meinungsverschiedenheiten bestehen, ob das jetzt eine korrekte Umsetzung war oder nicht, kommt letztlich das Verfahren zum Europäischen Gerichtshof. Und – Surprise, Surprise – am Europäischen Gerichtshof sitzt auch eine Person, ein Richter, der aus Österreich nominiert ist. Insofern schließt sich der Kreis wieder. Es gibt keinen einzelnen Arbeitsschritt auf der europäischen Ebene, der nicht von einem österreichischen Einflussmoment behaftet ist. Das heißt, Europa ist keine Besatzungsmacht, wo irgendwie aus dem fernen Brüssel etwas dem armen Mitgliedsstaat auferlegt wird, sondern es ist immer ein sehr partizipativer Prozess. Ein Prozess, der alle Mitgliedsstaaten involviert und wo man dann natürlich das, worauf man sich gemeinsam verständigt hat, auch bei der Umsetzung einhalten muss.
LUKÁŠ: Kommen wir ganz kurz auf den Rat der EU zu sprechen. Das ist ja das Gremium der Ministerinnen und Minister der Mitgliedsstaaten. Hier werden ja nationale Regierungen zum Teil der Legislative der EU, gemeinsam mit dem Europäischen Parlament. Wie funktioniert das genau?
BOGENSBERGER: Das ist ein ganz spannender Prozess. Das ist, glaube ich, gar nicht so sehr in der Öffentlichkeit bewusst, dass ein und dieselbe Person, die innerstaatlich Ministerin oder Minister ist und somit eine Verwaltungstätigkeit, eine Exekutivtätigkeit ausübt, ab dem Moment, wo sie nach Brüssel fährt und in den Rat kommt, plötzlich Gesetzgebungsfunktionen übernimmt. Das ist eine der wahrscheinlich vornehmsten Aufgaben, die ein Minister, eine Ministerin hat, dass man da direkt, auf die europäische Gesetzgebung durch eigene Argumentation, durch eigenes Verhandlungsgeschick einwirken kann und das mitgestalten kann. Und zwar selbst. Während ein Minister im innerstaatlichen Bereich auf den Gesetzgeber, das nationale Parlament, indirekt einwirken kann, mit Überzeugung, aber nicht selbst teilnehmen. Das beschließen die Abgeordneten selbst. Auf europäischer Ebene sind diese Minister selbst gesetzgebende Organe, und das ist ein sehr spannender und auch sehr fordernder Aufgabenbereich für viele Ministerinnen und Minister, weil man sich natürlich immer mit anderen auf Lösungen verständigen kann. Die Nicht-Lösung ist meist keine Option, sondern wie kann man die bestmögliche Lösung in einem Kontext erarbeiten, der von unterschiedlichen Interessen geprägt ist?
LUKÁŠ: Auch eine schwierige Aufgabe.
BOGENSBERGER: Sehr schwierig.
LUKÁŠ: Kompromisse! Frau Velberg, wie ist das jetzt mit den nationalen Parlamenten? Wie kann das österreichische Parlament Einfluss auf die EU-Gesetzgebung nehmen?
VELBERG: Da komme ich auch nochmal zurück auf diese Informationsrechte und das Stellungnahmerecht. Das nationale Parlament hat ein umfassendes Informationsrecht. Das bedeutet, dass die Bundesregierung verpflichtet ist, Nationalrat und Bundesrat über EU-Vorhaben zu informieren und denen auch die entsprechenden Unterlagen zuzuleiten, damit eben die Abgeordneten umfassend informiert sind. Dieser Begriff des EU-Vorhabens ist ein sehr weiter Begriff. Dann kommen natürlich die erwähnten Regierungsmitglieder in die EU-Ausschüsse, da werden auch EU-Vorhaben besprochen. Und dann kommt eben dieser zweite Aspekt dazu, dass das nationale Parlament, also in dem Fall das österreichische Parlament, ein sogenanntes Stellungnahmerecht hat. Das heißt, es kann dem jeweiligen Minister oder auch im Falle des EU-Hauptausschusses – ich glaube, zu den Ausschüssen kommen wir später noch – auch dem Bundeskanzler eine Position vorgeben oder sogar eine Verhandlungsposition. Aber das ist ein sehr starkes Recht. Ein Beispiel für eine starke Position ist zum Beispiel zum MERCOSUR-Abkommen. Das ist das Handelsabkommen der EU mit Argentinien, Brasilien und noch ein paar weiteren Ländern, wo das österreichische Parlament vorgegeben hat, dass dieses Abkommen in dieser Form nicht abgeschlossen werden darf. Und das bindet den Minister.
LUKÁŠ: Und dann gibt es ja auch noch die Subsidiaritätskontrolle. Was ist denn das? Einfach dargelegt, bitte.
VELBERG: Die Subsidiaritätskontrolle bezieht sich auf das Subsidiaritätsprinzip. Das besagt, dass die EU nur Vorschriften in Bereichen erlassen darf, die auf regionaler oder staatlicher Ebene nicht besser geregelt werden können. Die nationalen Parlamente haben hier zwei Möglichkeiten. Sie haben die Möglichkeit, eine sogenannte Subsidiaritätsrüge zu verabschieden oder auch eine Subsidiaritätsklage. Bei der Subsidiaritätsrüge können sie eine Vorlage prüfen binnen acht Wochen. Wenn sie der Meinung sind, dass dieses EU-Vorhaben nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist, können sie das äußern in Form einer begründeten Stellungnahme. Und wenn auf Ebene der nationalen Parlamente eine gewisse Anzahl an Stimmen zusammenkommt, jedes nationale Parlament hat zwei Stimmen – bei uns ist es auf jede Kammer aufgeteilt, Nationalrat und Bundesrat, – dann gibt es bestimmte Schwellenwerte. Da spricht man von der gelben und von der orangenen Karte, die wiederum auslösen eine Reaktion der EU-Kommission.
LUKÁŠ: Das klingt nach Fußball.
VELBERG: Ja!
BOGENSBERGER: Ist auch ein bisschen wie Fußball. Die Europäische Union gründet sich eben auf Regelungen.
LUKÁŠ: Aus dem Fußball...
BOGENSBERGER: Und so wie im Fußball sind diese Regeln auch einzuhalten. Dann gibt es auch die Möglichkeiten, wie man das veranschaulichen kann, wenn eine Stelle meint, die andere habe sich nicht an Regeln gehalten. Also das zentrale Anliegen hinter dieser Subsidiarität – ein nicht wirklich glückliches Wort, wie ich meine – ist, dass man wirklich nur das auf europäischer Ebene regelt, wo es einen Mehrwert gibt, wenn man das auf europäischer Ebene regelt. Wo es besser in den Mitgliedsstaaten geregelt werden kann, soll es dort auch bleiben. Das heißt, Europa soll nur dort tätig sein, wo etwas Zusätzliches, etwas Sinnvolles gemacht werden kann, was ein Mitgliedsstaat alleine nicht machen kann. Das ist der Ausgangsgedanke. Die Kommission prüft das eben sehr genau, ob ein solcher Mehrwert da ist, und das ist in jedem Rechtsakt auch ausdrücklich begründet, warum die Kommission meint, dass die Subsidiarität beachtet worden ist. Es kann aber natürlich sein, dass nationale Parlamente diese Argumentation nicht überzeugend finden und meinen, wir sind jetzt nicht so wirklich dieser Ansicht. Und dann gibt es eben innerhalb dieser acht Wochen das Schreiben. Die Kommission schaut sich dieses Schreiben an, überprüft und gibt dann meistens eine Antwort an das nationale Parlament. Dort steht, warum, aufgrund der Argumente, die verwendet worden sind vom nationalen Parlament, die Kommission entweder glaubt, dass es trotzdem dem Prinzip entspricht, den eigenen Vorschlag vielleicht abändert oder auch theoretisch zurückziehen kann. Das ist gang und gäbe, passiert häufig immer wieder in dem Dialog zwischen der Europäischen Kommission und den nationalen Stellen. Mir ist allerdings noch kein Fall bekannt, wo ein nationales Parlament dann mit der Antwort, die die Kommission gegeben hat, unzufrieden gewesen wäre und das geklagt hätte vor dem Europäischen Gerichtshof und wo der Europäische Gerichtshof dann eingeschritten wäre. Da ist dann offensichtlich ein Austausch von Meinungen in einem so konstruktiven Bereich angesiedelt, dass es dann nicht wirklich zu einer rechtlichen Auseinandersetzung führt.
VELBERG: Ich würde da kurz einhaken, auch vielleicht ganz interessant. Gelbe Karten gab es bisher erst dreimal, das heißt, dieser Schwellenwert wurde bisher erst dreimal erreicht, und in einem Fall hat die Kommission ihren Vorschlag zurückgezogen.
LUKÁŠ: Welcher Fall war das?
VELBERG: Das war kollektives Streikrecht.
LUKÁŠ: Was bedeutet kollektives Streikrecht?
BOGENSBERGER: Meiner Ansicht nach war die Kommission in der Überzeugung, dass es sinnvoll wäre, weil eben wir in einem Binnenmarkt leben, wo Arbeitskräfte grenzüberschreitend woanders arbeiten können. Dass man auch das Arbeitnehmerschutzrecht, die Möglichkeiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihre eigenen Interessen zu artikulieren, wozu auch das Streikrecht gehört, dass man das dann entsprechend auch mit gemeinsamen Standards auf europäischer Ebene versieht. Und da waren offensichtlich sehr viele nationale Parlamente der Ansicht, dass es besser doch in der innerstaatlichen Regelungskompetenz bleibt, und die Kommission hat sich von diesen Argumenten überzeugen lassen.
LUKÁŠ: Verstehe.
VELBERG: Es gibt neben diesem Subsidiaritätsprüfungsverfahren auch den sogenannten politischen Dialog. Da kann ein nationales Parlament an die EU-Institutionen bestimmte Standpunkte kommunizieren. Das ist jetzt nicht gebunden an einen Gesetzgebungsakt und auch nicht an die acht-Wochen-Frist. Auch hier erstellt die Kommission Antwortschreiben, die auch an das nationale Parlament zurückkommen. Das ist ein direkter Austausch zwischen den nationalen Parlamenten und vorwiegend der Kommission. Aber es wäre auch möglich, mit anderen EU-Institutionen.
LUKÁŠ: Kommen wir zurück in das Haus, auf dessen Boden wir gerade stehen. Also wir sind ja hier in der Vertretung der Kommission. Haben die Kommissare einen Arbeitsraum, wenn sie zu den Gesprächen nach Wien kommen?
BOGENSBERGER: Ich kann das vielleicht an einem Beispiel erklären. Vor Kurzem ist der Kommissar, der Umweltkommissar, der Herr Sinkevičius, nach Österreich auf Besuch gekommen und hat dann sehr viele politische Stakeholder, also Akteure, in Österreich direkt vor Ort gesehen. Wir sind mit ihm und der Klimaministerin auf der Donauinsel geradelt und haben einige Projekte, die von Europa finanziert werden, dabei besucht. Er ist auch hier in das Haus der Europäischen Union gekommen, hat sich hier mit politischen Persönlichkeiten getroffen, und wir gehen jetzt vielleicht in den Raum hinein, wo das passiert. Das ist auch ein spartanischer Raum, ungefähr 20 Quadratmeter groß. Sie können sich das jetzt mit mir gemeinsam anschauen und ich beschreibe ihn dann auch gerne.
LUKÁŠ: Vielen Dank. Vielleicht können Sie uns kurz den Weg beschreiben?
BOGENSBERGER: Wir gehen von dem großen Veranstaltungssaal, wo ungefähr 160 Menschen Platz haben, jetzt sieben Stufen nach oben. Dann gehen wir jetzt in einen kleinen Gang. Da ist eine Sicherheitstür, weil, ein Kommissar hat auch bestimmte Sicherheitsbedürfnisse. Diese Tür öffne ich jetzt, sie klappt. Wir gehen da an einem Bild vorbei, das den österreichischen Außenminister Mock zeigt und den ungarischen Außenminister Gyula Horn, wie sie den Grenzzaun im Jahr 1989 an der österreichisch-ungarischen Grenze durchschnitten haben als der Systemwandel war. Wir gehen weiter durch einen engen Gang. Da sehen wir ein Bild einer jungen Frau, die im Jogger mit der EU-Fahne darauf durch den Wald läuft und nicht ganz unzufrieden dreinsieht. Und da sind wir jetzt im Raum, wo eben der Kommissar, die Kommissarin, wenn sie in Österreich auf Besuch kommen und politische Gespräche führen, seine Gäste empfangen kann, so wie ich sie jetzt hier gerne empfangen kann. Sie können sich gerne niedersetzen.
LUKÁŠ: Herrlich, zum Ende unserer Tour!
BOGENSBERGER: Sie können sich gerne ein Wasser nehmen, weil, es ist derzeit sehr heiß und es ist vielleicht ganz gut für die allgemeine Befindlichkeit, dass wir uns da ein bisschen aufladen. Der Raum hat eine Europafahne mit den zwölf gelben Sternen auf blauem Hintergrund. Wir haben zwei Pflanzen hier, denen es mittelprächtig gut geht. Aber das ist auch so, weil da nicht sehr viel Licht hereinkommt. Und wir haben eine große Wand hinten mit Roll-Ups, wo Europäische Kommission draufsteht. Davor ist ein schlichter Arbeitstisch mit einem Sessel und einem Bildschirm, weil die Kommissare häufig auch selbst arbeiten und sich dann gerne vielleicht kurz vor dem Treffen noch ein Bild machen wollen, mit wichtigen Leuten intern von ihren Kabinetten vielleicht austauschen wollen. Hier finden viele Pressekontakte auch statt, das heißt, wenn Interviews gegeben werden, Fernsehaufnahmen, Zeitungsinterviews, et cetera – das ist der Raum, und das ist unsere kleine Stelle, wo wir den Kommissaren auch ein bisschen einen Rückzugsort in einem meist dicht gedrängten Programm bieten.
LUKÁŠ: Bevor wir zu unserer letzten Frage kommen, noch etwas, das mich persönlich interessiert. Wenn europäische Kommissare auf der Straße spazieren, erzählen die dann, dass sie erkannt werden oder angesprochen? Hat die Bevölkerung so einen Kontakt zu europäischen Kommissaren, dass sie erkannt werden?
BOGENSBERGER: Da kann ich eine kleine Anekdote erzählen. Vor fünf Jahren war Kommissionspräsident Juncker hier. Der Herr Juncker war natürlich als Kommissionspräsident mit vielen Sicherheitsleuten umgeben, und wir wollten dann zum Mittag in ein Restaurant essen gehen, und dann haben die Sicherheitsleute gesagt: „Wir müssen in ein Restaurant gehen, aber irgendwo einen Platz in der Mitte, weit weg von den Fenstern, damit von außen hin niemand irgendwie ein Sicherheitsproblem darstellen kann.“ Und der Herr Juncker hat gesagt, nein, das macht er nicht. Wenn er sich schon nicht zum Fenster sitzen kann, dann setzt er sich raus vor das Haus in den Schanigarten, was die Sicherheitsleute in Furcht und Unruhe versetzt hat. Und dann war dieser Moment da, dass dann tatsächlich Leute vorbeigekommen sind und den Kommissionspräsidenten begrüßt haben, ihm die Hand gegeben haben. Er war zugänglich, hat mit allen kurz gesprochen. Dann sind ein paar Luxemburger vorbeigekommen, die haben ihn auf Letzeburgisch angesprochen, die Sprache, die in Luxemburg gesprochen wird. Das war ein deutlicher Beweis, dass der Kommissionspräsidenten Juncker in Österreich, in Wien, durchaus eine bekannte Persönlichkeit ist, die die Menschen auch dazu veranlasst hat, ihn konkret anzusprechen. Er hat das auch sehr geschätzt.
LUKÁŠ: Sehr schön, danke für die kleine Anekdote, das ist herrlich. Dann kommen wir zu unserer letzten Frage. Wir haben heute anfangs darüber gesprochen, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union einige ihrer Souveränitätsrechte an die EU abgegeben haben. Dass sie also in bestimmten Dingen nicht mehr ganz allein entscheiden dürfen. Das ist ähnlich wie in einem Bundesstaat in der Beziehung zwischen Bund und Ländern. Trotzdem ist die EU ja kein voll entwickelter Bundesstaat. Das haben wir ja schon in der letzten Folge gehört. Tatsächlich gibt es eine sehr lebendige Debatte darüber, ob die EU sich weiter in Richtung Bundesstaat entwickeln sollte oder eben nicht. Frau Velberg, vielleicht Sie zuerst, was spricht dafür, was spricht gegen eine Entwicklung der EU hin zu einer föderalen Union?
VELBERG: Ich denke, wir haben in den letzten Jahren während der verschiedenen Krisen, Stichwort Pandemie, gesehen, dass bestimmte Dinge einfach ein Mitgliedsstaat alleine nicht bewältigen kann, sondern die EU eine sehr große Hilfe ist. Zum Beispiel im Gesundheitsbereich. Es gibt ja auch die Debatte, Kompetenzen auszuweiten. Was immer zu beachten ist, ist natürlich das auch schon angesprochene Subsidiaritätsprinzip, beziehungsweise auch die Frage der demokratischen Legitimation. EU-Kompetenzen ausweiten mag in manchen Bereichen eine gute Sache sein, es gehört nur dieser Realitätscheck dazu und auch der Austausch aller Ebenen. Ich würde vielleicht auch noch ein Stichwort nennen. Es gab ja auch die Konferenz zur Zukunft Europas, in denen auch die Bürger und Bürgerinnen zu Wort kamen und erarbeitet wurde, was wichtig ist oder was sich wirklich die Bürger von der EU wünschen. Und auch hier gab es Vorschläge in gewissen Bereichen. Auch, dass die EU bei bestimmten Themen tätig wird. Ich denke, die Zukunft geht in Richtung mehr Integration, aber immer mit Berücksichtigung auf auch die Ebenen darunter.
LUKÁŠ: Danke. Und Sie, Herr Bogensberger? Was spricht für Sie gegen eine Entwicklung der EU hin zur föderalen Union, beziehungsweise was spricht dafür?
BOGENSBERGER: Ich bin hängengeblieben bei dem Wort, das Sie verwendet haben: Souveränität hergeben. Ich glaube nicht, dass Mitgliedstaaten Souveränität hergeben, sondern sie ganz pragmatisch, um ihre eigene Handlungsfähigkeit zu erhalten, mit anderen Staaten gemeinsam ausüben. Das klingt weniger reizvoll und ist wahrscheinlich sehr nahe an dem, was tatsächlich ist. Wenn ich jetzt vor der Handlungsfähigkeit stehe, wie kann ich wichtige Rohstoffe für meine Produktion sichern? Dann ist es einfach leichter, wenn man das im Kontext der Europäischen Union macht und nicht nur als einzelner Mitgliedsstaat, weil ich dann einfach nicht diese Verhandlungsmacht habe. Wenn ich Fragen habe, wie kann ich Forschung und Entwicklung bestmöglich vorantreiben, dann sind die mitgliedsstaatlichen Möglichkeiten sehr viel begrenzter, als wenn man das gemeinsam ausübt. Das heißt, ich vertrete eher die Ansicht, dass wir nicht Souveränität in den Mitgliedsstaaten abgeben, sondern dass die Mitgliedsstaaten bereit sind, bestimmte Souveränitätsschritte gemeinsam auszuüben, und das finde ich einen sehr sinnvollen Fortschritt. Ich glaube, dass dafür spräche, wenn wir ein bisschen auch unsere Verfasstheit anschauen, dass es manchmal auch sinnvoll wäre, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Die Europäische Union ist immer wieder getrieben von Krisen. Es gibt die Finanzkrise und die Bankenkrise, dann entwickelt man so etwas wie eine europäische Bankenaufsicht. Es gibt die Pandemie, eine exorbitante Gesundheitskrise, wo man dann feststellt, dass in Gesundheitsfragen die Europäische Union eigentlich überhaupt nichts zu sagen hat. Da haben sich alle Mitgliedsstaaten zusammengefunden und haben gesagt: „Bitte, Kommission, mach was. Entwickle, finanziere einen möglichst raschen Entwicklungsprozess, was Impfstoffe betrifft. Nimm den Firmen das Risiko ab, dass eine möglichst schnelle Produktion im Gang gesetzt werden kann.“ Diese Prozesse tauchen im europäischen Kontext immer wieder auf und führen dann zu Lösungen, recht pragmatisch. Aber irgendwann mal ist dann immer wieder der Zeitpunkt gekommen, wo man sagen muss, wie kann man das jetzt in ein zufriedenstellendes, rechtliches Gefüge einbetten? Es gibt einige Dinge, die dafür sind. Wo ich eigentlich jetzt sofort sagen würde, man könnte das ändern, ist, dass man bestimmte Dinge aus dem Einstimmigkeitsprinzip rausnimmt, wie zum Beispiel die europäische Außenpolitik. Wenn man das nur vergleicht: In einer Schule mit 27 Kindern wird in der Schule besprochen, wo soll der nächste Ausflug hingehen? Dann sind 24 Kinder, 25 Kinder, sehr schnell bei einer Lösung. Aber mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit sind zwei oder drei Kinder furchtbar dagegen. Das Ergebnis kann dann nicht sein, dass dann überhaupt nichts gemacht wird. Sondern das Ergebnis muss sein, dass man sich vielleicht sagt, diesmal machen wir das, und das nächste Mal versuchen wir, die zufriedenzustellen, die jetzt eben nicht zum Zug gekommen sind. Das ist, glaube ich, jetzt schon möglich, und das sollte auch gemacht werden. Je größer die Teilnehmerstaatenzahl ist, umso schwieriger wird es, mit dem Einstimmigkeitsprinzip umzugehen. Das sollte besser früher als später abgestellt werden in den Bereichen, die der Vertrag jetzt schon zusieht. Dagegen spricht allerdings, dass wir jetzt mitten in mehreren Krisen sind. Wir sind einer Nachfolgekrise von der Pandemie. Wir sind in der wichtigsten Krise der Menschheit, in der Klimakrise, die ein unbedingtes Handeln und unsere ganze Aufmerksamkeit erfordert. Wir sind in einer Energiekrise, wir sind in einer Teuerungskrise, also sehr viele Krisen zur gleichen Zeit. Ich glaube, dass wir jetzt unsere Kräfte bündeln müssen, uns mit diesen Krisen zu beschäftigen, und dass wir uns jetzt nicht verzetteln sollten auf eine Diskussion, die Strukturfragen betrifft, wo es derzeit noch keine Einigung gibt, die aber sehr viel an Kapazität und Energie wegnimmt. Jetzt ist einfach anderes Handeln wichtiger und im Vordergrund. Das versuchen wir gemeinsam mit allen Mitgliedsstaaten und den Bürgerinnen und Bürgern zu bewältigen. Und wenn das einmal gelingt, wirklich eine Phase wieder zu haben, wo wir dann von einer Krise nicht so getrieben sind, dann können wir sagen, was lernen wir daraus, und was brauchen wir an notwendigen Änderungen? Damit wir nicht Fehler, die wir in der Vergangenheit gemacht haben – und wir machen immer wieder Fehler – nicht wiederholen. Fehler machen ist kein Problem, aber die gleichen Fehler noch einmal zu machen ist ein Problem.
LUKÁŠ: Diese Worte nehme ich mit. Und ich nehme aus dem letzten Satz mit: Mögen Zeiten kommen, wo wir nicht von Krisen gebeutelt sind und uns strukturellen Problemen widmen können, um etwas um- und weiterzubauen und zu etwas Besserem zu entwickeln. Vielen Dank für dieses erhellende und lehrreiche Gespräch. Frau Velberg, Herr Bogensberger, danke, dass Sie uns durch Ihre Räumlichkeiten geführt haben. Danke für diesen gefühlt intimeren Abschluss hier in den Räumlichkeiten der Kommissare.
BOGENSBERGER: Vielen Dank, dass ich bei Ihnen sein konnte und wollen wir hoffen, dass die Zukunft Europas noch viele Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte tagen.
VELBERG: Dem stimme ich zu, und ich bedanke mich auch. Das war ein sehr interessantes Gespräch.
LUKÁŠ: Bei euch da draußen bedanke ich mich wie immer fürs Zuhören. Ich hoffe, ihr seid auch das nächste Mal wieder dabei. Dann werden wir mehr darüber erfahren, warum neben Regierungen und Ministerien auch Parlamente international diplomatisch aktiv sind und was sie dabei genau tun. Das alles im Gespräch mit meinen beiden Gästen: Petra Rund, Abteilungsleiterin für internationale Angelegenheiten der Parlamentsdirektion. Andererseits Helfried Carl, seines Zeichens ehemaliger Botschafter und außenpolitischer Berater der verstorbenen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer. Wenn euch diese Folge gefallen hat, dann empfehlt sie gerne weiter oder abonniert am besten gleich diesen Podcast. Dann verpasst ihr garantiert keine Folge mehr. Abonnieren könnt ihr uns überall, wo es Podcasts gibt, ob auf Spotify, Apple Podcasts, Google Podcasts, Deezer oder Amazon Music. Jede Menge Informationen und Angebote rund um das österreichische Parlament und zu unserer Demokratie findet ihr auf unserer Website www.parlament.gv.at und unseren Social-Media-Kanälen des Parlaments. Falls ihr Fragen, Kritik oder Anregungen zum Podcast, dann schreibt uns gerne eine E-Mail an podcast@parlament.gv.at. Ich freue mich schon auf die nächste Folge mit euch. In diesem Sinne sage ich vielen Dank fürs Zuhören. Mein Name ist Tatjana Lukáš, wir hören uns.
Jingle: Rund ums Parlament. Der Podcast des österreichischen Parlaments.