Tamara EHS: Wer hat denn das größte Misstrauen oder wer ist am meisten unzufrieden? Und es sind vor allem die, die nicht mehr das Gefühl haben, dass sie gehört werden oder dass dieses politische System sie gleichermaßen hört.
Martina ZANDONELLA: Grundsätzlich sind die Menschen hier bei uns im Land davon überzeugt, Demokratie ist das System, in dem wir leben wollen, wo wir auch mitmachen wollen. Demokratie, Politik funktioniert offensichtlich nicht mehr für uns alle, nicht mehr als eine Art Gemeinwesen, sondern da gibt es Personen, die das für sich ausnutzen und dann rasselt das Vertrauen runter. Wenn wir uns das hier in Wien anschauen, dann haben wir ja nicht nur diese starke Überschneidung zwischen den Nichtwahlberechtigten und den unteren Einkommensgruppen. Wir haben auch wirklich viele junge Menschen, die nicht wahlberechtigt sind.
Jingle: Rund ums Parlament, der Podcast des österreichischen Parlaments.
Tatjana LUKÁŠ: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Rund ums Parlament", dem Podcast des österreichischen Parlaments. Mein Name ist Tatjana Lukáš und ich freue mich sehr, dass ihr heute wieder mit dabei seid. Jetzt geht gleich eine Frage an euch. Wenn euch heute jemand fragen würde, wie stehst du zur Demokratie, was würdet ihr dann antworten? In dieser Folge geht es genau um dieses Misstrauen oder Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Und dafür habe ich mir heute zwei Gäste eingeladen und zum einen ist Martina Zandonella bei mir. Hallo, vielen Dank.
ZANDONELLA: Hallo.
LUKÁŠ: Sie ist Projektleiterin des österreichischen Demokratie Monitors und beobachtet dort mit jährlichen Erhebungen die Demokratieentwicklung in Österreich. Und ebenfalls an meiner Seite begrüße ich Tamara Ehs. Hallo.
EHS: Hallo, danke für die Einladung.
LUKÁŠ: Gerne. Die Politikwissenschaftlerin berät verschiedene staatliche Player und Projekte zum Thema Bürgerbeteiligung. Und sie bietet mit den sogenannten Demokratie Repair Cafés eine einfache Form der politischen Bildung an. Das interessiert mich sehr, werden wir im Laufe des Gesprächs noch darauf kommen, was das ist und was das tun kann. Also schön, dass Sie beide da sind. Ich würde sagen, starten wir gleich rein in unser Gespräch. Wir sind heute ja im Palais Epstein und unsere Hörerinnen und Hörer, da dies ein
Podcast ist, können ja leider mit den Augen nicht dabei sein, sondern nur mit den Ohren. Dürfte ich vielleicht eine von Ihnen beiden bitten, mir diesen schönen Raum hier kurz zu beschreiben, damit man sich eine Vorstellung machen kann von diesem Prunkraum. Frau Zandonella, bitte.
ZANDONELLA: Es ist tatsächlich ein Prunkraum, würde ich sagen. Hat zwei schöne Fenster. Aus dem einen sieht man direkt aufs Parlament hinaus und vom anderen auf die schöne Ringstraße. Wir haben hier eine Decke, die goldig ausschaut und sehr bunt ist. Also sehr schön, aber irgendwie auch ein bisschen einschüchternd, finde ich.
EHS: Ja, man sagt ja gern, es sind repräsentative Räume. Wen sollen sie repräsentieren?
LUKÁŠ: Also das Zimmer heißt der Spielsalon.
EHS: Okay.
LUKÁŠ: Ich weiß nicht genau, was hier gespielt wurde. Aber dadurch, dass das Palais Epstein ja der Sitz der Parlamentsdirektion ist und die Parlamentsdirektion im Dienste des Parlaments tätig und das Parlament uns allen gehört, repräsentiert dieser Raum auch uns als Bürgerinnen und Bürger, würde ich mal ableiten.
EHS: Ja, schaut es bei dir das zuhause auch so aus?
ZANDONELLA: Eher nicht.
LUKÁŠ: Also bei uns zu Hause ist es ein bisschen moderner, ein bisschen weniger Gold. Fein, na gut, haben wir uns ganz kurz diesen schönen Spielsalon angeschaut. Es ist immer ganz spannend, weil wir in so vielen
unterschiedlichen Räumen sind, wo wir unsere Gespräche führen dürfen. Dann komme ich zu Ihnen als erstes, Frau Zandonella. Sie blicken ja mit dem österreichischen Demokratie Monitor seit 2018 jährlich darauf, wie die Menschen hierzulande zur Demokratie stehen. Erstens würde mich interessieren: Warum tun Sie das? Also vielleicht auch, wie kam die Idee auf? Wie ist das Ganze entstanden und was bringt das überhaupt?
ZANDONELLA: Ja, wir machen den Demokratie Monitor seit 2018 und wir haben damals tatsächlich ein Jubiläum, den 100. Gründungstag der Ersten Republik, zum Anlass genommen, das Projekt auch zu starten. Weil wir uns schon lange gedacht haben, es gibt eigentlich in Österreich keine regelmäßige Befragung, kein regelmäßiges Projekt, das sich damit auseinandersetzt, was denken die Menschen eigentlich über Demokratie, wie geht es ihnen auch in der Demokratie, wo beteiligen sie sich, wer beteiligt sich vielleicht auch nicht und was steht da alles dahinter. Und das ist natürlich enorm wichtig, weil ein Aspekt einer funktionierenden Demokratie ist natürlich eine Bevölkerung, die das System gut findet, die sich auch am System beteiligt, sonst funktioniert Demokratie nicht. Und deswegen haben wir das Projekt auch gestartet, um uns anzuschauen und auch beobachten zu können, wie geht es denn der Demokratie aus Sicht der Menschen.
LUKÁŠ: Jetzt sind Sie ja heute alleine da, da stellt sich mir die Frage – wer ist Wir?
ZANDONELLA: Wir, das sind meine Kollegen, Kolleginnen und ich, die wir alljährlich an dem Projekt arbeiten, den Fragebogen dazu machen, die Befragung organisieren und dann das alles uns anschauen und auswerten und dann auch so aufbereiten, was ja das eigentliche Ziel von dem Ganzen ist, dass wir es der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, damit wir hier auch in einen Diskurs kommen, weil es soll ja nicht irgendwo als eine Arbeit in einer Bibliothek verschwinden und dort irgendwo einsortiert sein. Es soll ja tatsächlich dazu anregen und sehr viele Menschen dazu anregen, über Demokratie nachzudenken, zu schauen, was man vielleicht ändern möchte, was gut ist, was man beibehalten möchte. Das ist unser Anliegen mit dem Ganzen.
LUKÁŠ: Okay, also ich denke mal, es wird ein Website geben, wo man diese ganzen Ergebnisse einsehen kann. Dann werden wahrscheinlich Pressemitteilungen an die Medien ergehen.
ZANDONELLA: Genau, man kann sich das Ganze auf demokratiemonitor.at anschauen. Da ist seit 2018 alles Wichtige drauf. Genau.
LUKÁŠ: Sehr gut. Dann würde es mich gleich interessieren, vertrauen denn die Österreicherinnen und Österreicher in die Demokratie? Wie schaut es da allgemein aus?
ZANDONELLA: Ja, das kann man so allgemein gar nicht so schnell beantworten. Die Menschen in Österreich vertrauen der Demokratie als System gut und im Grunde haben wir die überwiegende Mehrzahl der Menschen, fast neun von zehn, die die Demokratie als das beste System erachten. Auch wenn wir es vergleichen mit zum Beispiel anderen autokratischen Systemen, da schneidet die Demokratie immer am allerbesten ab. Natürlich hat sie ihre Probleme, aber grundsätzlich sind die Menschen hier bei uns im Land davon überzeugt, Demokratie ist das System, in dem wir leben wollen, wo wir auch mitmachen wollen. Nicht ganz so gut schaut es aus, wenn wir uns anschauen, wie funktioniert Demokratie aktuell, sind die Menschen mit dem politischen System, so wie es gerade läuft, zufrieden. Da sehen wir, dass es nicht so gut ausschaut. Es sind inzwischen tatsächlich nur mehr vier von zehn Menschen, die sagen, ich finde, das politische System in Österreich funktioniert gut. Und das hat sich über die Jahre hinweg auch deutlich verschlechtert.
LUKÁŠ: Das wird wahrscheinlich auch nicht über alle Institutionen hinweg gelten, sondern für manche Institutionen mehr und für manche weniger, dass das Vertrauen besteht?
ZANDONELLA: Genau, was wir in den letzten Jahren beobachtet haben, wo eben dieses Vertrauen stark gesunken ist, ist, dass es vor allem die repräsentativen Institutionen betrifft. Also das heißt das Parlament, das heißt die Parteien, die Bundesregierung, auch den Bundespräsidenten. All diese Einrichtungen, auch Menschen der Demokratie, die wir wählen, zumindest indirekt. Bei denen ist das Vertrauen stark gesunken, während zum Beispiel bei dem Justizsystem oder auch in Bezug auf die Polizei, da bleibt es relativ stabil und relativ hoch. Und es ist auch gar nicht so verwunderlich, weil natürlich erwarten wir von den Menschen, die wir wählen, denen vertrauen wir unsere politischen Anliegen an. Da haben wir natürlich auch hohe Erwartungen, dass dann auch irgendwas mal umgesetzt wird und dann sinkt das Vertrauen auch, wenn da einiges nicht mehr ganz so passt.
LUKÁŠ: Bevor ich jetzt gleich zur Frau Ehs gehe und an sie meine Fragen richte, hätte ich noch eine letzte Frage. Und zwar: Gibt es auch Unterschiede zwischen der österreichischen Ebene und der EU-Ebene, was das Vertrauen betrifft?
ZANDONELLA: Ja, also was wir beobachten können, ist eben in Österreich, dass seit 2019 und seit 2020 das Vertrauen stark gesunken ist. In Bezug auf die EU ist es eher so, dass das Vertrauen grundsätzlich niedriger war und es schwankt auch nicht so stark. Also es bleibt relativ auf diesem niedrigen Niveau und es geht nicht ständig rauf und runter, was wir hier für Österreich schon zumindest bei einzelnen Bevölkerungsgruppen beobachten
LUKÁŠ: Danke. Dann kommen wir mal zu Ihnen, Frau Ehs und den Demokratie Repair Cafés. Das hat bereits in der Einleitung so spannend geklungen. Das ist ja ein Demokratie- und Bürgerbeteiligungs-Workshop. Da würde es mich persönlich interessieren, könnte ich den auch mitmachen? Wenn ja, wo erfahre ich, wo die stattfinden und was passiert da eigentlich genau?
EHS: Ja, da muss ich vorausschicken, meine Hauptbetätigungsfelder sind die Politikwissenschaften, die Demokratieberatung. Für politische Bildung nehme ich mir immer gern Zeit, aber es ist auch das, wo am wenigsten Zeit bleibt. Muss man auch sagen, es ist das, was leider am geringsten bezahlt ist. Dafür gibt es die geringsten Förderungen. Deswegen können wir unsere Workshops immer nur dann anbieten, wenn es wieder Förderungen gibt, wenn ein Demokratie-Jubiläumsjahr ist. Martina hat schon angesprochen, da gibt es mehr Demokratie- und Beteiligungsworkshops, wenn das Thema auch hoch ist. Also es war ausgehend von diversen Forschungsergebnissen, die ich auch gemeinsam mit Martina Zandonella erhoben habe. Wie steht es mit dem Vertrauen um die Demokratie? Wie sehr misstrauen oder wie unzufrieden sind die Österreicherinnen und Österreicher? Und wir haben uns dann überlegt, es braucht eine Kultur der Reparatur. Und wir kennen Repair-Cafés, wo man hingehen kann, um zu lernen, seine Tischlampe oder seinen Küchenmixer zu reparieren. Und ausgehend von diesem Konzept habe ich dann mit Kollegen das Demokratie Repair Café entwickelt, wo wir Platz machen und Raum geben, um tatsächlich mal über die Demokratie zu reden. Was stört uns daran? Wo sind wir unzufrieden? Wo sagen wir, wir können mit dem System nicht mit? Und wie Martina auch richtig gesagt hat, es gibt ja eine große Zufriedenheit an sich oder einen großen Zuspruch an sich mit Demokratie als Herrschaftsform. Da ist ein Großteil der Menschen überzeugt, dass das die beste Möglichkeit ist, miteinander gesellschaftlich zu leben, auch wenn es Probleme geben mag. Aber dann mit der politischen Praxis, mit der täglichen Arbeit sind viele Menschen unzufrieden oder werden jährlich unzufriedener, wie auch der Demokratie Monitor immer wieder zeigt. Und diese Demokratie Repair Cafés richten sich an alle. Wir haben es schon mit verschiedenen Altersgruppen in verschiedenen Regionen Österreichs, Deutschlands gemacht, ich habe es auch in Ungarn schon durchgeführt. Am meisten aber ist gefragt tatsächlich unsere Erstwähler- und Erstwählerinnen-Workshops, wo wir von 16-, 17-, 18-, 19-Jährigen entweder noch in der Schule oder auch Lehrlinge – ich gehe auch immer gerne mit diesem Workshop in Lehrwerkstätten – erreichen, um mit ihnen zu reden, wie können wir uns einbringen, wie können wir uns über Wahlen hinaus während des Jahres einbringen. Was umfasst eigentlich Demokratie? Das ist ja mehr als wählen, es ist mehr als nur meine Meinung hinauszuschreien und dann zu warten, ob irgendeine Widerrede kommt. Und wir schaffen da eben einen Raum, wo man all diese Sorgen und auch Ängste, die man im täglichen Leben hat, wo man fragen kann, wie könnten wir das lösen, was wären denn demokratische Maßstäbe unsere Konflikte zu lösen? Und in diesem Sinne sind die Demokratie Repair Cafés auch eine Übung in Zivilisationstechniken. So wie wir Lesen, Schreiben, Rechnen erst lernen müssen, müssen wir auch einen gleichberechtigten, solidarischen Umgang miteinander lernen. Wir müssen lernen, dass Demokratie eben mehr als nur die Mehrheitsherrschaft ist, sondern dass es einen liberalen Rechtsstaat, eine eingebettete Demokratie in einen liberalen Rechtsstaat braucht. Und das alles versuchen wir, in eineinhalb Vormittagen zu vermitteln.
LUKÁŠ: Okay.
EHS: Anspruchsvoll. Ich bin auch immer sehr froh, dass ich ein Moderatoren-Team an meiner Seite habe. Also ich nehme auch immer ausgebildete Moderatoren mit, die dann eben auch ihre Moderationstechniken, wie wir sie aus Bürgerforen, Bürgerräten kennen, mitbringen, um eben auch mit manch populistischer Spitze umzugehen, die ja durchaus vorkommt und die ja auch Platz haben soll. Es muss zuerst einmal alles raus und es ist wirklich viel Unmut da. Und der ganze Unmut darf auch mal Platz und Raum finden, sodass man dann eben auch zu einem Kompromiss oder auch einem allgemeinen Zuspruch zur Demokratie wieder kommen kann.
LUKÁŠ: Finde ich extrem spannend. Das ist ein gutes, nah an den Menschen Konzept. Da würde es mich interessieren, um gleich auf die Menschen zu kommen: Welche Gruppen von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind besonders misstrauisch den demokratischen Prozessen und Institutionen gegenüber? Kann man das überhaupt so sagen?
EHS: Das wissen wir ja aus der Forschung. Es ist ja nicht so, dass ich quasi aus den Demokratie Repair Cafés meine anekdotischen Ansichten als Wissenschaft ausgebe, sondern umgekehrt schauen wir uns eben gemeinsam, oft auch mit Martina Zandonella an, wer hat denn das größte Misstrauen, wie schaut es da aus. Gerade die Beteiligungsangebote oder auch das, was ich in der Demokratieberatung, Landesregierungen, Ministerien und so weiter vorschlage, antwortet ja auf diese Verwerfungen und antwortet auf die sozialen Schieflagen. Und da sind wir dann auch gleich bei Ihrer Frage, wer hat denn das größte Misstrauen oder wer ist am meisten unzufrieden. Und es sind vor allem die, die nicht mehr das Gefühl haben, dass sie gehört werden oder dass dieses politische System sie gleichermaßen hört. Und da sehen wir, es sind vor allem diejenigen, die sich auch nicht repräsentiert fühlen und oftmals auch zu Recht nicht repräsentiert fühlen. Menschen mit geringer formaler Bildung, mit geringen Einkommen. Also sozioökonomisch eine Klasse, der es eben nicht so gut geht und die eben auch objektiv sieht, das politische System antwortet auf unsere Bedürfnisse weniger als auf andere. Also wir haben auch immer wieder in unseren Umfragen die Rückmeldungen gehört, Demokratie oder überhaupt Politik, das ist was für die Mittel- und Oberschicht. Aber für mich kleinen Mann oder für mich kleine Frau ist das nichts. Hat auch oft mit sozialen Kränkungen zu tun. Wie tritt mir Staatlichkeit gegenüber? Habe ich mit Arbeitsamt zu tun? Kommt das Jugendamt zu mir nach Hause? Wie werde ich von staatlichen Institutionen behandelt? Und gerade Menschen, die weniger ökonomische Stärke haben, weniger finanzielle Kaufkraft und so weiter, geringere formale Bildung, sind dann eben öfter davon betroffen, mit staatlichen Einrichtungen Kontakt zu haben. Und wenn sie dort erfahren, sie werden abschätzig behandelt, dann wirkt sich das aus auf ihr Verhalten dem Staat gänzlich gegenüber. Wir sehen das auch, wenn jemand in der Arbeit kaum Möglichkeit hat, hier mitzusprechen. Je nachdem – habe ich einen Betriebsrat, kann ich dort mitwählen habe ich irgendwie Einfluss auf meinen Arbeitsalltag? Und je geringer diese Mitsprache auch im Betrieb ist, desto geringer ist auch der Zuspruch zur Demokratie, weil Demokratie darf nicht nur etwas sein, was alle paar Jahre mal an einem Wahlsonntag groß zelebriert wird, sondern es muss eine Alltagserfahrung sein. Und je geringer die Alltagserfahrung ist, desto geringer auch der Zuspruch oder das Misstrauen, dass die dort eh nur das machen, was sie wollen, aber dass das nicht mit mir zu tun hat.
LUKÁŠ: Danke schön. Ich sehe, Sie brennen sehr für dieses Thema. Das finde ich gut. Frau Zandonella, die Sie offensichtlich auch gemeinsam miteinander an diesem Thema arbeiten, hätte ich noch eine Frage dazu an Sie. Es gab Studien, dass Männer und Frauen sich in demokratiepolitischen Fragen auseinanderentwickeln. Oft gibt es auch die Annahme, dass Stadt und Land weit auseinanderklaffen. Hätten Sie dazu vielleicht noch ein paar Einsichten, um wirklich detaillierter darauf einzugehen, wen das betrifft?
ZANDONELLA: Ja, ich glaube, da muss man immer ein bisschen aufpassen, welche potenziellen Spaltungen man da hinauskommuniziert, die es so überhaupt gar nicht gibt. Wir sehen natürlich Unterschiede in den Bevölkerungsgruppen, wenn es darum geht, wem in der Demokratie vertraue ich, was finde ich gut, wie beteilige ich mich, wo beteilige ich mich. Aber tatsächlich ist es so, dass wir weder zwischen Männern und Frauen noch zwischen Stadt und Land Unterschiede hätten, die uns jetzt irgendwie besorgniserregend stimmen müssten. Da geht es dann eher darum, dass vielleicht andere Themen interessant sind, wo es dann ein bisschen auseinander geht, aber nicht grundsätzlich darum, wem vertraue ich, wem vertraue ich nicht. Die einzige Gruppe, und die hat Tamara Ehs gerade auch erwähnt, wo wir es tatsächlich auch langfristig beobachten können, dass hier einiges schiefläuft, das sind die unteren Einkommensgruppen. Also das ist ganz klar diese ökonomische Frage, wo es tatsächlich auch dieses Auseinandergehen gibt. Wo wir sehen, seit wir den Demokratie Monitor erheben und auch schon davor, wo wir natürlich auch auszugsweise Daten haben, dass die unteren Einkommensgruppen grundsätzlich sehr viel weniger zufrieden sind und auch sehr viel weniger Vertrauen in demokratische Institutionen haben im Vergleich zu den mittleren und oberen Einkommensgruppen. Und es wird auch sukzessive schlechter.
LUKÁŠ: Vielen Dank für diesen ersten Schwung an Antworten. Wir gehen jetzt zu unserer Rubrik, den drei Fragen. Jeder Interviewpartner und jede Interviewpartnerin beantwortet uns normalerweise sehr gerne diese drei persönlichen Fragen. Und ich würde vielleicht gleich bei Ihnen bleiben, Frau Zandonella, und mit der Frage beginnen: Frühling oder Herbst?
ZANDONELLA: Herbst.
LUKÁŠ: Kompromiss oder beste Lösung?
ZANDONELLA: Kompromiss.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie Demokratie an?
ZANDONELLA: In den Köpfen der Menschen und auch in ihren Herzen.
LUKÁŠ: Eine schöne und poetische Antwort. Frau Ehs, Frühling oder Herbst?
EHS: Winter.
LUKÁŠ: Nein.
EHS: Ja dann Herbst, weil der Winter naht.
LUKÁŠ: Ja, gut, in Österreich kann man diese Antwort geben. In anderen Ländern ist es schwieriger, Österreich funktioniert. Kompromiss oder beste Lösung?
EHS: Ja da halte ich es noch immer mit Hans Kelsen. Der Kompromiss ist das Wesen vor allem der parlamentarischen Demokratie.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie Demokratie an?
EHS: Überall dort, wo Entscheidungen getroffen werden, sollten die, die betroffen sind, auch mitentscheiden können.
LUKÁŠ: Vielen Dank. Dann würde ich sagen, gehen wir als nächstes zum Demokratie Monitor. Wir haben uns die Daten der letzten sechs Jahre angeschaut. Und da ist die Zahl derjenigen, die sagen, dass das politische System in Österreich sehr gut oder ziemlich gut funktioniert, wirklich stark gesunken, nämlich von 67 auf 39 Prozent, also von fast zwei Drittel auf 39, 40 Prozent. Wir haben schon darüber gesprochen, woran es liegen könnte, nämlich einfach an den sich verändernden sozioökonomischen Gegebenheiten. Gibt es dafür noch weitere Gründe, die wir nennen müssen?
ZANDONELLA: Auf jeden Fall. Die Gründe sind zahlreich. Das Wichtigste haben wir schon gesagt, dass eben in diesen unteren Einkommensgruppen, da sinkt das Vertrauen gar nicht mehr so stark und die Zufriedenheit, weil da war es schon immer sehr niedrig. Also das ist der eine Aspekt, den wir auf jeden Fall beachten müssen. Und dieser große Abfall, den wir hier beobachten, der passiert zum Teil in den unteren Einkommensgruppen aber viel stärker beobachten wir ihn in der Mitte und in den oberen Einkommensgruppen. Und da sehen wir, dass auch sehr stark aktuelle Ereignisse dafür verantwortlich sind. Da geht es dann um Korruptionsvorwürfe, da geht es um globale Krisen, die uns natürlich auch hier in Österreich betreffen, die das Vertrauen dann auch schnell mal runter senken können. Wir haben es 2019 schon gesehen und dann auch wieder 2021, wo diese ganzen Korruptionsgeschichten aufgekommen sind, wie das Vertrauen tatsächlich direkt danach runterrasselt. Wir haben uns das einmal 2021 auch im Panel, wie wir das so schön nennen, angeschaut. Das heißt, da waren wir mit der Erhebung des Demokratie Monitors fertig. Und dann kamen diese Hausdurchsuchungen, wenn Sie sich erinnern. Und da dachten wir, super, jetzt sind wir mit unserer Erhebung fertig und jetzt genau passiert sowas. Was tun wir jetzt? Was wir dann gemacht haben, ist, dass wir einen Teil der Befragten, die wir schon gefragt haben, nochmal gefragt haben. Und da konnten wir tatsächlich direkt beobachten, wie solche Ereignisse, die aus der politischen demokratischen Elite heraus auch kommen, das Vertrauen der Bevölkerung sofort runterbringen. Also das ist was, was wir auch immer berücksichtigen müssen, dass wenn solche Dinge passieren, das direkt das Vertrauen beeinflusst. Und zwar ganz egal, wer jetzt dafür verantwortlich ist, welche Personen, welche Parteien. Es leidet das gesamte politische System, die gesamte Demokratie darunter, und das ist, denke ich wichtig, dass wir das auch mitnehmen. Und das sehen wir sehr stark eben in der Mitte und oben, wo dann der Eindruck entstanden ist, Demokratie, Politik funktioniert offensichtlich nicht mehr für uns alle, nicht mehr als eine Art Gemeinwesen, sondern da gibt es Personen, die das für sich ausnutzen und dann prasselt das Vertrauen runter. Wir haben eine gute Nachricht auch, damit wir nicht nur das Negative berichten. Wir haben letztes Jahr, 2023, in diesen beiden Gruppen in der Mitte und in den oberen Einkommensgruppen ein bisschen eine Verbesserung im Vertrauen und in der Zufriedenheit gesehen. Also da sieht man auch, dass bei den Bevölkerungsgruppen, wo es schon so ein Grundvertrauen gibt, das verbessert sich dann auch wieder relativ rasch oder kann sich relativ rasch auch wieder verbessern, wenn die Menschen das Gefühl kriegen, okay, das schaut sich jetzt irgendwer an, da wird es jetzt Verbesserungen geben. In den unteren Einkommensgruppen ist das nicht, da sinkt das Vertrauen weiterhin.
LUKÁŠ: Und kann man davon ableiten, wenn so viele Menschen das Gefühl haben, dass das politische System nicht mehr so gut funktioniert, ist es dann auch wirklich schlechter geworden?
ZANDONELLA: Naja, aus den Demokratiemonitordaten sehen wir natürlich nur, was denkt die Bevölkerung. Das ist die eine Sache. Was wir schon haben, sind zahlreiche andere Forschungen, die sich das Ganze ein bisschen größer auch anschauen, die sich anschauen, wie funktioniert der Rechtsstaat, wie funktionieren sonstige Institutionen, das auch vergleichen international. Und da ist es ja tatsächlich so, dass Österreich auch herabgestuft wurde in Bezug auf seine Demokratiequalität schon vor ein paar Jahren. Dieser neue V-Dem Report. Wir bleiben auf dieser zweiten Stufe und nicht auf der besten Stufe. Also das zeigt schon auch, dass es nicht nur ein Gefühl ist oder ein subjektiver Eindruck, den die Menschen uns berichten, wenn wir sie danach fragen, sondern dass hier schon sehr viel mehr passiert.
LUKÁŠ: Und kann man diese Aussage auch auf die EU übertragen?
ZANDONELLA: Nicht so einfach. Also die EU ist natürlich ein eigenes System, auch eine eigene Art von demokratischer Veranstaltung, die weiter weg ist, die auch nicht so direkt funktioniert. Also das ist nicht eins zu eins übertragbar.
EHS: Kann ich da noch kurz einhaken?
LUKÁŠ: Sehr gerne.
EHS: Weil wenn Sie auch fragen, ist es wirklich schlechter geworden? Also es geht ja darum, ist es objektiv schlechter geworden. Weil wirklich sind ja auch die subjektiven Empfindungen, die Martina und ihre Kolleginnen und Kollegen erheben. Das ist ja das subjektive Zufriedenheitsempfinden und wir sehen auch in der empirischen Forschung, dass es empirisch belegbare Zusammenhänge gibt zwischen der subjektiv empfundenen Verschlechterung, wie geht es mir, wie geht es meinen Liebsten, meiner Familie, habe ich Arbeit, ist meine Arbeit sicher, lebe ich prekär, muss ich mich sorgen, ob ich meine Miete in den nächsten Monaten noch zahlen kann – wenn es sich da subjektiv verschlechtert, dann verschlechtert sich nämlich auch der Zuspruch zu Demokratie und die Zufriedenheit allgemein. Und auch wenn wir sehen in diesen objektiven Erhebungen, da gibt es ja nicht nur Varieties of Democracy, es gibt ja auch International IDEA, der Europarat macht jedes Jahr eine Erhebung, die Europäische Kommission schickt uns jedes Jahr im Sommer einen Rechtsstaatbericht. Dann gibt es diese eigenen Erhebungen, sei es Reporter ohne Grenzen, Transparency International. Und dort überall sehen wir ganz objektive Messdaten, auch noch Verschlechterungen. Und natürlich kann man den Menschen dann sagen, ja, aber vergleich dich doch. Und jetzt nennen sie ein Land ihrer Wahl, das halt im Monitor noch mal schlechter gelistet ist. Aber man vergleicht sich ja nicht so. Wir sind alle soziale Wesen. Wir vergleichen uns mit unseren Mitmenschen, mit ihrer unmittelbaren Umgebung. Also Österreich, vielleicht noch Deutschland sind unsere Vergleichsländer. Und wenn wir sehen, da gibt es – auch wieder puncto Korruption, um das aufzunehmen, was Martina sagte – da gibt es Menschen, die können es sich richten und das Märchen von Leistung, es kommt nur auf deine Leistung an, das zählt nicht mehr, dann hat das alles Auswirkungen eben auf die objektive Verschlechterung. Korruption steht in all diesen Demokratieindizes oder man nennt es halt netter, Österreich hätte einen Hang ins Informelle. Das heißt ja auch nichts anderes als Korruption. Das ist etwas, was unser Demokratiezutrauen und die Zufriedenheit extrem beeinträchtigt, weil das einerseits Vertrauen in die Politiker, Politikerinnen, aber auch zwischenmenschlich, wer kann es sich richten, wer gehört einer höherstellenden Klasse an, also das ist etwas, was uns tatsächlich die Gesellschaft auch zerstört.
LUKÁŠ: Jetzt fragt man sich natürlich, wenn es so viele Menschen gibt, die sich nicht in Parteien oder in der Politik generell repräsentiert fühlen, wie schafft man es, diese Menschen besser zu erreichen. Gibt es da Rezepte?
ZANDONELLA: Ich denke, was wir da zuerst noch vielleicht einbringen sollten, ist, was bedeutet für die Menschen Demokratie oder in einer Demokratie zu leben? Weil es ist jetzt weniger das, was in der Verfassung steht oder diese ganzen organisatorischen Dinge. Da geht es um sehr Grundlegendes, auch um sehr Lebensnahes. Wenn wir die Menschen fragen, was ist für sie Demokratie, was heißt das für sie, in einem demokratischen System zu leben, dann kommen im Grunde zwei Sachen: Und das eine ist die politische Gleichheit. Also egal, wer ich bin, wo ich herkomme, wie viel Geld ich habe, wie viel Geld meine Eltern hatten, in diesem demokratischen Prozess sind wir alle gleich und begegnen uns auf Augenhöhe. Und der zweite Aspekt ist die Mitbestimmung. Also die Dinge, die uns hier alle gemeinsam betreffen, die bestimmen wir auch gemeinsam. Das sind diese zwei Versprechen, die die Demokratie macht, die von den Menschen selber sehr wertgeschätzt werden und auch immer kommen, wenn wir sie danach fragen. Und hier gibt es dann natürlich die Schwierigkeiten, die wir auch schon aufgezählt haben, wo wir sehen, dass diese Versprechen gerade für bestimmte Bevölkerungsgruppen eben nicht mehr eingehalten werden. Die Menschen, die das Gefühl haben, sie sind Menschen zweiter Klasse, weil sie zum Beispiel, wir haben es schon gehört, in der Arbeit überhaupt nicht mitbestimmen können oder, noch einmal grundlegender, weil sie nicht nur das Gefühl haben, sondern weil es tatsächlich auch so ist, dass ihre Arbeit von der Gesellschaft nicht wertgeschätzt wird. Also wir haben zum Beispiel in den oberen Einkommensgruppen die überwiegende Mehrheit der Menschen, die sagt, na selbstverständlich, die Arbeit, die ich mache als Arzt, als Richterin, als Uniprofessor, was auch immer, wird von der Gesellschaft wertgeschätzt. Wir haben in den unteren Einkommensgruppen, das sind die Reinigungskräfte die Pflegekräfte, die Elementarpädagoginnen, die überwiegende Mehrzahl der Menschen, die sagt, meine Arbeit wird nicht wertgeschätzt von der Gesellschaft. Also wie ist das dann jetzt mit den Gleichen unter Gleichen? Wenn diese Arbeitssache, wo wir auch so viel Zeit unseres Lebens verbringen, wenn es da schon so starke Unterschiede gibt. Und dann der zweite Aspekt mit der Mitbestimmung, wo wir auch ganz klar sehen, dass die Leute sich ausgeschlossen fühlen, dass sie das Gefühl haben, ich bin nicht vertreten im Parlament und zwar weder ich als Person, zum Beispiel ich als Reinigungskraft. Wer von den Abgeordneten war früher Reinigungskraft? Keine einzige, nehme ich mal an. Aber auch ich mit meinen politischen Anliegen. Weil natürlich kann jetzt nicht nur die Reinigungskraft eine Reinigungskraft vertreten, aber ich finde auch meine politischen Anliegen dort nicht wieder. Und das ist der zweite Aspekt, wo es eben in Argen liegt. Und jetzt kann man immer noch sagen, na gut, jetzt sind wir wieder bei diesen subjektiven Empfindungen, oder? Steht da auch tatsächlich irgendwas Faktisches dahinter? Und da wissen wir inzwischen auch, nicht für Österreich, weil wir die Daten nicht haben, aber in Deutschland hat sich das die Kollegin Lea Elsässer sehr genau angeschaut, dass die Menschen 100 Prozent recht haben. Dass die politischen Anliegen, die umgesetzt werden, die sind, die den oberen Einkommensgruppen entsprechen. Und da haben wir uns sehr lange sehr schön rausreden können, weil für Demokratien wie die USA oder auch Großbritannien wissen wir das ja schon lange, dass das so funktioniert. Und wir dachten immer, na gut, bei uns ist das alles ganz anders, weil Parteienfinanzierung, Wahlkampffinanzierung funktioniert bei uns anders. Inzwischen wissen wir, dass wir da nicht sehr viel besser dastehen als diese angloamerikanischen Ausprägungen von Demokratie. Und wenn wir dann davon reden, was wir ändern müssen, dann glaube ich müssen wir genau diese zwei Aspekte sehr genau mitberücksichtigen.
EHS: Wir haben auch von Denise Traber und Kolleginnen schon einige Daten für Österreich. Sie hatten eine Langzeitstudie in einem europäischen Vergleich und haben erhoben, dass dieses Gefühl einiger Enttäuschter nicht gehört zu werden, auch einen wahren Kern hat und dass gerade das, was sich untere Einkommensschichten wünschen, was ihre politischen Vorstellungen sind, nur dann zur Durchsetzung kommt, wenn es auch mit den mittleren und oberen Einkommensschichten in Übereinstimmung ist. Es geht hier um Responsivität, Responsivitätsforschung. Antwortet das politische System auf die Bedürfnisse aller Menschen gleich? Und Martina hat schon angesprochen, dass es da große Verwerfungen gibt. Wirkt sich dann auch wieder aus, wer geht dann überhaupt noch wählen. Martina und ich haben eine Nichtwähler-Nichtwählerinnen-Studie gemeinsam gemacht, wo wir auch gesehen haben, dass die Menschen, die sich eben weniger vertreten fühlen, die sich weniger repräsentiert sehen, weil sie sehen, das politische System antwortet nicht auf meine politischen Wünsche, dass die dann sich auch vom Wählen verabschieden oder seltener wählen oder in das Lager der Nichtwähler dann zuzuzählen sind. Und dann dürfen wir in Österreich nicht vergessen, haben wir schon weit über 1,2 Millionen Menschen, die dauerhaft im Land leben, im Wahlalter wären, aber nicht wahlberechtigt sind. Und die werden hier auch übersehen, auf deren Rücken kann Politik gemacht werden, aber es wird nicht durch sie und mit ihnen Politik gemacht. Also das sind auch so Verwerfungen, die wir dann eben in der Demokratiezufriedenheit auch wieder sehen. Und du hast es schon angesprochen, Martina. Es gibt viele Bevölkerungsteile, die sich sowohl in den Landtagen als auch im Nationalrat deskriptiv nicht repräsentiert sehen. Also es ist eben kein Abbild der Gesellschaft. Wir haben immer noch eklatante Abweichungen beim Alter, beim Geschlecht und gerade auch bei der sozialen Herkunft. Wenn jemand einen geringen formalen Bildungsgrad hat, Migrationsgeschichte hat, unter 30 ist, dann findet er in den Landtagen oder sie im Parlament kaum jemanden wo man sagt, da ist jemand wie ich. Und wir kennen das aus der Frauenforschung, man nennt das subjektive Fremdheitserfahrung. Wenn da niemand ist, mit dem ich mich identifizieren kann, habe ich auch weniger das Gefühl, dass dort jemand ist, der Politik für mich macht. Dieses Thema aus der Frauenforschung kommend wird aufgegriffen. Manche Parteien geben sich ja schon Frauenquoten oder bei der Listenerstellung werden Frauen und Männer in gleichem Ausmaß, also 50-50, für die Listenerstellung herangezogen. Bei anderen Themen ist uns das aber offenbar noch nicht so wichtig, dass uns hier in der Repräsentation Menschen fehlen.
LUKÁŠ: Dann komme ich jetzt auf meine Frage zurück, meine lieben Interviewpartnerinnen. Und wie schafft man es dann, unter diesen Grundvoraussetzungen die Menschen besser zu erreichen?
ZANDONELLA: Also der erste Schritt ist natürlich mal, sie einzubeziehen. Ich schließe vielleicht nochmal an an das, was du gerade gesagt hast Tamara, in Bezug auf, wer darf denn überhaupt, wer ist denn überhaupt berechtigt, weil ich es mir letztens gerade angeschaut habe. Wir haben heuer einige Wahlen und wenn wir uns das hier in Wien anschauen, dann haben wir ja nicht nur diese starke Überschneidung zwischen den Nichtwahlberechtigten und den unteren Einkommensgruppen. Wir haben auch wirklich viele junge Menschen, die nicht wahlberechtigt sind. Wenn wir uns die ganz jungen Altersgruppen anschauen, sind wir in Wien bei 40 Prozent der jungen Generation, die kein Wahlrecht hat. Und da geht es schon mal darum, wo wir jetzt gar nicht anfangen müssen mit, wo sollen wir jetzt irgendwelche Repair-Cafés zum Beispiel machen, sondern da geht es ganz klar darum, das Wahlrecht zu erweitern. Wer darf mitmachen, wer muss auch mitmachen? Weil sie einfach Teil der Bevölkerung, Teil der Demokratie hier sind. Und in Wien ist das sehr schön zu sehen, wie stark das auseinandergeht, nicht nur in Bezug auf die unteren Einkommensgruppen, auch gerade bei den jungen Menschen.
EHS: Die Wahlen werden bei den über 50-Jährigen gewonnen.
LUKÁŠ: Jetzt Frage für alle Menschen und alle Zuhörerinnen und Zuhörer, die sich da nicht so gut auskennen. Ganz kurz, warum sind so viele Menschen in Wien nicht wahlberechtigt? Was sind da die Gründe? Weil das weiß vielleicht auch nicht jeder.
ZANDONELLA: Weil sie eine ausländische Staatsbürgerschaft haben.
LUKÁŠ: Und einfach nur eine Aufenthaltsberechtigung?
ZANDONELLA: Es hängt an der Staatsbürgerschaft. Das Wahlrecht hängt ganz klar an der Staatsbürgerschaft. Bin ich nicht österreichischer Staatsbürger, Staatsbürgerin, darf ich auch Nationalrat, Landtag, nicht wählen.
LUKÁŠ: Vielen Dank. Gut, also eine Erweiterung des Wahlrechts würde schon viel helfen, halten wir hier mal fest.
EHS: Leichterer Zugang zur Staatsbürgerschaft würde helfen.
ZANDONELLA: Genau.
EHS: Das liegt daran, dass die Staatsbürgerschaft im Erwerb so teuer ist. Und das dann vor allem die ärmeren, armutsgefährdeten Menschen, und das sind dann vor allem die Jüngeren, die noch weniger finanziellen Grundstock aufgebaut haben, weniger leicht überhaupt die Staatsbürgerschaft erwerben können. Wir müssen gar nicht am Wahlrecht basteln. Wir müssen im Staatsbürgerschafterwerb den Einkommensnachweis runterschrauben.
LUKÁŠ: Interessant. Frau Ehs, Sie beraten in Deutschland ja auch die baden-württembergische Landesregierung in Fragen der Bürgerbeteiligung und bieten dort auch die Demokratie Repair Cafés an. Sie arbeiten praktisch daran, dieses Misstrauen abzubauen. Jetzt kommt nochmal die Frage: Was sind denn erfolgreiche Maßnahmen dort? Hat dort irgendetwas besonders gut funktioniert, was man hierher übertragen kann?
EHS: Also Baden-Württemberg hat seit 2021 ein Gesetz über die dialogische Bürgerbeteiligung und da ist jetzt eben im Gesetz festgelegt, wir würden es Bürgerräte nennen, also geloste Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die zu einem Thema die Landesregierung auch beraten sollen. Wir kennen das in Österreich zum Beispiel in Vorarlberg mit den Bürgerräten. Im großen Stil hat der Klimarat genauso funktioniert. Also das ist eine Möglichkeit, hier Menschen in die politische Gestaltung mit hineinzuholen, die sich nicht von selbst melden, die nicht von selbst schon irgendeine Bürgerinitiative oder ein Volksbegehren lanciert haben oder hier ein persönliches Interesse an dem Thema haben, sondern sich über mehrere Wochenenden hinweg mit Expertinnen und Expertinnen zusammensetzen und vor allem mit ihren Mitmenschen dann ein Thema diskutieren, wo sie von ihrem Bauchgefühl, das jeder von uns zu einem Thema hat, zu einer informierten Meinung kommen. Und in Baden-Württemberg sehen wir von Kollegen an der Universität Stuttgart, da gibt es auch schon eine Studie dazu, dass das zu mehr Zufriedenheit und auch Vertrauen in die Landesregierung geführt hat. Also das Vertrauen und der Zuspruch in die baden-württembergische Landesregierung ist höher als sonst im bundesweiten Durchschnitt in Deutschland. Die Staatsministerin Barbara Bosch, die ich berate, nennt das auch eine Politik des Gehörtwerdens. Und Bürgerräte sind keine Demokratierevolution, als die sie manchmal kommunikativ fälschlich auch genannt werden, sondern es ist eine Verwaltungsinnovation. Es geht darum, den Kreis der Beteiligten, die mitreden können, in welche Richtung soll sich denn das Land entwickeln oder wenn eine bestimmte Frage aufkommt, in welche Richtung sollen wir denn da hier Maßnahmen setzen, wo dieser Beteiligungskreis erreicht wird. Nämlich über diejenigen, die sich ohnehin beteiligen. Und es gibt ja immer Menschen, die besonders engagiert in Bürgerinitiativen sind oder die von sich aus den Kontakt zu Politikern suchen. Und gerade durch das Losverfahren, das es in Baden-Württemberg gibt, das wir auch schon in Vorarlberg haben, das jetzt europaweit immer mehr eingesetzt wird, ist das eine Möglichkeit, hier auch durch diese Nähe mehr Vertrauen zu schaffen, weil man sieht, wie gestaltet sich eigentlich Politik. Wie komme ich eigentlich zu einem neuen Gesetz? Was ist das eigentlich für eine harte Arbeit, diesen Kompromiss zu finden? Und deswegen haben wir auch beide auf Ihre Frage geantwortet: Ein Kompromiss ist das Wesen der Demokratie. Das ist harte Arbeit. Wie kann ich denn meine Position formulieren, mit anderen abgleichen? Wie kann ich auch solidarisch und gerecht, und gerecht nicht nur individuell, sondern gesellschaftlich gerecht zu einem guten Gesetz kommen? Und da sind Bürgerräte eine Möglichkeit, aber eben lange nicht das alleine. Wir haben schon gesprochen, es braucht genauso gut Sozialpolitik und einen starken Rechtsstaat, all diese Einbettungen. Also keine Maßnahme alleine wird es tun, sondern wir brauchen da viel mehr.
LUKÁŠ: Ich kann mir vorstellen, dass diese Bürger:innenräte auch deshalb besonders gut funktionieren, weil das wird ja weiter in die Familien oder in den Freundeskreis getragen, diese Erfahrungen, die man dort macht.
EHS: Genau, das sind alles Multiplikatoren.
LUKÁŠ: Es ist nicht nur auf die einzelne Person beschränkt, sondern betrifft ja dann auch den Umkreis, der wiederum mitbekommt, wie das Ganze abläuft. Finde ich toll. Frau Zandonella, wir sind ja jetzt am Ende unseres Gesprächs angekommen. Gibt es noch etwas, das Sie unseren Hörerinnen und Hörern mitgeben wollen in Bezug auf Demokratie und was man für sie tun kann?
ZANDONELLA: Ja, die Demokratie auf keinen Fall aufgeben.
LUKÁŠ: Frau Ehs?
EHS: Die Demokratie in Österreich ist keinesfalls in ihrem Bestand gefährdet, aber wir sehen, wie die Qualität leidet und wie sich das dann auch auf die Zufriedenheit auswirkt. Und Zufriedenheit hat dann auch damit zu tun, mit Zuspruch und Mitarbeit.
LUKÁŠ: Dann bedanke ich mich jetzt im Namen aller für Ihre Arbeit, die mir sehr wichtig zu sein scheint und dass Sie versuchen, die Demokratie mitzubefördern. Vielen Dank, dass Sie beim Gespräch waren und ich hoffe, Sie sind sehr erfolgreich in Ihren Bestrebungen auch für die nächsten Jahre.
ZANDONELLA: Danke für die Einladung.
EHS: Dankeschön.
LUKÁŠ: Und das war es auch schon wieder mit "Rund ums Parlament". Ich hoffe, ihr habt gern zugehört und könnt was mitnehmen. Wenn ja, dann empfehlt uns doch auch gerne weiter oder abonniert uns, wenn ihr das noch nicht getan habt. Dann verpasst ihr nämlich auf keinen Fall die nächste Folge. Da spreche ich mit meinen Gästen, der Soziologin Anna Pospech Durnova und der Politikwissenschaftlerin Karin Liebhart darüber, ob es eine Radikalisierung und Zersplitterung der Gesellschaft gibt, wie das unsere Demokratie gefährdet und wenn ja, was wir dagegen tun können. Bis dahin hört gerne mal rein in die früheren Folgen von "Rund ums Parlament", zum Beispiel in die Folgen über die Fundamente unserer Demokratie: Die Verfassung, Wahlen oder die Gewaltenteilung. Falls ihr Fragen, Kritik oder Anregungen zum Podcast habt, dann schreibt uns sehr gerne eine E-Mail an podcast@parlament.gv.at und schaut auch gerne mal auf der Website und den Social-Media-Kanälen des österreichischen Parlaments vorbei. Also, ich freue mich schon auf die nächste Folge mit euch. In diesem Sinne sage ich vielen Dank fürs Zuhören. Mein Name ist Tatjana Lukáš. Wir hören uns.
Jingle: Rund ums Parlament, der Podcast des österreichischen Parlaments.