Jingle: Rund ums Parlament, der Podcast des österreichischen Parlaments.
Tatjana LUKÁŠ: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Rund ums Parlament", dem Podcast des österreichischen Parlaments. Mein Name ist Tatjana Lukáš und ich freue mich sehr, dass ihr wieder mit dabei seid. Wir sind weiterhin beim Thema Gesetze und in dieser Folge fragen wir uns, wie der Weg eines Gesetzes aussieht. Wer bringt den Stein ins Rollen? Welchen Weg nimmt ein Gesetz von der ersten Idee, und wer macht dabei eigentlich mit? Über diese Fragen spreche ich heute mit meinen beiden Gästen, Martin Hoffer.
Martin HOFFER: Hallo.
LUKÁŠ: Herzlich willkommen!
HOFFER: Grüß Gott.
LUKÁŠ: Dem Leiter des Rechtsdienstes ÖAMTC. Und dem Politikwissenschaftler Peter Biegelbauer.
Peter BIEGELBAUER: Guten Tag.
LUKÁŠ: Vielen Dank, dass Sie sich beide Zeit genommen haben, um mit uns rund ums Parlament zu spazieren. Wir stehen ja hier vor dem Haupteingang des Parlaments, wunderbare Säulen, aber wenn wir uns umdrehen in Richtung Ring, was sehen wir da? Vielleicht wollen Sie die Kulisse kurz beschreiben, Herr Hoffer?
HOFFER: Ein schöner Rücken kann auch entzücken. Wir sehen die Pallas Athene, die sich uns abwendet, aber sie wendet sich vielleicht der Stadt Wien oder dem Zentrum Wiens zu mit durchaus symbolischem Charakter. Sonst sehen wir hier viel Leben. Fußgänger:innen, Autos, Straßenbahnen.
BIEGELBAUER: Radelfahrer.
HOFFER: Rollerfahrer. Rollerfahrer, übrigens.
LUKÁŠ: Ja, Rollerfahrer übrigens, auf die werden wir heute auch noch zu sprechen kommen. Und auch auf die Autofahrer, denn der Verkehr rollt, und zwar in allen möglichen Varianten, die bereits genannt wurden. Autos, Straßenbahnen, Fahrräder, E-Scooter und natürlich: Die Fußgänger sind ebenfalls unterwegs. Deswegen nehmen wir uns heute auch das Thema Straßenverkehr besonders raus, weil es ist ein Thema, das eigentlich jeden betrifft, der irgendwann die Wohnung verlässt. Darf ich an dieser Stelle fragen, wie Sie hierhergekommen sind zum Parlament, Herr Biegelbauer, wie haben Sie den Weg hierher bestritten?
BIEGELBAUER: Ich bin mit dem Auto gekommen.
LUKÁŠ: Mit dem Auto. Sie fahren also mit dem Auto in der Stadt des Öfteren?
BIEGELBAUER: Ich bin selten in der Stadt, ich bin meistens eher in der Peripherie, und da hat der motorisierte Individualverkehr seine Vorteile.
LUKÁŠ: Speckgürtelbewohner?
BIEGELBAUER: Genau.
LUKÁŠ: Und Sie, Herr Hoffer?
HOFFER: Ich bin mit der U-Bahn gekommen. Unsere Zentrale ist ja hier direkt an der U3. Da drüben, ein paar Meter von uns, ist auch eine U3-Station. Das ist sogar ohne Umsteigen möglich. Ich bin wahrscheinlich der Prototyp dessen, der je nach Bedarf das eine oder andere Verkehrsmittel benutzt. Ich wohne auch ein bisschen weiter im zweiten äußeren Speckgürtel und habe aber eine sehr flexible Dienstgestaltung, auch was Homeoffice und dergleichen anbelangt, sodass ich sehr viel auch an Mobilität einsparen kann oder gezielt einsetzen für die Zwecke, wo es notwendig ist.
LUKÁŠ: Und das ÖAMTC hat ja einen Hubschrauberlandeplatz am Dach, also sind wirklich alle Optionen offen.
HOFFER: Ja, der ist allerdings nur für Verletzte vorgesehen. Da müsste ich vom Oberschenkelhalsbruch aufwärts mich verletzen. Das ist auf Dauer nicht so gesund.
LUKÁŠ: Ja, wunderbar, dann würde ich sagen, spazieren wir los und sprechen ein bisschen über Verkehrspolitik und Gesetze. Beginnen wir mit Ihnen, Herr Hoffer. Sie arbeiten für den ÖAMTC. Für die wenigen Menschen da draußen, die uns jetzt gerade begleiten und gar nicht wissen, was der ÖAMTC ist, sagen wir es nochmal: Das ist der Österreichische Automobil-, Motorrad- und Touringclub. Von diesem Club werden die Interessen von Auto- und Motorradfahrer:innen vertreten. Generell ist eines der zentralen Interessen des ÖAMTC die Verkehrssicherheit. Hier im ÖAMTC sind Sie Leiter der Rechtsdienste. Viele Worte. Vielleicht können wir kurz sagen, was Sie dort wirklich tun. Was ist Ihre genaue Aufgabe?
HOFFER: Der Ort des Geschehens, das Parlament, trifft einen Teil meiner Tätigkeit. Wir sind als freiwillige Interessensvertretung zwar nicht durch Gesetz, aber doch durch regelmäßige Übung zum Beispiel an der Gesetzgebung insofern beteiligt, als wir Gesetzesentwürfe bekommen, aber auch natürlich in der öffentlichen Diskussion hier und da Anregungen machen können oder Kritik äußern an Missständen, die dann im einen oder anderen Fall auch zu einem Gesetzgebungsprozess führen. Ich möchte abrundend sagen, wir sind nicht nur für Autofahrer und Motorradfahrer da, sondern gerade in den letzten Jahren hat sich die Öffnung zu anderen Mobilitätsformen durchaus als eine spannende Herausforderung dargestellt. Auch etwa Konflikte zwischen Radfahrern, Fußgängern, öffentlichem Verkehr im Straßenraum.
LUKÁŠ: Die es ja in der Stadt sehr viel gibt.
HOFFER: Die es gibt und die man auch nicht wegdiskutieren oder wegentscheiden kann. Die sind einfach da. Und da auch durch die Gestaltung sowohl der gesetzgeberischen Normen als auch technischer Normen über die Errichtung, Planung und die Gestaltung des Straßenraums dazu beizutragen, dass die Konflikte sich möglichst in Grenzen halten. Wegregeln kann man sie natürlich nicht und alle Eventualitäten vorwegnehmen kann man auch nicht. Man kann zumindest beraten. Das ist eine Funktion, die wir auch haben, die Rechtsberatung, die Mitgliederberatung im Einzelfall, die uns auch immer wieder das Futter gibt, um darzustellen, wo krankt es, wo gibt es Konflikte, wo gibt es Unfälle. Da sind wir jetzt genau bei der Verkehrssicherheit, die Sie vorhin angesprochen haben. Wo gibt es einen Handlungsbedarf und auch welche Möglichkeiten gibt es, um diese Konflikte möglichst schonend und auch gesellschaftsfähig zu lösen?
LUKÁŠ: Bevor wir jetzt zur spannenden Vita des Herrn Biegelbauer wechseln, habe ich noch eine Nachfrage. Sie sind ja seit vielen Jahren in Expertengruppen im Parlament und im Verkehrsministerium zum Thema Verkehr aktiv. Sie haben auch schon an mehreren Novellen in der Straßenverkehrsordnung mitgewirkt. Wann im Gesetzgebungsprozess kommen denn die Expertengruppen, wie zum Beispiel die Ihre, überhaupt ins Spiel?
HOFFER: Das kann man nicht so einfach punktuell beantworten. Es gibt mehrere Gruppen, die regelmäßig tagen. Da fällt mir zum Beispiel der Unterausschuss Radverkehr ein, das ist ein vom Umwelt- und Klimaministerium eingesetzter Ausschuss im Verkehrssicherheitsbeirat. Der tagt regelmäßig und sondiert. Wo gibt es Konflikte, wo gibt's Erfahrungen, auch aus der Vollzugspraxis, wo Änderungsbedarf besteht? Das wäre zum Beispiel ein sehr frühzeitiger Eintritt in die Gesetzwerdung oder Gesetzesplanung. Ähnlich ist es auch bei technischen Ausschüssen. Da bin ich zum Beispiel beim Ausschuss über die Gestaltung von Eisenbahnkreuzungen und auch die Regelungen dazu drinnen. Auch da gibt es nicht immer konkrete Gesetzesvorhaben oder Verordnungsvorhaben, sondern Probleme, die es zu lösen gilt, und wo man dann überlegt: Gehört das in die Verordnung? Gehört da vielleicht ein Gesetz geändert? Gibt's da technische Regeln, die Handlungsbedarf nahelegen?
LUKÁŠ: Also, Expertengruppen sind vielfach unterwegs und werden im Gesetzgebungsprozess konkret eingesetzt, wenn ich das so zusammenfassen kann?
HOFFER: Kann man sagen. Aber wir sind auch bisweilen Berater im Haus und werden dann auch in Ausschussberatungen, wenn es dann schon in sehr konkrete Phasen geht, miteinbezogen.
LUKÁŠ: Sehr gut, dann wende ich mich jetzt dem Herrn Biegelbauer zu, während wir auf das wunderschöne Wiener Rathaus zuspazieren. Der Platz, wie immer, bespielt. Das Rathaus hat nur 14 Tage im Jahr, wo der Rathausplatz frei ist. Wussten Sie das?
BIEGELBAUER: Nein, war mir nicht bewusst.
LUKÁŠ: Die restlichen Tage des Jahres ist er bespielt. Herr Biegelbauer, Sie sind Politikwissenschaftler und Sie forschen unter anderem am AIT, dem Austrian Institute Of Technology in Wien.
BIEGELBAUER: Ich arbeite, wie Sie richtig gesagt haben, am Austrian Institute Of Technology. Wir beschäftigen uns viel mit Infrastrukturtechnologien. Wir sind 1400 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die in verschiedenen Bereichen wie Energie, Mobilität, Human-Computer-Interaction, also die Schnittstelle zwischen Computer und zwischen Menschen, und anderen Themen arbeiten. Wir beraten sehr viel die österreichische Bundesregierung, andere Regierungen, die Europäische Kommission, die OECD und internationale Organisationen in diesen Bereichen und darüber hinaus.
LUKÁŠ: Herr Biegelbauer, aus Ihrer Erfahrung heraus zur Straßenverkehrsordnung: Auf welchen Wegen kann denn überhaupt der Gesetzesvorschlag in den Nationalrat eingebracht werden?
BIEGELBAUER: Grundsätzlich gibt es fünf verschiedene Wege, wie ein Gesetz in den Nationalrat kommen kann, von denen in Wirklichkeit nur zwei relevant sind. Im langjährigen Schnitt ist es vor allem die Regierungsvorlage. Nach Vorarbeit eines Ministeriums oder mehrerer Ministerien und nach einem Vorliegen eines Ministerratsbeschlusses, der einstimmig sein muss, werden im Schnitt 70 bis 75 Prozent der Regierungsvorlagen ins Parlament hineingebracht. Du hast dann ungefähr im langjährigen Schnitt 20 Prozent der Gesetzesvorschläge, die reinkommen über Initiativanträge. Das bedeutet, dass wenigstens fünf Mitglieder des Nationalrates diesen Antrag unterstützen müssen, der kommt dann nachher ins Plenum. Ich habe es extra nachgeschaut für den Podcast: In den letzten Jahren hat sich das verändert, nämlich mit der Beamtenregierung, die wir hatten, und auch in der laufenden Legislaturperiode mit der letzten Regierung, die aufgrund von Covid beide, beziehungsweise die vorher, weil sie keine Mehrheit im Parlament hatten, verstärkt auf Initiativanträge gesetzt haben. Das heißt, es gibt in diesen letzten vier Jahren viel mehr Initiativanträge, die direkt aus dem Parlament kommen, als das vorher der Fall war. Das verändert die Zahlen. Wir haben jetzt zwei Drittel der Anträge von der Regierung heraus, Regierungsvorlagen, und 25 Prozent haben wir Initiativanträge. Und gibt es noch ein paar Fälle, acht Fälle, in den letzten 25 Jahren, wo ein dritter Weg relevant geworden ist, wo wenigstens ein Drittel des Bundesrats einen Gesetzesvorschlag gemacht hat, der in den Nationalrat reingekommen ist. Die anderen Wege sind nicht eingetreten.
LUKÁŠ: Wir kommen nun zu den drei Fragen, die wir jedem unserer Gäste stellen, um unsere Gäste besser kennenzulernen. Ich beginne mit Ihnen, Herr Biegelbauer. Erste Frage: Frühling oder Herbst?
BIEGELBAUER: Ich bin Wissenschaftler. Sie können nicht von mir verlangen, dass ich eine einfache Antwort darauf gebe. Ich muss noch zuerst festlegen, was Sie genau meinen.
LUKÁŠ: Mit Frühling und Herbst?
BIEGELBAUER: Unter welchen Bedingungen? Welcher Frühling? Welcher Herbst?
LUKÁŠ: Wir sprechen über Frühling und Herbst inmitten der Klimakrise. Es ist 2023. Welche Jahreszeit war Ihnen lieber?
BIEGELBAUER: Ich bin für den Sommer.
LUKÁŠ: Okay, so antwortet die Wissenschaft. Kompromiss oder beste Lösung?
BIEGELBAUER: Als österreichischer Politikwissenschaftler muss ich ehrlich sagen, dass ich den Kompromiss oft für die beste Lösung halte, langfristig.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie Demokratie an?
BIEGELBAUER: Demokratie fängt für mich dort an, wo ich mich beginne, dafür zu interessieren, was der, der mir gegenübersteht, denkt und ihn auch danach frage.
LUKÁŠ: Vielen Dank. Lieber Herr Hoffer, Sie bekommen dieselben Fragen serviert. Ich bin gespannt, was Sie sagen zu Frühling oder Herbst.
HOFFER: Frühling, ganz einfach. Ist eine sympathische Jahreszeit.
LUKÁŠ: Das stimmt. Kompromiss oder beste Lösung?
HOFFER: Es gibt niemanden, der im Entscheidungszeitpunkt weiß, was die beste Lösung ist. Es behauptet jeder für sich. Und die, die das behaupten, werden in der Regel gezwungen oder geben sich in der Regel demokratisch die Aufgabe, einen Kompromiss zu finden. Daher sehe ich hier keinen Widerspruch.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie Demokratie an?
HOFFER: Bei jedem einzelnen, der bereit ist, Meinung einzubringen, aber auch Meinung anderer zu akzeptieren und entsprechend auch die Regeln der Demokratie mit all ihren Facetten zu akzeptieren und danach dann auch zu handeln oder auch nicht zu handeln.
LUKÁŠ: Vielen Dank. Dann gehen wir damit zurück zum Thema. Der am häufigsten gewählte Weg ist also, das haben wir gerade gehört, die Regierungsvorlage. Die wird von Ministerinnen und Ministern, beziehungsweise von Beamtinnen und Beamten in den Ministerien erstellt. Die Beamtenschaft, wollen wir hier festhalten, spielt also eine sehr große Rolle in der Gesetzgebung. Die Frage werfe ich jetzt in den Raum. Spielt die Beamtenschaft eine größere Rolle als wir denken?
BIEGELBAUER: Im vorparlamentarischen Raum wahrscheinlich schon, weil der Zeitpunkt, wo ein Gesetzesvorhaben diskutiert wird, üblicherweise dann beginnt, wenn ein Gesetz in Richtung Parlament geht. Der Teil der Gesetzgebung, wo man schon im Vorhinein einen ersten Entwurf erstellen muss, der dann zuerst zur Probe gestellt werden muss in einem Begutachtungsverfahren, wo dann Interessensvertretungen wie der ÖAMTC, aber auch die Länder und Experten und Expertinnen des jeweiligen Bereichs eingeladen werden – das ist erst später. Zuerst beginnt man damit, dass man in einem Ministerium Beamten und Beamtinnen beauftragt von Seiten des Ministers üblicherweise und sagt: "Wir haben folgendes Vorhaben. Wir haben das Ziel, erstellt mir einen Vorschlag." Die beginnen dann, eine Arbeitsgruppe zusammenzustellen aus Leuten aus dem eigenen Haus und aus anderen Ministerien. Sie erstellen den Vorschlag auch schon unter Einbeziehung von Interessensgruppen, die man für spezialisiert hält und die ein Wissen haben zu einem bestimmten Politikbereich, wo man erwarten kann, dass dieses Wissen in diesem Prozess gut zum Tragen kommen kann.
LUKÁŠ: Beamtenschaft ist wichtig, aber wir haben ja schon gehört, es gibt ja auch andere Wege. Jetzt spielen wir das ganze Mal an einem Beispiel durch, nämlich an der Helmpflicht für E-Scooter-Fahrer:innen. Ebenfalls heißt diskutiert. Die gibt es derzeit nicht, aber es ist denkbar, dass sie kommt, wenn man sich mal die Unfallstatistik zum Beispiel anschaut. Laut Statistics Austria gab es 2020 bundesweit 1300 Verunfallte, die im Spital behandelt werden mussten. 2021 ist die Zahl auf 2700 angestiegen, also mehr als doppelt so viele. 2022 waren es 3600, wovon vier Leute nicht nur im Krankenhaus gelandet sind, sondern ums Leben gekommen. Man muss sagen, es fahren einfach generell viel mehr Leute mit dem E-Scooter. Sie trauen sich auch, damit in der Stadt unterwegs zu sein und ihn auszuleihen. Auch das ist sicher ein Grund, warum die Zahlen steigen. Aber es ist ein klarer Trend erkennbar, und nun fordert tatsächlich der Verein Kuratorium für Verkehrssicherheit die Helmpflicht für E-Scooter-Fahrer. Jetzt stelle ich die Frage an Sie beide: Wie würde ein möglicher Weg aussehen, auf dem die Helmpflicht zum Gesetz werden könnte?
HOFFER: Da kann ich ein oder zwei konkrete Beispiele dazu liefern. Natürlich, jeder Vergleich hinkt bekanntlich, aber es ist trotzdem im Bereich der Helmpflicht angesiedelt. Das eine war Ende der 70er-Jahre die stufenweise Einführung der Motorradfahrerhelmpflicht. Da hat man zunächst einmal dem Umstand Rechnung getragen, dass etwas gesetzlich passieren musste. Man hat es aber zuerst einmal für einige Jahre darauf beschränkt, demjenigen, der verunfallt ist und eine Verletzung hatte, die mit dem Helm entweder vermieden werden hätte können oder schwächer ausgefallen wäre, eine Reduktion seiner Schmerzensgeldansprüche im Gesetz anzudrohen. Das hat dazu geführt, dass manche Anteile ihrer Ansprüche dann umgefallen sind. Und einige Jahre später hat man es dann auch mit einer Verwaltungsstrafe verknüpft, die auch seit circa 30, 40 Jahren inzwischen Geld einlässt. Das andere Beispiel, das meiner Ansicht nach noch viel treffender ist für diese Frage, ist die Helmpflicht, die die Rechtsprechung herausgearbeitet hat für Rennradfahrer. Es ist passiert, ein Unfall im Hintereinanderfahren, leicht versetzt, unter Einhaltung eines sehr knappen Abstandes, das sogenannte Windschattenfahren. Der Hintere ist gestürzt und hat sich eine Kopfverletzung zugezogen. Es war dann die Frage nach der Verschuldensteilung. Jedenfalls hat er dadurch, dass er keinen Helm getragen hat, sich ein Mitverschulden an dieser Verletzungsfolge anrechnen lassen müssen, weil er hätte wissen müssen, dass Rennradfahren ohne Helm einfach zu gefährlich ist. Das heißt, hier war kein Gesetz da, das diese Verpflichtung festgelegt hätte, sondern einfach die allgemeine Lebenserfahrung, die dann dazu geführt hat, dass die Rechtsprechung so geurteilt hat. Was meine ich damit? Es gibt auch Wege, dass sich aus der Rechtsprechung ein Klarstellungsbedarf für den Gesetzgeber ergibt, wo dann auch wieder der übliche Mechanismus natürlich in Gang gesetzt wird: Dass man versucht, das, was vielleicht schon Rechtsprechungsgeltung ist, so zusammenzufassen, dass das allgemein publizierbar ist und zu einer Norm wird, die dann jeder auch wo nachlesen kann. Ich möchte nur das vom Herrn Professor noch kurz adaptieren. Es wäre schön, in manchen Fällen, wenn die Beamten mehr Mitspracherecht hätten. Nicht so sehr, weil sie das Bewahrende als besonders toll in den Vordergrund stellen, aber weil sie vielleicht doch eine gute Übersicht darüber haben, welche Gesetzesbestimmungen es schon gibt, und wie man neue, ergänzende so schaffen sollte, dass sie nicht in Konflikt, in unerwartete oder unbeabsichtigte Konflikte mit dem bestehenden Recht kommen.
LUKÁŠ: Herr Biegelbauer, wenn Sie jetzt zugehört haben: Ist dieser Ablauf in Österreich genauso vorgeschrieben, also selbst irgendwie gesetzmäßig festgelegt?
BIEGELBAUER: Ist er an sich nicht. Ich würde noch gerne was anderes dazu sagen. Eine Art und Weise, wie wir häufig Ministerien unterstützen: Wir machen Studien. Das ist auch ein Weg, wie du zu einem Gesetz kommen kannst. Was ein übliches Vorgehen ist, du schaust entweder in die Vergangenheit und schaust, wie das jetzt gerade dargestellt worden ist, was ist denn an ähnlichen Gesetzesvorhaben schon gemacht worden, und wie? Wie haben die sich bewährt oder auch nicht?
LUKÁŠ: In anderen Ländern zum Beispiel?
BIEGELBAUER: Zuerst kannst du ins eigene Land schauen, kannst du evaluieren, was ist passiert, was war schlau, was war weniger schlau. Und dann würde es sich anbieten, noch in andere Länder zu schauen, die vielleicht vergleichbare Rechtssysteme haben. Vergleichbare Verkehrsproblematiken haben wie bei uns. Aus dem zu lernen, was du dort vorfindest. Das ist auch tatsächlich etwas, was Ministerien häufig machen als Grundlage für weitere Überlegungen. Der Prozess selber ist eigentlich im vorparlamentarischen Raum nicht geregelt, was aus meiner Sicht auch gar nicht sein muss. Eigentlich versuchst du ja nur, möglichst viel Fachexpertise zusammenzukriegen, im Normalfall, um einen ersten Entwurf zu schreiben, der auch eine Chance hat, das Begutachtungsverfahren auf der einen Seite und später dann die Abstimmungen im Parlament zu überleben. Das heißt, es hat ja niemand ein Interesse daran, einen Gesetzesvorschlag zu produzieren, der dem nicht standhalten kann. Deswegen musst du auch, aus meiner Sicht, nicht festhalten, wer wann wie einzubinden ist in diesem vorparlamentarischen Verfahren, weil ja ohnehin dann das offizielle Begutachtungsverfahren kommt, wo üblicherweise vier bis sechs Wochen Zeit ist, in denen bestimmte Interessensvertreter die Interessen von Ländern und anderen Sozialpartner einbinden. Dann beginnt es eigentlich erst, im Parlament interessant zu werden. Die Diskussionen beginnen ja eigentlich erst später im Parlament.
LUKÁŠ: Genau. Um den Streit zu vermeiden, treffen sich ja oft die gegnerischen Parteien in der Milchbar, die hinter dem Nationalratssaal gelegen ist. Sind Sie da auch manchmal dabei bei diesem Treffen in der Milchbar oder ist es dann wirklich den Abgeordneten vorbehalten?
HOFFER: Das kann man so einfach und plakativ nicht sagen. In Koalitionsregierungen, und die haben wir jetzt schon seit einigen Jahren und Jahrzehnten, passiert es ein bisschen anders. Da haben nicht die Parlamentarier die Rolle, sich etwas auszudealen, sondern zunächst einmal die beiden oder mehreren Regierungsparteien, einen Konsens zu finden. Das heißt, wir haben, abgesehen vom parlamentarischen Gesetzgebungsprozess, eine sehr intensive, aber mitunter auch nicht sehr öffentlichkeitswirksame Phase, wo die Koalitionspartner unter Einbeziehung des jeweiligen Fachministeriums, aber auch eines sogenannten Spiegelministeriums, das dem Koalitionspartner in einem korrespondierenden Ressort zusteht, einmal bei einem Entwurf abstimmen. Das Zweite, was sich leider in der Praxis gezeigt hat, so idealistisch der Herr Professor das Begutachtungsverfahren auch dargestellt hat: Ich habe schon mehrere Gesetzesnovellen erlebt, wo noch vor Ende oder am nächsten Tag nach Ende des Begutachtungsverfahrens schon der fertige Gesetzestext festgestanden ist, und so gut wie alle, auch konstruktiven, Anmerkungen aus den Begutachtungsverfahren ignoriert worden sind. Das kann man nicht den Beamten zum Vorwurf machen, sondern das muss man denen zum Vorwurf machen, denen es nicht schnell genug gehen kann. Da geht sehr viel an Qualität verloren, was von kompetenten Fachexperten, die jetzt gar nicht so sehr ideologisch und politisch determiniert sind, vorgelegt wird und die dann irgendwann auch frustriert sind, weil sie sagen: Das ist es gescheiter, ich schreibe nachher einen bösen Fachartikel in einem Fachmagazin, als mich im Begutachtungsverfahren jetzt besonders zu zu exponieren.
BIEGELBAUER: Das kommt wirklich vor, dass das Begutachtungsverfahren nicht sehr viel Effekt hat. Das ist häufig bei hochpolitisierten Themen der Fall. Dann, wenn die Regierung oder insbesondere ein Regierungspartner, der sich durchsetzt in einer bestimmten Frage, unbedingt eine bestimmte Lösung haben will. Weil vorher versprochen, weil vollkommen davon überzeugt. Das gibt es, ist an sich auch möglich. Es gibt kein Gesetz, wo drinnen steht, du musst die schlausten Vorschläge mitbedenken in jedem Gesetzesvorhaben. Obwohl es natürlich manchmal schlau wäre, ein bisschen genauer hinzuhören. Das ist schon richtig.
LUKÁŠ: Jetzt gibt es neben den Regierungsvorlagen und Initiativanträgen auch die Möglichkeit, dass die Bürgerinnen und Bürger mit einem Anliegen an die Gesetzgebung selbst herantreten, nämlich mit einem sogenannten Volksbegehren. Wollen wir, bevor wir dann zur letzten Frage kommen und mit unserem Spaziergang wieder vor dem Parlament enden, nur ganz kurz erklären, wie funktioniert das genau, ein Volksbegehren? Wie reicht man das ein? Kann das jeder tun? Wie viele Unterstützerstimmen braucht man? Vielleicht macht man das ganz kurz mal auf, damit unsere Hörerinnen und Hörer, wenn sie ein Anliegen haben, sich diese Option überlegen können.
BIEGELBAUER: Das Volksbegehren ist das erfolgreichste Instrument der direkten Demokratie in Österreich. Erfolgreich in jenem Sinn, dass es sehr viele davon gibt und auch einige Gesetze davon tatsächlich beeinflusst wurden. Entweder man hat darüber nachgedacht, die auf eine bestimmte Art und Weise nachher zu machen, oder überhaupt das Thema erst einmal auf das Tablett zu bringen. Es ist gleichzeitig ein nicht sehr erfolgreiches Instrument der direkten Demokratie, weil es einfach unendlich viel mehr Volksbegehren gegeben hat im letzten Jahrzehnt als es tatsächlich Gesetzesvorhaben dann gegeben hat, die ernsthaft betrieben wurden im Parlament. Grundsätzlich muss die Regierung oder muss das Parlament, der Nationalrat noch genauer, ein Volksbegehren debattieren im Plenum und auch in einem Ausschuss, wenn es wenigstens 100.000 Unterstützungsstimmen erhält. Das bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass das dann jedes Mal auch ernst genommen wird von den Parlamentariern. Manchmal ist das möglicherweise auch sinnvoll. Manche Texte sind wirklich ein bisschen abstrus. In anderen Fällen würde man sich wünschen, es hätte doch eine Chance.
LUKÁŠ: Man wird zumindest mal gelesen, gehört, und das Anliegen wird wahrgenommen. Was dann damit passiert, steht dann in den politischen Sternen, kann man sagen.
HOFFER: Und in den stenografischen Protokollen des Parlaments. Das heißt, wer sich wirklich intensiv mit dem Geschehen, auch mitunter ein bisschen kabarettistisch, befassen möchte, findet da drinnen schon einige schöne Stilblüten
HOFFER: Ein paar Schmankerl.
HOFFER: Ich habe jetzt nichts präsent, aber zum Teil nicht erlaubte Dinge.
LUKÁŠ: Jetzt sind wir fast da. Die Ampel steht auf Grün, aber ich würde sagen, wir gehen so langsam, dass sie noch einmal rot schalten kann, damit wir unsere letzte Frage noch unterbekommen. Die Medien spielen ja keine unbedeutende Rolle, auch nicht beim Gesetzgebungsprozess, beziehungsweise beim Beeinflussen der öffentlichen Meinung. Sie werden natürlich auch von Politikern und Politikerinnen benutzt. Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach die Medien beim Gesetzgebungsprozess?
BIEGELBAUER: In einer Demokratie soll es ja eigentlich auch gehen um die Meinung der Öffentlichkeit oder der Bevölkerung. Da es für Politiker nicht möglich ist, mit jedem einzelnen, der in Österreich lebt, dauernd und auch gleichzeitig vor allem zu sprechen, spielen die Medien automatisch eine wesentliche Rolle, weil sie ein Transmissionsriemen ins Parlament sind. Es ist eine Diskussionsplattform.
HOFFER: Ich möchte schon den Medien eine durchaus bedeutende Rolle, nicht so sehr nur als Forum der Politiker und der Politik, zusprechen, sondern auch als Möglichkeit für den einzelnen sich etwa in besonders berührenden oder unfairen Fällen auch an die Öffentlichkeit zu wenden. Es ist gerade aktuell zum Beispiel ein schwerer Verkehrsunfall in Salzburg mit einem tödlichen Ausgang Ursache für drei sogenannte Raser-Novellen gewesen. Da hat es einen öffentlich gemachten Druck gegeben, der in diesem Fall sogar noch von der Politik unterstützt wurde. Das ist das eine. Das andere ist, ich bin selber öfter in einem Konsumenten- und Bürgerrechtsmagazin des ORF als Gast eingeladen und habe da immer wieder auch die Möglichkeit, Fälle vorzutragen oder zu kommentieren, wo Bürgerinnen und Bürgern Unrecht passiert ist. Was zum Teil auch auf unpassende Gesetze oder zumindest Vollzugsdefizite in der Behördenpraxis zurückzuführen sind oder Gerichtspraxis. Das führt das eine oder andere Mal dazu, dass jemand aufgerüttelt wird und das am Ende des Tages sogar ein Gesetzgebungsprozess zur Korrektur solcher Fehler in Bewegung setzt.
LUKÁŠ: Ich habe das Gefühl nach unserem Spaziergang, dass viele Fragen Gegenstände berührt haben, aber das auch noch ganz viel offen ist. Jetzt erlaube ich mir, Sie beide zu fragen: Hätten Sie irgendwelche Tipps, wenn die Hörerinnen oder Hörer sich tiefer in diese Materie einarbeiten wollten? Ein Buch, eine Website, irgendetwas, das wir mit in die Show-Notes nehmen könnten, wo man noch ein bisschen tiefer tauchen kann?
BIEGELBAUER: unsereverfassung.at – Das ist eine Homepage, die ein paar Leute vor ein paar Jahren zusammengestellt haben, um grundsätzliche Themen rund um Politik möglichst in einer normalen Umgangssprache darzustellen und in vielen verschiedenen Sprachen.
LUKÁŠ: Sehr gut, vielen Dank. Das klingt super. Hätten Sie auch noch was beizusteuern?
HOFFER: Ja, aber ganz was anderes, wenn es um ein verkehrsrechtliches Thema geht. Wir können nicht alles publizieren. Wir kommen auch immer wieder an die Grenze, sowohl von Kapazitäten als auch von qualitativen Unterschieden.
LUKÁŠ: Beim ÖAMTC?
HOFFER: Etwa im Bereich des Verkehrs- und Konsumenten- und Reiserechtsschutzes: Einfach in die Tasten greifen und uns eine Mail schicken. Wir werden uns bemühen, auch Unterlagen, die uns zur Verfügung stehen, die man vielleicht nicht A priori publiziert, aber die publikationsfähig sind, auch weiterzugeben und zu kommentieren. Das ist jetzt vielleicht kein Massensupport, aber es gibt dafür dem einzelnen die Möglichkeit, Hintergründe zu erfahren. Wir haben oft genug Zuschriften, wo jemand sagt, was tut der Club dagegen, und warum habt ihr nicht? Und dann können wir vielleicht erklären: Was haben wir sehr wohl getan? Was ist sehr wohl erreicht worden? Was ist vielleicht gar nicht wahr von dem, was der jeweilige Zuschreibende meint? Da können wir auch einiges an Aufklärungsarbeit leisten.
LUKÁŠ: Super! Dann haben wir eine umfassende Informationsseite auf zugänglichem Sprachniveau in vielen Sprachen. Sehr gut. Und auch persönlich kann man dem Herrn Hoffer schreiben, wenn man Fragen zur Verkehrsgesetzgebung hat.
HOFFER: Wo ich kann, beantworte ich selbst oder gebe es weiter.
LUKÁŠ: Ja, wunderbar, das nehmen wir gerne an, das Angebot. Wie gesagt, in unseren Shownotes kann man das alles nachlesen und dann auf diese Seiten und E-Mail-Adressen zugreifen. Herr Biegelbauer, Herr Hoffer, vielen Dank für das Gespräch, dass Sie sich Zeit genommen haben und diese Meter durch die Innenstadt mit uns spaziert sind. Vielen Dank.
HOFFER: Dankeschön.
BIEGELBAUER: Ja, Danke, hat Spaß gemacht!
HOFFER: Das schönste war der Geruch des Christkindl-Marktes.
LUKÁŠ: Die Maroni!
LUKÁŠ: Die Maroni, die Zuckerwatte. Das war's dann auch schon wieder mit dieser Folge. Ich hoffe sehr, sie hat euch gefallen und, dass ihr schon gespannt seid auf die nächste Folge. Ich bin es jedenfalls, denn dann treffe ich die ehemalige Dritte Präsidentin des Nationalrates und Gründerin des Liberalen Forums, Heide Schmidt. Und den ehemaligen Nationalratsabgeordneten und früheren SPÖ-Klubobmann Josef Cap. Mit ihnen spreche ich ausführlichst über den parlamentarischen Prozess, also darüber, wie im Parlament Gesetze entstehen. Und darüber, warum das so ist. Wenn ihr diese und alle weiteren Folgen von "Rund ums Parlament" nicht verpassen wollt, dann abonniert uns einfach auf Spotify, Apple Podcasts, Google Podcasts, Deezer oder Amazon Music. Und wenn ihr mögt, da freuen wir uns sehr, gebt uns dort auch eine gute Bewertung. Falls ihr Kritik, Fragen oder Anregungen zum Podcast habt, dann schreibt uns gerne eine E-Mail an podcast@parlament.gv.at und vergesst nicht, auch mal auf der Website und den Social-Media-Kanälen des österreichischen Parlaments vorbeizuschauen. Dort findet ihr nämlich jede Menge Informationen und auch aktuelle Angebote rund um das österreichische Parlament und zu unserer Demokratie. Also, ich freue mich schon auf die nächste Folge mit euch und unseren Gästen. In diesem Sinne sage ich vielen Dank fürs Zuhören. Mein Name ist Tatjana Lukáš. Wir hören uns.