Nicole BÄCK-KNAPP: Was ist überhaupt Lobbying? Ganz kurz, der organisierte und strukturierte Kontakt mit Funktionsträgerinnen mit dem Ziel, Entscheidungen zu beeinflussen.
Doris DIALER: Ist es Teil der Demokratie? Es ist sogar gewünscht. Deshalb müssen die Interessensvertreter gehört werden und einbezogen werden, um einfach gute Gesetze zu machen.
BÄCK-KNAPP: Ich denke, das Problem ist, dass überall da, wo Macht und Geld ist, gibt es auch eine schwarze Seite. Darüber brauchen wir gar nicht reden, das ist so. Deswegen finde ich es auch wichtig, dass gewisse Branchen reguliert werden.
DIALER: Die Lobbyingskandale waren meistens Korruptionsskandale. Das ist was anderes als Lobbying. Da geht es um Bestechung und das muss man auseinanderhalten.
Jingle: Rund ums Parlament, der Podcast des österreichischen Parlaments.
Tatjana LUKÁŠ: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Rund ums Parlament”, dem Podcast des österreichischen Parlaments. Mein Name ist Tatjana Lukáš und ich freue mich sehr, dass ihr wieder dabei seid. Politische Einflussnahmen sollen auch in dieser Folge unser Thema sein. Dieses Mal sprechen wir über ein Phänomen, das in diesem Zusammenhang oftmals argwöhnisch betrachtet wird, nämlich den Lobbyismus. Ob dieses Misstrauen gerechtfertigt ist oder ob Lobbyarbeit nicht eher etwas recht Nützliches ist, das will ich heute mit meinen beiden Gästinnen herausfinden. Willkommen, Doris Dialer und Nicole Bäck-Knapp. Vielen Dank, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben.
BÄCK-KNAPP: Danke für die Einladung.
DIALER: Vielen Dank auch meinerseits.
LUKÁŠ: Jetzt gehen wir mal ganz kurz rein, damit unsere Hörerinnen und Hörer verstehen, wer hier überhaupt sitzt. Frau Bäck, gehen wir gleich in medias res. Sind Sie Lobbyistin?
BÄCK-KNAPP: Ja, unter anderem bin ich auch Lobbyistin, und zwar schon allein deswegen, weil ich im österreichischen Lobbyingregister drinstehe. Das heißt, das kann jeder nachschauen. Ich glaube, um das geht es hier jetzt auch, um dieses transparente, sehr professionelle Lobbying. In diesem Sinne bin ich Lobbyistin, habe aber viele Hüte auf, weil ich Geschäftsführerin einer großen PR und Public Affairs Agentur bin. Da ist das Wort Public Affairs ja schon drin und das ist ein bisschen der Dachbegriff zum Lobbying, weil Lobbying ein Teil dieses Public Affairs ist. Aber ich glaube, wir werden da noch später näher drauf eingehen, was Lobbying denn überhaupt ist.
LUKÁŠ: Und wenn Sie sich vorstellen, sagen Sie: Guten Tag, ich bin Lobbyistin! Was für Berufsbezeichnungen verwenden Sie für sich selbst in der Gesellschaft?
BÄCK-KNAPP: Ich bin geschäftsführende Gesellschafterin einer PR und Public Affairs Agentur. Das heißt, 90 Prozent meiner Arbeit ist Management im Sinne von Geschäftsführungstätigkeiten, von HR bis Finanzen – vielleicht nicht 90 Prozent. Gleichzeitig bin ich Kommunikations- und Public Affairs Beraterin. Und ab und zu auch Lobbyistin!
LUKÁŠ: Bevor wir zur Frau Dialer kommen, noch mal ganz kurz: Geschäftsführerin einer großen PR-Agentur kann man sich ungefähr vorstellen, was da zu tun ist, möglicherweise. Aber im Vorstand der Österreichischen Public Affairs Vereinigung – woran arbeiten Sie da genau?
BÄCK-KNAPP: Die ÖPAV ist kurz gesagt der Lobbying-Verband der Lobbyisten. Das klingt ganz hart und brutal, aber im Grunde ist es jener Verband, der genau diesem Misstrauen gegenüber Lobbying und Public Affairs auch entgegenwirken möchte, vor allem durch Professionalisierung, Transparenz. Jeder von uns ist im Lobbying-Register eingetragen. Wir begrüßen das sehr, dass es hier Offenheit gibt. Vor allem gibt es auch einen Kodex, den auch wir entwickelt haben, der auch im Gesetz steht, dass man sich an so einen Kodex halten muss. Ich denke, hier wird sehr viel Positives zu dem Thema weitergebracht.
LUKÁŠ: Jetzt wechseln wir aus der Praxis in die Forschung, denn Frau Dialer: Lobbyismus ist Ihr Forschungsthema. Sie haben auch schon im Vorgespräch erwähnt, 80 Prozent ihrer Arbeit ist schreiben und dieses Thema zu Papier bringen in den verschiedensten Varianten. Sie haben ja schon einiges darüber publiziert. Die Frage an Sie lautet: Ist Lobbyismus ein wichtiger Bestandteil der parlamentarischen Demokratie?
DIALER: Sehr gut, dass Sie die Frage stellen. Vielleicht nochmal zu meiner Person: Ich bin Wissenschaftlerin, aber auch Praktikerin und bin sozusagen das Pendant von der Frau Bäck oder die Zielscheibe der Lobbyisten. Ich habe 14 Jahre im Europäischen Parlament gearbeitet, in Abgeordnetenbüros. Ich bin die Person, die lobbyiert wurde. Deshalb ist es auch so spannend. Irgendwann habe ich begonnen, darüber zu publizieren. Schreiben ist in zweierlei Hinsicht mein Job. Momentan arbeite ich für die österreichische Regierung und gleichzeitig schreibe ich auch über Lobbying. Deshalb ist es spannend. Ist es Teil der Demokratie? Es ist sogar gewünscht. Es ist vertraglich geregelt in der Europäischen Union, in Artikel 11 des EUV, dass die Institutionen einen offenen, regelmäßigen und transparenten Dialog führen sollen mit Verbänden und der Zivilgesellschaft. Das heißt, auch mit Unternehmen. Warum tun die Institutionen das? Erstens ist es die Input-Legitimität, die Entscheidungsfindung wird dadurch also besser, die Qualität erhöht sich. Und dann gibt es die Output-Legitimität in dem Sinne, dass man sich fragt: Ist man repräsentativ in der legislativen Arbeit? Sind die Gesetze so, dass sie in der Umsetzung passen für die Bevölkerung? Deshalb müssen die Interessensvertreter gehört werden und einbezogen werden, um einfach gute Gesetze zu machen, Richtlinien, Verordnungen. Es ist ein Bestandteil der Demokratie, vor allem auch der parlamentarischen Demokratie, wir sind ja hier in einem Parlament. Und es ist in dem Sinne legitim und auch notwendig und hat nichts mit Hinterzimmergesprächen und diesem ganzen Schmuddel-Image zu tun, das mich auch stört. Das schadet beiden – das schadet den Lobbyisten oder den Interessenvertreterinnen und natürlich auch den politischen Entscheidungsträgern, den einzelnen Institutionen und auch der Glaubwürdigkeit nach außen.
LUKÁŠ: Können wir für unsere Hörerinnen und Hörer vielleicht einfach mal das Feld aufmachen:
DIALER: Okay.
LUKÁŠ: Wie groß ist die Lobby Branche? Wie viele Lobbyistinnen und Lobbyisten gibt es in Österreich, in Brüssel? Wie würden Sie das einschätzen?
DIALER: Sollen wir von der höheren Ebene? Erstens, das Problem an der Begrifflichkeit ist, und deshalb ist es so schwer zu fassen: Es gibt keine eindeutige Definition. Man kann sagen, es ist die Beeinflussung von Meinungsbildung und Entscheidungsprozessen, Legislativprozessen auf allen Ebenen, auf der nationalen und europäischen Ebene. Wenn Sie Zahlen hören wollen: Brüssel ist das Mekka der Lobbyisten. Je nachdem, EU-Dokumente sagen, es sind 15000 Lobbyisten, das Transparenzregister sagt, es sind 13000, die Lobbying Watchdogs sagen, es sind 30000 bis 50000.
LUKÁŠ: Lobbying Watchdogs?
DIALER: Das sind die, die für Transparenz kämpfen. Lobby Control, selbsternannte Hüter der Transparenz und der Regulierung. Meistens sind es NGOs und Transparency International. Aber vielleicht möchte Frau Bäck dazu was auf der nationalen Ebene sagen.
BÄCK-KNAPP: Ja, gerne. Es gibt überhaupt keine Statistik. Man kann ins Lobbyingregister hineinschauen, da sind wahrscheinlich einige hundert Leute drinnen.
LUKÁŠ: In Österreich!
BÄCK-KNAPP: In Österreich, das österreichische Lobbyingregister. In der ÖPAV sind 130 Personen engagiert. Das heißt noch gar nichts. Ich möchte mal einen Schritt zurückgehen. Was ist überhaupt Lobbying? Der österreichische Gesetzgeber hat Lobbying sehr wohl auch definiert.
LUKÁŠ: An dieser Stelle möchte ich darum [...].
BÄCK-KNAPP: Ganz kurz, der organisierte und strukturierte Kontakt mit Funktionsträgerinnen mit dem Ziel, Entscheidungen zu beeinflussen. Und das ist nur ein Teil von dem, was Public Affairs Managerinnen machen. Und eine Sache nur noch, weil Sie nach dem Wert von Lobbying oder Public Affairs für die Politik und für die Demokratie gefragt haben: Sehen Sie mal einfach, Sie sind ein Unternehmen, Politik, gesellschaftliche Entwicklungen haben Einfluss, so wie der Markt. Ob Sie überhaupt ein Produkt herstellen können, können Sie es verkaufen, wie sind die Arbeitsbedingungen in Zukunft – all das hat Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung. Das heißt, ich muss es auf der einen Seite monitoren, ich muss es verstehen. Und ich muss auch im Management und als Unternehmen zumindest Gehör dafür finden, wie ein regulativer Prozess, eine Verordnung auf meine konkrete Branche, auf mein Unternehmen Einfluss hat. Ich kenne Unternehmen, die mussten sich aus Österreich zurückziehen, weil es gewisse Regelungen gab. Dann kann man das auch in Kauf nehmen. Das ist gut, wichtig, dass das auch mal passiert, das kann schon sein. Aber gleichzeitig ist es wichtig, dass jeder und jedes Unternehmen und die Interessen einfach auch gehört werden. Im Grunde ist es das.
LUKÁŠ: Und jetzt würde mich interessieren, wie schaut so ein Werkzeugkasten aus? Welche Instrumente habe ich als Lobbyist, Lobbyistin, um ins Gespräch zu kommen und meine Anliegen weiterzubringen?
DIALER: Das ist sehr vielfältig. Im Grunde ist es ähnlich auf der nationalen Ebene und auf der europäischen. Die Lobbyistinnen machen Monitoring, die schauen, was ist denn in der Pipeline, was will denn die Kommission, die neue Kommission an Legislativakten, an Vorschlägen vorlegen? Dann ist es so, dass meistens, wenn der Vorschlag dann da ist, dass sie mit Positionspapieren arbeiten. Das können Sie sich so vorstellen: Der Vorschlag ist da und eine Firma, oder nennen wir einfach ein Digitalunternehmen oder Gigant wie Google sagt dann, okay, in dieser Passage hätten wir lieber, dass der Vorschlag so oder so aussieht. Diese Positionspapiere werden dann versendet, oder man versucht, direkt ins Gespräch zu kommen mit Entscheidungsträgern. Die Königsdisziplin ist das persönliche Gespräch, das gelingt aber nicht immer. Dann muss man schauen, wie wird man gehört? Die Kommission, die Europäische Kommission, hat institutionalisierte Prozesse. Es gibt zum Beispiel 800 Expert-Groups im Schnitt, wo, bevor die überhaupt etwas vorlegen, sie die Branche, die NGOs, die Lebensmittelindustrie anhören, um überhaupt einen guten Vorschlag zu entwickeln. Das Europäische Parlament arbeitet mit Hearings, wo Lobbyisten aktiv eingeladen werden, damit sich die Abgeordneten, die sind ja keine Experten, ein Bild machen können. Die letzte Entscheidung liegt natürlich bei den politischen Mandatsträgern oder dem Staff der Kommission, aber das Werkzeug ist vielfältig. Kampagnen, das machen die NGOs zum Beispiel, öffentliche Medien. Aber da kann die Frau Bäck noch mehr dazu sagen, weil es ist ja ihr Job, mich zu beeinflussen.
BÄCK-KNAPP: Aber Sie können gerne mal bald bei uns anfangen! Gleich mal zu Beginn: Es fangt schon oft damit an, Themen selber zu setzen. Wenn man ein Interesse hat, muss man vielleicht die Politik erst mal aufmerksam darauf machen, dass das relevant ist. Ein Teil des Werkzeugkastens ist Policy Communications. Kommunikation ist relevant neben dem direkten Kontakt von Lobbying für Public Affairs, indem ich einfach gewisse Themen überhaupt erst aufs Parkett bringe und bewusst mache über die Öffentlichkeit. Das ist nunmal so, Politik reagiert öffentlich, Druck im weitesten Sinn. Es geht darum, was in der medialen, massenmedialen, aber nicht nur heutzutage mehr, in der Area diskutiert wird, was relevant ist. Das nächste ist, und ich glaube, das ist auch der Unterschied zu Brüssel in Österreich: Der Gesetzgebungsprozess fängt natürlich schon sehr viel früher an als in diesem wunderschönen Haus hier. Es gibt Interessensvertreter:innen, auch Kammern, die eine wichtige Rolle spielen. Im Grunde muss man ja schon dort versuchen, seine Interessen durchzubringen als Unternehmen oder als Verband. Ich glaube, sie hatten erst vor Kurzem eine Aufnahme zu den Sozialpartnern, die eine sehr wichtige Rolle in Österreich spielen, aber auch in der Gesetzgebung. Die können ja auch nicht die Interessen aller Unternehmen gleich vertreten. Das ist ja unmöglich, das können sie gar nicht. Die haben selber Prioritäten, auch hier kann man schon anfangen. Es geht natürlich bis hin zum: Wer ist denn alles Lobbyist? Also da muss man ja dazu kommen, oft ist es sehr technisches Lobbying. Es gibt Techniker, Technikerinnen in Unternehmen, die werden zu Arbeitskreisen von Ministerien eingeladen, weil die haargenau wissen, wie ein Auto ausschauen muss, damit es vorzugssteuerabzugsberechtigt ist. Das klingt lächerlich, aber für ein Unternehmen, das ein drei Zentimeter größeres Auto herstellt, da wird keiner einen Installateur mehr finden, der das Auto kauft. Und das ist schon zu verstehen, warum es für Unternehmen auch wichtig ist und für die Politik wichtig ist zu verstehen, wie Unternehmen dann davon betroffen sind.
DIALER: Das ist vielleicht auch wichtig zu erklären, man macht eine Folgenabschätzung. Das Verbandslobbying ist die älteste Form des Lobbyings. Aber natürlich, in Brüssel kann man ungefähr sagen, zwei Drittel ist Business-Lobbying, ungefähr ein Drittel ist NGO-Lobbying. Es ist auch ein Mittel, zu sagen, okay, was machen denn die NGOs, wenn sie Allgemeininteressen einbringen wollen oder die Klima-NGOs? Die verbünden sich. Es gibt zum Beispiel The Big Ten, die mitunter dafür verantwortlich sind, dass die Europäische Union das strengste Umweltregularium hat weltweit. Die lobbyieren seit den 70er-Jahren, nicht erst seit dem Klimawandel. Aber nur, dass man sagt, wie ist denn die Gewichtung und wer sind Lobbyisten? Weil es gibt eine klare Einteilung vom Businesslobbying bis NGOs, Public Affairs, Law Firms. Verbändelobbying ist in Brüssel massiv zurückgegangen, das war in den Anfängen. Jetzt ist es so, dass die Consultancies mehr werden, weil natürlich viele Firmen können sich in Brüssel kein Lobbyingbüro leisten. Dann heuern die natürlich an, die Public Affairs Unternehmen machen dann die Termine mit den Stakeholdern für sie und bereiten das Feld auf. Das ist ein riesen Geschäftsfeld, wo sich viele tummeln. Es ist nicht nur der kleine Lobbyist mit dem Aktenkoffer, sondern es ist die Frage, wer tummelt sich in diesem Teich?
LUKÁŠ: Zwischendrin stellen wir unseren Interviewgästinnen immer drei Fragen, die ein bisschen in den privaten Bereich reingehen. Ich würde mit Ihnen, Frau Dialer, anfangen. Erste Frage: Frühling oder Herbst?
DIALER: Herbst.
LUKÁŠ: Kompromiss oder beste Lösung?
DIALER: Kompromiss.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie Demokratie an?
DIALER: Wo fängt die Demokratie an? Die Demokratie ist im Grunde alles. Es betrifft alles, Privates, Politisches, das geht ineinander über. Beginnt bei mir in der Früh und endet, wenn ich einschlafe.
LUKÁŠ: Frau Bäck, dieselben Fragen: Frühling oder Herbst?
BÄCK-KNAPP: Frühling.
LUKÁŠ: Kompromiss oder beste Lösung?
BÄCK-KNAPP: Kompromiss.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie die Demokratie an?
BÄCK-KNAPP: Rechtsstaatlichkeit. Das sehe ich in der internationalen, wo ich eigentlich herkomme, Politik sehr stark. Das ist die Basis für einen guten demokratischen Prozess.
LUKÁŠ: Dann gehen wir jetzt zurück zu unserem Thema. Wir haben ganz viel darüber gesprochen, wer Lobbyisten sind, was Lobbyisten tun, wie Lobbyisten Einfluss nehmen. Auch über die Nützlichkeit von Interessensvertretungen haben wir gesprochen. Jetzt gehen wir ganz kurz ein bisschen zur Schattenseite. Ab wann kann Lobbyismus schädlich werden? Weil tatsächlich gibt es und gab es ja einige Skandale, in denen sogenannte Lobbyisten eine Rolle gespielt haben in den letzten Jahren, Frau Bäck.
BÄCK-KNAPP: Die letzten Jahre ist gut, ich glaube, es ist schon sehr lange her, fast zehn. Ich rede jetzt von Österreich, da kennen wir noch einige Fälle. Ich denke, das Problem ist, dass überall da, wo Macht und Geld ist, gibt es auch eine schwarze Seite. Darüber brauchen wir gar nicht reden, das ist so. Deswegen finde ich es auch wichtig, dass gewisse Branchen reguliert werden. Es gibt genug regulierte Branchen, die absolut unverfänglich sind: die Energiewirtschaft, die Finanzwirtschaft. Warum auch nicht diese Wirtschaft bis zu einem gewissen Grad, dass sie noch gut funktionieren kann, dass sie einfach Transparenzregeln beherrscht, Professionalitätsregeln beherrscht? Aus dem Grund gibt es das ja auch. Richtig verhindern lasst sich das nie, aber Schwarzarbeit auch nicht. Es gibt genug Sachen, die problematisch sind.
LUKÁŠ: Dann würde ich Ihnen dieselbe Frage nochmal stellen, Frau Dialer. Ab wann wird Lobbyismus schädlich?
DIALER: Vielleicht nochmal zurück: Warum lassen sich politische Figuren beeinflussen? Wo ist der Nutzen? Der Nutzen liegt darin, dass der Großteil die Expertise benötigt. Die Lobbyistinnen haben in erster Linie dieses Politikfeld, das sie beherrschen, zum Beispiel jemand im Gesundheitslobbying. Andererseits wissen sie die Prozesse, sie wissen, wo sie hinmüssen, zum Abgeordneten X, oder in die Kommission. In welcher Kommission ist das File? Wer ist damit befasst? Wann wird es schädlich? Es liegt immer in der Verantwortung eigentlich jener Person, die lobbyiert wird. Die Lobbyisten versuchen es, die hohe Verantwortung und Integrität und Sorgfalt muss innerhalb der Institution passieren, innerhalb des Legislativgefüges und der gesetzgebenden Institutionen. Warum sage ich das? Die Lobbyingskandale waren meistens Korruptionsskandale und nicht so sehr Lobbyingskandale, wo dann in der Öffentlichkeit nicht mehr klar war, ging es um Interessensvertretung oder ging es einfach um ein korruptes Verhalten innerhalb der Institution? Wenn man den letzten großen Skandal des Europäischen Parlaments nimmt, dann war es ein ehemaliger Abgeordneter des Europäischen Parlaments, der sich einfach bereichert hat. Es ging um große Summen. Das ist was anderes wie Lobbying. Da geht es um Bestechung und das muss man auseinanderhalten und das ist das Gefährliche, weil dadurch beide Seiten Schaden nehmen. Jene, die beeinflussen und jene, die beeinflusst werden. Das gute an einer Skandalisierung ist, dass es danach meistens eine Welle der Regulierung gibt. Wir haben jetzt einen stärkeren Verhaltenskodex im Europäischen Parlament. Es wird angedacht eine Ethik-Behörde. Die Transparenzregeln sind schnell stärker. Was dürfen ehemalige Abgeordnete tun? Dürfen die im Parlament ein- und ausmarschieren? Brauchen die eine Abkühlungsphase? Es wird dann schädlich, wenn nicht klar ist innerhalb der Institutionen, was die Stakeholder dürfen und nicht dürfen.
LUKÁŠ: Das interessiert mich jetzt als Bürgerin. Was dürfen die? Wo ist die Grenze? Oder besser gesagt, was dürfen sie schon nicht mehr?
DIALER: Es ist klar, dass wenn ich im Verkehrsausschuss bin und mich ladet irgendein großes Transportunternehmen oder die Luftfahrtindustrie ein auf eine Spaßfahrt nach Dubai, dass ich einfach sagen muss: Nein, da habe ich einen Interessenskonflikt, da darf ich nicht mitfliegen.
BÄCK-KNAPP: Ich möchte nochmal auf das "schädlich” eingehen. Was dürfen sie nicht oder was sollen sie nicht? Was wirklich schädlich ist, ist, wenn Verhaberung wichtiger ist als Fakten. Nach dem Motto: Nur weil ich den kenne, mache ich dir den Gefallen und so weiter. Das wirst du vielleicht auch nicht verhindern können, aber du kannst es bis zu einem gewissen Grad durch Professionalisierung und durch Aufzeigen dieser Sachen sehr wohl verhindern. Das ist nämlich schädlich, weil dann vielleicht nicht die besten Interessen oder ein Interessensausgleich stattfinden kann. Wird nie perfekt sein, wissen wir auch. Das ist sicher problematisch. Und was natürlich auch problematisch ist, da sind wir alle einer Meinung, wenn eine Branche oder ein Unternehmen eine dermaßene Wirtschaftsmacht hat und damit auch mediale Macht und die so ausnutzt, um andere Interessen nicht wahrzunehmen. Gleichzeitig, was ich schon sehe, ist, die Compliance Vorschriften von großen Unternehmen, die sind so extrem heutzutage, weil so viel auch teilweise passiert ist. Wenn die irgendwo eingeladen werden, kein CEO fährt mehr irgendwo hin. Das ist bei kleineren, nicht so börsennotierten Unternehmen vielleicht ein bisschen anders. Aber ganz ehrlich, das ist immer die Frage: Nur weil ich irgendwen wo einlade, die können es sich selber leisten und heutzutage will sowieso jeder nur mehr zuhause und bei seiner Familie sein. Viel wichtiger, was wir sehen, viel mehr Nutzen haben Funktionsträgerinnen – um dieses Wort, was der österreichische Gesetzgeber diesen Personen gibt, zu nehmen – davon, in dieser extrem komplexen Welt zu sehen, welchen Nutzen habe ich davon, und welchen Nutzen hat die Allgemeinheit? In jedem Positionspapier, das wir schreiben, ist auch drinnen, nicht nur was wir für Interessen haben, was wir fordern als Unternehmen, sondern es ist sehr wohl drinnen, und darüber macht sich jedes Unternehmen Gedanken, was für Auswirkungen hat das auf die Allgemeinheit.
LUKÁŠ: Es gibt ja auch seit 2012 ein Lobbygesetz und in der EU gibt es ein Lobbyregister. Wir haben vorher schon gesagt, nach den Zeiten der Skandale kommt die Zeit der Regulierung. Meine Frage, hätten wir diese Errungenschaften überhaupt ohne diese Skandale?
DIALER: Das Lobbyregister, das wir haben auf der europäischen Ebene, das Europäische Parlament hat ein Register seit 1996, die Kommission seit den 2000er Jahren mit der großen Lobbyinginitiative 2004, also die Europäische Kommission. Dann wurden diese Register, die einzeln geführt wurden von den Institutionen, weil die haben alle ein sehr starkes Selbstorganisationsrecht – die Regierung und das Parlament arbeiten unabhängig voneinander und haben eigene Transparenzvorschriften – dann wurde das zusammengefügt. Was bedeutet das? Natürlich war der Skandal wichtig, dass wir, also innerhalb der Institution, wir damals angehalten wurden, uns im Europäischen Parlament nur mit jenen zu treffen, die Frau Bäck hat es gesagt: Wer nicht eingetragen ist, den trifft man nicht.
BÄCK-KNAPP: Ja, das ist in Österreich anders.
DIALER: In Brüssel ist das ein No-Go. Auch jetzt, wo ich als Attachée für die Regierung arbeite, schaue ich immer vorher: Sind die eingetragen, wie viel Budget geben die aus, wer ist akkreditiert im Parlament? Das gibt Transparenz, und dann ist auch noch wichtig: Diese Ethikvorschriften, die jetzt das Parlaments nochmal festgezurrt hat wegen dem letzten Skandal, da geht es auch darum, darf ich mit meinem Wissen als Abgeordnete oder als Kommissar danach direkt in die Wirtschaft wechseln? Da gibt es eine Abkühlungsphase jetzt für Europaabgeordnete von sechs Monaten und eine Abkühlungsphase für Kommissare von ich glaube das sind zwei Jahre und für Kommissionspräsidenten sind es drei Jahre. Der Seitenwechsel ist auch immer ein Problem. Gehe ich von der Wirtschaft direkt in die Politik, umgekehrt hat es noch mehr Hautgout. Je mehr man aber reguliert und klare Gesetze hat: Deutschland hat ein Lobbyinggesetz, Österreich hat eins. Die EU hat zwar ein verpflichtendes Lobbyingregister, Transparenzregister, aber es gibt kein Gesetz so wie in den USA, weil es keines geben kann. Die Institutionen können sich auf etwas committen, aber es ist kein Lobbyinggesetz auf der europäischen Ebene möglich. Man kann sich nur für eine interinstitutionelle Vereinbarung zwischen den drei gesetzgebenden Institutionen committen und das ist das Problem.
BÄCK-KNAPP: Auf die Frage: Nein, ohne Skandale hätte es das nicht gegeben.
LUKÁŠ: Okay.
BÄCK-KNAPP: Und niemand schaut in Österreich von den Funktionsträgerinnen, Politikerinnen oder wer auch immer, ins Lobbyingregister. Wir wissen ja, auch vom Ministerium, dass es extrem wenige Abrufe gibt. Trotzdem ist es uns wichtig und alle, die ich kenne, dass man drinnen ist und dass man auch reinschreibt, vor allem, wenn man eine Agentur ist, für welches Unternehmen man arbeitet im Lobbying-Bereich.
DIALER: In Brüssel geben die sogar die Summen an, was sie für Lobbying ausgeben, das müssen sie deklarieren. Was die Kommission auch macht: Wenn man jetzt die Kommission rudimentär mit der Regierung vergleichen würde, die Kabinette der Kommissarinnen, ihre engsten Mitarbeiter müssen transparent auf der Webseite ausweisen, mit welchen Interessenvertreterinnen sie sich getroffen haben. Sie können nachlesen bei der Gesundheitskommissarin, ob sie jemand der großen Pharma-Unternehmen trifft und können das nachverfolgen, wer mit wem gesprochen hat. Das wäre undenkbar in einer Landesregierung. In einer nationalen Regierung ist man noch nicht so weit. Deshalb finde ich das auf der europäischen Ebene schon erstaunlich, dass man so weit geht in diesen Transparenzforderungen.
LUKÁŠ: Jetzt haben wir gerade gehört, in Österreich ist es nicht so Gang und Gäbe, dass das so gehandhabt wird, so akribisch wie offensichtlich in Brüssel. Wir sind schon am Ende unseres Gesprächs angekommen und ich würde gerne die Frau Bäck noch mal fragen, warum ist es Ihnen wichtig, über dieses Thema zu sprechen?
BÄCK-KNAPP: Es ist mein Job, ist Teil meines Jobs. Ich bin außerdem Lobbyistin der Lobbyisten, insofern muss ich hier [...].
LUKÁŠ: Ja, natürlich!
BÄCK-KNAPP: Warum es mir noch wichtig ist, und das ist eine Sache, die vorher angesprochen worden ist, warum es auch für westliche Demokratie notwendig ist: Es ist nur in westlichen Demokratien möglich, weil es ein Teil eines demokratischen Prozesses ist. Kolleginnen aus etwas anderen internationalen Staaten, die haben es dann irgendwann aufgegeben auch Lobbying zu machen, weil wenn du mit pseudodemokratisch regierten Staaten zu tun hast, macht Lobbying, so wie es professionalisiert aus den USA kommend und auch hier in einem westlichen Demokratien verstanden wird als Interessensausgleich, keinen Sinn.
LUKÁŠ: Und Ihnen ist es wichtig, über Lobbyismus zu sprechen und aufzuklären ebenfalls aus diesem demokratischen Momentum heraus?
DIALER: Ja, das ist auch ein eigennütziges Momentum. Erstens werde und wurde ich lobbyiert. Auch um für mich festzuzurren, welche Verantwortung hat man als Person, die an Legislativprozessen beteiligt ist oder mitarbeitet? Und dann geht es natürlich auch darum, dass man sagt, das ist ein sehr professionelles Feld. Man benötigt die Expertise, gleichzeitig ist die Regulierung oder die Regularien, was man hat, wie Transparenzregister, Verhaltenskodex, dass man das festschreibt und dass die Bevölkerung auch weiß, man ist sehr darum bemüht, mit Sorgfalt die Gesetzesprozesse zu begleiten. Dass die Menschen, die damit befasst sind – ich hatte ja nie ein politisches Mandat – sich dessen bewusst sind. Und dann muss man diese Schieflage klären, weil im Europäischen Parlament die Institutionen sind eigentlich understaffed.
LUKÁŠ: Understaffed heißt, es gibt zu wenig Personal?
DIALER: Es gibt zu wenig Personal. Ein Kongressabgeordneter hat vielleicht 25 Mitarbeiter, ein Europaabgeordneter hat vielleicht fünf Personen und dann noch ein bisschen was von den Fraktionen, wo die ein bisschen Expertise einbringen. Wie soll das gehen, wenn der Wahlkreis ganz Österreich ist? Da ist man froh, wenn man bei so was Sperrigem wie Finanztechnologie ein Initiativfile hat, dass man da die Branche einlädt, aber auch NGOs etc. und sich ein Bild machen kann. Relativ schnell, kompakt, ohne dass man ein ganzes Buch lesen muss, verstehen Sie? Da geht es um diese Kompetenz im Politikfeld, aber auch in den Prozessen. Je mehr man darüber spricht – ich habe auch meine Hierarchie gefragt: Ist es in Ordnung für die Regierung, für mein Ministerium, dass ich darüber spreche? Und die meinten auch, das ist wichtig, dass man darüber spricht. Je mehr das Thema in diesem Korruptionsschmuddelbereich herumwabert, desto schlechter für die Demokratie. Die Bevölkerung hat ein Recht darauf zu wissen, was tut sich und dass man darum bemüht ist, es transparent und zum Besten für die Bevölkerung zu gestalten. Das ist für unsere Zukunft der Demokratie. In Zeiten wie diesen, wo das Pflänzchen auch bedroht ist, dieses europäische Projekt bewegt sich immerfort, da ist das noch umso wichtiger.
LUKÁŠ: Also dann gehen wir aus diesem Gespräch mit dem Wissen, dass Lobbyismus an sich wichtig ist und nur in westlichen Demokratien möglich.
DIALER: Es gibt internationale Vergleiche. Eines der besten Lobbying Laws hat Australien zum Beispiel. Westliche Demokratien stimmt, aber, nachdem es ja immer mehr [...]
BÄCK-KNAPP: Mal ein bisschen mehr aus der Praxis geplaudert.
DIALER: Es gibt ein Gefälle zwischen Ost und West. Ich kann dazu sagen, es gibt in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU sehr wohl Gesetze, Regulierungsbemühungen, in allen EU-Staaten. Nichtsdestotrotz gibt es manche, die haben stärkere gesetzliche Regulierungen oder ein Gesetz oder sonst Softlaw, Transparenzinitiativen. Aber wie gesagt, das ist jetzt nicht das Thema.
LUKÁŠ: Dann sagen wir in Demokratien, in funktionierenden Demokratien.
DIALER: Wäre mir lieber. Ich bin dann immer vorsichtig, weil Indien wählt dieses Jahr, die haben so eine Art Lobbying, kein Law, aber es ist halt immer schwierig. Wo fängt der Westen an? Wo ist der Süden?
BÄCK-KNAPP: Aber es ist schon klar, dass auch in Demokratien es mehr und weniger Korruption gibt. Es gibt Lobbyinggesetze, Österreich hat ein relativ strenges, und trotz allem gibt es Freunderlwirtschaft, Verhaberung. Wir kämpfen auch ein bisschen dagegen an.
LUKÁŠ: Ja, das werden wir uns in der nächsten Folge dann genauer anschauen, wie es mit der Korruption so funktioniert und auch die Unterschiede zum Lobbying.
DIALER: Das ist ganz wichtig, dass man da noch mal nachhakt und dass man das nicht so stehen lässt. Wir hatten ja nur die Möglichkeit, dass wir das ein bisschen aufholen, das Feld leider.
LUKÁŠ: Das Gespräch hätte locker zwei Stunden dauern können. Das wäre sehr interessant gewesen, in diese ganzen Prozesse einzutauchen.
DIALER: Es ist eine sehr weibliche Branche, übrigens. Es war einmal männlich dominiert, wird immer weiblicher in Brüssel. Das ist auch wichtig zu sagen. Hochprofessionalisiert.
LUKÁŠ: Jetzt wollte ich Sie schon verabschieden, aber da muss ich jetzt doch ganz kurz fragen: Frau Bäck, finden Sie das gut? Ist das ein guter Einfluss auf die Branche, dass sie weiblicher wird?
BÄCK-KNAPP: Immer!
LUKÁŠ: Immer?
BÄCK-KNAPP: Es gibt auch diverse Studien, dass Branchen weniger Geld verdienen, wenn sie weiblicher werden. Das ist die andere Sache vielleicht, und ich hoffe doch, dass es in der Lobbying-Branche nicht so ist. Es ist eine Tatsache, dass es jünger und weiblicher wird, weil einfach es viel mehr Frauen gibt heutzutage, die einfach auch die Voraussetzungen mitbringen, ein Studium, ein Interesse an Politik haben und verstehen, dass es hier ein interessantes, gutes Betätigungsfeld gibt.
LUKÁŠ: Dann bedanke ich mich noch einmal für dieses sehr feine, informative Gespräch und diesen ersten Überblick über Lobbyismus für alle, die da draußen vielleicht noch nicht so viel gewusst haben und bis jetzt nur über Skandale damit in Berührung, in Kontakt gekommen sind. Danke für das interessante Gespräch!
DIALER: Vielen Dank Ihnen für die angenehme Moderation.
BÄCK-KNAPP: Vielen Dank.
LUKÁŠ: Und von euch, liebe Hörerinnen und Hörer, verabschiede ich mich diesmal aus technischen Gründen aus dem Studio heraus. Kann auch mal passieren. Ich hoffe jedenfalls, euch hat diese Folge genauso viel Spaß gemacht wie mir und dass ihr auch nächstes Mal wieder dabei seid. Dann werden wir mit zwei sehr interessanten Gästen darüber sprechen, welche Mittel gegen politische Einflussnahme helfen können, die man in einem demokratischen Staat lieber nicht haben möchte. In diesem Sinne verabschiede ich mich in eine kleine Osterpause. Das bedeutet, die nächste Folge kommt erst am 24. April. Wenn ihr die nicht verpassen wollt, dann abonniert uns einfach auf Spotify, Apple Podcasts, Deezer, Amazon Music oder wo ihr sonst noch eure Podcasts hört. Und wenn ihr mögt, gebt uns dort gerne eine Bewertung. Das würde uns sehr freuen. Also, ich freue mich schon auf die nächste Folge mit euch. Danke fürs Zuhören. Mein Name ist Tatjana Lukáš. Bis bald!