Jingle: Rund ums Parlament, der Podcast des österreichischen Parlaments.
Tatjana LUKÁŠ: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Rund ums Parlament", dem Podcast des österreichischen Parlaments. Mein Name ist Tatjana Lukáš, und ich freue mich sehr, dass ihr wieder zuhört. Dieses Mal wollen wir uns anschauen, wie der parlamentarische Prozess bei der Gesetzgebung aussieht und warum wir überhaupt ein Parlament brauchen, um über Gesetze zu entscheiden. Dieser und anderen spannenden Fragen wollen wir heute nachgehen. Wen es genauer interessiert, was passiert, bevor ein Gesetz im Parlament einlangt oder dort entsteht, dem empfehle ich unsere letzte Folge von "Rund ums Parlament". Da haben wir nämlich darüber gesprochen, wie der Stein ins Rollen gebracht wird, also woher die Initiative zu einem Gesetz kommen kann. Heute befinden wir uns an einem meiner Lieblingsorte im Parlament, in der Bibliothek, einer wahren Schatzkammer für die parlamentarische Arbeit. Hier stehen nämlich sehr viele Werke, die den politischen Diskurs und die Gesetzgebung beeinflusst haben, denn die Bibliothek ist ein wichtiger Informationsservice für die parlamentarische Arbeit. Ihr Archiv beherbergt auch die Dokumente der parlamentarischen Arbeit aus allen möglichen vergangenen Phasen der Gesetzgebung. Heute soll es genau darum gehen. Wie schaut dieser parlamentarische Prozess genau aus? Warum ist er so wichtig, und was passiert genau, wenn Abgeordnete im Parlament an Gesetzen arbeiten? Dazu darf ich zwei Personen im Podcast begrüßen, die diese Abläufe ganz genau kennen. Beide waren als Abgeordnete aktiver Teil dieses Prozesses. Herzlich willkommen, Heide Schmidt und Josef Cap.
Heide SCHMIDT: Hallo.
Josef CAP: Hallo.
LUKÁŠ: Wir dürfen gleich verraten, von Ihnen beiden gibt es Bücher im Magazin, die wir vielleicht noch ausheben lassen im Laufe dieses Podcasts, mit denen Sie diese Bibliothek bereichern. Dürfte ich gleich eingangs fragen, vielleicht Sie, Frau Schhmidt: Welches Buch haben Sie verfasst, das im Magazin schlummert?
SCHMIDT: Ich gestehe, ich habe noch nicht nachgeschaut, ob es da ist, aber ich habe erst eines geschrieben. Über mich gibt es ein paar, aber ich habe eins geschrieben, und das heißt "Ich seh das so". Da setze ich mich mit demokratiepolitischen Fragen auseinander.
LUKÁŠ: Da höre ich im Hintergrund als Podcasterin ein Fußstampfen. Das klingt sehr bestimmt, als würde eine Faust auf den Tisch hauen.
SCHMIDT: Das weiß ich nicht. Dieses Bild passt nicht wirklich zu mir, aber es kann vorkommen.
LUKÁŠ: Und Herr Cap, welche Bücher haben Sie verfasst?
CAP: Eines war gegen die schwarz-blauen Irrungen und Wirrungen, wo damals Schüssel dafür gesorgt hat, dass es diese schwarz-blau-Regierung gegeben hat. Der damalige Parlamentspräsident Andreas Kohl war ganz stolz – "Der Marsch durch die Wüste Gobi!" – es ist den Schwarz-Blauen gelungen, für Österreich solche Errungenschaften zu erreichen. Und ich habe dem natürlich detailliert in allen Bereichen widersprochen und habe dann gesagt, Kamele können nicht fliegen. Und so war es auch. Sie sind am Start, am Beginn der Wüste hängengeblieben. Zu ihrem Glück, denn es hätte sowieso kein Wasser für sie gegeben. Und das zweite war "Kein Blatt vor dem Mund", wo ich dann am Ende meiner parlamentarischen Tätigkeit einen kurzen Rückblick, einen kritischen Rückblick gemacht habe. Das ist ja das, was am beliebtesten ist.
LUKÁŠ: Alle drei sehr schmissige Titel, die sofort reinziehen. Gut gewählt, kann man sich in der Parlamentsbibliothek anschauen, das haben wir vorhin schon nachgefragt. Frau Schmidt, darf ich Sie ganz kurz vorstellen in aller Kürze? Wir machen eine kleine Zeitreise zurück ins Jahr 1990, da waren Sie Abgeordnete im Nationalrat für die FPÖ. Wenige Jahre später, 1993, beschlossen Sie, mit anderen Politiker:innen das Liberale Forum zu gründen aufgrund unterschiedlicher Auffassungen zu denen der FPÖ. Und eigentlich sind Sie aber studierte Juristin. Wenn Sie jetzt noch einmal wählen dürften, würden Sie lieber über die Auslegung von Gesetzen als Teil der Justiz entscheiden oder die Gesetze selbst mitgestalten?
SCHMIDT: Das hat beides einen unglaublichen Reiz und man hat das Gefühl, man tut etwas Sinnhaftes damit. Ich habe meinen Berufsweg eigentlich nie bereut bei so manchen Frustrationsstrecken, aber es hat gelohnt.
LUKÁŠ: Sie würden sich gar nicht für das eine oder das andere entscheiden wollen, würden Sie nochmal können?
SCHMIDT: Nein, das Schöne ist, dass ich in meinem Berufsleben die verschiedensten Facetten gehabt habe. Ich habe einerseits als Juristin in der neu gegründeten Volksanwaltschaft gearbeitet und habe dort gesehen, wie sich die Gesetze auswirken auf die Bevölkerung, weil die direkt gekommen ist mit ihren Anliegen, mit ihren Beschwerden. Und zwar auch Gesetze, die ich vorher im Unterrichtsministerium mitgestaltet habe. Ich war in der Legistik und habe dort an der Gesetzwerdung unmittelbar gearbeitet. Dann habe ich die Auswirkung gesehen, und dann habe ich gefunden, es wäre ein guter Abschluss für dieses Denken, dann im Parlament mitzugestalten. Das heißt, die Bandbreite ist befriedigend gewesen.
LUKÁŠ: Bevor ich den Herrn Cap vorstelle, würde ich gerne noch eine Frage anschließen. Warum gibt es bei der Gesetzgebung überhaupt den parlamentarischen Prozess? Weil es könnten ja eigentlich auch Expertinnen, würde man sich gemeinhin denken, über die Gesetze entscheiden. Also warum ist es so wichtig, Volksvertreter:innen zu wählen?
SCHMIDT: Auch unter den Volksvertreter:innen gibt es glücklicherweise Experten und Expertinnen, und diese Kombination ist natürlich das Ideal. Aber grundsätzlich geht es ja um ein Gesellschaftsbild nach dem man die Spielregeln gestalten will. Es geht nicht nur um die Professionalität, es geht darum, in welche Richtung gehe ich mit der Professionalität? Und daher ist für mich immer dieses, sobald man sich über Politikerinnen und Politiker ärgert, der Satz, dass man doch lieber mit Experten regieren möchte, eine sehr eingeschränkte und undemokratische Sicht der Dinge. Denn Experten wissen zwar, was geht und wie es geht, aber wohin es geht ist eine politische Entscheidung. Das ist der Grund, warum wir eine Volksvertretung brauchen, weil die sollte den Willen der Bevölkerung repräsentieren und sollte im Sinne ihrer Programmatik, ihrer Vorstellung von Gemeinwohl dann die Spielregeln erarbeiten. Das sind die Gesetze. Ohne eine solche Volksvertretung haben wir keine Demokratie und haben wir daher auch keine Mitsprache der Bevölkerung.
LUKÁŠ: Vielen Dank dafür. Herr Josef Cap, Sie waren 34 Jahre lang Abgeordneter im Nationalrat für die SPÖ. Unter anderem haben Sie auch die Leitung des Karl-Renner-Instituts innegehabt. Was tun Sie denn jetzt eigentlich?
CAP: Ich müsste mal vorausschicken, ich bin gegen den Willen der SPÖ 1983 mit 62457 Vorzugsstimmen ins Parlament gewählt worden und war dann eben über 34 Jahre im Parlament und war 14 Jahre Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten, vorher Bundesgeschäftsführer. Das heißt ich habe ein bisschen Insiderwissen, wie das alles vor sich geht. Ich komme zu dem Schluss, ein Abgeordneter muss den Willen des Volkes vertreten im Rahmen seines Wertegebäudes natürlich und des Grundkonsens der Demokratie. Und da ist es wichtig, dass der Abgeordnete aber dann auch wirklich beteiligt wird. Nicht, dass Beamte das schreiben oder die Regierung allein das macht, sondern da müssen die Abgeordneten dabei sein schon im Entstehen von Gesetzen. Das ist das Wichtigste. Das war etwas, was wir damals durchgesetzt haben in der Zeit, in der ich Klubobmann war. Jetzt bin ich nach wie vor ein interessierter Kommentator und, wenn es geht, auch Gestalter der weiteren Zukunft in Österreich im kleinen, bescheidenen Ausmaß.
LUKÁŠ: Jetzt ist mir eine Frage aufgetaucht, während Sie gesprochen haben. Im Zeitalter vor Social-Media, und wir haben ja viele junge Hörerinnen und Hörer, wie hat man es da geschafft, so viele Stimmen zu bündeln, um diesen Einzug ins Parlament selbst zu bewerkstelligen?
CAP: Das war ganz schwierig und ganz schlecht. '83 hat es noch nicht einmal Fernsehübertragungen gegeben. Da hat jeder gesagt: "Was macht der eigentlich da drinnen?". Das war die erste Schwierigkeit und die zweite – mit Social-Media ist es eine Erleichterung gewesen, weil man dadurch mitteilen konnte, unabhängig von der Bereitschaft von Einrichtungen, die elektronisch oder printmedial berichtet haben, dass im Parlament trotzdem deine Ideen und Vorstellung weitergegeben werden. Das war eine Erleichterung, durchaus. Es sind nicht nur die Jungen, es ist generell eine Entwicklung, bei der man darauf zurückgreift. Soll aber nicht heißen, dass man nicht Journalisten, die recherchieren und kritisch reflektieren, natürlich auch braucht.
LUKÁŠ: Und nochmal zur Frage, wie haben Sie es dann geschafft? Geht man da auf Versammlungen und wirbt für die Ideen und sammelt die Unterschriften? Wie bekommt man diese Zahl dann zusammen?
CAP: Ja, das ist ganz einfach.
SCHMIDT: Einfach ist es nicht.
CAP: Wenn man sich was denkt und wenn man Kritik hat und das zu einem Zeitpunkt äußert, an dem die Anderen das nicht wollten... Bei mir war es bei einem Parteitag, an dem ich drei Fragen an den Landeshauptmann gestellt habe. Dann bin ich nachher abgewählt worden vom Parteivorstand, aber wurde dann wieder gewählt. Sowohl von den Wählerinnen und Wählern, als auch von der Partei nachher. Das war eine Unterstützung dafür, weil ich den Eindruck gehabt habe, dass ich doch viele der Interessen der Menschen, die die Sozialdemokraten zu vertreten haben, noch stärker, noch lauter eingebracht habe. Aber ich bin kein Ideologe in dem Sinn, sondern ich bin auch bereit für liberale Gedanken, bin bereit für diverse andere Einschätzungen. Ich bin nicht in einem Denkkasten, sondern ich versuche, möglichst offen zu sein.
SCHMIDT: Ich muss da jetzt was dazu sagen, weil ich das auch heute noch für eine außerordentliche Leistung gehalten habe, dass jemand über einen Vorzugsstimmenwahlkampf ins Parlament einzieht. Denn wie er das vorher heruntergespielt hat, so einfach ist es wirklich auch vor allem damals nicht gewesen. Das wesentliche Moment war – ich bin nämlich auch überzeugt, dass er Stimmen bekommen hat von Menschen, die sonst nicht die SPÖ gewählt haben –, dass er ein Ausmaß von Engagement und von Glaubwürdigkeit durch diese berühmten drei Fragen an den Landeshauptmann und von Zivilcourage gezeigt hat, das die Menschen honorieren wollten. Und wo es wahrscheinlich auch, wie gesagt, sogar außerhalb der SPÖ Menschen gegeben hat, die gesagt haben, solche Politikertypen wollen wir im Parlament haben. Bei allen Unterschieden, die wir haben, bis heute, will ich diesen Respekt uneingeschränkt jetzt auch artikulieren, weil das nämlich demokratiepolitisch so wesentlich ist. Da geht es nicht nur um den Herrn Cap und nicht nur um die SPÖ, sondern da geht es darum, was bin ich in der Lage den Wählerinnen und Wählern zu vermitteln, um sie an der Demokratie zu interessieren. Das ist ihm gelungen.
CAP: Und jetzt sage ich etwas, was vielleicht nicht mal so wahnsinnig bekannt ist, aber eben im Sinne von Demokratie, flexibel und das soll das Parlament entscheiden: Als sich damals eine Gruppe in der FPÖ gebildet hat, die FPÖ verlassen hat und dann auch das Liberale Forum kam, da hat es kurzfristig eine Mehrheit gegeben: rot-grün Liberales Forum. Und ich habe damals einen Artikel geschrieben im profil im Jänner '95 oder wann das war und habe gesagt: Machen wir doch einen fliegenden Wechsel und machen eine andere Regierung. Das habe ich damals geschrieben. Es wurde nicht befolgt, aber es war zumindest ein kreativer Versuch.
SCHMIDT: Auch das war wirklich ein demokratiepolitischer Schub für die Bevölkerung.
CAP: Absolut.
SCHMIDT: Das muss man über Parteigrenzen hinweg auch so einordnen, sowohl deins, als auch meins nachher. Ich nehme mir sowas mit, ja? Danke.
LUKÁŠ: Frau Schmidt nimmt sich noch einen Bleistift, kann man immer brauchen. Mache ich auch immer, Blöcke und Bleistifte gehören gesammelt.
SCHMIDT: Genauso ist es. Man muss immer mal was aufschreiben. Jetzt brauche ich nur noch einen Zettel dazu.
CAP: Koketterie [...].
LUKÁŠ: Wir begeben uns jetzt ins Lokal 5, das ist ein Ausschusslokal. Auf dem Weg dorthin würde ich gerne noch den Herrn Cap fragen, ob Sie das mit den Expert:innen genauso sehen, wie die Frau Schmidt das vorher erklärt hat.
CAP: Ja, ich war Verfechter. Deswegen habe ich auch die Zukunftswerkstätte kreiert innerhalb der SPÖ. Man muss gegen Experten, gegen Lobby-Experten argumentieren, die sich für die Interessen von umweltschädigenden oder soziale Ungerechtigkeit produzierenden Großkonzernen entwickeln. Daher sind Experten ganz wichtig, aber man muss immer eine kritische Distanz zu den Experten haben. Man darf sich nicht beherrschen lassen. Es darf keine Expertokratie geben.
LUKÁŠ: Wunderbar! Jetzt sind wir ein bisschen durch das Parlament spaziert, waren im Lokal 5, in dem auch Ausschüsse abgehalten werden. Nun sind wir im Sprechzimmer 4 angelangt. Nachdem wir das Social-Media-Problem jetzt schon leicht umrissen haben, würden wir uns wieder dem Gesetzgebungsprozess im Parlament widmen. Aus meiner bescheidenen Perspektive, die ich keine Politikerin bin und auch nicht Politikwissenschaft et cetera studiert habe...
SCHMIDT: Wie die meisten Wählerinnen und Wähler.
LUKÁŠ: Genau, ich bin eine sehr gute Repräsentantin für die Menschen da draußen.
CAP: Ich bin eine Ausnahme, ich habe Politikwissenschaft studiert.
LUKÁŠ: Ja, eine Juristin, ein Politikwissenschaftler und ich.
CAP: Eine super Kombination. Optimal.
LUKÁŠ: Sehr gut, dann tauchen wir da ein, damit es auch alle, die, so wie ich, weniger Ahnung haben, verstehen können. Einerseits braucht es für ein Gesetz eine zuverlässige Mehrheit, meistens mehrerer Parlamentspartei. Denn in den letzten Jahren ist es ja so, niemand hat mehr die absolute Mehrheit. Insofern muss es immer einen Konsens geben. Andererseits sollte es möglich sein, unabhängig nach bestem Wissen und Gewissen eine Einschätzung und Entscheidungen zu treffen als Individualperson. Jetzt merkt man ja oft, dass es ein größeres Spannungsverhältnis zwischen dem nicht formell, aber immerhin informell bestehenden Klubzwang gibt, also der eigenen Verpflichtung gegenüber der Parteimeinung der Fraktion. Wie viel Expertise und wie viel Parteipolitik spielt da eine Rolle, wenn ein Gesetz im Parlament verhandelt wird, Herr Cap?
CAP: Es ist im Prinzip so: Wenn du handlungsfähig sein willst als Politik und handlungsfähig sein willst als Regierung, dann brauchst du bei allen Gesetzesformen, die du vorher abgeklärt hast – in der Bevölkerung, in den Medien, aber dann ganz besonders mit den einzelnen Abgeordneten und mit den Parteien, die die Regierung stützen, und natürlich mit der Regierung, weil die müssen das im Einstimmigkeitsprinzip dann machen –, da brauchst du eine entsprechende Mehrheit und da brauchst du eine geordnete, man sagt Zwangsabstimmung. Ich halte diesen Begriff für falsch, denn sonst funktioniert es nicht. Wenn jeder kommt, wann er will oder abstimmt, wann er will, dann macht man zwar Gesetzesinitiativen, die unser Zusammenleben regeln, das muss man mal definieren, dann ist es regierungsfähig. Dann kommen die, die sagen, wir brauchen Diktatur, autoritäres System, das ist eine Quasselbude, die kosten nur Geld und so weiter. Das heißt, es ist kein Zwang, sondern man versucht, vorher abzustimmen, aber dann halten sich alle in der Fraktion an diese Abstimmung. Da hat man dann die Chance auf eine Mehrheit in der eigenen Fraktion, im Klub, wenn die Abgeordneten schon beim Entstehen mit den Beamten in der Regierung mitgewirkt haben, mit den Sozialpartnern, mit all denen, die einfach gerne mitreden wollen und auch können und sollen. Das ist eine Demokratie im Rahmen dieser repräsentativen Struktur. Es gibt auch dazu Ergänzungen, die direkte Demokratie beispielsweise. Das ist sehr positiv. Da muss man nur vorsichtig sein, weil bei direkt demokratischen Instrumenten oft auch mächtige Medien eine Rolle spielen, die das dann beeinflussen, das ist nicht unschwierig. So würde ich das sehen. Das haben wir damals eine gewisse Zeit lang erreicht. Es ist zwar in dem Auslass so nicht geblieben, war vorher auch nicht so, aber in meiner Zeit war es so.
LUKÁŠ: Und bei Ihnen, wie stehen Sie dazu zu diesem Klubzwang? Beziehungsweise gab es bei Ihnen vielleicht auch mal die Tendenz, dagegen zu stimmen, weil es einfach gar nicht gepasst hat?
CAP: Weil sie jetzt dran ist, darf ich noch einen Satz sagen? Man muss sich bemühen, die Opposition miteinzubeziehen. Auch du mit dem Liberalen Forum warst damals Opposition. Das war ganz wichtig, dass sie auch dabei sind, dass möglichst viele dabei sind. Entschuldigung, das wollte ich nur hinzufügen.
SCHMIDT: Nein, da stimme ich schon zu. Ich möchte nur schon einen Einwand zur Fragestellung machen, weil Sie Politik und Expertise in einen Gegensatz gesetzt haben. Und jetzt sind wir uns schon einig, dass die Expertise nicht immer wirklich sattelfest zu Hause ist bei der Politik. Aber die Dinge gehören schon zusammen. Und wenn Sie jetzt vom sogenannten Klubzwang reden, dann will ich den Josef Cap ergänzen, wiewohl ich das, was er gesagt hat, auch teile. Aber es geht nicht nur darum, dass du innerhalb des Klubs eine einheitliche Meinung vermittelst, was wichtig ist für die Mehrheiten. Sondern es geht ja auch darum, dass du für die Bevölkerung eine klare Position vermittelst. Bei allem geht es immer um das Augenmaß und um keine schwarz-weiß-Malerei. Ich sage das auch als ehemalige Klubchefin, als ehemalige Parteichefin. Da hast du natürlich das Bedürfnis, dass deine Partei ein klares Bild vermittelt für bestimmte Positionen. Daher wirst du versuchen, innerhalb deiner Partei das, was sozusagen abweicht, einzufangen, indem du Überzeugungsarbeit versuchst, indem du argumentierst und so weiter. Und in der Vergangenheit, wenn ich das sagen darf: Ich habe schon solche Situationen auch erlebt im eigenen Klub, wo manche gesagt haben, da kann ich nicht zustimmen. Da gibt's eine Zwischenvariante, das ist eine Usance, die, glaube ich, die Menschen als Wählerinnen und Wähler kaum verstehen. Aber sie sollen mal darüber nachdenken, dass man ja beim eigenen Verhalten auch oft versucht, Kompromisse mit sich zu schließen. Diese Usance ist, dass man sagt, zum Zustimmen bringt ihr mich nicht, aber ich will nicht hier dagegen stimmen, ich gehe hinaus. Man ist dann daher bei der Abstimmung nicht dabei. Ich würde das nicht unter Feigheit einordnen, wie das manchmal passiert, wenn man sagt, der oder die steht nicht dazu. Sondern das kann, muss nicht, das kann wirklich ein fairer Kompromiss mit der eigenen Partei sein, indem man sagt, ich will nicht so dagegen stimmen, dass es zu einem Thema wird und dass dann alles sich darauf konzentriert. Daher gehe ich raus, aber ihr halte es für falsch. Das kann passieren. Es ist immer eine Frage des Wie. Man soll es auch argumentieren, damit es die Menschen verstehen.
CAP: Der Fairness halber muss man vorher im Klub das abklären.
SCHMIDT: Ja.
CAP: Der Klub muss sagen: Wir haben drei, die haben sich so engagiert in dieser einen Fachfrage, die können einfach nicht mitstimmen, die wollen rausgehen. Wenn der Klub dann mehrheitsmäßig sagt oder geschlossen sagt, wir akzeptieren das ausnahmsweise, dann ist das eine Möglichkeit. Aber nur, wenn es dann nicht anfängt mit der eine geht raus, die andere raus und dann fangen alle an, rauszugehen. Irgendwann bist du dann nicht mehr beschlussfähig, dann kannst du gleich Neuwahlen machen oder du bist nicht einmal mehr regierungsfähig. Das ist eine wichtige Nuance. Ansonsten, man kann immer die Überzeugungsarbeit leisten, da bin ich völlig deiner Meinung. Wie oft ich da in diesem Raum gesessen bin und Überzeugungsarbeit machen habe müssen!
SCHMIDT: Dafür sind auch solche Räume da, dass man im geschützten Raum offen reden kann und sich darauf verlässt, hoffentlich zurecht, dass das nicht nach draußen dringt. Und zwar deswegen nicht nach draußen dringt, weil es nicht ums Gewinnen und Verlieren gehen soll, sondern um die Sache. Ich will wirklich noch einmal unterstreichen, dass das Herausgehen bei der Abstimmung nicht immer gleich zu bewerten ist. Das kann Feigheit sein, das kann ein nicht zur Sache stehen sein, aber es kann auch im allgemeinen Interesse sein, weil man weiß, dass man damit weniger öffentliche Diskussion, die dann in die falsche Richtung rennen kann, hervorruft, als man eigentlich möchte.
LUKÁŠ: Sehr gut. Danke, dass Sie auch die Überleitung von diesem Raum mir zu dem nächsten Raum ermöglichen. Denn wir sind durch das Lokal 5 gegangen und das ist ja eigentlich ein Ausschusslokal. Für die breite Bevölkerung bitte noch einmal erklären, Herr Cap, Frau Schmidt, wer immer möchte, was ist denn eigentlich ein Ausschuss?
CAP: Das ist eine Runde von Abgeordneten, die zu speziellen Fachgebieten sich schon in der Gesetzwerdung eingearbeitet haben, weil es ihr Fachgebiet ist und weil dieser Ausschluss gerade für dieses Fachgebiet eingesetzt wurde, gewählt wurde, beschlossen wurde. Das ist die Voraussetzung in dem Ausschuss, nachdem das Gesetz vorher in der Regierung, mit den Beamten diskutiert wurde, mit dem Sozialpartnern. Dann kommt es ins Plenum, wo dann zumindest die Mitglieder des Ausschusses anwesend sein müssen, am besten alle. Dann wird es dort beschlossen. Ein Ausschuss hat also eine sehr wichtige Funktion. Auch in Bezug darauf, dass wir in der Europäischen Union sind mit dem Hauptausschuss, wo wir natürlich auch sehr vieles, was aus Brüssel kommt, hier in dem Haus umsetzen, kritisch reflektieren, was auch immer. Aber es ist mehr Arbeit und mehr qualifizierte Arbeit als so manche Leute es sehen oder glauben. Und es ist ganz gut, es wird immer wieder diskutiert, ob man die Ausschussarbeit nicht auch an die Öffentlichkeit direkt überträgt oder auch dort breit macht.
SCHMIDT: Ich sage nein, ich sage wirklich aus Überzeugung nein. Also erstens, im Ausschuss passiert die eigentliche gedankliche Arbeit für die Spielregeln, heißt Gesetze. Denn dort kommen die Vorlagen hin, die in den unterschiedlichsten Bereichen von Fachleuten erarbeitet wurden, in Ministerien, in Institutionen, manchmal auch ein Antrag der Opposition, der in einem ganz anderen Kreis erarbeitet wurde. Aber dort wird einem Kreis von Abgeordneten zur Diskussion und zum Mitdenken vorgelegt, wo man noch etwas ändern kann. Und dieses noch etwas ändern können ist mein Argument gegen die Öffentlichkeit. Denn wir kennen die öffentliche Diskussion. Wer hat sich durchgesetzt, wer hat gewonnen, wer hat verloren? Und das ist eine emotionale Ausgangsposition, die den sachlichen Zugang erschwert. Aber der Mensch ist so. Wenn du aber im Ausschuss dich darauf verlassen kannst, dass du jetzt wirklich nur über die Sache diskutierst – es kann immer nach draußen getragen werden, ist ja keine Geheimdiplomatie –, aber es ist trotzdem was anderes, wenn du dort in diesem geschützten Raum dich austauschen kannst. Deswegen: im Ausschuss wird die Facharbeit geleistet, aber es wird vor allem Demokratiearbeit geleistet. Denn dort findet ja auch das Mitreden der Opposition statt, sonst könnten die Regierungsparteien das ja gleich direkt durchschicken. Aber dort – das sage ich jetzt als immer oppositionell Gewesene – die Chancen, etwas zu ändern, sind enden wollend. Aber es gibt sie. Ich war in meiner parlamentarischen Zeit vor allem in zwei Ausschüssen, nämlich im Justizausschuss und im Kulturausschuss. Im Kulturausschuss war Manches leichter, weil man da leichter eine gemeinsame Ebene findet. Im Justizausschuss sind zwar die Unterschiede des Zugangs sehr groß, aber, und das muss ich jetzt einfach sagen, weil es außergewöhnlich war, der Justizausschuss und das Justizministerium haben immer nach anderen Spielregeln funktioniert als sämtliche andere Ministerien. Das sage ich als Oppositionelle und das werden mir die Abgeordneten der Regierungsparteien bestätigen. Ich habe dort immer ein weit höheres Ausmaß an fairem Sachzugang erlebt als in anderen Ministerien. Das klingt jetzt sehr schwarz-weiß, so meine ich es nicht. Aber der Unterschied des Umgangs auch mit Abgeordneten von Oppositionsparteien, das zugänglich machen der Information und die Bereitschaft, die Opposition möglichst früh einzubinden, wie der Josef Cap auch gesagt hat, dass das eine Notwendigkeit im Parlament ist, dieses Einbinden der Opposition war im Justizministerium immer weit ausgeprägter. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, ich weiß es nicht, dass im Justizministerium lange Zeit oftmals parteiunabhängige Minister oder Ministerinnen waren. Nicht immer, aber oftmals. Und auch das prägt ein Haus. Ich glaube ja insgesamt, dass man in der Politik viel mehr auch darauf achten muss, wie gehst du mit deinen Beamten im Ministerium um? Welchen Geist förderst du dort? Ich sage das auch als ehemalige Mitarbeiterin der Volksanwaltschaft. Ich habe bei dem Prüfungsverfahren für die Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger, die immer mit dem Ministerium geführt wurden, wirkliche Unterschiede bei den Ministerien in der Bereitschaft der Fehlereinsicht, in der Bereitschaft des darüber Nachdenkens erlebt. Das ist nicht gleich. Das hängt natürlich von den einzelnen handelnden Personen ab, aber es hängt auch davon ab, welcher Geist herrscht an der Spitze des Ministeriums und welcher wird an die Beamtenschaft vermittelt. Und ich glaube, dass wir die Qualität unserer Gesetze und dass wir die Qualität unserer Demokratiearbeit auch kaputt machen können, wenn wir die Beamtenschaft ruinieren. Mein Eindruck ist, dass das immer mehr passiert.
CAP: Das Gängeln der Beamten, der Kabinettschef gibt den Ton an, der von außen kommt, der Generalsekretär wird von einer Partei hingesetzt und ist der Chef drinnen.
SCHMIDT: Ja!
CAP: Das sind autoritäre Züge, die da versucht wurden, einzuführen, und das war unter Schwarz-Blau. Das war so.
SCHMIDT: Das teile ich.
LUKÁŠ: Danke für diese Einschätzung. Um zum Ausschuss zurückzukommen und die Aufklärung, was denn ein Ausschuss tut. In Ausschüssen wird ja auch abgestimmt. Worüber genau, Herr Cap, wird abgestimmt?
CAP: Die Gesetzesvorlage oder einzelne Änderungen oder Zusätze, die man da noch einbringt. Meistens gibt es ja vorher schon Besprechungen, weil das soll ja dann auch eine Chance haben, durchgesetzt zu werden oder beschlossen zu werden. Da ist es durchaus in den Ausschüssen unterschiedlich. Bei der Justiz ist immer ein bisschen mitgeschwungen, nicht nur, dass dann bei anderen Regierungsformen wieder alles geändert wird, dass man möglichst viele bezieht. Sondern auch Gerechtigkeit und Ausgleich, das ist dort ein besonderes Element bei der Beschlussfassung und auch im Verfassungsausschuss.
SCHMIDT: Auch im Verfassungsausschuss, da gebe ich dir Recht.
CAP: Da spielt das auch eine ganz wichtige Rolle. Wenn es um Verfassungsgesetze geht, das ist heikelst. Trotz absoluter Regierung des Bruno Kreisky war es eine große Zeit hier im Parlament, die Justizreform, die Familienreform. Der hat nämlich, wahrscheinlich auch um die absolute Mehrheit immer wieder zu erringen, immer versucht, möglichst viele einzubeziehen. Das ist ihm auch gelungen. Der Christian Broda mit seinen vielen Reformen, der berühmte Justizminister, da hat es keine Diktatur gegeben. Man hat nicht gesagt: Jetzt haben wir die absolute Mehrheit, jetzt werden wir euch zeigen wo der Barthel den Most holt. Nein, im Gegenteil. Je größer die Mehrheit, desto größer die Kompromissfähigkeit. Das war eine besondere Qualität. Dazu muss man sagen, das waren ja damals auch Giganten. Darf ich das jetzt so formulieren? Das waren einfach Giganten am Werk.
SCHMIDT: Für mich war wirklich der wirksamste und der formatorischste Politiker Broda.
CAP: Ja, Heinz Fischer als Klubobmann oder Heinz Fischer als Bundespräsident, ich fange gleich das Weinen an. Dass Bruno Kreisky auch in der Nah-Ost-Politik ein Faktor war, der vorausgesehen hat, was heute alles vor sich geht. Ich sage nur: Das Parlament ist der Ort, wo das alles zusammenkommt, wo man diskursiv ist, wo beschlossen wird. Mir ist lieber, es sind rechte Parteien im Parlament als auf der Straße. Ich sage es, wie es ist. Das ist mir lieber. Da kann man sich unterhalten oder auch ganz kontroversiell auseinandersetzen und sich auch bemühen, dass man gemeinsam Beschlüsse fasst. Zum Beispiel hat es die Abwahl des Kurz mit allen Parteien hier drin gegeben, auch mit den freiheitlichen. Also ich habe da einen ganz anderen Zugang, weil ich finde, Feindbilder, Hass, rausdrängen aus den Institutionen, auch wenn manche mit den Institutionen was Böses vorhaben, dann anhören, bekämpfen. Aber im Rahmen der Demokratie, im Rahmen des Parlaments. Damals, ich habe den Jörg Haider erlebt als er noch Sozialsprecher war, Assistent bei einem Professor der Uni, da habe ich geglaubt: Das ist ja ein Linksradikaler, wie der da umhergewälzt ist in der Gegend. Das war wirklich so. Ich dachte, na Servus, der überholt uns da von links, die SPÖ. Dann ist er nach Kärnten gegangen, hat Ferrari-Brunnenfeld abgesägt, und dann plötzlich war er ganz woanders. Er hat dafür gesorgt an dem berühmten Parteitag, dass die FPÖ nicht in die sozialliberale Richtung gegangen ist, sondern in die nationalliberale und damit war sie für Vranitzky kein Koalitionspartner mehr.
SCHMIDT: Darf ich einen Satz noch zur Ausschussarbeit sagen?
LUKÁŠ: Gern.
SCHMIDT: Weil ich glaube, dass Bürgerinnen und Bürger sich das so schwer vorstellen können. Aber es gibt den berühmten Satz, das Sein bestimmt das Bewusstsein. Jeder von uns hat einen anderen Hintergrund und eine andere Lebenswelt. Du merkst daher, wenn du ein Gesetz vorgelegt bekommst, wo die Spielregeln drinnen stehen, wie alles geordnet sein soll, da sieht jede und jeder etwas anderes aus der eigenen Betroffenheit und aus der eigenen Lebenswelt. Das ist im Übrigen ja auch der Grund, warum es notwendig ist, dass mehr Frauen da sind, weil Frauen auch in einer ganz anderen Lebenswelt leben. Und ich will ja den Männern gar nichts unterstellen, dass sie aus Bösartigkeit manche Dinge machen, sondern sie wissen es einfach nicht, sie sehen es einfach nicht. Und diese unterschiedlichen Lebenswelten, die sollten sich auch im Parlament abbilden. Das ist auch, weil wir davon gesprochen haben, wozu Parlamentarismus? Weil eben hier Menschen mit unterschiedlichen Lebenswelten und daher auch unterschiedlichen Vorstellungen drinnen sitzen. Und nun schauen sich die eine Gesetzesvorlage an. Dann setzen sie sich in einem Ausschuss zusammen, dann sagt der eine: Aber das würde so nicht funktionieren, weil. Und der nächste sagt: Aber das wäre für die Zukunft besser, weil. Und das Weil ist immer auch aus der Lebenswelt und aus den Erfahrungen und natürlich auch aus der Sicht der eigenen gesellschaftlichen Vorstellung bestimmt. Aber das bildet eben die Gesellschaft ab. Dieses einander aufmerksam machen, in welche Richtung das aber führen könnte. Da gibt es oftmals die Beamten, die sagen, ja, so ist es eigentlich nicht gedacht gewesen, gut, dass Sie das sagen. Also, da passieren wirklich Änderungen. Die sind nicht nur so parteipolitisch motiviert, wie das in der Öffentlichkeit manchmal wahrgenommen wird, sondern die haben auch den Hintergrund eines unterschiedlichen Einschätzens des Funktionierens. Und im Ausschuss kann es noch geändert werden, ohne dass dann die einen großartig auftrumpfen, was sie jetzt durchgesetzt hätten. Wenn dann diese Arbeit, die sowohl eine demokratiepolitische als auch eine fachliche ist, wenn die dann erledigt ist im Ausschuss, dann kommt sie ins Plenum. Ich nehme an, da werden Sie uns auch noch einiges dazu fragen.
LUKÁŠ: Wahrscheinlich. Wenn wir jetzt den Weg nochmal nachvollziehen. Es gibt den Beschluss, dieses Gesetz muss es geben. Dann wird ein Ausschuss gebildet. In dem Ausschuss diskutieren Abgeordnete die Vorschläge, die sie selbst mitbringen, die teils von Experten kommen, teils aus der Parteimeinung, teils et cetera. Dann kommt das Ganze ins Plenum, und dort passiert was?
CAP: Dort wird es beschlossen.
LUKÁŠ: Da wird es beschlossen, fertig.
SCHMIDT: Nein, so einfach ist es nicht, denn du hast zwar Recht, aber du hast sozusagen das Ende jetzt vorweggenommen. Denn es findet ja dort auch noch eine Debatte statt. Diese Debatte ist ja nicht nur Show, auch wenn sie manche so praktizieren. Sondern – und da glaube ich, gibt es auch einen Unterschied zu früher, aber, mein Gott, die Welt verändert sich. Daher wird sich wohl auch die parlamentarische Praxis logischerweise verändern. Aber der öffentliche Austausch der Meinungen ist auch von demokratiepolitischer Relevanz, vor allem seit diese Debatten dann auch im Fernsehen übertragen werden. Da gibt es wirklich viele, die wissen genau, wenn sie jetzt am Rednerpult die Position A oder B vertreten, es nutzt nichts mehr, weil die Mehrheit hat sich vorher schon anders gefunden. Trotzdem ist es aber nicht sinnlos, sich dort zu positionieren. Denn einerseits erreichst du die Zuhörerinnen und Zuhörer, die hoffentlich dann auch nachdenken und sagen, ist eigentlich wahr, oder aber sie sagen, schrecklich. Beides ist demokratiepolitisch von Relevanz. Dazu kommt, dass diese Debatten festgehalten werden und dann nachher im Protokoll nachzulesen sind. Das heißt, politisch interessierte Menschen können sich das dann nachher noch anschauen. Es ist auch wichtig, dass man später darauf zurückgreifen kann, und es ist auch wichtig für so manche Interpretation dann des Gesetzes. Also der Beschluss, da hat der Josef Cap natürlich Recht, ist der eigentliche Sinn des Ganzen. Aber das Vorfeld, die Debatte darüber ist meiner Meinung nach eine ganz wesentliche demokratiepolitische Aufgabe.
CAP: Eine Ergänzung: Es hat einmal ein oder zwei Tage gegeben im Haus, ich meine 2008, da hat sich die Regierung schon auseinandergelebt. Es hat sogenanntes Abstimmen gegeben, rein nach dem, nicht was die Regierung wollte, sondern was die Mehrheit im Parlament wollte. Und damals haben wir mit den Freiheitlichen die Studiengebühren abgeschafft. Das muss man mal sagen. Nachdem wir dagegen gekämpft haben, der Schüssel unbedingt die Studiengebühren belassen wollte. Und nicht nur das, wir haben auch andere Beschlüsse gemeinsam gefasst. Es war so, dass wir bei einem Beschluss, da hatten die Roten und die Blauen alle Abgeordneten drinnen gehabt bei der Sitzung und Orange und Grün und Schwarz nicht alle. Und wir haben gewonnen. Das zeigt auch, du brauchst eine Disziplin, die Abgeordneten müssen da sein, schließlich werden sie auch bezahlt dafür und gewählt dafür. Das war eine Situation, wo wir an zwei Parlamentstagen anders abgestimmt haben, als es die Regierung wollte. Sonst, im Normalfall, das ist ja genau das, was die Heide Schmidt gesagt hat, wenn die Regierung die Regierung ist und eine Mehrheit, dann hat sie eine Mehrheit. Natürlich muss sie sich der Debatte stellen. Nur in ganz seltenen Fällen gibt es dann auch aus der Debatte heraus noch eine Änderung. Wenn es sich herausstellt, dass das Gesetz nicht gut ist, dann trifft man sich sowieso noch einmal nach einer Zeit im Parlament und korrigiert das Gesetz auch. Die ehrlichen Leute wollen Gesetze machen, die gut sind und wirken und so bleiben. Die Lobbyisten wollen Gesetze machen, damit man sie umgehen kann. Sie sagen: ja, wir haben eh ein Gesetz, oh je, es ist nicht wirksam. Das gibt's auch. Und wenn man dann draufkommt, treffen wir uns wieder da und schließen die Lücke. Es ist eigentlich eine spannende Tätigkeit. Wenn ich lange genug drüber rede, würde ich wieder weinen.
SCHMIDT: Einen Aspekt noch. Nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger ist es von Relevanz, im Plenum dann die Argumente noch einmal zu hören, sondern auch für jene Abgeordneten, die nicht in diesem Ausschuss waren. Auch das sollte man nicht vergessen. So ein Ausschuss hat 20, 30, je nachdem, das ist eine unterschiedliche Größenordnung. Im Parlament sitzen aber 183. Da sitzen dann alle da und sollten sich beteiligen, sollten zuhören. Es geht darum, dass du eben nicht nur auf dein spezielles Feld dann fokussiert bist, sondern dass du auch in der Debatte dich nicht nur beteiligen kannst, aber zumindest zuhören kannst, wenn es um alles geht. Das gehört zum Horizont des Abgeordneten dazu. Auch diesen Aspekt würde ich nicht unterschätzen.
CAP: Abgeordnete, Klubs, vor allem der Regierungsparteien, müssen loyal sein, aber trotzdem eine gewisse Eigenständigkeit haben.
LUKÁŠ: Ich danke Ihnen beiden sehr, dass Sie das auch durch persönliche Geschichten, Anekdoten und Erinnerungen bereichern, was sonst so wenig greifbar ist, möchte ich an dieser Stelle nur ganz kurz sagen. Vielen Dank. Wir haben eine kleine Rubrik in diesem Podcast, wo wir drei sehr allgemeine Fragen stellen, um die Gesprächspartner:innen besser kennenzulernen. Ich würde mit Ihnen, Frau Schmidt, beginnen: Frühling oder Herbst?
SCHMIDT: Herbst. Aber jetzt sage ich, das war jetzt eine spontane Antwort, wie sie am Zeitfaktor sehen. Aber je älter ich werde, desto mehr steigt die Sehnsucht nach dem Frühling. Das halte ich für eine menschliche Normalität. Ich bin als Winterkind geboren, habe immer eine Affinität zum Herbst gehabt. Jetzt merke ich, dass mir der Frühling, das Beginnen, näher wächst, wahrscheinlich der Sehnsucht wegen.
SCHMIDT: Das ist so eine schöne Antwort.
CAP: Ich habe ein Taschentuch mit.
SCHMIDT: Sie klingt lyrischer als sie gemeint ist.
LUKÁŠ: Herr Cap, Sie sind auch wirklich... Aber sie klingt wunderschön und das ist so eine schöne Metapher.
CAP: Ich habe geglaubt, du sagst Sommer. La pensée de midi.
LUKÁŠ: Das ist bei Frühling oder Herbst schwierig.
CAP: Camus, la pensée de midi.
SCHMIDT: Ich pflege, auf Fragen zu antworten und nicht, wie es eine Politikerinnenunart ist, einfach irgendwas zu sagen.
CAP: Das ist die große Kunst, Antworten zu finden für Fragen, die sie stellen wollte, aber nicht konnte.
SCHMIDT: Ich kenne das System. Das ist das, was die Menschen frustriert.
LUKÁŠ: Liebe Leute, es sind drei Fragen. Ein bisschen Konzentration.
SCHMIDT: Disziplin, die haben wir verlernt.
LUKÁŠ: Ja, diese Disziplin. Kompromiss oder beste Lösung?
SCHMIDT: Hoffentlich stimmt das überein.
LUKÁŠ: In welcher Welt?
SCHMIDT: Nein, im Ernst! Demokratiepolitisch ist der Kompromiss eine Notwendigkeit. Daher ist er demokratiepolitisch hoffentlich auch die beste Lösung.
LUKÁŠ: Und wo beginnt für Sie Demokratie?
SCHMIDT: Eine seriöse Antwort würde eine Vorlesung mehrerer Semester bedeuten. Aber Demokratie beginnt an der eigenen Beteiligung und der Verteidigung der notwendigen Institutionen. Das Bewusstsein, dass es auf jede und auf jeden selber auch ankommt.
SCHMIDT: Vielen Dank, Herr Cap, ich hoffe, Sie haben sich gerüstet...
CAP: Aber ich sage einmal, warum hast du nicht Rosa Luxemburg zitiert? Freiheit ist die Freiheit des anders Denkenden, das ist die Demokratie.
LUKÁŠ: Sie kommen jetzt dran.
CAP: Das geht nicht, oder? Rosa Luxemburg [...].
LUKÁŠ: Ich habe gesagt, dass ich das ganze Seminar brauch. Das gibt man mir ja wieder nicht.
CAP: Du willst uns quasi richtig für das Seminar motivieren. Pardon, ich muss antworten.
LUKÁŠ: Jetzt sind Sie dran, Herr Cap. Jetzt können Sie Rosa Luxemburg dann bei der letzten Frage zitieren, wenn es Ihrem Herzen nahe ist. Aber die erste Frage: Frühling oder Herbst? Ich hoffe, Sie sagen nicht Sommer.
CAP: Ich sage Sommer. Ich habe das in einer Parlamentsreden gehabt. Dieser Gegensatz zwischen dem norddeutschen Stress, ich muss alles perfekt machen, und zwischen den pensée de midi, deshalb ja Camus und all derer, die im mediterranen Raum an Zeit für die Improvisation glauben, was oft viel kreativer ist als dieser preußische Zwang, immer der erste, der beste sein zu wollen. Und daher ist für mich der Sommer der Ausdruck dessen, das kann sich dann in Südfrankreich abspielen, in Algerien, wo auch immer. Aber das ist meine Einstellung.
LUKÁŠ: Fein, Sommer. Kompromiss oder beste Lösung?
CAP: Ein Kompromiss ist immer die beste Lösung.
SCHMIDT: Naja, immer nicht.
CAP: Oh doch. Es ist ganz einfach. Wenn du keinen Kompromiss zustande bringst für eine Lösung, wo du möglichst alle einbeziehst, dann wird es sich ja sowieso herausstellen, ob das realitätsnah ist, ob es praktikabel ist, ob es umsetzbar ist. Dann kannst du immer noch adaptieren und ändern und vielleicht dich noch mehr annähern, der von dir subjektiv empfundenen besten Lösung. Weil eine beste Lösung ist halt immer auch eine subjektive Kategorie und nicht nur eine objektive. Wir sind ja nicht göttlich. Aber wollten es auch nicht sein, können es auch nicht sein.
SCHMIDT: Was immer das auch ist.
CAP: Was immer das auch ist. Aber aufgrund dessen, was du vorhin beantwortet hast: Ich bin der Obmann des Klubs der Zeitlosen. Also, wenn du Lust hast, beizutreten, dann brauchst du keinen Frühling mehr, sondern bist auch im Sommer.
SCHMIDT: Ich denk sofort an die Herbstzeitlosen!
LUKÁŠ: Dritte Frage! Jetzt sind wir gespannt, ob da ein Zitat rauskommt.
CAP: Kommt drauf an.
LUKÁŠ: Wo beginnt für Sie Demokratie, Herr Cap?
CAP: Das ist wirklich in der Tat in der Freiheit des anders Denkenden. Die Freiheit ist die Freiheit des anders Denkenden. Das ist ganz entscheidend, weil damit gibt es einen Dialog, damit registriere ich, was der wollen könnte, was er wirklich will. Ich habe das zu respektieren. Ich kann aus dem ganzen dann die beste Lösung und den Kompromiss und das alles anstarren. So gesehen, es gibt ja keine Marxisten. Selbst Karl Marx hat gesagt, er ist kein Marxist. Aber die Rosa Luxemburg war eine engagierte Frau, die umgebracht worden ist von den Nazis, Nationalisten. Die hat zumindest diesen Zugang gehabt. Ihre ganze Ideologie war auch etwas, was ich nicht geteilt habe. Ich habe für diese Art von Parteibildung überhaupt keine Schwäche. Aber dieser Satz hat was.
LUKÁŠ: Frau Schmidt, Herr Cap, vielen Dank für dieses interessante, wunderbare und lebhafte Gespräch. In dieser Folge haben wir also im Rückblick unter anderem geklärt, welche Aufgabe Ausschüsse haben, wie Abgeordnete einer Fraktion reagieren können, wenn sie nicht einer Meinung sind, und wir haben schon einige spannende Einblicke in die politische Laufbahn meiner beiden Gäste bekommen. Aber damit sind wir noch nicht am Ende, denn in der nächsten Folge setzen wir unser Gespräch fort. Dann schauen wir gemeinsam mit Josef Cap und Heide Schmidt, wie die Opposition den Gesetzgebungsprozess beeinflussen kann. Ich freue mich schon sehr darauf. Falls euch unser Podcast "Rund ums Parlament" gefällt, dann empfehlt diesen gerne weiter. Abonnieren könnt ihr uns selbstverständlich auch, um keine Folgen mehr zu verpassen. Das geht überall, wo ihr eure Lieblingspodcasts hört, ob bei Spotify, Deezer, Apple Podcasts oder auf all den anderen Plattformen. Ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn ihr auch nächstes Mal wieder dabei seid. Falls ihr übrigens Fragen, Kritik oder Anregungen zum Podcast habt, dann könnt ihr uns gerne eine E-Mail schreiben an podcast@parlament.gv.at. Alle weiteren Informationen und Angebote rund um das österreichische Parlament und zu unserer Demokratie findet ihr auf der Website www.parlament.gv.at und den Social-Media-Kanälen des Parlaments. Das war es soweit von mir. Ich bin Tatjana Lukáš, bis zum nächsten Mal.
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