Johanna RACHINGER: Wenn man sich das heute anschaut, dann merkt man schon, dass die Kunst und Künstlerinnen und Künstler einfach ein Seismograf unserer Gesellschaft sind, dass sie sehr sensibel wahrnehmen, welche Veränderungen es in unserer Gesellschaft gibt.
Jonathan FINE: Wir leben in einer Welt, die wir durch Social Media zunehmend als eine Bilderwelt wahrnehmen. Und wir haben alle, glaube ich, ein erhöhtes Bewusstsein dafür, wie Bilder unser Verständnis der Gegenwart, der Vergangenheit und der Möglichkeiten für die Zukunft prägen. Und ich glaube, das, was ein Museum ganz hervorragend machen kann: Es kann eigentlich Leuten dabei helfen, zu verstehen, wie Bilder funktionieren.
RACHINGER: Häuser wie unseres zum Beispiel, die Österreichische Nationalbibliothek, haben ja auch eine Verantwortung. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir informierte Menschen brauchen, Menschen, die etwas wissen, die sich weiterbilden, denn nur so kann man in einer Demokratie auch seinen Beitrag leisten.
Jingle: Rund ums Parlament. Der Podcast des österreichischen Parlaments.
Tatjana LUKÁŠ: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Rund ums Parlament", dem Podcast des österreichischen Parlaments. Mein Name ist Tatjana Lukáš, schön, dass ihr wieder mit dabei seid. Mit dieser Folge stürzen wir uns in ein neues Thema, und zwar reden wir mit den Nachbarn des Parlaments. Die Nachbarn des Parlaments meint in den kommenden Folgen nicht, beziehungsweise nicht immer nur die räumlichen Nachbarn des Parlamentsgebäudes. Ich meine damit vielmehr die Menschen und Institutionen aus Bereichen neben der Politik, die in unserer Gesellschaft und in unserer Demokratie eine wichtige Rolle spielen und auch immer irgendwie mit der Politik zusammenhängen. Es geht um Kunst und Kultur, um Wirtschaft, um Religion und Kirche, um den Sozialbereich und die Wissenschaft. Wo sehen die Menschen, die in diesen Bereichen tätig sind, selbst ihren Platz in der Demokratie? Darum geht es in den kommenden Folgen. Und heute, in der ersten Episode zu diesem Thema, spreche ich mit zwei Menschen, die zwei sehr wichtige Institutionen der österreichischen Kunst und Kultur leiten. Herzlich willkommen in diesem Podcast, Johanna Rachinger.
RACHINGER: Danke für die Einladung.
LUKÁŠ: Sie sind Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek. Danke, dass Sie da sind. Und herzlich willkommen, Jonathan Fine. Sie sind Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums in Wien.
FINE: Herzlichen Dank für die Einladung.
LUKÁŠ: Danke, dass Sie uns willkommen heißen in Ihren heiligen Hallen sozusagen. Wir werden gleich sagen, wo wir sind, nämlich in der Österreichischen Nationalbibliothek in der Wiener Hofburg. Liebe Frau Rachinger, würden Sie für unsere Hörerinnen und Hörer vielleicht kurz beschreiben, wo genau wir uns befinden und wie es hier aussieht, denn die hören nur, dass es hier ein bisschen hallt. Warum ist denn das so?
RACHINGER: Wir sind hier im Van-Swieten-Saal unseres Hauses. Das ist ein relativ großer Raum, wo wir Veranstaltungen abhalten, aber auch größere Sitzungen hier im Haus. Der Raum ist benannt nach Gerard van Swieten. Er war einer der bedeutendsten Präfekten der Hofbibliothek. Und in diesem Raum hängen auch Bilder aller meiner Vorgänger, einer Vorgängerin, ich bin die zweite Frau hier. Das ist so eine Ahnengalerie und für mich schon irgendwie ein eigenartiges Gefühl, zu wissen, dass mein Bild dann auch irgendwann hier hängen wird.
LUKÁŠ: Für alle Zeiten?
RACHINGER: Werden wir sehen. Ja, wir denken an der Österreichischen Nationalbibliothek tatsächlich in Ewigkeitskategorien.
LUKÁŠ: Ja, allerdings. Und dieses Gebäude strahlt auch Ewigkeit und Schönheit aus. Wir werden dann noch in den Prunksaal gehen, aber es ist einfach, es berührt die Seele, wenn man hier ist.
RACHINGER: Ja, wir sind hier in der Hofburg und da hat man natürlich viel mit historischen, wunderschönen Räumen zu tun.
LUKÁŠ: Frau Rachinger, Herr Fine, in der Burg selbst befinden sich neben der Österreichischen Nationalbibliothek ja auch einige Museen. Einmal über den Ring steht Ihr Haus, Herr Fine, das Kunsthistorische Museum. Und dem gegenüber das Naturhistorische und wieder ein Stück weiter befindet sich das Museumsquartier mit mehreren Kunstmuseen. Das alles einen Steinwurf vom Parlamentsgebäude entfernt. Würden Sie sagen, Herr Fine, so ein Museumsgrätzl ist einzigartig in der Welt?
FINE: Absolut. Die Verdichtung an Kulturinstitutionen von der Österreichischen Nationalbibliothek, die wirklich Schätze birgt, die man sich kaum vorstellen kann, aus dem Mittelalter, aus dem antiken Ägypten, bis zum Weltmuseum Wien, das Schätze aus der ganzen Welt in den Sammlungen behält. Die Schatzkammer, wo 1000 Jahre europäische Geschichte und Weltgeschichte vorhanden sind, das Kunsthistorische Museum und natürlich das Naturhistorische Museum – sowas gibt es nirgendwo sonst auf Erden. Also die Museumsinsel in Berlin ist klein und da fehlen natürlich auch die Bibliotheksbestände im Vergleich.
LUKÁŠ: Frau Rachinger, fällt Ihnen irgendetwas Ähnliches in der Welt ein, was damit zu vergleichen ist oder was vielleicht auf Platz zwei folgen könnte?
RACHINGER: Naja, also wenn ich an London denke, da gibt es schon ganz großartige Museen auch, die sehr dicht beieinander sind, aber ich gebe dem Herrn Fine recht: In dieser Konzentration und in dieser geballten Geschichte, wie wir es hier erleben können, das ist schon einzigartig weltweit und es ist wirklich auch hier in Wien der Kultur-Hotspot. Und wenn ich dann denke, dass durch die Ausweitung der Ringstraße diese beiden Museen – Kunsthistorisches und Naturhistorisches – neben der Hofburg dazugekommen sind und dann durch das Museumsquartier noch einen zeitgenössischen Aspekt erfahren haben, dann ist das wirklich was Besonderes.
LUKÁŠ: Vielleicht können Sie uns auch einen Überblick geben, welche Museen da jetzt genau auch zu Ihren Häusern gehören. Denn es gibt ja so Konglomerate. Vielleicht könnten Sie mal ganz kurz aufmachen, Frau Rachinger, was alles in Ihren Bereich fällt und dann gerne Sie auch, Herr Fine, welche Museen Sie überschauen. Gerne Frau Rachinger.
RACHINGER: Die Österreichische Nationalbibliothek hat insgesamt sechs Museen, da ist der Prunksaal mit seinen Ausstellungen mitgezählt. Der ist unmittelbar in Nähe. Unmittelbar in Nähe ist auch das Papyrusmuseum. Das befindet sich in der Neuen Burg. Wir haben ja mit 180.000 Papyri eine der größten Sammlungen auch weltweit und dies als Ganzes auch auf der UNESCO-Liste des Weltdokumentenerbes und im Museum zeigen wir ausgewählte Dokumente aus dieser Sammlung. Dann befindet sich bei uns, auch in der Neuen Burg, gehört ebenfalls zur Österreichischen Nationalbibliothek, das Haus der Geschichte Österreich, das aber 2028 in das Museumsquartier wandern wird, wo es wesentlich mehr Platz durch einen zusätzlichen Neubau auch bekommen wird.
LUKÁŠ: Ah, das interessiert mich jetzt, wo kommt dieser Neubau hin?
RACHINGER: Dieser Neubau kommt in den Klosterhof im Museumsquartier. Der Klosterhof befindet sich direkt beim Durchgang von der Mariahilfer Straße hinein. Dort wird der gesamte Altbaubestand Richtung Mariahilfer Straße plus einem Neubau dem Haus der Geschichte zugewiesen werden.
LUKÁŠ: Und Herr Fine, würden Sie uns vielleicht auch aufmachen, welche Museen zusammengehören?
FINE: Ja, also im Kunsthistorischen Museumsverband gibt es natürlich die drei Bundesmuseen: das Kunsthistorische Museum, das Weltmuseum Wien und das Theatermuseum. Aber hier in Wien haben wir sieben Standorte, die alle in unmittelbarer Nähe zum Parlament sich befinden. Das fängt dann mit dem Theatermuseum im Palais Lobkowitz an, mit dem unglaublichen Eroica-Saal drin, wo man wirklich die Musikgeschichte und die Performanzgeschichte hier in Wien wahrnehmen kann. Dann geht es in den Schweizerhof, wo die Schatzkammer sich befindet, wo natürlich die Reichskrone und die Reichskleinodien zu finden sind, auch die Rudolfskrone, die österreichische Kaiserkrone, zu sehen ist. Das ist auch einzigartig auf der Welt. Dann im Volksgarten gibt es den Theseustempel, wo wir jedes Jahr ein Werk zeitgenössischer Kunst ausstellen. Da braucht man kein Ticket, um hinzukommen, und das ist immer super spannend. Wir versuchen seit einigen Jahren, Künstlerinnen und Künstlern, die von außerhalb Europas kommen, dort auszustellen, weil sie wahrscheinlich hier im europäischen Raum nicht so bekannt sind. Dann das Kunsthistorische Museum und das Weltmuseum Wien. Man übersieht vielleicht ein bisschen schnell, dass einige Sammlungen des Kunsthistorischen Museums in der Neuen Hofburg auch zu Hause sind: die Hofjagd- und Rüstkammer, das Ephesos-Museum und die Sammlung alter Musikinstrumente. Und dann natürlich etwas weiter außerhalb vom ersten Bezirk ist die Wagenburg auf dem Gelände von Schloss Schönbrunn.
LUKÁŠ: Ich möchte da hinzufügen, dass ja nicht nur quasi diese Strahlkraft in den Museen herrscht, sondern ja auch außen rum. Weil ganz viel gesellschaftliches Leben in Wien spielt sich auch zwischen den Museen ab. Junge Menschen treffen sich im Zwidemu, also zwischen Kunsthistorischem, Naturhistorischem Museum, im Museumsquartier. Wie empfinden Sie denn das, dass auch Menschen, die vielleicht gar nie wirklich ins Museum reingehen, trotzdem immer gerne nahe diesen Museen sind?
RACHINGER: Also ich sehe das ja bei unseren Lesesälen, die sich auch großteils in der Neuen Burg befinden, die an sieben Tagen die Woche geöffnet haben von 9 bis 21 Uhr, wo wir großteils junge Menschen, Studierende servicieren. Und die bevölkern ja auch diese Hofburg und geben ihr Leben. Und wenn ich in diese Lesesäle gehe, dann sehe ich die Zukunft unseres Landes: Junge Menschen, die lernen, studieren, die forschen. Und die gehen auch hinaus einmal – die sind ja acht, neun Stunden bei uns – und dann sind sie am Heldenplatz und dann machen sie Frisbeespiele oder sitzen im Gras und essen ihre Jause. Und das finde ich so toll, dass das alles so unmittelbar in diesem historischen Ambiente sich auch abspielt und dass die Jugend sich diese Plätze erobert. Großartig.
LUKÁŠ: Ja, ich finde das auch immer besonders schön in dieser Stadt, dass sich hier alles so gut vermischt. Herr Fine, Sie sind ja noch gar nicht so lange in Wien, stimmt's?
FINE: Stimmt, ich bin seit dreieinhalb Jahren, fast vier Jahren jetzt in Wien. Ich bin mitten in der Pandemie ’21 nach Wien übersiedelt, um die wissenschaftliche Direktion des Weltmuseums Wien zu übernehmen. Und nach dreieinhalb Jahren dort durfte ich dann über die Ringstraße wechseln zur Generaldirektion des KHM-Museumsverbands.
LUKÁŠ: Und empfinden Sie das in den Städten, in denen Sie bisher tätig waren, haben Sie das genauso empfunden, dass sich das immer so mischt?
FINE: Also ich finde, Museen haben zu Unrecht irgendwie den Ruf, dass sie nur für ältere Leute eigentlich da sind. Aber was mich immer überrascht, wenn ich durch die Säle des Kunsthistorischen Museums gehe oder durch das Weltmuseum Wien gehe, ist, wie viele junge Leute da sind. Es sind junge Familien mit Kindern, die zu den Vermittlungsprogrammen kommen. Es sind viele Teenager, die da sind, die einfach wegen der Ausstrahlung der Kunstobjekte kommen oder gar wegen sozialer Fragen und Probleme, also wie die Frage des Rassismus oder des Kolonialismus in die Museen kommen und eigentlich sich mit diesen Themen auseinandersetzen wollen. Und ich freue mich wirklich, dass dieser Stereotyp von Museen als Orte für alte Menschen wirklich nicht mehr greift. Also es geht durch alle Generationen durch, von Omas und Opas bis hin zu jungen Babys. Und wir haben letztes Jahr im Weltmuseum Wien ein neues Programm eingeführt, mit Baby ins Museum. Das heißt, junge Mütter, die gerade ein Kind bekommen haben, können auch ins Museum. Und wenn das Kind weint oder brüllt, stört das niemanden.
LUKÁŠ: Ja, das war die Zeit, wo ich sehr viel in Museen war, in der Karenzzeit. Da hat man viel Zeit, wenn die schlafen, um sich die Bilder wirklich schön anzuschauen. Alle Institutionen, über die wir bereits gesprochen haben, beschäftigen sich ja eng mit unserer kulturellen Geschichte – aus unterschiedlichen Blickwinkeln und unterschiedlichen Epochen. Und Politik ist ja im weiteren Sinne auch ein Teil der Kultur. Wie hat sich denn das Verhältnis Kunst bzw. Kultur und Politik entwickelt und wie hängen diese Bereiche mit der Entwicklung der Demokratie zusammen, in der wir heute leben? Ich würde Frau Rachinger als Erste das Wort erteilen.
RACHINGER: Naja, Kunst und Kultur, und das kann man auch an unserem Haus, der Österreichischen Nationalbibliothek, gut nachvollziehen, waren ja sehr lange in den Händen des Adels und des Klerus. Erst mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat dann das Bürgertum auch eine tragende Rolle in Form vom Mäzenatentum übernommen. Es gibt ja die These, dass die Bürger das deshalb gemacht haben, weil die 48er-Revolution gescheitert ist und weil man sich dann aus Frustration von der Politik mehr zurückgezogen hat und deshalb mehr die Künste so in einer biedermeierischen Haltung gefördert hat. Ja, und wenn man heute sich das anschaut, dann merkt man schon, dass die Kunst und Künstlerinnen und Künstler einfach ein Seismograf unserer Gesellschaft sind, dass sie sehr sensibel wahrnehmen, welche Veränderungen es in unserer Gesellschaft gibt. Dass die Künstlerinnen und Künstler oft die Ersten sind mit einer gewaltigen Stimme und dass sie das auch in ihrer Kunst, denken Sie an die Literatur, denken Sie ans Theater, an die bildende Kunst, an die Fotografie, dass das auch zum Ausdruck gebracht wird. Und natürlich sind Künstlerinnen und Künstler auch, wenn es dann wirklich zu politischen Verhältnissen kommt, die Richtung Diktatur gehen, oft mit die Ersten, neben jenen, die politisch in Opposition sind, die dann auch in die Gefängnisse gehen, oder wo die Kunst dann, denken Sie an Bücherverbrennungen oder solche Dinge, wo die Kunst dann sehr stark zum Handkuss kommt. Und Häuser wie unseres zum Beispiel, die Österreichische Nationalbibliothek, haben hier auch eine Verantwortung. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir informierte Menschen brauchen, Menschen, die etwas wissen, die sich weiterbilden, denn nur so kann man in einer Demokratie auch seinen Beitrag leisten. Und wir brauchen diesen Zugang zu Information, zu Wissen, diesen freien Zugang. Und das ist auch eine wesentliche Aufgabe der Österreichischen Nationalbibliothek, diesen Zugang zu schaffen, um wirklich wissende, informierte Menschen auch aus unseren Häusern zu entlassen.
LUKÁŠ: Wenn Sie sich überlegen, was in Ihren Häusern gezeigt werden soll, wie es gezeigt wird oder zur Verfügung gestellt werden soll, wer es also sehen und wer es hören kann – welche Gedanken spielen da eine Rolle?
RACHINGER: Also, wenn wir Ausstellungen gestalten im Prunksaal, in unseren anderen Museen, Objekte präsentieren, dann machen wir das, und das unterscheidet uns etwas von anderen Museen, wir sind ja eine Nationalbibliothek und das ist in erster Linie das Kerngeschäft, dann unterscheidet uns das von anderen Häusern in erster Linie dadurch, dass wir das so gut wie ausschließlich aus eigenen Beständen machen. Wir haben ein unglaubliches kulturelles Erbe hier zu verwalten und es ist unsere Aufgabe, es zugänglich zu machen. Wenn wir Ausstellungen machen, dann tun wir das oft unter einem thematischen Aspekt. Wir haben zurzeit im Prunksaal, das ist vielleicht ein gutes Beispiel, eine Ausstellung mit dem Titel "Ein Jahrhundert in Bildern. Österreich 1925-2025". In dieser Ausstellung zeigen wir anhand ikonischer Bilder, Bilder, die vielen von uns ins Gedächtnis eingebrannt sind, noch einmal diese Geschichte dieser 100 Jahre: die Zäsuren, die wir erlebt haben, die Niedergänge, die wir erlebt haben, den schrecklichen Krieg, den wir erlebt haben. Nicht wir, sondern die Generation vor uns. Und das, was auch dahintersteht, ist zum einen, diese Geschichte zu zeigen. Aber das, was uns so wichtig ist: Wir wollen ja auch aus der Vergangenheit lernen. Wenn wir unsere Vergangenheit nicht kennen, dann können wir die Gegenwart nicht begreifen und die Zukunft nicht gestalten. Und diese Ausstellung zum Beispiel, das war mir auch so wichtig, soll uns zeigen, woher wir kommen, wohin wir gehen und wohin wir nicht gehen sollen. Und das ist auch eine Aufgabe von Institutionen wie einer Österreichischen Nationalbibliothek, die ja auch ein identitätsstiftendes Symbol ist. Wo wir sagen, wir sind nicht parteipolitisch, aber wir denken politisch und wir haben eine Haltung und die wollen wir auch vermitteln.
LUKÁŠ: Danke Frau Rachinger. Herr Fine, im Kunsthistorischen Museumskomplex ist das ja ein bisschen anders, denn bei Ihnen wird ja nicht alles aus dem eigenen Bestand gespeist, was ausgestellt wird. Vielleicht würden Sie uns kurz beschreiben, wie das bei Ihnen abläuft, wenn eine neue Ausstellung kuratiert wird.
FINE: Ich sehe das eigentlich ziemlich ähnlich, denn ich glaube, wir haben einen absolut hervorragenden Bestand, der nicht genug gezeigt wird und der eigentlich in den Mittelpunkt unseres Vorhabens gehört. Also der unendliche Reichtum der Kunstsammlungen Österreichs ist fast unfassbar. Aber wo wir, glaube ich, mit unseren Überlegungen zu Ausstellungen anfangen, ist, wie spannend wird es sein und wie können wir Kunstwerke oder Kulturfragen so ins Spiel bringen, dass es einen neuen Blick auf alte Fragen wirft oder einen neuen Blick auf die Probleme der Gegenwart werfen kann. Denn im Endeffekt haben Menschen vor 500 Jahren, 600 Jahren, 2000 Jahren mit denselben Grundfragen gekämpft wie wir es heute zu tun haben: Wo kommt mein Essen her? Was bedeutet eigentlich dieses Universum, in dem ich mich befinde? Was ist Gott? Was ist Liebe? Und all das sind Fragen, die die Menschheit über Jahrtausende verbunden hat. Und wir können das Gott sei Dank aus den Sammlungen des KHM Museumsverbandes sehr gut zeigen und erläutern. Das heißt, ein neuer Blick auf vielleicht alte Fragen steht im Mittelpunkt unseres Vorhabens.
LUKÁŠ: Das finde ich einen sehr spannenden und guten Zugang, von dem alle etwas haben können. Bevor wir jetzt dann in den Prunksaal gehen, über den wir schon gesprochen haben und den wir euch dann, liebe Hörerinnen und Hörer, auch wortreich beschreiben werden, gibt es noch drei Fragen, die unseren Interviewgästen gestellt werden, die mit dem Thema an sich nichts zu tun haben. Liebe Frau Rachinger, die erste Frage geht gleich an Sie: Frühling oder Herbst?
RACHINGER: Frühling und Herbst. Aufbruch und Ernte.
LUKÁŠ: Sehr schön, sehr schön. Kompromiss oder beste Lösung?
RACHINGER: Beste Lösung.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie Demokratie an?
RACHINGER: Demokratie fängt mit freien, geheimen Wahlen an. Die Aufteilung der Staatsgewalt bei Gesetzgebung, Regierung und Rechtsprechung. Freie unabhängige Medien. Freier Zugang zu Bildung und Information, zu Wissen. Ja, das sind die wesentlichen Punkte.
LUKÁŠ: Dankeschön. Lieber Herr Fine, Sie ereilen gleich dieselben Fragen. Erste Frage, Frühling oder Herbst?
FINE: Frühling. Ich bin im Mai geboren und mir gefällt wirklich der Frühling. Aufbruch.
LUKÁŠ: Kompromiss oder beste Lösung?
FINE: Manchmal ist die beste Lösung ein Kompromiss.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie Demokratie an?
FINE: Demokratie fängt für mich in der Freiheit der Gedanken an. Wenn wir nicht frei zu denken und zu träumen sind, können wir unsere andere Freiheit nicht wahrnehmen.
LUKÁŠ: Vielen Dank. Dann würde ich sagen, wir machen uns auf in den Prunksaal.
FINE: Okay.
LUKÁŠ: Ich hole mir jetzt mal eine Jacke, denn die Temperaturen im Prunksaal sind ja ein bisschen…
RACHINGER: Es empfiehlt sich noch, eine Jacke anzuziehen. Es geht dann zwar sehr schnell, ab Mai wird es dann warm.
LUKÁŠ: Wie warm kann es denn werden im Prunksaal?
RACHINGER: Na, im Sommer ist es schon sehr… Ich würde sagen, so 23 Grad.
LUKÁŠ: Ach, 23 Grad doch. Wunderbar. Wir hatten ja vorher schon die Freude, in den Prunksaal kurz einen Blick hineinwerfen zu dürfen und mit dem Schlüssel diese unglaublich schöne Tür abzusperren.
RACHINGER: Habt ihr das Geräusch aufgenommen?
LUKÁŠ: Das werden wir jetzt machen.
RACHINGER: Das der Schlüssel verursacht? Machen wir es jetzt?
LUKÁŠ: Ja, natürlich. Das machen wir jetzt.
RACHINGER: Das ist wirklich so ein eigenes Geräusch und hat so etwas Geheimnisvolles und Besonderes. Wenn Staatsbesuche da sind, lassen wir die Präsidentinnen und Präsidenten das manchmal machen. Die machen es mit großer Ehrfurcht, so wie ich das jetzt auch tue.
LUKÁŠ: Wow, Herr Fine, durften Sie den Schlüssel auch schon mal drehen?
FINE: Nein.
RACHINGER: Wieso? Möchtest du zusperren? Du darfst zusperren!
FINE: Ich war neulich in Versailles, also mit dem Präsidenten von Versailles.
RACHINGER: Aber das kannst du nicht mit dem Prunksaal vergleichen, oder? Vorsicht bei der Antwort!
FINE: Nein, aber wir sind durchgegangen mit einem anderen Schlüssel, aber das war sehr beeindruckend. Aber einen Moment wie das, das findet man nirgendwo sonst auf Erden.
LUKÁŠ: Es ist so schön. Ich war vorher so gerührt, weil ich meine, ich kenne diesen Prunksaal, aber der leere Prunksaal, was macht der mit dem Herzen? Irgendwas ganz Besonderes.
FINE: Das Herz einfach geht auf.
LUKÁŠ: Das Herz geht auf. Es ist so unglaublich schön. Und wenn man dann nach vorn schreitet und diesen Himmel über sich hat, das ist unglaublich. Lieber Herr Fine, würden Sie so nett sein und uns vielleicht diesen Prunksaal beschreiben, wo Sie ja nicht Herr des Hauses sind, sondern quasi ein frischeres Auge darauf haben, würde mich Ihre Wahrnehmung sehr interessieren.
FINE: Man betritt diesen Saal und das öffnet vor einem eigentlich eine Vision. Eine Vision, die weit mehr als zwei Stockwerke hochgeht in einen Raum, der in drei geteilt ist und auf jeder Wand stehen Bücherregale bis zur Decke, die nummeriert sind, die eigentlich den Kernbestand der kaiserlichen Bibliothek also beherbergt. Und oben auf dem Saal mit den Deckengemälden geht eigentlich der Blick auf ins Himmelreich. Die Wände sind auch bemalt. Die Bücherregale sind aus wunderschönen Holzarten, die auch mit Gold verziert sind. Und überall in dem Raum stehen Büsten von Figuren aus der Geschichte. Im Mittelpunkt des Raumes eine riesige Plastik des Kaisers. Es geht einfach das Herz auf. Es ist wunderschön.
LUKÁŠ: Es ist wirklich wunderschön. Frau Rachinger, wären Sie so freundlich, uns mit Ihrer Fachkenntnis diese Beschreibung des Raumes noch zu ergänzen? Welcher Kaiser zum Beispiel ist denn da vorne verewigt und in welcher Form? Vielleicht können wir uns ein bisschen näher hinwagen.
RACHINGER: Also ich bin ganz fasziniert von der Beschreibung von FINE. Das war ganz großartig, weil du noch einmal eine neue Perspektive eröffnet hast mit dieser Vision. Ich empfinde den Raum immer auch als sehr sakral und mir geht es manchmal so, wenn ein sehr hektischer Tag ist und hier gerade keine Öffnungszeiten sind, dann gehe ich gerne da herein, da wird man so geerdet, finde ich. Aber er ist natürlich einer der schönsten barocken Bibliothekssäle der Welt mit über 200.000 Büchern. Diese Bücher sind alle zwischen 1500 und 1870 erschienen. Und man muss sich vorstellen, die sind alle schon digitalisiert.
LUKÁŠ: Wahnsinn.
RACHINGER: 1992 hat die Hofburg gebrannt und damals stand zu befürchten, dass das Feuer auf diesen Prunksaal übergreift und dass dieser Saal und auch diese Bücher ein Opfer der Flammen werden. Das konnte zum Glück gestoppt werden. Damals wären diese Inhalte komplett verloren gegangen, es sind auch viele Unikate dabei. Wenn das heute passieren würde, wäre es eine große Katastrophe, genauso wie damals, aber es wären zumindest die Inhalte gerettet, zumindest. Und Sie sehen, wir haben hier an den Bücherregalen Leitern, die sind noch vor der Digitalisierung sehr stark benutzt worden. Die Bücher sind mit Buckelkraxen in die Lesesäle gebracht worden, wird heute noch vereinzelt gemacht. Aber an sich können sie online von jedem Ort der Welt aus, wenn man einen Internetzugang hat, zu jeder Tages- und Nachtzeit gelesen werden. Und das hier, weil Sie nach dieser Statue gefragt haben, das ist Kaiser Karl der Große, unter ihm wurde der Prunksaal gebaut. Er war ja schon ein großer Aufklärer. Und das Besondere damals war, dass er diesen Saal gebaut hat mit dem Ansinnen, dass alle zugehen können. Also nicht mehr nur der Adel, sondern auch das Bürgertum. Und es gab eine Bibliotheksordnung, da stand zwar drauf, dass Faule und Herumspazierer nicht hereindürfen, aber alle anderen schon. Und er lässt sich hier als römischer Imperator darstellen und als Beschützer der Musen. Ja, der Raum hat hier in der Kuppel 30 Meter Höhe, ansonsten 20 Meter, ist fast 80 Meter lang. Und das ist vielleicht auch noch interessant, hier im Mittel-Oval befindet sich die Bibliothek des Prinzen Eugen. Prinz Eugen war ein berühmter Feldherr und er war unverheiratet, hatte keine Kinder und als er starb war er einer der reichsten Männer des Landes. Er hatte das Schloss Belvedere gehabt, dann das Winterpalais in der Stadt und eben auch eine riesige Bibliothek. Er war ein großer Sammler, sehr belesen. Und sein ganzes Erbe hat seine Nichte angetreten, die war im Kloster, war eine sehr geschäftstüchtige Dame und hat das alles einzeln verscherbelt, wie man so schön sagt in Wien. Und die Bibliothek hat der Hof gekauft, damals um 150.000 Gulden. Und nur zum Vergleich, das Schloss Belvedere war mit 100.000 Gulden bewertet. Also so wertvoll waren Bücher damals. Vielleicht noch ganz interessant: Diese Nichte, die ist dann aus dem Kloster rausgegangen, hat sich einen 20 Jahre jüngeren Mann gesucht und hat dann, glaube ich, noch ganz gut gelebt.
LUKÁŠ: Eine sehr moderne Frau.
RACHINGER: Ja, also ein sehr schöner, sehr beeindruckender Saal, wo wir auch immer wieder eben Ausstellungen zeigen.
LUKÁŠ: Hier ist etwas wahnsinnig Sakrales. Es wirkt wie eine Kirche für Bücher.
RACHINGER: Ja, so könnte man es auch benennen.
LUKÁŠ: Haben Sie eigentlich ein Buch, das Ihnen hier besonders am Herzen liegt, das irgendwo in einem Regal steht?
RACHINGER: Nein, habe ich nicht.
LUKÁŠ: Nein?
RACHINGER: Es liegen mir alle am Herzen. Ich habe die Verantwortung für all diese Bücher, für dieses gesamte kulturelle Erbe hier, das wir in Verantwortung für spätere Generationen, so wie das eben auch die Generationen vor uns für uns getan haben, erhalten.
FINE: Als Generaldirektor darf man keine Lieblingskinder haben.
RACHINGER: Ja, so ist es. So ist es. Wir mögen sie alle.
LUKÁŠ: Gut, gut, gut. Wir stehen hier also eigentlich in einem riesigen Wissensspeicher, könnte man so sagen. Ich habe vorhin gehört, irgendjemand hat ja auch gesagt, es ist das Wikipedia des 18. Jahrhunderts. Oder vielleicht möchten Sie mich da ausbessern?
RACHINGER: Nein, das kann man durchaus so sagen. Denn das, was sich hier befindet, ist Teil des gesamten Wissens dieser Zeit.
LUKÁŠ: Sie haben ja vorher in unserem Gespräch schon erwähnt, welche Bedeutung Wissen und Information für Demokratie hat. Vielleicht könnte man hier in dieser Atmosphäre nochmal was dazu sagen, wie wichtig es eigentlich ist, informiert zu sein, um demokratisch leben zu können.
RACHINGER: Die Österreichische Nationalbibliothek hat ja Digitalisierung schon seit vielen, vielen Jahren auf ihrem Plan. Wir haben ein großes Public-Private-Partnership mit Google eingegangen 2011, mit dem Ziel, den gesamten urheberrechtsfreien Buchbestand zu digitalisieren. Das haben wir mittlerweile, wir haben mittlerweile an die 700.000 Bücher digitalisiert, einschließlich dieser hier im Prunksaal. Und dies tun wir auch, nicht nur, wie ich vorhin schon gesagt habe, um die Inhalte zu retten, falls es zu einer Katastrophe kommt, sondern wir tun das vor allem auch wegen der Demokratisierung des Wissens. Also Wissen und Information möglichst vielen Menschen weltweit zugänglich zu machen, weil das eben auch für die Demokratiebildung so wichtig und notwendig ist. Und es soll keine Schwellenangst mehr geben. Ich meine, früher, wenn man früher die Wiener Zeitung von 1703, da ist sie gegründet worden, lesen wollte und man lebte in Vorarlberg, dann musste man mit dem Zug oder mit dem Auto nach Wien fahren, da brauchte man dann eine Übernachtung und dann ging man in die Österreichische Nationalbibliothek und hat diese Zeitung gelesen. Heute ist sie digitalisiert, wir haben neben den Büchern auch schon knapp 29 Millionen Zeitungsseiten digitalisiert, und zwar alle Zeitungen von den Grenzen Altösterreichs. Da ist der Pester Lloyd und das Prager Tagblatt genauso dabei. Und das kann man von jedem Ort der Welt lesen und volltextlich auch durchsuchen. Das ist ein riesiger Schritt Richtung Demokratisierung des Wissens und es ist auch ein riesiger Schritt für die Forschung, die sich einfach wesentlich leichter tun, ihre wissenschaftlichen Arbeiten zu machen aufgrund dieses so erleichterten Zugangs.
LUKÁŠ: Die Entwicklung von Themen ist natürlich so viel besser nachvollziehbar. Es gibt ja auch ein Center für Informations- und Medienkompetenz hier. Was passiert dort genau?
RACHINGER: Wir haben seit einigen Jahren eine neue strategische oder eine zusätzliche strategische Ausrichtung, uns auch als Teaching Library zu positionieren, weil wir einfach die Erfahrung gemacht haben, auch von unseren 800 Leserinnen und Lesern, die täglich in unsere Lesesäle kommen, dass ein unglaublicher Bedarf da ist, mehr Informationen zu bekommen, wie man sich in diesem Wissensdschungel zurechtfindet, in diesen unglaublich vielen Datenbanken, wie man die richtige Information findet. Und uns ist es auch wichtig, dass unsere Teilhaber an diesem Center für Informations- und Medienkompetenz auch lernen, richtige News von Fake News zu unterscheiden. Sich zurechtzufinden, die richtigen Informationen zu finden. Und da bieten wir Trainings, Workshops und haben uns hier sehr gut als Teaching Library mittlerweile positioniert.
LUKÁŠ: Bevor ich jetzt mit meiner nächsten Frage zu Mr. Fine gehe: Diese Teaching Libraries, ist das ein weltweites Movement, denn der Name klingt so danach?
RACHINGER: Ja, wir sind natürlich als Österreichische Nationalbibliothek international aufgestellt. Erstens ist das zwar nicht die größte Bibliothek der Welt, aber sie ist eine der wertvollsten Bibliotheken weltweit. Wir haben hier nicht nur Bücher in deutscher Sprache, sondern aufgrund der Geschichte des Habsburgischen Reiches ganz viele Sprachen und wir werden von vielen Forschenden aus unterschiedlichsten Ländern weltweit besucht und aufgesucht. Und Teaching Library, wir bieten ja unsere Workshops, unsere Trainings nicht nur analog an, sondern auch hybrid und ausschließlich auch online. Also da kann jeder von überall, jede von überall teilnehmen.
LUKÁŠ: Sehr interessant. Wir werden die Informationen dazu in unsere Folgenbeschreibung bzw. unsere Shownotes geben, damit das jede Hörerin und jeder Hörer auch in Anspruch nehmen kann, wenn sie Lust dazu haben. Lieber Herr Fine, die Hauptfunktion Ihrer Häuser ist ja das Sammeln von Kunstwerken und Kulturgegenständen, also gewissermaßen auch ein Speichern von Inhalten. Und eine wichtige Aufgabe dabei ist es auch, diese Gegenstände in Bezug auf den geschichtlichen Kontext zu verstehen, in dem sie entstanden sind. Wie sehen Sie das? Aus Ihrer Perspektive das Verhältnis zwischen Politik und Kunst: Hat Politik Einfluss auf Kunst und umgekehrt?
FINE: Ganz natürlich hat Politik Einfluss auf Kunst und ganz natürlich hat Kunst Einfluss auf Politik. Denn Kunst ist eigentlich das Feld, in dem wir uns das vorstellbar materiell machen, also visuell, zum Hören, zum Denken konkretisieren. Aber ich würde sagen, dass die Funktion eines Museums als Speicher von Kunstwerken viel mehr darin besteht als nur, ein Wissensspeicher zu sein. Also genau wie eine Bibliothek geht es darum, dass man lernt, wie man sich kritisch mit Kunst, mit dem Visuellen auseinandersetzt. Denn wir leben in einer Welt, die wir durch Social Media zunehmend als eine Bilderwelt wahrnehmen. Und wir haben alle, glaube ich, ein erhöhtes Bewusstsein dafür, wie Bilder unser Verständnis der Gegenwart, der Vergangenheit und der Möglichkeiten für die Zukunft prägen. Und ich glaube, das, was ein Museum wirklich hervorragend machen kann: Es eigentlich kann Leuten dabei helfen, zu verstehen, wie Bilder funktionieren. Wie Bilder zusammengesetzt sind, wie sie nicht per Zufall in die Welt kommen, sondern als bewusste Schöpfung menschlichen Denkens in die Welt kommen. Und ein Museum ist daher ein Fundus, ähnlich wie eine Bibliothek, an Generationen oder tausenden Jahren von der Entstehung von Bildern, die die Menschheit, die Kultur, aber auch die Politik und die Gesellschaft geprägt haben. Wenn man verstehen will, wie man kritisch mit Bildern umgehen kann und wenn man das besser lernen will, ist ein Museum ein hervorragender Ort, das zu tun. Und darin sehe ich unsere bleibende und vielleicht auch zunehmende Relevanz in einer Welt, die zunehmend digital und weniger analog funktioniert.
LUKÁŠ: Man muss ja auch sagen, dass jede Regierungsform, die da ist, eine visuelle eigene Sprache entwickelt, so tun es ja auch Demokratien. Wie würden Sie das mit der jetzigen Demokratie und der Kunst die Verwebung sehen oder die visuelle Sprache?
FINE: Wir sehen einfach eine Vervielfältigung an den Auseinandersetzungen, an den visuellen Formen, an den medialen Formen in Demokratien. Dass Demokratien weniger den zentralisierten Blick auf eine einzelne Person eigentlich in den Mittelpunkt stellen, sondern vielmehr eine breite Vielfalt an menschlichen Perspektiven zentriert. Und jede Form der Kunst kann die Auseinandersetzung mit diesen Bildsprachen, mit diesen Bildstrategien unterstützen und ermöglichen.
LUKÁŠ: Sie sind ja erst seit einigen Monaten Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums und zu Ihrem Antritt haben Sie ein Zukunftskonzept für die Museen Ihrer Häuser vorgestellt. Und darin ist ebenfalls viel von Offenheit und Zugänglichkeit die Rede. Können Sie uns vielleicht beschreiben, wobei es in diesem oder worum es in diesem Zukunftskonzept genau geht?
FINE: Ich sehe Offenheit als eine Haltung unserer Institution gegenüber dem Publikum. Offenheit bedeutet für mich, jedem und jeder Besucherin oder jedem Gast etwas anzubieten. Oder ich sage es ein bisschen anders: Jede Person hat unterschiedliche Bedürfnisse, hat eine unterschiedliche persönliche Geschichte, ist durch unterschiedliche Phasen des Lebens gekommen. Das heißt, die Vielfalt unserer Gäste ist gegeben. Und als Museen sehe ich es als unsere Pflicht, diese Vielfalt anzusprechen und zu versuchen, etwas anzubieten, was jeden Gast vielleicht interessieren könnte. Das ist eine grundsätzliche Offenheit und das hat eigentlich nichts mit Ideologie zu tun, es hat einfach mit der natürlichen Vielfalt der Menschen zu tun, die hier in Wien leben und das kulturelle Angebot hier in Wien wahrnehmen möchten. Aber Zugänglichkeit ist etwas leicht anderes. Und das sieht man hier auch im Prunksaal. Also Bauten aus dem 18. Jahrhundert oder aus dem 19. Jahrhundert sind nicht leicht zugänglich für Menschen, die irgendwie Bewegungseinschränkungen haben. Und das wird jeden von uns irgendwann mal betreffen, denn wir werden älter, wir werden mit Krücken irgendwann mal durchs Leben gehen oder in Rollstühlen durch die Stadt gehen müssen und fahren. Ja, Entschuldigung nicht gehen, ja fahren, genau, danke, fahren. Und wichtig ist, dass trotzdem diese Kultureinrichtungen, die eine so zentrale Sache in dem Leben von uns sind, trotzdem zugänglich bleiben. Unser Gesetzgeber, das Parlament, hat vorgeschrieben, dass wir zugänglich sein müssen für Leute mit Behinderungen oder mit Bewegungseinschränkungen und ich sehe das auch als Pflicht, dass wir das durchführen. Aber Sie haben mich auch zur großen Frage der Zukunft befragt und ich sehe die Zukunft darin, dass wir ein größeres Bewusstsein für die kritische Auseinandersetzung mit Schriftgut und mit Bildgut forcieren müssen. Um eine freie Gesellschaft zu bleiben, müssen wir besser verstehen, wie diese Grundsätze unseres Lebens funktionieren. Und dafür spielen Bibliotheken und Museen eine zentrale Rolle.
LUKÁŠ: Ja, und natürlich ist auch am Weg immer diese niederschwellige Kommunikation, wobei da die große Frage aufgemacht wird, wie einfach müssen Dinge formuliert werden oder sein, um einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu werden?
FINE: Ich glaube, die Kunst, in einem Museum zu arbeiten, ist, komplizierte Inhalte einfach auszudrücken. Daran arbeiten wir jeden Tag und das ist der Kern unserer Aufgabe.
LUKÁŠ: Möchten Sie dazu auch was sagen, Frau Rachinger?
RACHINGER: Ich kann mich da nur anschließen. Ich habe nur einen Punkt, da bin ich nicht begeistert, wenn es heute auf ORF AT und so weiter auch Nachrichten in einfacher Sprache gibt, weil ich finde, wir sollen uns fordern, wir sollen auch das Schwierigere in der Sprache verstehen und ich habe die große Sorge, dass wir uns auch von der Sprache her nach unten nivellieren. Das hat aber nichts damit zu tun, dass wir komplizierte Inhalte verständlich, ich sage jetzt nicht in einfacher Sprache, sondern verständlich formulieren. Aber dieses Runternivellieren in eine einfache Sprache, die nur mehr Subjekt und Prädikat verwendet und sonst nichts mehr und keine Schachtelsätze, da habe ich ein großes Problem damit. Denn dann kann man auch vieles nicht mehr verstehen, was wir hier haben. Denn wenn man einen Adelbert Stifter lesen will, dann muss man auch eine kompliziertere Satzkonstruktion verstehen können. Und deshalb würde ich eher sagen, viel Engagement in die Bildung, ins Lesen bei den Kindern schon, damit wir das gar nicht brauchen mit der einfachen Sprache.
LUKÁŠ: Das macht natürlich eine große Diskussion auf, mit der wir eine Konferenz füllen könnten.
RACHINGER: Die wir jetzt nicht führen werden, ja.
LUKÁŠ: Aber ja, Ihre Worte stoßen hoffentlich auf offene Ohren. Was mich bei Ihnen beiden interessieren würde, ist, wenn wir jetzt in diesem Saal stehen, hier spürt man ja Geschichte aus jedem Winkel. Wie bringt man denn das zusammen, diesen Anspruch von Offenheit für das Publikum mit der Geschichte und der Tradition dieser Orte zu verbinden? Ich gebe Ihnen, Herrn Fine, nochmal das erste Wort, weil wir gerade bei Ihrem Zukunftskonzept waren, es würde mich dann aber auch die Meinung von Frau Rachinger interessieren.
FINE: Geschichte ist immanent in all dem, was um uns herum liegt. Die Frage für mich ist also, wie macht man Menschen darauf aufmerksam, dass sie die Codes von dieser Geschichte dechiffrieren können und verstehen, wie sie funktioniert. Und ich glaube, das ist eine Vermittlungsaufgabe, aber das ist auch eine Bildungsaufgabe. Wir müssen zur Vermittlung und zur Bildung stehen, dass wir verstehen, dass wir uns nicht hinter geschlossenen Mauern oder in einen Elfenbeinturm einschließen dürfen, sondern dass wir wirklich hinausgehen müssen, über vielleicht unsere Grenzen hinausschauen können und versuchen, Leute für diese unglaubliche Thematik der Geschichte zu begeistern.
RACHINGER: Ja, also ich sehe, dass die österreichischen Museen, aber auch die Österreichische Nationalbibliothek in den letzten 10, 15 Jahren so viel in die Vermittlungsarbeit investiert haben. Ich könnte mir jetzt gar nicht mehr vorstellen, was wir noch zusätzlich noch besser machen können. Jonathan Fine hat erzählt, dass sie was für Babys machen. Wir machen das hier auch, außerhalb der Öffnungszeiten krabbeln die da auf Matten herum. Ja, dass die Eltern, die kommen oder Tanten, Onkel etc. auch entspannt sind und nicht andere stören, das Gefühl haben, sie stören andere. Aber das tun wir alle und wir haben alle unglaublich viele Vermittlungsprogramme. Für Volksschulen, für neue Mittelschulen, für Gymnasien, für sonderpädagogische Einrichtungen, für Berufsschulen, etc., etc., etc. Da wird ganz viel gemacht und das ist großartig und das wird auch angenommen. Es kommen ganz viele Schulen, Schülerinnen und Schüler, Kindergartenkinder zu uns und in die Museen, in die anderen Museen, weil dieses Angebot so gut ist. Und auf diesem Weg sollten wir weitergehen. Wir tun schon, wir tun schon da sehr viel. Und das soll so bleiben.
LUKÁŠ: Und schaffen damit verbindende Räume.
RACHINGER: Natürlich. Wir sind einerseits der Tradition verpflichtet, wir sind aber auch in die Zukunft gerichtet. Und das verbinden wir. Das ist unsere tägliche Aufgabe.
LUKÁŠ: Was tut das für Demokratie?
RACHINGER: Das schafft Zugang zu Wissen zu Information, zu unserer Vergangenheit, aus der wir eben lernen. Aus einem Bild aus dem 19. oder 18. oder 16. Jahrhundert, das hat Jonathan Fine heute schon so wunderbar dargelegt, können wir eben vieles lernen über Liebe, über Gesellschaft, über Partnerschaften, über Politik, was weiß ich was, über Religion. Das ist ja auch so ein Thema. Wenn wir heute keinen Religionsunterricht mehr haben, dann können wir vieles, was in diesen Bildern gezeigt wird, nicht mehr verstehen. Das ist also nicht nur eine religiöse Frage, sondern das ist auch eine Frage der Bildung und des Verstehens von Vergangenheit.
LUKÁŠ: Bibelkenntnisse, wichtig in Europa, um das Umfeld zu verstehen. Sehen Sie das genauso?
FINE: Ich sehe, dass wir eigentlich daran arbeiten müssen, unsere Geschichte besser zu verstehen, damit wir auch unsere Gegenwart begreifen können und damit die Vorstellungskraft sammeln, um eine Zukunft zu gestalten. Das hat Frau Rachinger gerade hervorragend ausgedrückt.
LUKÁŠ: Sie haben ja erzählt, eingangs im Gespräch und jetzt gerade nochmal betont, wie viele auch junge Menschen in Ihren Museumskomplexen sind, aktiv sich beteiligen. Wenn die aber außerhalb von Institutionen wie Schule, Kindergarten, Familie etc. einfach nur als Individuen da sind, was kann man tun, um die reinzuholen? Ist da vielleicht auch Kommunikation über Social Media oder etc. wichtig oder wie tut man das am besten? Gibt es da schon Rezepte, vielleicht globale Rezepte aus der Museumswelt, die man nehmen und anwenden kann, auch hier?
RACHINGER: Wir tun das ja. Wir holen sie ja rein mit diesen ganzen Vermittlungsprogrammen, wo wir ganz viele junge Leute – in unseren Lesesälen sind zwei Drittel der dort Lernenden, Studierenden, Forschenden junge Menschen. Die ganzen Vermittlungsprogramme, wo wir schon mit den Kleinen beginnen. Also wir holen sie ja rein, wir machen ganz viel, wir sind alle auf Social Media, Instagram, YouTube, Facebook etc., wo wir genau diese Zielgruppe erreichen. Und die kommen ja auch, es funktioniert ja.
LUKÁŠ: Herr Fine?
FINE: Ich würde auch sagen, Word of Mouth bleibt nach wie vor ein sehr wichtiges Medium. Also wir merken einfach, dass wenn wir eine Ausstellung haben, die wirklich rennt, dass das sich einfach rumspricht. Dass unabhängig von den Algorithmen, unabhängig von den gesteuerten Social-Media-Kanälen, dass Menschen, wenn sie merken, es ist etwas wirklich Besonderes, und das bietet die Österreichische Nationalbibliothek an, das bietet das Kunsthistorische Museum an, das bietet das Weltmuseum Wien an, dass wenn man sowas hat, das spricht sich rum. Und wir können so tun, als würden diese informellen Kanäle nicht funktionieren, aber die funktionieren und greifen trotzdem. Und das, finde ich, ist ein Zeichen der Hoffnung. Weil das bedeutet, dass jede technologische Möglichkeit, zu versuchen, Diskurs zu steuern, hat auch seine Grenzen. Dass Menschen trotzdem mit ihrer Vernunft, mit ihren Emotionen, mit ihrer Begeisterung trotzdem also in jedem System sich durchsetzen können.
LUKÁŠ: Und wenn Sie jetzt in die Zukunft blicken als abschließende Frage, zwei, drei Jahrzehnte, wo sehen Sie das Kunsthistorische Museum? Was hat sich da möglicherweise auch noch getan oder gibt es eine Vision, die Sie gern verwirklicht sehen würden?
FINE: Ich sehe das Kunsthistorische Museum in zehn Jahren oder 15 Jahren als eine der wirklich drei oder vier Museen, die man sehen muss. Also es ist eine Sammlung, die kaum Peers hat, also ich würde nur ein paar in den Mund nehmen. Die Schwestersammlung in Spanien, der Prado, ist natürlich eins davon, aber es ist eine andere Sammlung als die Sammlung im Prado. Und ich glaube, das Kunsthistorische Museum hat eine so unglaubliche Qualität an Meisterwerken aus fünf Jahrtausenden, die muss man gesehen haben. Und ich glaube, in 15 Jahren werden wir dort sein, wo man keine Europareise machen muss oder kann, ohne das Kunsthistorische Museum gesehen zu haben und dass man als Bürger in Österreich, als Person, die in Österreich lebt, auch stolz auf diese Institution sein kann.
LUKÁŠ: Dankeschön. Und die abschließende Frage geht auch an Sie. Welche Vision 20, 30 Jahre in der Zukunft haben Sie für die Österreichische Nationalbibliothek?
RACHINGER: Also mich fragen ja Leute oft, naja, wenn ihr eh schon alles digitalisiert, dann braucht ihr das ja alles einmal nicht mehr, die Lesesäle etc., weil das kann man dann eh alles virtuell lesen. Ja, das wird stimmen. Also unsere Vision für die Zukunft, für die weitere Zukunft, ist, dass die Bibliothek, die Österreichische Nationalbibliothek, eine Zweifache ist. Zum einen eine virtuelle Bibliothek. Daran arbeiten wir. Da sind wir schon sehr weit fortgeschritten, aber wir haben noch einen weiten Weg auch vor uns, um wirklich eine virtuelle Bibliothek aufzubauen. Das heißt, alle unsere Bestände im Netz zur Verfügung zu haben. Das andere ist aber, dass ich überzeugt bin, dass es die Bibliothek, und jetzt meine ich vor allem auch die Lesesäle, dieses Center of Informations- und Medienkompetenz, dass es das als physische Orte auch geben wird. Weil wir erleben, wir haben heute schon sehr viel im Netz, und trotzdem sind unsere Lesesäle an sieben Tagen die Woche bumm-voll. Und ich denke, dass Menschen, und vor allem auch junge Menschen, die oft nur mehr online kommunizieren, gar nicht mehr real, dass es eine große Sehnsucht gibt nach dritten Orten. Das kann ein Kaffeehaus sein, aber eben auch eine Bibliothek. Das heißt, dass man als Studierende an einen Ort gehen möchte, wo man der Einsamkeit des Lernens zu Hause entfliehen kann und trotzdem an einen Ort geht, wo es ruhig ist, aber man doch unter Menschen ist. Irgendwer hat einmal gesagt, Bibliotheken haben auch eine Dorfbrunnenfunktion. Das ist ein bisschen ein altmodisches Bild, aber ich kann mir das sehr gut vorstellen, dass da Menschen um einen Dorfbrunnen sitzen, wo es noch kein Fernsehen gegeben hat, und sich miteinander unterhalten. Und solche Orte können auch Bibliotheken sein. Man lernt hier, aber man trifft auch wirklich auf reale Menschen, wo man in einer Leselounge, so was haben wir, einen Kaffee trinken kann und wo man auch miteinander reden kann. Und deshalb bin ich überzeugt davon, dass diese Sehnsucht auch nach realen Orten neben all dem Virtuellen auch in Zukunft gegeben sein wird, und ich sehe uns zweifach.
LUKÁŠ: Sehr schön. Also Empfehlung geht raus an alle Hörerinnen und Hörer für diese dritten Orte, sind auf jeden Fall einen oder viele Besuche wert. Danke für dieses wunderbare Gespräch. Danke, dass Sie uns heute willkommen geheißen haben. Danke Herr Fine, danke, Frau Rachinger.
RACHINGER: Dankeschön für diese tolle Moderation.
FINE: Danke sehr. Also es war wirklich eine Freude.
LUKÁŠ: Und das war es auch schon wieder mit "Rund ums Parlament". Ich hoffe, euch hat diese Folge gefallen. Wenn ja, dann gebt uns gerne eine Bewertung, das freut uns immer sehr, und abonniert uns auch, wenn ihr das noch nicht getan habt. Dann verpasst ihr auch die nächste Folge nicht. Da werden wir mit dem Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Gabriel Felbermayr, und der Hotelière und ehemaligen Präsidentin der österreichischen Hotelvereinigung, Michaela Reitterer, über Wirtschaft und Demokratie sprechen. Falls ihr bis dahin Fragen, Kritik oder Anregungen zum Podcast habt, dann schreibt uns gerne eine E-Mail an podcast@parlament.gv.at und schaut auch gerne mal auf der Website und den Social-Media-Kanälen des österreichischen Parlaments vorbei. Also, ich freue mich schon auf die nächste Folge mit euch. In diesem Sinne sage ich vielen Dank fürs Zuhören. Mein Name ist Tatjana Lukáš. Wir hören uns.
Jingle: Rund ums Parlament. Der Podcast des österreichischen Parlaments.