Hubert SICKINGER: Die gebräuchlichste Korruption ist Missbrauch eines anverwandten Amtes zum persönlichen Vorteil. Das muss nicht notwendigerweise Geld sein.
Roland SPITZLINGER: Wenn ich jetzt beim Billa arbeite und meiner Freundin einen Kaugummi schenke, dann ist das zwar illegal, aber nicht wirklich Korruption.
SICKINGER: Wenn Sie Privatperson sind, ein privates Unternehmen haben und Freunde einstellen, ist das natürlich überhaupt nicht strafbar.
SPITZLINGER: Also ich glaube, man muss sich ein bisschen verabschieden von dem, dass Korruption illegal ist. Das kommt halt auf die Gesetzeslage drauf an.
SICKINGER: Ich würde sagen, die Korruptionsstrafe ist jetzt mittlerweile einigermaßen gut geregelt.
Jingle: Rund ums Parlament. Der Podcast des österreichischen Parlaments.
Tatjana LUKÁŠ: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Rund ums Parlament", dem Podcast des österreichischen Parlaments. Mein Name ist Tatjana Lukáš. Schön, dass ihr wieder dabei seid. Diesmal begeben wir uns ins Extrem, nämlich in die Korruption und dazu treffe ich heute meine beiden Gäste an einem Ort, an dem man sich traditionell recht gut für ein ungezwungenes und sehr privates Gespräch treffen kann, nämlich im Wiener Kaffeehaus.
Herzlich willkommen. Hubert Sickinger, Sie sind Forscher und Spezialist für politische Korruption und unter anderem Gründungsmitglied von Transparency International Österreich. Hallo!
SICKINGER: Und Spezialgebiet ist eigentlich Parteienfinanzierung neben Korruption.
LUKÁŠ: Was das miteinander zu tun haben kann, darauf werden wir noch zu sprechen kommen.
Und außerdem am Tisch sitzt hier im wunderschönen Café Eiles Roland Spitzlinger, unter anderem Autor des Buchs »Probier's doch mal mit Korruption« und Gründungsmitglied des realsatirischen Instituts für angewandte Korruption in Wien. Herzlich willkommen!
SPITZLINGER: Hallo, danke für die Einladung.
LUKÁŠ: Also zweimal Korruption, aber doch recht unterschiedliche Zugänge, kann man gleich aus der Biografie herauslesen.
Herr Spitzlinger, Sie haben ja mit "Probier's doch mal mit Korruption" und dem Institut für angewandte Korruption zwei Statements gesetzt. Und jetzt frage ich mich, wollen Sie die Menschen wirklich zur Korruption verführen oder was steckt da eigentlich dahinter?
SPITZLINGER: Es steckt auf jeden Fall viel Ironie dahinter. Wir haben nämlich die Erfahrung gemacht, dass wenn man über so ein schwieriges Thema diskutiert, dass es eigentlich überhaupt nicht zu einer Diskussion kommt, weil die meisten sofort abblocken. Wir können das jetzt gerne testen. Wenn ich Sie jetzt beide frage: Waren Sie schon mal korrupt? Und wenn ja, wie viel haben sie verdient? Was würden sie dann antworten?
LUKÁŠ: Wahrheitsgemäß, nein, ich habe zu große Angst vor dem Gefängnis.
SPITZLINGER: Das würden die meisten Leute in unseren Seminaren sagen. Und deswegen verwenden wir eben Ironie und Witz. Und die meisten Leute sagen ja auch, die anderen sind korrupt. Ich selber mache das natürlich nicht. Also wenn jemand korrupt ist, dann sind es die Manager, die Politiker und so weiter. Aber wir vom Institut für angewandte Korruption, wir glauben schon, dass jeder korrupt sein kann. Es gibt ja eine ganze Bandbreite, also vom Anfüttern, von gegenseitigen kleinen Gefälligkeiten, über Postenvergaben bis hin zu, es kann so weit führen, dass Kinder in Indien sterben, weil korrupte Pharmaunternehmen dort die lokalen Behörden bestechen und dann ihre Medikamente dort testen können. Also die Frage ist halt, wie weit geht man? Mit Witz und Ironie – das ist einfach einfacher für die Leute, dass sie dann überhaupt einsteigen. Weil uns geht es darum, wie korrupt bin ich selber? Dass die anderen korrupt sind, das wissen wir alle. Aber wie korrupt bin ich selber? Wie weit würde ich gehen? Habe ich überhaupt die Möglichkeit dazu? Wir verstehen unser Projekt als Art Selbstverteidigungskurs. Erst wenn wir wissen, wie Korruption funktioniert, dann können wir sie ja im Alltag auch erst erkennen.
LUKÁŠ: Das stimmt.
SICKINGER: Kann ich das ergänzen? Das Interessante ist ja, es gibt ja vergleichende Umfragen über Korruption. Unter anderem macht die EU ja ihr Eurobarometer halbjährlich, und da macht sie immer auch ein Special Eurobarometer dazu, zu Themen, die sie für ihre Arbeit braucht. Alle zwei Jahre werden seit 2007 auch Fragen zum Thema Korruption gestellt. Da hat man das interessante Ergebnis: Wenn man die Leute fragt, ob sie selber im letzten Jahr um ein Schmiergeld gefragt worden sind oder sonstige Geschenke oder Vorteile für eine Leistung bezahlt worden sind, dann ergibt sich aus den Umfragen, dass das jährlich schwankt, allerdings irgendwie zwischen 5 und 15 Prozent.
LUKÁŠ: Die um Schmiergeld gefragt wurden?
SICKINGER: Ja. Das heißt nicht notwendigerweise, dass sie es auch bezahlt haben. Und es können, wenn es intensive Debatten über Korruption gibt, können Sie natürlich der Meinung sein, eigentlich kann es gut sein, dass Sie da etwas zahlen hätten müssen. Andererseits wenn man gefragt hat, ist Korruption ein großes Problem in Österreich? Stimmen je nach Jahr zwischen 47 und 80 Prozent zu. Oder wie verbreitet ist Korruption in Österreich? 2013 66 Prozent, 2017 50 Prozent. Verbreitet oder eher? Stimme voll zu oder stimme eher zu? Aber das ist im europäischen Vergleich sehr wenig. Es ist in fast allen Staaten höher. Außer den notorisch korruptionsarmen Staaten Nordeuropa. Aber von der tatsächlichen Betroffenheit mit Korruption, wenn man diesen Umfragen glauben darf, liegt Österreich so ungefähr im Mittel zwischen den alten Mitgliedsstaaten der EU und den ostmitteleuropäischen Staaten, die dann später Jahrzehnte nach uns beigetreten sind, die aber als notorisch korrupt gelten.
LUKÁŠ: Okay, danke, dass Sie uns da gleich mit Daten unterfüttert haben. Danke für diese Ergänzung. So wissen wir jetzt auch, wie Korruption in Österreich eingeschätzt wird bzw. wie viel Prozent der Bevölkerung eigentlich damit in Kontakt kommen über Schmiergeld-Avancen, nenne ich es jetzt mal.
SPITZLINGER: Ich hätte noch einen Punkt von vorher. Wenn man eben Leute fragt, ob sie selber korrupt sind, dann würden ja die meisten Leute sagen, nein, würde ich nicht machen. Wenn man sie dann konkret fragt, würden Sie einem Freund ein Praktikum vermitteln, wenn Sie die Möglichkeit haben, sagen die meisten in unseren Seminaren zumindest, ja, na klar, würde ich schon machen. Die Person muss sie dann ja ohnehin selber irgendwie bewähren. Wenn man dann aber fragt, aber wenn ein Politiker einen Job an einen Parteifreund vergibt, dann schreien alle "Korruption".
LUKÁŠ: Da werden wir noch darauf zu sprechen kommen, auf diese Unterscheidung der Freunderlwirtschaft und der Korruption, was dann ein tatsächlicher Straftatbestand ist. Bevor wir das aber tun, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie uns vielleicht so einen kleinen Crashkurs in Korruption, jetzt im satirischen Sinne natürlich, geben.
SPITZLINGER: Also, als erstes empfehlen wir unseren Studenten und Studentinnen einmal, sie müssen die moralischen Bedenken zur Seite räumen. Das ist ganz wichtig. Korruption hat es immer schon gegeben, in der Vergangenheit, wird es in der Zukunft immer geben. Total menschlich. Und es ist in manchen Fällen sogar legal und wenn nicht legal zumindest straffrei. Als zweiten Punkt empfehlen wir, weil Korruption kann man nur in gehobenem Management, sage ich jetzt mal, wirklich erfolgreich ausüben, Sie brauchen eine gewisse Machtposition. Deswegen nehmen Sie einen schönen Anzug und ein schönes Kostüm. Einen Titel würden wir noch empfehlen, wenn Sie keinen haben, dann können Sie den kaufen.
LUKÁŠ: Im Internet?
SPITZLINGER: Im Internet eher nicht, aber es gibt schon ein paar Länder, da können wir dann gerne noch darauf eingehen, wo das gar nicht so teuer ist.
LUKÁŠ: Ich wollte schon immer einen Doktor haben.
SICKINGER: Oder Privatunis.
SPITZLINGER: Privatunis, genau. Also ein Titel ist ganz gut. Wenn Sie studieren wollen, dann würden wir empfehlen Jus und Wirtschaft in der Kombination, das ist ideal. Wenn Sie einen normalen Namen haben, dann sind Sie in Österreich genau richtig, da können Sie nämlich den Namen ganz leicht ändern. Es gibt kaum ein Land, wo man ohne Angabe von Gründen für 560 Euro seinen Nachnamen, auch Vornamen ändern kann. Weil statistisch gesehen sind Nachnamen wie König, Fürst oder Kaiser in Führungspositionen überrepräsentiert.
LUKÁŠ: Nein. Ist das wahr? So ein toller Fact.
SPITZLINGER: Da haben Sie es nachher schon viel leichter, dass Sie Korruption dann auch wirklich ausüben können.
LUKÁŠ: Wirklich?
SPITZLINGER: Dann auch wichtig, seien Sie sozial. Korruption ist echt eine soziale Angelegenheit. Das merken Sie schon daran, dass Sie sich gar nicht selber bestechen können. Also Sie brauchen zumindest eine Geber- und eine Nehmerseite. Und in 90 Prozent der Fälle kennen sich die Korruptionspartner viele Jahre. Also da gibt es diesen schönen Spruch, Korruption ist kein One-Night-Stand, sondern eine Ehe. Und deswegen ist es wichtig, dass Sie stabile soziale Beziehungen pflegen, sich gegenseitig helfen. Am besten gemeinsame Erlebnisse, die vielleicht illegal sind, gemeinsamer Drogenkonsum, gemeinsamer Bordellbesuch. Wenn Sie das noch mit dem Handy festhalten, dann haben Sie schon starke soziale Bande.
LUKÁŠ: Ja, Bonding-Momente.
SPITZLINGER: Genau, ganz wichtig. Sie sollten auch in verschiedene Vereine eintreten, politische Parteien, am besten aufstrebende politische Parteien, da treffen Sie dann auch die richtigen Leute. Dann brauchen Sie noch das richtige Fachgebiet. Da schauen Sie sich die Korruptionsrankings an. Wir empfehlen Bauindustrie, Pharmaindustrie, Rüstungsindustrie, solche Branchen. Idealerweise noch eine Branche, wo Sie vielleicht schon Connections haben, also wo vielleicht schon ein Freund, dem Sie vertrauen, dass der oder die schon dort arbeitet oder Familienmitglieder dort arbeiten. Und dann noch, und da sind Sie in Österreich genau richtig, sollten Sie sich auf Länder konzentrieren, wo die Transparenz nicht so hoch gehalten wird. Österreich landet ja in den Transparenz-Rankings Jahr aus, Jahr ein, ganz weit hinten. Die letzte Studie von 138 Ländern, wo glauben Sie wo Österreich gelandet ist?
LUKÁŠ: 136?
SPITZLINGER: 138. Gemeinsam mit Palau, dem pazifischen Inselstaat. Also da brauchen Sie nicht mal auswandern, um Korruption so richtig erfolgreich zu [betreiben].
SICKINGER: Ob das die Praxis widerspiegelt? Ich bezweifle, dass Österreich da so viel intransparenter ist als manche afrikanische Staaten oder irgendwelche halbautoritären Staaten oder wie Nachbarländer wie Ungarn.
SPITZLINGER: Ja, aber das ist das Right to Information Ranking, so heißt das. Vor Jahren waren wir Platz 98 von 98, jetzt sind wir Platz 138 von 138.
LUKÁŠ: Darf ich noch fragen: Ist es auch von Vorteil, ein Mann zu sein?
SPITZLINGER: Da ist sich die Wissenschaft uneinig. Männer sind in Führungspositionen überrepräsentiert, von dem her haben sie mehr Möglichkeiten. Ob jetzt Männer wirklich korrupter sind als Frauen, ist nicht bewiesen. Also es gibt Theorien, die sagen, Frauen sind vorsichtiger und werden auch deswegen weniger leicht erwischt. Andere sagen, na ja, wenn man halt nicht in der Position ist, dann ist es natürlich schwer, dass man dann halt auch wirklich korrupt ist. Da gibt es noch genug Forschungen, da müssen wir noch ein bisschen warten.
SICKINGER: Oder sie sind vorsichtiger und daher weniger korrupt, das ist auch die Alternative.
LUKÁŠ: Aber es wird darüber nachgedacht?
SPITZLINGER: Ja.
SICKINGER: Natürlich! Weil eine zentrale Hypothese in der Korruptionsforschung ist ja, dass Frauen weniger korrupt sind. Aber die Frage ist, was steckt dahinter? Welche Mechanismen? Und die schließen sich ja nicht aus.
LUKÁŠ: Ja, ich würde glauben, es sind beide Geschlechter oder alle Geschlechter gleich korrupt wahrscheinlich, aber haben einfach weniger Möglichkeiten und Machtzugang, um das auszuleben, schätze ich mal. Ich glaube nicht, dass jemand korrekter veranlagt ist.
SPITZLINGER: Wird die Forschung in der Zukunft noch zeigen.
LUKÁŠ: Sind wir gespannt.
SPITZLINGER: Genau. Ein Punkt noch: Sauber arbeiten, ganz wichtig. Also möglichst keine Spuren hinterlassen. Also wir vom Institut für Angewandte Korruption empfehlen Bargeld.
LUKÁŠ: Briefe?
SPITZLINGER: Ja, Briefe oder einen Aktenkoffer, wenn es mehr Geld sein soll, da hat locker eine Million Euro Platz. Also in Hunderterscheinen sind es ungefähr 10 Kilo, etwas mehr als 10 Kilo. Mit dem Aktenkoffer gemeinsam sind es schon 15 Kilo. Wenn es zu schwer ist, nehmen Sie halt einen Trolley. Und wenn Sie mit der Zeit gehen wollen, können Sie aber auch Kryptowährungen verwenden. Aber bitte nicht Bitcoin, das ist nämlich nicht so datenschutzfreundlich. Da gibt es andere wie Monero und so weiter.
LUKÁŠ: Oh, na schön.
SPITZLINGER: Genau, dann, wenn Sie das Geld in der Öffentlichkeit waschen wollen, dann können Sie das auch machen. Dann brauchen Sie allerdings einen guten Grund, warum Sie das Geld von A nach B transferieren. Und da brauchen Sie dann halt eine kreative Rechnung. Also wir haben uns das bei unserem Institut angeschaut. Da gibt es wunderschöne Beispiele aus den letzten Jahren. Wenn Sie übers Wochenende eine Studie zusammen kopieren, neun Seiten, dann können Sie sich 300.000 Euro überweisen lassen. Und ich habe auch eine Studie mit, wenn Sie nämlich ein Gutachten schreiben über die Hypobank, das sind sehr kompakte Studien, acht Seiten, da kriegen Sie eigentlich 12 Millionen. Aber wenn es dann die Öffentlichkeit erfährt, dann gibt es einen Patrioten-Rabatt und dann gibt es nur 6 Millionen Euro. Das sind allerdings immer noch 25.000 Euro die Stunde. Und Sie müssen mit dem Staat teilen, weil wenn Sie vergessen, die Steuern zu zahlen, dann werden Sie vielleicht nicht wegen Korruption angeklagt, sondern wegen Steuerhinterziehung.
LUKÁŠ: Ich freue mich, dass wir diesen Einstieg auf satirischer Ebene wagen.
SPITZLINGER: Ein letzter Punkt noch. Wenn Sie dann ganz erfolgreich korrupt sind, dann bitte genießen Sie den Reichtum. Ganz wichtig, und nehmen Sie alle Ehrungen an, die Sie dann kriegen werden. Und Sie werden viele kriegen. Wenn Sie nur den ehemaligen FIFA-Chef nehmen, den Sepp Blatter, der hat über 70 Ehrungen bekommen. Sein Vorgänger, João Havelange, der wurde sogar für den Friedensnobelpreis nominiert. Der hat Hunderte, ungefähr 200 Millionen Dollar an Schmiergeld ausgegeben und Dutzende Millionen selber eingesteckt. Also man sieht, das ist eine ehrenvolle Aufgabe und die wird von der Gesellschaft durchaus auch geschätzt.
LUKÁŠ: Danke für diese satirische Einführung in die Welt der Korruption, die ja eigentlich eine bedrohliche, vor allem für die Gesellschaft ist. Da komme ich jetzt zu Ihnen, Herr Sickinger, der sich ja da weniger satirisch damit beschäftigt, sondern mit den Realitäten, die uns da beschäftigen. Wir haben jetzt ein paar sehr interessante und praktische Grundregeln der Korruption kennengelernt. Und das ist ja eigentlich schon ein recht weites Verständnis von Korruption und umfasst ja so ein bisschen diese Freunderlwirtschaft, also zum Beispiel bei einer Postenvergabe. Könnten Sie uns vielleicht einfach mal ganz knapp die theoretische Definition von Korruption geben? Und ist Korruption per se ein Strafbestand? Wo sind denn da die Grenzen gezogen, gesetzlich?
SICKINGER: Die gebräuchlichste Korruption ist Missbrauch eines anverwandten Amtes zum persönlichen Vorteil. Das muss nicht notwendigerweise Geld sein. Anverwandtes Amt, das ist die jüngere Korruption. Früher hat es geheißen Öffentliches Amt. Aber dadurch, dass vieles privatisiert worden ist, diese Unternehmen aber immer noch öffentliche Aufgaben wahrnehmen und natürlich genauso bestochen werden können und dadurch, dass es natürlich auch zwischen Unternehmen Schmiergeldzahlungen gibt – wenn zum Beispiel ein Zulieferunternehmen den Einkäufer eines Automobilkonzerns besticht, ist gar nicht so selten vorgekommen, ist es natürlich auch Korruption. Schädlich zumindest für diesen Konzern. Also insofern geht man heute zwar auf die breitere Definition, anvertrautes Amt, aber die hauptsächliche Diskussion ist natürlich über den staatlichen und halbstaatlichen Bereich. Samt teilstaatlichen Unternehmen oder Einrichtungen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Und natürlich ist nicht alles korrupt. Also wir haben in den Nullerjahren eine ganze Reihe von Korruptionsskandalen gehabt. Von denen war ein Teil korrupt und ein Teil war es nicht. Und zum Beispiel Abgeordnete konnten gar nicht korrupt werden bis 1987. Dann hat man pro forma Bestimmungen 1989 eingeführt. Dieses Anfüttern, also Einladungen und solche Sachen, ohne dass es da jetzt bereits konkret um ein Amtsgeschäft gegangen ist, das war bis 2007 nicht strafbar. Dann hat man das eingeführt und dann hat die ganze Eventbranche aufgejault. Also zum Beispiel Salzburger Festspiele hat natürlich große Sponsoren. Die tun aber natürlich nicht notwendigerweise da Sponsoring betreiben, weil sie die Anna Netrebko so toll finden und die Oper so toll finden. Sondern sie tun es, um ihre Geschäftspartner oder haben es getan, um ihre Geschäftspartner – und das sind sehr häufig auch Minister und so weiter und das sind damals schon Amtsträger gewesen – einzuladen. Um dann in einem Nobelrestaurant am Abend zu networken nachher, wo dann auch die Stars dabei sind.
LUKÁŠ: Aber ist sowas an sich schon korrupt?
SICKINGER: Nein, das konnte plötzlich korrupt werden. Man hat natürlich andere Sachen vorgeschoben. Jetzt kann man nicht einmal mehr, wenn man Patient ist, ein bisschen was für die Kaffeekasse ablegen oder einen Kaffee oder so irgendwas zahlen. Aber in Wirklichkeit ist es natürlich um die großen Fische gegangen. Also hat man 2009 eine Kehrtwende gemacht und hat das wieder völlig entschärft. Aber es war eine Debatte um die Korruptionsfälle, die dann plötzlich losgebrochen sind. Stichwort Telekom Austria, wir werden noch darauf zurückkommen, hat man eine Kehrtwende gemacht und hat 2012 ein ziemlich strenges Korruptionsstrafrecht eingeführt. Und im Zuge der Ibiza-Affäre ist man dann draufgekommen, natürlich ist immer noch einiges straffrei. Es ist straffrei, wenn man sich im Hinblick auf ein künftiges Amt deutlich andeutet, dass man gerne Bestechungsgeld für die Partei haben möchte.
SPITZLINGER: Also ich glaube, man muss sich ein bisschen verabschieden von dem, dass Korruption illegal ist. Das kommt halt auf die Gesetzeslage drauf an. Bis 1999 haben Sie Auslandsbestechung sogar von der Steuer abschreiben können.
LUKÁŠ: Ist das wahr?
SPITZLINGER: Ja, erst durch die OECD-Konvention ist das dann erst quasi von den Ländern umgesetzt worden und dann ist es illegal geworden. Also moralisch, unmoralisch, legal, illegal – je nachdem, wo man gerade ist, welche Zeit man gerade hat.
LUKÁŠ: Also ist meine Frage nicht zu beantworten? Ganz kurz.
SICKINGER: Nehmen wir das Beispiel Freunderlwirtschaft. Wenn Sie Privatperson sind, ein privates Unternehmen haben und Freunde einstellen, ist das natürlich überhaupt nicht strafbar. Was ist mit der Parteibuchwirtschaft? Und da kommen wir aber in den Kernbereich sozusagen, wie schädlich das ist. Weil es ist in den letzten 20 Jahren immer mehr eingerissen, dass die sogenannten Ministerkabinette, also die persönlichen Mitarbeiter von Ministern, die streng nach dem Parteiprinzip des jeweiligen Ministers zusammengesetzt wurden, immer größer geworden sind, immer mehr kontrolliert haben und andererseits hat man die typische Beamtenschaft quasi personell ausgehungert. Dass das natürlich schädlich ist, das ist evident.
LUKÁŠ: Ja. Okay, aber die Sache ist die: In Wirklichkeit kann man das gar nicht so genau trennen, oder? Korruption, Freunderlwirtschaft und Korruption als Strafbestand sind quasi ein graues Feld.
SICKINGER: Es gibt schon eindeutige Felder, die prinzipiell korrupt sind. Die Frage ist, ob man es nachweisen kann. Aber es verstößt natürlich auch gegen das Beamtendienstrecht und Vertragsbedienstetendienstrecht, wenn weniger Begabte, weniger kompetente Leute eingestellt werden und kompetentere mögliche Beamte übergangen werden. Dagegen kann man dann von der Gleichbehandlungskommission und so weiter sich auch wehren. Aber weisen Sie solche Sachen einmal nach.
LUKÁŠ: Ja, Sie wollten noch ein Beispiel geben?
SPITZLINGER: Es gibt schöne Beispiele. Also wenn Sie zum Beispiel für die MA 48 in Wien arbeiten, für die Müllabfuhr.
LUKÁŠ: Ja.
SPITZLINGER: Und wenn Sie älteren Semesters sind und vielleicht noch pragmatisiert sind, also einen Beamtenstatus haben. Wenn Sie dann ein bisschen mehr Müll mitnehmen von einer Gärtnerei als Sie dürften und dafür ein Essen bekommen, ein Getränk und einen Kaffee, dann machen Sie sich der Bestechlichkeit strafbar und dann kriegen Sie mitunter drei Monate bedingte Haft und Sie verlieren Ihren Job. Wenn Sie in Deutschland ein niedergelassener Arzt oder niedergelassene Ärztin sind und sich von der Pharmaindustrie eine halbe Million Euro überweisen lassen, ganz offen, damit Sie die Medikamente von dem Unternehmen verschreiben, dann ist das komplett legal. Da gibt es sogar ein Gerichtsurteil. Wenn Sie das mit einem Kassenarzt machen, dann ist es wieder illegal.
LUKÁŠ: Ich verstehe. Wir sind in einem sehr schwierigen moralischen Feld unterwegs. Da komme ich zu meiner nächsten Frage und damit auch wieder zurück zur Praxis. Weil jetzt haben wir sehr viele Gedankenexperimente und was wäre, wenn und was könnte sein gehört. Aber Korruption schädigt ja den Staat und die Gesellschaft. Das ist uns bei allem Witz hier klar. Und wenn Beamte oder Politiker beteiligt sind, dann verschwinden ja Steuergelder. Also Gelder, die wir alle einzahlen, damit alles um uns herum funktioniert, werden einfach abgezwackt. Und Entscheidungen, die für uns Bürgerinnen und Bürger relevant sind, werden nicht rechtsstaatlich getroffen. Was bedeutet, die werden im Interesse von Einzelnen getroffen, anstatt für alle gut zu sein, einfach nur weil Geld geflossen ist. Und da genau sind wir an dem Punkt, um den es uns heute geht. Die Einflussnahme in die Geschäftsabläufe des Staates. Im Crashkurs Korruption haben wir vorhin gelernt, zum grundlegenden Handwerkszeug der Korruption gehört es, überhöhte Rechnungen für unnütze oder erfundene Leistungen zu stellen, um sich damit ganz andere und geheime Leistungen bezahlen zu lassen. Herr Sickinger, das ist jetzt eines Ihrer Spezialgebiete. Können Sie uns dieses Phänomen einmal in einfachen Worten erklären? Was ist das? Warum gibt es das? Und warum ist das so schlecht?
SICKINGER: Ich nehme das Beispiel des Telekom-Austria-Skandals. Der hat so begonnen Anfang der Nullerjahre. Die Telekom Austria war in der Bredouille. Sie hatte vorher gute Verbindungen ins Verkehrsministerium, das für sie zuständig war. Das wurde immer von der SPÖ besetzt, hatte gute Verbindungen zur Gewerkschaft, die auch eher rot gefärbt ist und hatte jetzt plötzlich einen blauen Minister. Sie hatte zugleich aber einen riesigen Anpassungsdruck. Österreich ist ja auch der Europäischen Union 1995 beigetreten und die haben die Märkte geöffnet. Und jetzt hatten die plötzlich viel zu viel Personal. Was haben die gemacht? Sie haben unter anderem einen bekannten PR-Fachmann bestellt und haben Zahlungen ins politische System an den ausgelagert. Da kamen dann Sachen zusammen. Die Freiheitliche Partei hatte, nachdem es vorzeitige Neuwahlen gegeben hat, 2002 plötzlich hohe Schulden. Sie hat im Jahr 2000 ihren damaligen Bundesgeschäftsführer quasi in die Privatwirtschaft entlassen und ihm aber zugleich einen Rahmenvertrag mitgegeben, der relativ hoch dotiert war. Und entweder sie nimmt seine Dienste in Anspruch oder sie nimmt nicht, muss es aber trotzdem zahlen. Und 2004 hat es die Situation gegeben, Europawahl. Und die Telekom Austria hat über diesen PR-Fachmann 600.000 Euro für vier kleine Studien bezahlt. Also die Studien waren relativ wenig wert, also sicher nicht 600.000. Aber der Zusammenhang: in Wirklichkeit hat man der Partei die Zahlung abgenommen. Es war also indirekte und illegale Parteienfinanzierung. Illegal war es von vornherein, weil etwas, was nichts wert ist, kann man nicht so viel zahlen.
LUKÁŠ: Ich verstehe. Also Verträge und überhöhte Rechnungen sind auf jeden Fall einer der beliebtesten oder gängigsten Mittel, um Gelder in den Fluss zu bringen.
SICKINGER: Da gibt es natürlich bestimmte Branchen wie Rüstungsaufträge, Rüstungsindustrie, die ganz besonders geneigt sind, wenn man schon ihre zwischengeschalteten Lobbyisten, so nennen sie sich, in Wirklichkeit sind sie natürlich Dealmaker, über die das Geld fließt. Vorher muss sich natürlich irgendwo die Spur des Geldes verlieren. Viele Jahre später hat die Eurofighter GmbH dann zugegeben, vor relativ kurzer Zeit, dass sie, ich glaube, 35 oder 45 Millionen unter anderem über Agenturen in den Bereich des politischen Systems eingebracht hätten, wobei natürlich die entsprechenden Agenturvertreter auch gut verdient haben.
SPITZLINGER: Offiziell waren die natürlich alle unabhängig. Wenn man die fragt, arbeiten die im Auftrag von einem Rüstungskonzern, dann würden die natürlich sagen, nein, um Gottes Willen. Die Aufträge, die sie mit diesen Konzernen haben, die sind dann ganz zufällig, natürlich. Also vom Eurofighter-Auftrag wissen wir ja, das waren 100 Millionen Euro, die von BAE Systems, also dem Kooperationspartner von EADS, vom Eurofighter-Hersteller, über Scheinfirmen, Briefkastenfirmen, italienische Mafia nach Österreich geschleust worden sind. Wenn ich jetzt ein Rüstungshersteller bin, dann kann ich natürlich nicht die Entscheidungsträger, die auf österreichischer Seite sich entscheiden müssen, welches Militärflugzeug gekauft wird, kann ich ja nicht direkt bestechen. Das steht ja auch im Auftrag selbst drinnen, der geheim ist, aber da steht drinnen, die Firma, die den Jet verkauft, darf keine direkten Zahlungen an Entscheidungsträger leisten. Deswegen macht man das über Briefkastenfirmen und so weiter. Dann ist es eine andere Firma, da kann man ja dann nichts dafür, wenn die was zahlt. Und dann sind wir vorher schon gewesen bei diesen Beraterverträgen. Irgendwie muss man das ja dann trotzdem erklären, warum diese Millionen an diese parteinahen PR-Agenturen, Firmen – da kommen dann eben diese kreativen Rechnungen ins Spiel.
LUKÁŠ: Man fragt sich, wo war meine Leistung? Wo war meine Leistung? Bevor wir jetzt dahin gehen, dass ja auch Privatpersonen sehr von Korruption profitieren können, würde ich Ihnen gerne drei Fragen stellen. Wir stellen sie jedem Interviewgast und jeder Interviewgästin, damit wir sie ein bisschen besser kennenlernen. Und ich würde mit dem Herrn Spitzlinger anfangen. Lieber Herr Spitzlinger, Frühling oder Herbst?
SPITZLINGER: Ich bin ein großer Sommerfan, von dem her auf jeden Fall Frühling, weil da kann ich mich schon auf den Sommer freuen. Aber wenn es mit der Klimakrise so weitergeht, dann muss ich wohl bald auf Herbst umsatteln.
LUKÁŠ: Ja, oder es ist ein ganzes Jahr nur mehr Freude. Kompromiss oder beste Lösung?
SPITZLINGER: Schließt sich meiner Meinung nach nicht aus, weil der Kompromiss ist vielleicht jetzt nicht die beste Lösung, aber zumindest die nachhaltigste. Wenn man die beste Lösung wirklich mit Ach und Krach durchsetzen will und die hält dann halt nur eine Woche, dann ist es nicht die beste Lösung.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie Demokratie an?
SPITZLINGER: Wo freie Menschen zusammenkommen, um sich gemeinsame Regeln zu geben, welche auch immer das dann sind. Es kann total ausdifferenziert sein, repräsentative Demokratie, Checks and Balances und so weiter. Aber ich bin auch ein Fan von Bürgerinnenräten, also mit Losverfahren. Für gewisse Zwecke ist das durchaus was, was man fördern sollte.
LUKÁŠ: Vielen Dank.
SICKINGER: Es war jetzt natürlich ein bisschen unfair, dass Sie ihn gefragt habe, weil meine Antworten sind auch ähnlich.
LUKÁŠ: Das heißt nur, dass Sie quasi im selben Fluss schwimmen. Das ist doch alles in Ordnung. Herr Sickinger, schau bei den Jahreszeiten können Sie vielleicht anders antworten. Frühling oder Herbst?
SICKINGER: Hat beides was für sich. Also so Herbst, wenn es ein bisschen morbid wird, ist auch schön. Und es ist nicht mehr so heiß. Aber an sich Frühling, da wacht alles auf.
LUKÁŠ: Kompromiss oder beste Lösung?
SICKINGER: Häufig ist der Kompromiss die beste Lösung, weil erstens weiß man nicht immer 100 Prozent, was die beste Lösung ist. Man wird nur anstreben, möglichst viel davon durchzusetzen, aber bis zu einem gewissen Grad werden wichtige politische Entscheidungen immer auch Kompromisse sein müssen.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie Demokratie an?
SICKINGER: Das ist ein ganzes Ensemble von Wahlen, von Pressefreiheit und von tatsächlich kritischer Presse. Aber eben auch Durchlässigkeit des politischen Systems, dass man nicht abgeschlossene politische Klassen hat, die nicht hören auf die Bevölkerung. Dass man auch als einzelner Bürger oder als Bürgerinitiative oder als Interessenverband auch für wichtige Themen Gehör findet innerhalb des politisch-administrativen Systems.
LUKÁŠ: Steigen wir wieder ein in unser Gespräch, wo es jetzt hin zu den Privatpersonen geht. Wunderbar. Herr Sickinger, es profitieren also nicht nur Parteien von Korruption, sondern auch Einzelpersonen. Gibt es da Beispiele aus den vergangenen Jahrzehnten, die deutlich machen, welche Beziehungsgeflechte zwischen Politik und Wirtschaft eigentlich bestehen oder auch gern anderen Bereichen der Gesellschaft? Und wie greifen die?
SICKINGER: Naja, es gibt individuelle Korruption. Nehmen wir mal einen Arzt oder Primar, der für komplizierte Operationen, also was weiß ich, Herzoperationen, wo es lange Wartelisten gibt, vorreiht oder als Privatpatienten, Privatpatienten ist gut, wenn die eine gute Zusatzversicherung haben, dann haben sie nämlich die freie Arztwahl. Das heißt natürlich umgekehrt, dass die, die vielleicht vorher auf der Warteliste waren, länger warten müssen. Oder mit dem Oberarzt vorliebnehmen müssen, was nicht unbedingt immer ein Nachteil ist. Oder, das hat abgenommen, Pharmaindustrie und Ärzte. Dass einerseits wichtige Influencer eingeladen werden, teure Vorträge irgendwo an schönen Kongressen zu halten und es auch ein Begleitprogramm gibt. Oder aber bei kleineren, normalen Ärzten, dass sie gratis Muster bekommen und die dann halt auch sonst diese möglicherweise teuren Medikamente verschreiben. Also so diese Beziehungsgeflechte Pharmaindustrie, Medizin und so weiter, sind nicht ganz unbekannt.
SPITZLINGER: Damit wir mal wissen, um welche Beträge es da geht: Ich habe ja das Beispiel mit den niedergelassenen Ärzten in Deutschland gebracht. Und die Pharmaindustrie lässt sich die Unterstützung der niedergelassenen Ärzte pro Arzt oder Ärztin 35.000 Euro pro Jahr kosten. Also es sind schon Beträge, wo man sich dann denkt, naja, da verschreibe ich dann schon gern ein Medikament von einer Pharmafirma und nicht das von einer anderen.
LUKÁŠ: Aber gibt es ein Beispiel außerhalb von diesem Pharmakosmos?
SICKINGER: Gibt es sicher, aber was ist eine Privatperson? Wenn es ein Entscheidungsträger im öffentlichen Sektor ist, dann ist natürlich dessen Bestechung, es kann möglicherweise Teil eines strukturellen Korruptionsnetzes sein, es kann aber auch Ad-hoc-Korruption sein. Privatpersonen, naja, Korruption ist ein anvertrautes Amt, das man zum privaten Vorteil nützt. Insofern wird es immer irgendeinen Bezug haben zu einer Institution, sei das jetzt ein Unternehmen oder sei das jetzt eine staatliche Behörde, eine Gemeinde, ein öffentliches Unternehmen, für das der Bestochene oder der Begünstigte tätig sein muss. Also insofern rein privat…
SPITZLINGER: Korruption lebt ja auch von der Vermischung von privat und öffentlich. Also man missbraucht ja das öffentliche Amt für private Zwecke. Wenn ich kein öffentliches Amt habe, wo ich eine Machtposition habe, dann kann ich eigentlich gar nichts missbrauchen. Also wenn ich jetzt beim Billa arbeite und meiner Freundin einen Kaugummi schenke, dann ist das zwar illegal, aber nicht wirklich Korruption. Man braucht schon eine gehobene Machtposition, damit man die auch ausnutzen kann.
LUKÁŠ: Haben Sie noch andere Beispiele vielleicht, wo einige Dinge, die man als korrupt bezeichnet, eigentlich legal sind?
SICKINGER: Den Mandatskauf.
SPITZLINGER: Mandatskauf, schöner Punkt.
SICKINGER: Der ist jetzt mittlerweile nicht mehr legal, aber das hat man erst vor zwei Jahren.
SPITZLINGER: Die Strafrechtsreform hat den jetzt illegal gemacht, den Mandatskauf. Also Sie können jetzt nicht mehr eine Partei bestechen, damit Sie auf die Liste der möglichen Abgeordneten im Parlament kommen. Allerdings gibt es einige Schlupflöcher. Wenn Sie der Partei Geld versprechen, wäre das illegal. Wenn Sie der Partei andere Sachen versprechen, ich sage jetzt einmal sexuelle Dienstleistungen für den Parteichef, dann wäre das legal. Wenn Sie das außerhalb vom Wahlkampf machen, ist es auch legal. Wenn Sie das machen und Sie bekommen nachher den Job oder das Mandat im Parlament nicht, ist es auch legal. Also das sind lauter Schlupflöcher, die jetzt noch, obwohl das gerade reformiert worden ist, immer noch drinnen sind.
LUKÁŠ: Jetzt kommen wir zu einem Thema, das sich für viele Kriminalgeschichten gut anbietet: die Lobbyisten. Die sind ja verrufen und dann aber machen sie eigentlich auch wichtige Arbeit und das würde ich jetzt gerne ein bisschen auseinanderdividieren. Wenn man sich die großen Korruptionsfälle anschaut, dann tauchen da ja vereinzelt Lobbyisten auf, die zum Beispiel Druck auf Politiker oder Politikerinnen ausüben oder es geht um Gelder, die unbemerkt von einer Hand in die andere Hand gehen sollen. Dabei hat Lobbyarbeit an sich ja gar nichts mit Korruption zu tun, sondern kann auch durchaus sinnvoll sein. Man kann ja zum Beispiel auch für die Umwelt lobbyieren, sagen wir an dieser Stelle mal. Man kann auch für moralisch hochwertige Dinge lobbyieren und eintreten.
SICKINGER: Oder es kann auch ein Unternehmen ein legitimes Interesse haben, wenn es von einem Gesetzgebungsvorhaben betroffen ist und sie aber offensichtlich nicht beachtet worden sind, ihre Argumente den Entscheidungsträgern vorzutragen. Und dazu braucht man aber häufig, wenn man in der Politik nicht erfahren ist, das Know-how, wer dafür zuständig ist. Und das sind häufig nicht die Politiker per se, sondern das sind die Beamten, Klub-Mitarbeiter und so weiter, die dann einen weiterleiten zum Politiker.
LUKÁŠ: Weil wir das vorher so gemacht haben mit diesem Crashkurs in Korruption, können wir jetzt einen Crashkurs im Aufräumen mit Klischees über Lobbyisten kurz machen?
SICKINGER: Ja, können wir.
LUKÁŠ: Ja, das würde mich freuen. Vielleicht wollt ihr das in einer Doppelkonferenz gestalten?
SICKINGER: Diejenigen, die Lobbyisten so verrucht gemacht haben, die waren in Wirklichkeit Dealmaker. Die, die Leute bestochen haben, die Geld gewissermaßen weitergeleitet haben, die sich illegaler Mittel oder illegitimer Mittel bedient haben. Lobbyismus ist zum Beispiel auch in Brüssel, das ist sozusagen die Hochburg des Lobbyismus. Da hören wir immer wieder, dass Unternehmen da schöne Abende ausrichten, die sich an alle MEPs, also Europaabgeordneten richten. Wo sich die manchmal denken, also eigentlich geht das schon zu weit. Lobbyisten können natürlich auch in Österreich Empfänge machen, Podiumsdiskussionen, wo es dann nachher noch Brötchen oder was zum Essen gibt und was zum Trinken gibt für die Eingeladenen, bei denen man eigentlich lobbyiert.
SPITZLINGER: Ich finde Lobbying ist voll legitim, solange das transparent abläuft. Wenn Parteien oder Politiker sich bei Wahlen bewerben, hoffentlich mit einem Programm, dann steht da ja in dem Programm nicht drinnen, von wem sie noch Interessen quasi hinter der Hand irgendwie vertreten. Die Fans von der Formel 1, die kennen das vielleicht, die Rennfahrer, wo der Anzug vollgeklebt ist mit lauter Sponsoren. Wenn man das auf die Politik umlegen würde, beim Wahlkampf oder bei einer Diskussionsveranstaltung im Fernsehen, und es müsste sich der Politiker oder die Politikerin alle Sponsoren aufs Hemd oder auf die Bluse heften, dann wäre es transparent. Natürlich hätte man nicht das Problem mit der finanziellen Abhängigkeit gelöst, aber für die Wählerinnen wäre es zumindest transparent.
LUKÁŠ: In den USA gibt es da schon Datenbanken, wo das aufgelistet wird, welche Gelder an welche Politikerinnen und Politiker. Da ist das sehr transparent.
SICKINGER: Ja, dort gibt es Lobbyregister. Bei uns gibt es auch ein Lobbygesetz, das 2012 im Rahmen dieses Transparenz- und Antikorruptionspakets beschlossen worden ist, aber dieses Lobbyregister ist im Wesentlichen nur eine Liste von Lobbyisten, eingetragener Lobbyisten und die müssen in einem nicht öffentlichen Teil bekannt geben, wer ihre Auftraggeber sind und auch die gesamte Auftragssumme in diesem jeweiligen Jahr.
SPITZLINGER: Aber wenn man da was Falsches einträgt, das wird überhaupt nicht kontrolliert. Das Innenministerium hat gesagt, das geht uns nichts an und da stehen dann Sachen drinnen, die sind veraltet. Oder wenn ich mich nicht eintrage, dann gibt es auch keine Sanktionen.
SICKINGER: Doch, doch, doch.
SPITZLINGER: Theoretisch gibt es Sanktionen, steht im Gesetz, aber mir ist kein Fall bekannt, wo jemand eine Sanktion bekommen hätte.
SICKINGER: Irgendein Magistratisches Bezirksamt oder Stadtmagistrat wird natürlich nicht darauf spezialisiert sein und schon gar nicht in irgendeinem Bundesland, in einer Landeshauptstadt die Bezirksverwaltungsbehörde. Denen fehlt einfach die Spezialisierung auf das. Aber das können dann durchaus 10.000 Euro Verwaltungsstrafe sein, 20.000, wenn man sich überhaupt nicht angemeldet hat und im Wiederholungsfall deutlich mehr. Dieses Lobbygesetz erfüllt natürlich nicht die Offenlegung des Lobbyismus. Ich habe mir jetzt nicht alte Jahrgänge angeschaut, aber wir hatten im Zuge des ÖVP-Korruptionsuntersuchungsausschusses einen Fall. Das war Novomatic. Ein Unternehmen hat damals in den Nullerjahren, in den späten Nullerjahren, der Lobbyist Peter Hochegger, ein eigenes Drehbuch gewissermaßen geschrieben, wie man am besten lobbyiert. Novomatic wollte natürlich auch eine Online-Lizenz, aber wollte auch verhindern, dass die Lizenzen für die einarmigen Banditen wegfallen, wie dies in Wien der Fall war. Also hat man Imagepflege betrieben, hat Kulturveranstaltungen großzügig gefördert. Und in diesem Paper ist aber auch gestanden: ihr braucht‘s Politiker nicht bestechen, das ist möglicherweise ungünstig. Aber eine Win-Win-Situation herzustellen, wenn es Auftrittsmöglichkeiten gibt, die vom Unternehmen finanziert werden, die öffentliche Aufmerksamkeit erregen – solche Sachen, das können Sie jederzeit machen. Strafbar? Nicht. Die Frage, ob es moralisch ist, ist eine andere Frage.
LUKÁŠ: All die Affären, über die wir jetzt gesprochen haben, haben ja sehr viel Staub aufgewirbelt und zu teilweise langwierigsten Gerichtsprozessen geführt. Herr Spitzlinger, da frage ich mich, hat die Republik irgendetwas daraus gelernt?
SPITZLINGER: Es gab auf jeden Fall einige Gesetzesänderungen mit vielen Lücken. Manche werden sagen, das ist jetzt alles gut geregelt mit dem neuen Korruptionsstrafrecht, mit den Änderungen. Wenn wir uns eine neutrale Position anschauen – ich würde da echt empfehlen die Berichte vom Europarat, die sind zwar sehr technisch, aber die schauen ganz genau hin, welche Länder in der Korruptionsbekämpfung welche Maßnahmen setzen, die kommen in regelmäßigen Abständen – da sind wir auf einem Level von Türkei, Ungarn, Polen. Also so, dass wir ganz progressiv sind und wir jetzt unglaublich viel gelernt haben von den ganzen Korruptionsfällen der letzten Jahre oder Jahrzehnte, das würde ich jetzt so nicht unterschreiben.
LUKÁŠ: Und die Gesetze, die erlassen wurden, wie die strengeren Korruptionsgesetze, die Novelle des Parteiengesetzes, das Lobbygesetz – beim Lobbygesetz haben wir schon ein bisschen gehört, aber als wie wirkungsvoll beurteilen Sie diese Gesetze?
SPITZLINGER: Es ist mal gut, dass es sie gibt. Wenn die ganzen Schlupflöcher nicht wären, wäre es natürlich noch besser. Das Lobbygesetz haben wir ja schon angesprochen, also das ist mehr oder weniger zahnlos.
Also das hätte man sich sparen können. Es gibt auch kein wirkliches Gesetz, das die Firmen zwingt, die tatsächlichen Eigentümer von den Firmen zu veröffentlichen. Ich habe mir das angeschaut, es sind von 350.000 Rechtsträgern, also Firmen mehr oder weniger, müssen 271.000, also eigentlich drei Viertel, ihre Eigentümer nicht angeben. Da frage ich mich dann schon, warum macht man überhaupt so ein Gesetz, wenn ohnehin dann die Mehrheit das wieder nicht machen muss. Das ist natürlich extrem schwer, dass man dann herausfindet, welche Firma über welche Briefkastenfirmen irgendwelche politischen Parteien oder Politiker sponsert. Also ich finde, da ist noch Luft nach oben.
SICKINGER: Oder Kickback an den eigenen Eigentümer oder Chef zurückleiten. Aber naja, ich würde sagen, die Korruptionsstrafe ist jetzt mittlerweile einigermaßen gut geregelt. Das Beispiel mit den wirtschaftlichen Eigentümern, das hat auch der Europäische Gerichtshof versaut mittlerweile, weil der hat das Register als Verstoß gegen das Datenschutzgesetz gesehen, was die Verfolgung von Geldwäsche immens schwierig macht. Beim Korruptionsstrafrecht und auch beim Parteiengesetz, das wurde 2012 beschlossen, hatte eine Reihe von Lücken noch und eine schwache Kontrolle. Und da wurde 2022 stark nachgebessert. Wenn wir über Lobbyismus gesprochen haben, da habe auch ich als Vertreter einer NGO zunächst, von Transparency International, Drei-Parteien-Gesetz und Korruptionsstrafrecht, durchaus Gespräche mit Politikern gehabt und das in den Massenmedien und so weiter, also eigentlich habe ich genau die Tätigkeit eines Lobbyisten auch gemacht. Ich denke für die gute Sache.
SPITZLINGER: Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt, also Mitte 2025 wird das Informationsfreiheitsgesetz dann seine volle Wirkung entfalten. Da erhoffe ich mir dann schon, dass die Informationen, die die einzelnen Gemeinden und eben auch Städte und Länder, wobei bei Ländern gibt es dann schon wieder gewisse Ausnahmen, aber der Bund, dass dann einfach dadurch, dass einfach viel mehr Informationen dann draußen sein werden, dass Datenjournalisten dann auch viel leichter die Punkte miteinander verbinden können, wer mit wem packelt und so weiter.
LUKÁŠ: Auch mit Datenjournalismus, weil man muss ja sagen, dass man die dann datenjournalistisch auslesen kann und auch so einfach Muster erkennen kann, die sonst unmöglich zu sehen sind eigentlich.
SICKINGER: Aber vielleicht ein Letztes zu diesen Gesetzen: Auch wenn es lückenlose Gesetze gibt, heißt das ja noch lange nicht, dass diese Gesetze nicht gebrochen werden, wenn es die entsprechenden Gelegenheiten gibt.
Das heißt, die Gesetze machen teilweise deliktisches Handeln tatsächlich sanktionierbar. Wenn es sie nicht gibt, dann mag jeder meinen, das ist eine Schweinerei! Aber die Betroffenen werden sagen, naja, wenn es eh nicht verboten ist, was sagt ihr? Das haben Politiker immer gesagt.
LUKÁŠ: Da interessiert es mich jetzt, wie beurteilen Sie beide die Einrichtung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft? Ist das eine sinnvolle Einrichtung? Gibt es seit 2011, glaube ich.
SPITZLINGER: Tolle Sache. Ich glaube, wir sind jetzt an einem Punkt, wo Staatsanwälte und Staatsanwältinnen in Österreich wirklich frei ermitteln können. Man darf nicht vergessen, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, bis vor Kurzem musste die drei Tage vor jedem wichtigen Ermittlungsschritt die Oberbehörde, zum Beispiel über eine Hausdurchsuchung, die ansteht, informieren. Die Oberbehörde hat das weitergeleitet ans Justizministerium. Das geht durch ganz viele Zimmer und über Schreibtische. Und dann ist natürlich die Gefahr, dass es zu einem Leak kommt und dann ein Parteifreund irgendwie informiert wird und noch rechtzeitig Akten auf die Seite räumt, natürlich extrem groß. Und das wurde jetzt sehr eingeschränkt.
SICKINGER: Das war ursprünglich bereits vorgesehen, auch bei der vorläufigen Korruptionsstaatsanwaltschaft ab 2009 und dann auch Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Nachdem die aber einmal eine totale Fehlentscheidung gemacht haben, nämlich eine Hausdurchsuchung beim Geheimdienst, hat das Justizministerium die wieder ganz eng an die Kandare genommen.
SPITZLINGER: Also erst wenn wir dann wirklich einen Generalstaatsanwalt haben oder Generalstaatsanwaltschaft, dann ist das mit diesem Weisungsrecht dann mal Geschichte. Aber solange das nicht ist, ist das eine politische Entscheidung im Grunde, ob man sich im Verfahren einmischt oder nicht.
LUKÁŠ: Ein weites Feld. Ich danke Ihnen beiden, dass Sie sich Zeit genommen haben für dieses ausführliche Gespräch.
SICKINGER: Es war uns ein Vergnügen, Sie einzuführen in die Tiefen des österreichischen politischen und administrativen Systems.
SPITZLINGER: Wenn Sie mehr über Korruption erfahren wollen, ganz praktisch, kommen Sie zu uns, zum Institut für angewandte Korruption. Da können Sie das sehr schön durchspielen und selber erfahren, wie korrupt Sie selber sind.
LUKÁŠ: Wunderbar. Wir werden es verlinken in den Shownotes für alle Interessierten, die vielleicht zu Veranstaltungen gehen wollen oder vielleicht auch mal in die Vorlesung. Man kann sich ja offensichtlich gut informieren oder auch Bücher dazu kaufen. Wir werden diese ganzen Informationen einbetten zu unseren Gästen, die sich heute Zeit genommen haben. Also vielen Dank für das interessante Gespräch und alles Gute und gut aufpassen auf sich selbst. Und das war es jetzt mit unserer Folge zum Thema Korruption. Ich hoffe, ihr habt es genauso spannend gefunden wie ich und ich freue mich auch schon auf die nächste Folge. Ich hoffe, ihr seid auch dann wieder mit dabei.
Bis dahin hört gern einmal in eine unserer früheren Folgen von "Rund ums Parlament" rein. Da findet ihr jede Menge spannende Folgen zu fast allem, was das österreichische Parlament angeht. Und wenn ihr schon dabei seid, abonniert uns gern. Und eine Bewertung würde uns natürlich auch sehr freuen. Falls ihr Fragen, Kritik oder Anregungen zum Podcast habt, dann schreibt uns gerne eine E-Mail an podcast@parlament.gv.at und schaut auch mal auf unserer Website und unseren Social-Media-Kanälen vorbei. Dort findet ihr jede Menge Informationen und Angebote rund um das österreichische Parlament und zu unserer Demokratie. Also, ich freue mich schon auf die nächste Folge mit euch. In diesem Sinne sage ich vielen Dank fürs Zuhören. Mein Name ist Tatjana Lukáš. Wir hören uns.
Jingle: Rund ums Parlament. Der Podcast des österreichischen Parlaments.