Peter SCHIPKA: Es gibt zwar Strömungen in unserer Gesellschaft, die meinen, Religion sollte in die Privatsphäre abgedrängt werden und dürfe keine öffentliche Aufmerksamkeit haben, aber das halte ich eigentlich für kein gutes Modell, eigentlich auch für antiplural.
Regina POLAK: In einer Zeit, wo es so viele Krisen, so viel Hoffnungslosigkeit, so viel Resignation oder Angst vor der Zukunft gibt, sind vielleicht sogar die spirituellen Dimensionen von Religionsgemeinschaften wichtiger als je zuvor. Zukunftsperspektiven zu eröffnen, den Menschen zuzusprechen, dass Zukunft - auch wenn sie ganz schwierig ist - offen ist und dass wir das miteinander gestalten können.
Jingle: Rund ums Parlament. Der Podcast des österreichischen Parlaments.
Tatjana LUKÁŠ: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Rund ums Parlament", dem Podcast des österreichischen Parlaments. Mein Name ist Tatjana Lukáš und ich freue mich, dass ihr wieder mit dabei seid. Ein letztes Mal wollen wir uns in dieser Folge einen bestimmten Gesellschaftsbereich und seine Rolle in der Demokratie genauer anschauen. Diesmal geht es um Religion und Kirche. Ich freue mich sehr, dass ich dazu zwei sehr interessante Gesprächspartner gewinnen konnte. Bei mir sind Frau Regina Polak -
POLAK: Schönen guten Tag.
LUKÁŠ: Schön, dass Sie da sind. Und Herr Peter Schipka.
SCHIPKA: Grüß Gott.
LUKÁŠ: Grüß Gott. Ich werde Sie jetzt mal ganz kurz vorstellen, damit unsere Zuhörerinnen und Zuhörer wissen, mit wem wir da heute sprechen. Frau Polak, Sie sind Professorin für praktische Theologie und interreligiösen Dialog. Und Sie sind stellvertretende Institutsvorständin des Instituts für praktische Theologie an der Universität Wien. Herzlich willkommen.
POLAK: Danke für die Einladung.
LUKÁŠ: Wir werden uns dann Ihren Werdegang noch ein bisschen anschauen - der ja bunt ist - wie ich aus meiner Vorrecherche erfahren durfte. Und Herr Schipka, wir sitzen heute in Ihrem Büro. Das werden wir uns auch gleich anschauen, wie es da ausschaut und wo das gelegen ist. Wir begrüßen Sie also im eigenen Haus, im Erzbischöflichen Palais in Wien. Klingt schon sehr elegant, ist auch ein bisschen elegant hier.
POLAK: Edle Räume.
LUKÁŠ: Edle Räume, sehr hohe Räume. Die Deckenhöhe wollen wir dann unbedingt wissen.
SCHIPKA: Herzlich Willkommen.
LUKÁŠ: Dankeschön. Hier sitzt das Generalsekretariat der österreichischen Bischofskonferenz und Sie, Herr Schipka, Sie sind der Generalsekretär dieser.
SCHIPKA: Das ist korrekt, ja.
LUKÁŠ: Wunderbar. Dann, Herr Schipka, würde ich gleich mit Ihnen beginnen, da wir bei Ihnen im Büro sitzen. Wollen Sie uns mal ganz kurz beschreiben, wo wir sind, wie es hier ausschaut und warum wir im Hintergrund vielleicht hin und wieder Kinderstimmen hören werden?
SCHIPKA: Ja sehr gerne. Das Generalsekretariat der Bischofskonferenz ist, wie Sie schon gesagt haben, im Gebäude des sogenannten Erzbischöflichen Palais. Das ist also der Sitz des Erzbischofs von Wien. Das Generalsekretariat ist aber eine österreichweite Einrichtung und wir teilen uns, wenn ich das so sagen kann, das Stockwerk mit dem Erzbischof von Wien. Wir sind im ersten Stockwerk - das Gebäude ist etwas höher - mit der Verwaltung der Erzdiözese Wien, mit den Büros, die sich hier auch noch befinden. Man hat von meinem Büro aus einen sehr guten Blick auf den Stephansdom, weil zwischen dem Stephansdom und meinem Büro der Innenhof liegt. Das heißt, ich habe einen guten Abstand zum Dom und kann ihn hin und wieder bewundernd anschauen. Und in diesem Hof befindet sich auch ein Kindergarten, der durch die Erzdiözese Wien eingerichtet worden ist. In den Pausen erinnern uns die Kinder an die Zukunft, an das Leben, das uns mit den Kinderstimmen nahe kommt.
LUKÁŠ: Sehr schön. Jetzt haben Sie ja einen ganz eigenen Arbeitsweg hierher, schätze ich mal, denn es gibt sehr viele. Also ich bin jetzt gerade die Rotenturmstraße runtergehastet, mein Bus kam ein bisschen zu spät und da sind ja sehr viele Touristen. Wie machen Sie das beim Herkommen? Kommen Sie so früh, dass noch niemand auf der Straße ist oder gehen Sie auf der Hauptstraße und meiden den Gehweg oder wie schaffen Sie es hier in die Wollzeile 2?
SCHIPKA: Ich gebe zu, ich habe es da sehr einfach. Ich wohne im Nebenhaus und ich könnte theoretisch sogar innerhalb des Hauses hergehen, tue das aber nicht. Auch im Winter ziehe ich mir den Mantel an, damit das Private, die Wohnung und das Berufliche etwas getrennt ist. Also ich muss mich glücklicherweise nirgends durchdrängen.
LUKÁŠ: Also die Rotenturmstraße müssen Sie niemals betreten.
SCHIPKA: Muss ich schon, aber nicht, um in die Arbeit zu kommen.
LUKÁŠ: Nur um an die Mannerschnitten zu kommen. Fein, bevor wir zu Frau Polak kommen, wüsste ich nur ganz gern - es sind ja nicht alle Menschen religiös, vielleicht auch nicht alle unsere Hörerinnen und Hörer - erstens wüssten wir gern, wer ist gerade Erzbischof? Und zweitens, was ist Ihre Aufgabe als Generalsekretär der österreichischen Bischofskonferenz?
SCHIPKA: Derzeit gibt es in Wien keinen Erzbischof, weil unser bisheriger Erzbischof Kardinal Schönborn im Jänner in Pension gegangen ist und wir warten, dass ein neuer ernannt wird. Und das sollte in den nächsten Monaten passieren. Das wird dann auch der Papst machen. Als Generalsekretär der Bischofskonferenz bin ich aber nicht nur für den Erzbischof von Wien zuständig, sondern für die gesamte Bischofskonferenz, für alle Mitglieder. Das sind 16 derzeit. Die Bischofskonferenz besteht aus neun, sagen wir, leitenden Bischöfen - wir nennen sie Diözesanbischöfe -, dann einem Militärbischof, der für ganz Österreich zuständig ist, einem Abt, der nicht Bischof ist, aber bischöfliche Rechte für sein Klostergebiet hat, und fünf Weihbischöfen. Das sind Bischöfe, die nichts leiten, sondern einem Bischof zur Hilfe beigegeben sind. Und der Generalsekretär versucht mit seinem Team die Vollversammlungen zu organisieren. Es gibt drei im Jahr, jeweils ein paar Tage, in denen sich die Bischöfe treffen. Dann hat der Generalsekretär so ein paar Managementaufgaben, Personal. Wir haben circa 50 Angestellte, ein Budget ist zu verwalten, das beträgt im Jahr ungefähr 10 Millionen Euro. Es gibt rechtlich selbstständige Einrichtungen, die für die Bischofskonferenz arbeiten und da halten wir den Kontakt. Dann gibt es noch einen Bereich, den der Generalsekretär koordiniert, das ist der Kontakt mit dem Staat, mit der Republik. Wir werden aufgefordert, wie auch andere Religionsgemeinschaften, Stellungnahmen abzugeben zu Gesetzesentwürfen. Und weil es dann manchmal gut ist, im Gespräch zu sein, versucht der Generalsekretär - versuche ich - auch Kontakt mit politisch Verantwortlichen zu halten, gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz.
LUKÁŠ: Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, dann sind Sie quasi eine Art Parlamentsdirektion hier im Erzbischöflichen Palais. Denn Sie organisieren quasi die Politik innerhalb der österreichischen katholischen Kirche. Sehe ich das richtig?
SCHIPKA: Also es laufen bei mir tatsächlich ein paar Fäden zusammen, aber es ist der Vorsitzende der Bischofskonferenz, das ist derzeit der Erzbischof von Salzburg, Franz Lackner. Er ist natürlich der Hauptverantwortliche, aber der Generalsekretär, der sitzt in Wien, und hat daher einen kürzeren Weg zu den Verantwortlichen.
LUKÁŠ: Vielen Dank, dass Sie uns da einen kurzen Einblick in diese gewachsenen Strukturen gegeben haben, die in sich sehr spannend werden. Aber wir haben noch einen zweiten Interviewgast hier, die liebe Frau Polak. Und Sie haben uns im Vorgespräch erzählt, dass Sie diesen Ort gut kennen. Jetzt würde uns interessieren, woher denn eigentlich?
POLAK: Naja, zum Beispiel bin ich genau in diesem Büro von dir, Peter, gesessen, und wir haben uns mal über Migration unterhalten - die Rolle der Kirchen im Zusammenhang mit Migration -, weil ich auch Mitglied der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz bin und da versucht habe, so internationale Kontakte zu pflegen. Ich kenne die Räume daneben von Besprechungen. Im Rahmen des synodalen Prozesses - das ist der Prozess, der jetzt in der Kirche seit drei Jahren läuft, mittlerweile abgeschlossen ist, wo es darum geht, die Teilhabe der Gläubigen zu unterstützen und auch die Gläubigen geistlich zu vertiefen, also auch zu fragen: Was ist die Aufgabe der Kirche im 21. Jahrhundert, auch in Österreich. Und da hatten wir da in einem dieser Räume Besprechungen in der Ökumene-Kommission. Das ist die Kommission, wo sich Mitglieder aus unterschiedlichen christlichen Kirchen treffen. Da haben wir miteinander nachgedacht, was bedeutet eigentlich Synodalität, also die Stärkung von Teilhabe, die Bedeutung des Zuhörens im Gespräch zwischen Vertretern verschiedener Kirchen, was bedeutet das hier in Österreich beispielsweise.
LUKÁŠ: Also ein bisschen Community-Management, übersetzt.
POLAK: Ja, genau. Es finden hier auch viele Ereignisse statt, wo Menschen zusammengebracht werden. Zum Beispiel auch die Universität und die Erzdiözese. Also der Kardinal Schönborn hat hier in diesem Haus auch immer wieder die Mitglieder, insbesondere die Professoren und Professorinnen, eingeladen zum Mittagessen. Das findet einmal im Jahr statt, wo wir uns dann austauschen und miteinander reden. Und ich kenne das Haus eigentlich schon seit ich Jugendliche bin, weil auch hier immer wieder Einladungen waren, als ich noch bei der Jungschar gearbeitet habe. Das ist die katholische Kinderorganisation der katholischen Kirche. Ich erinnere mich, dass wir da auch mal waren. Also mir ist das Haus vertraut.
LUKÁŠ: Aus verschiedenen Lebensepochen, quasi.
POLAK: Ganz genau.
LUKÁŠ: Und Sie beide, wir haben schon gehört, Sie duzen sich. Also Sie beide kennen sich jetzt auch schon ein paar Jahre, schätze ich mal.
POLAK: Sehr lang. Du warst ja auf der Uni. Du warst am Institut für Sozialethik.
SCHIPKA: Genau, ich war zwei Jahre lang Assistent an der Universität, am Institut für Sozialethik. Schon vor 25 Jahren, schon eine Zeit lang her. Und spätestens aus dieser Zeit kennen wir uns.
POLAK: Genau, dann ist er uns entführt worden. Höhere Würden. Aber wir hatten dann eigentlich immer weiter Kontakt zu kirchlichen Themen, weil mir jetzt als Wissenschaftlerin - ich bin Pastoraltheologin - das heißt, da geht es auch um die real existierende Kirche, weil mir da der Kontakt zur Kirche vor Ort und auch zur österreichischen Kirche sehr wichtig ist.
LUKÁŠ: Gut, ich habe vorher schon erwähnt, Sie haben einen bunten Lebenslauf. Sowas mögen wir besonders gern.
POLAK: Habe ich befürchtet.
LUKÁŠ: Wir leben mit den Kurven.
POLAK: Das waren Brüche, nicht nur Kurven.
LUKÁŠ: Kurvenbrüche, Aufrappeln, alles dabei, was eine gute Geschichte braucht. Vielleicht könnten Sie uns ganz kurz erzählen, welche Wendungen es genommen hat, vielleicht in einer Kurzversion.
POLAK: Es war sehr lang. Ich sage die wichtigsten Punkte. Ich habe mit 18 begonnen, Theologie zu studieren. Da gab es damals noch die Abteilung für Atheismusforschung an der katholisch-theologischen Fakultät, die der Kardinal König eingerichtet hat. Und ich habe all diese Lehrveranstaltungen besucht und das Resultat war eine ziemliche Glaubenskrise. Ich war damals eigentlich Atheistin. Heute würde ich sagen, ich habe meinen Kinderglauben verloren, was auch notwendig war. Und ich bin dann auf die Philosophie gewechselt. Ich musste irgendwie zuerst alle anderen Fragen klären, um diese Gottesfrage nochmal neu und anders stellen zu können. Ich habe immer gearbeitet parallel, übrigens auch hier am Stephansplatz in der katholischen Jungschau. Damit habe ich meinen Unterhalt erworben. Und dann bin ich über Umwege irgendwie wieder in die Theologie geraten. Ich habe Philosophie fertig studiert, habe mir mit Kindergärtnerinnen-Arbeit und Kalendersortierarbeit und beim Billa das Geld verdient für mein Philosophie-Studium, war dann recht planlos, was ich mit 30 machen soll und bin dann über einen Kollegen, mit dem ich jetzt auch schon 30 Jahre zusammenarbeite, am Institut für Pastoraltheologie gelandet. So eine Biografie ginge heute gar nicht mehr. Ich habe dann bereits an der Uni gearbeitet und im zweiten Durchgang dann nochmal Theologie studiert. Und weil ich da schon älter war, eigentlich viel mehr davon profitiert, als das mit 18 möglich gewesen wäre, weil ich da vieles, was ich da in Theorie gelernt habe, mit Lebenserfahrung verbinden konnte und dann ist der Weg halt an der Uni weitergegangen. Aber die zwölf Jahre nach der Matura, da war gar nicht sicher, was mit mir geschieht. Theologisch würde ich sagen, ich habe da schon auch eine Berufung gehabt, was man meistens auch daran merkt, dass man es nicht wirklich will und sich denkt: jetzt bin ich da schon wieder im kirchlichen Raum gelandet. Was ist da meine Aufgabe? Da gibt es anscheinend irgendeine Aufgabe, die ich zu tun habe und die habe ich mittlerweile angenommen.
LUKÁŠ: Ich finde es sehr schön, wenn man sich mit Fragen richtig auseinandersetzt und sich einmal abwendet und dann wieder hinwenden muss. Und wenn es einen nicht in Ruhe lässt, das finde ich macht die ganze Sache so ernsthaft.
POLAK: Naja, und bei Gott geht es um alles, irgendwie. Das ist schon das wichtigste Thema im Leben.
LUKÁŠ: Für Sie.
POLAK: Für mich. Ich glaube auch für andere. Ja, ich habe eine missionarische Ader, aber die Aufgabe ist es natürlich, zu begründen und deswegen bin ich Theologin. Das muss ich natürlich mit guten Argumenten begründen und in einer Lebensform zeigen. Ja, da gibt es was Missionarisches auch.
LUKÁŠ: Fein. Jetzt wissen wir einiges über Sie. Und der Herr Schipka ist aber auch ein Mensch, der das Leben nicht nur aus einer Perspektive betrachtet hat. Sie haben ja Jus studiert, dann waren Sie Assistent am Institut für Strafrecht und Kriminologie. Sie haben sogar einen Doktortitel in den Rechtswissenschaften errungen. Katholische Theologie haben Sie dann auch noch studiert und waren, wie bereits erwähnt, Assistent am Institut für Sozialethik in Wien. Dann noch ein Doktortitel in Moraltheologie. Wir verraten an dieser Stelle, Herr Schipka ist 120 Jahre alt. Wie geht sich das alles aus? Sie schauen irgendwie sehr frisch und fit aus.
SCHIPKA: Danke.
LUKÁŠ: Kompliment an dieser Stelle. Und außerdem sind Sie Priester. Sie waren in der Pfarre Rodaun in Wien tätig, ebenso als Religionslehrer in einer Hauptschule. Man kann also sagen, Sie haben sich das ebenfalls von allen Seiten mal angeschaut. Stimmt das so?
SCHIPKA: Ja, der Weg war auch etwas verschlungen. Mich hat die Idee, Priester zu werden, schon lange beschäftigt, auch als Jugendlicher. Und meine Familie war zwar Religion gegenüber wohlwollend, aber gleichzeitig distanziert. Als ich da mal bekannt habe, dass mich das Priesterwerden interessieren könnte, war der Widerstand relativ groß. Und so habe ich mir gedacht, dann beginne ich mit einem Studium, das mich dort nicht hinführt, in der Hoffnung, dass es mir keinen Spaß macht. Ich habe aber dann ganz gern Jus studiert, habe sehr viel gelernt dabei, auch im Strafrecht, und konnte wirklich eine neue Welt kennenlernen. Aber die Idee, Priester zu werden, die hat mich nicht losgelassen. So bin ich dann heuer vor genau 30 Jahren in das Priesterseminar in Wien eingetreten, habe dann mit Theologie begonnen und mir gedacht, wenn jetzt Gott nicht will, dass ich Priester werde, dann muss er mich dort auch wieder raus treiben. Da bin ich einfach hängengeblieben, wenn man so will.
LUKÁŠ: Aber darf ich daraus schließen, dass Sie die Dialektik von Gut und Böse sehr fasziniert?
SCHIPKA: Das würde ich jetzt nicht direkt sagen, dass mich das... Ich weiß nicht, ob Sie jetzt das Juristische mit dem Bösen identifizieren?
LUKÁŠ: Nein, weil dieses Strafrecht und Kriminologie - da geht es ja doch um Verbrechen, da geht es um die Abgründe der Menschen und so. Was ja ein ganzer Gegenentwurf zu diesem Göttlichen und Heilenden und Rettenden ist.
SCHIPKA: Ich würde schon eine Gemeinsamkeit entdecken, die würde sich wahrscheinlich auf etwas anderes beziehen. Es geht in beiden Fällen darum, dass Menschen für Handeln verantwortlich sind. Und dass bei dieser Verantwortlichkeit aber auch Umstände zu berücksichtigen sind. Unser Strafrecht ist ja glücklicherweise eines, dass den Menschen, auch die Beschuldigten und die Täter, im Fokus hat, nicht nur die Opfer. Und ich denke mir, aus einer gläubigen Perspektive ist das auch richtig, weil Menschen komplexer sind, als man es nur mit gesetzlichen Vorschriften oder auch mit moralischen Vorschriften beschreiben kann. Insofern hat es schon etwas zu tun. Aber ich würde es nicht in diese Dialektik hineinbringen, sondern in die Komplexität des Lebens, die sich in beidem abbildet.
LUKÁŠ: Und jetzt hatte die Frau Polak vorher erwähnt, dass sie zwischendrin mal an Gott gezweifelt hat, jetzt aber unumstößlich und missionarisch wieder dabei ist. Wie war das bei Ihnen? Gab es da auch irgendwann mal so ein kurzes Zweifeln zwischen Kindheit und jetzt?
SCHIPKA: Bei mir war der Weg vielleicht ein wenig anders. Ich habe es eigentlich als ein immer tiefer Hineinwachsen empfunden. Ich habe mit einer Gemeinde Kontakt gehabt, habe im Chor gesungen, Kinderchor, Jugendchor, bin eigentlich immer mehr involviert worden. Es war eigentlich eine neue Welt, die sich eröffnet hat. Aber was den Zweifel betrifft, ich glaube ja, dass es zum Glauben immer auch den Zweifel braucht. Insofern begleitet der Zweifel das Glauben auch immer. Für mich ist das so wie Schwimmen. Schwimmen ist eine Kompetenz, die man lernt als Kind, und ist immer begleitet von der Gefahr, dass man untergeht. Aber wenn man es einmal erlebt hat, wie schön das ist, und ich gehe ganz gerne schwimmen jetzt, wo es heiß wird, besonders gerne. Wenn man das erlebt hat, dass man sich auf dem Wasser halten kann, dann merkt man erst, dass das Wasser einen trägt. Immer aber vor dem Hintergrund, dass man auch untergehen könnte. Und beim Glauben ist es für mich eigentlich genauso. Ich habe da was erlebt, was mich trägt, was sozusagen den Kopf oben sein lässt, immer Luft holen lässt, Luft, Atem holen. Aber das geht nicht ohne diese Gefahr, dass das auch verschwinden könnte. Also muss man darauf schauen, die Kräfte einzuteilen, und eben gut auch im Glauben schwimmen zu können.
POLAK: Und das Missionarische schließt den Zweifel nicht aus. Mir sind Missionare, die nicht zweifeln können, eigentlich grundsätzlich sehr verdächtig. Missionarisch heißt ja nicht, dass man einen anderen versucht zu überreden, zu zwingen, sondern es gibt einen jesuitischen Theologen, der hat das so schön formuliert: missionarisch zu sein heißt, zu erkennen, dass ich den anderen brauche, um meinen eigenen Glauben überhaupt verstehen zu können. Er vergleicht das mit dem Blick auf das Nachbarland gut, aber nicht so in dem Sinn, dass ich es haben und besitzen will, sondern dass ich es verstehen will, erschließen will, deswegen bin ich auch im interreligiösen Dialog. Also missionarisch heißt nicht, dass man alle katholisch machen will, so wie man in den 30er-Jahren noch gesagt hat: ich mache die schon noch katholisch. Sie sind jung, das kennen sie so nicht, aber ich kenne das noch. Das heißt missionarisch gar nicht, sondern es heißt eigentlich, miteinander auf einer Reise zu sein und da gehört der Zweifel natürlich dazu. Die Größe der Wirklichkeit Gottes zu entdecken, mit all den Fragen, die damit verbunden sind. Ein echter Missionar, eine Missionarin, kann auch fragen, muss fragen, wird fragen.
LUKÁŠ: Um alles einmal in Frage zu stellen und dann ein neues Fundament zu schaffen.
SCHIPKA: Ich möchte es sehr unterstreichen. Für mich ist das Missionarische immer ein Appell an die Freiheit. Also missionarisch kann man nicht sein, zumindest recht verstanden, wenn man die Freiheit nicht respektiert des anderen. Die Freiheit des Menschen ist so zentral und wenn man die respektiert, dann kann man auch missionarisch sein. Das ist dann auch nichts Übergriffiges, nichts Gefährliches, sondern eigentlich ein Appell an die Freiheit eines Menschen, über die man natürlich nicht hinüber kann, wenn man einen Menschen richtig respektiert.
LUKÁŠ: Bevor wir jetzt weitergehen und zu unserem Kernthema, nämlich die Interaktion zwischen Religion und Politik, kommen, gibt es immer drei Fragen, die wir all unseren Interviewgästen stellen. Und ich würde jetzt mit Ihnen anfangen, Frau Polak. Es sind drei Fragen, die nur sehr kurz beantwortet werden müssen. Erste Frage lautet: Frühling oder Herbst?
POLAK: Mit fortschreitendem Alter: Frühling.
LUKÁŠ: Was hat das mit dem Älterwerden zu tun? Das interessiert mich jetzt.
POLAK: Als ich ein Kind war, war mir der Herbst lieber, weiß ich nicht warum. Aber je älter ich werde, umso mehr freue ich mich, dass neues Leben sprießt.
LUKÁŠ: Kompromiss oder beste Lösung?
POLAK: Beste Lösung strebe ich schon eigentlich zuerst an und wenn es nicht geht, Kompromiss.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie Demokratie an?
POLAK: Eigentlich Familie und vor allen Dingen die Schule, weil Kinder die Erfahrung quasi inkorporieren müssen, also wirklich auch leibhaftig erleben müssen, dass das, was sie wahrnehmen, was sie denken, zählt, dass sie teilhaben dürfen an der Lebensgestaltung, natürlich altersadäquat. Und dass man gemeinsam auch gute Sachen erreichen kann, wenn und vielleicht sogar weil man unterschiedliche Perspektiven hat und dass Verschiedenheit eigentlich bereichern kann. Und dort, wo sie es nicht tut, dass man trotzdem gemeinsam gut leben kann. Herr Schipka, Frühling oder Herbst?
SCHIPKA: Ich gebe zu, es ist für mich ganz schwer zu sagen. Mir ist der Geruch wichtig. Im Frühling riecht es besonders und im Herbst riecht es besonders. Es sind unterschiedliche Gerüche, die ich wirklich, gebe ich zu, beide sehr gerne habe. Insofern merke ich, kann ich mich da gar nicht entscheiden.
LUKÁŠ: Okay, also Frühling und Herbst. Kompromiss oder beste Lösung?
SCHIPKA: Ich würde, so wie Regina, sagen, die beste Lösung ist das, was anzustreben ist. Ich glaube, dass der Kompromiss manchmal auch die beste Lösung sein kann. Nicht jeder Kompromiss, hat jemand einmal gesagt, muss ein fauler sein. Sondern der Kompromiss ist oft die beste Lösung.
LUKÁŠ: Und wo fängt für Sie Demokratie an?
SCHIPKA: Ich denke, in der Familie, weil es um wechselseitige Partizipation geht, um Berücksichtigung der Interessen, auch um das Anerkennen von Entscheidungsbefugnissen. Gerade in der repräsentativen Demokratie halte ich das für wichtig. Und trotzdem nicht über den Rücken derer, die nicht entscheiden können, in dem Fall meistens die Kinder, hinweg.
LUKÁŠ: Vielen Dank. Dann würde ich Sie beide einladen und auch mich einladen, einen kleinen Spaziergang zu machen. Herr Schipka, wären Sie so nett und würden uns in den Sitzungssaal der Bischofskonferenz führen, dass wir auf dem Weg beginnen können, ein bisschen zu plaudern. Und ich glaube, dort gibt es dann auch kühle Getränke, die an so einem heißen Sommertag auf jeden Fall guttun werden.
SCHIPKA: Sehr gerne. Unser Büro ist ja nicht als Büro gebaut worden. Das war mal eine Wohnung eines Bischofs. Das heißt, wir müssen durch verschiedene Räume durchgehen, bis wir bei diesem Sitzungszimmer sind und kommen auch bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorbei.
LUKÁŠ: Sehr gut. Die grüßen wir dann gleich, ein bisschen winken rechts und links.
SCHIPKA: Genau, herzliche Einladung mir zu folgen. Die Türen, damit man es sich vorstellen kann, sind hier sehr hoch, die Räume auch. Ich habe als Kind mal gesagt, wenn ich einmal groß bin, möchte ich an einem Ort leben oder arbeiten, wo die Türschnallen auf Augenhöhe sind. Das habe ich geschafft.
LUKÁŠ: Bucketlist. Sehr gut. Ich würde gleich die erste Frage stellen, die wir vielleicht auf dem Weg besprechen können. Und zwar, Sie sind ja persönlich ganz religiöse Menschen, als Wissenschaftler dann aber eigentlich nicht. Da gibt es einen gewissen Abstand zum Thema. Welche Bedeutung hat denn Religion für Sie in Ihrer persönlichen Einstellung zur Gesellschaft und zur Demokratie insgesamt?
SCHIPKA: Ich bin ja ein gläubiger Staatsbürger und natürlich prägt mein Glaube meine Haltungen, mein Bild von Menschen, Menschenwürde. Und ich glaube dass es dazugehört, die Welt zu verbessern, so wie ich meine, dass sie besser wird. Indem man auf das Leben achtet, auf das Leben der Menschen, gerade derer, die in Not geraten sind. Das Leben am Anfang, am Ende und dass wir auf Gerechtigkeit schauen im Zusammenleben, dass es um freie Zeiten geht, ich denke jetzt gerade an den freien Sonntag. Also alles das, was uns zusammenleben lässt und Menschen aufatmen lässt und das Leben besser macht. Und da merke ich, ist mein Glaube eine große Motivation dafür.
LUKÁŠ: Und wenn Sie jetzt an Gesellschaft und Demokratie und Ihre persönliche Einstellung denken, wie beeinflusst das?
POLAK: Ich komme sehr stark vom biblisch bezeugten Glauben her. Und da ist ja bereits im Alten Testament eine Vision entwickelt, von dem, was wir heute "gerechte Gesellschaft" nennen würden. Wo auch das Recht eine ganz zentrale Rolle spielt, getragen von der Vorstellung, dass das Recht Freiheit ermöglicht und zwar die Freiheit, die es braucht, dass Menschen, die verschieden sind, miteinander leben können. Es gibt das Konzept des Reiches Gottes in der Bibel und das ist nicht etwas, das erst im Jenseits dann quasi anbricht, sondern das ist auch eine Gesellschaftsvision, die die ökonomischen Verhältnisse betrifft - Stichwort gerechte Verteilung der Güter, der materiellen Güter, der geistigen, der kulturellen Güter. Es betrifft die politische Dimension, eine spezielle Option zu haben für die am Rand, die Marginalisierten, die mit weniger Rechten, dass die auch Teil dieser Rechts- und Glaubensgemeinschaft sind. Und es betrifft natürlich auch die religiösen Verhältnisse und diese Vision, die da gemalt wird von einer anderen Form des auch rechtlich-politischen Zusammenlebens, die trägt mich als katholische Gläubige und gleichzeitig als Bürgerin, als Bürger in einer Demokratie, das verbindet sich da sehr. Was trägt mich da eigentlich? Also das biblisch bezeugte Christentum ist, wie übrigens auch Judentum und Islam, im Kern politisch. Womit gemeint ist, es gibt eine Verantwortung und eine Verpflichtung, die Gesellschaft zu gestalten im Sinne der Gerechtigkeit.
LUKÁŠ: Ja, es sind Gesellschaftsentwürfe.
POLAK: Ganz genau. Und die muss man auch diskutieren. Die kann man jetzt nicht eins zu eins aus der Bibel oder dem Koran oder dem Talmud ableiten, sondern da müssen wir schon denken, wie das heute ausschauen kann. Dafür gibt es dann Sozialethiker, die das tun oder Pastoraltheologen. Aber an sich ist die geistige Keimquelle dort zu finden, auch für Europa.
LUKÁŠ: Es gibt ja auch sowas wie die Vatikanischen Konzile, die dann alle Katholiken auf das Gemeinwohl verpflichten und so. In der christlichen Religion gibt es also diese selbst verankerte Haltung. Während wir zum nächsten Raum gehen, können wir darüber ein bisschen sprechen, vielleicht kann man es auf wenige Punkte runterbrechen. Was sind so die Hauptanliegen an die Gesellschaft, an diese Utopie aus einer christlichen Sicht?
POLAK: Kommt darauf an, welche Quelle man heranzieht.
SCHIPKA: Ich glaube, dass es jetzt wahrscheinlich nicht angemessen wäre, über das Christentum insgesamt zu sprechen, sondern eher über das, was die katholische Kirche betrifft. Und da ist es doch gerade jetzt mit unserem neuen Papst wieder in Erinnerung gerufen, dass derjenige der diesen Namen das letzte Mal getragen hat, nämlich Leo XIII., der erste war, der im 19. Jahrhundert ein Rundschreiben verfasst hat, technisch nennen wir das Enzyklika, und genau diese Fragen angesprochen hat. Wie ist denn das in einer Gesellschaft mit dem sozialen Ausgleich? Welche Rechte haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Soll man Gewerkschaften gründen. Darf man streiken? Was heißt das für das Eigentumsrecht der Arbeitgeber? Kann ich mit meinem Eigentum machen, was ich will? Oder gibt es eine Verpflichtung für das Soziale? Und dass sich der neue Papst "Leo" nennt, hat genau auch diesen Hintergrund, dass er auf diese sozialen Fragen abstellt.
LUKÁŠ: Also man wählt seinen Papstnamen auch nach dem, was der Vorgänger mit diesem Namen - angestellt ist vielleicht die falsche Wortwahl - aber in diesem Namen getan hat.
SCHIPKA: Es hat auch eine Bedeutung. Also es ist nicht die einzige natürlich. Und man weiß nicht, was ihn alles dazu bewogen hat. Vielleicht hat er sich gedacht, die Unterschrift ist kürzer. Aber er hat es selber auch angesprochen, dass das einer der Gründe war, warum er diesen Namen gewählt hat. Für die katholische Kirche sind diese sogenannten "Sozialenzykliken", es haben einige Päpste danach auch schon welche gemacht, eine Richtschnur. Es ist, glaube ich, auch eine Stärke der katholischen Kirche, dass sie in dem Sinn eine entwickelte Soziallehre hat, die sich genau mit den gesellschaftlichen Fragen befasst, auch mit Fragen der Wirtschaftsethik, der politischen Ethik, Demokratie. Das gibt es nicht, würde ich jetzt sagen, nicht so schnell, in einer anderen Religion jedenfalls.
LUKÁŠ: Frau Polak, Sie möchten noch was hinzufügen?
POLAK: Naja, die katholische Tradition ist reichhaltig, was das angeht. Mir fällt der Katechismus ein, der katholischen Kirche, das fällt einem vielleicht nicht als erstes ein. Da gibt es vier Sünden, die benannt werden, die alle eine politische Dimension haben.
LUKÁŠ: Wollen wir an dieser Stelle vielleicht für unsere Hörerinnen und Hörer, die nicht so in dem Vokabular der katholischen Kirche drin sind... - das muss man alles ein bisschen übersetzen, weil was ist das denn eigentlich?
POLAK: Ja, ist mir klar. Also im Katechismus der katholischen Kirche, das ist die Sammlung all der Texte, woran katholische Christen glauben, finden sich auch vier Sünden, die zum Himmel schreien, wie es dort so schön heißt. Dazu gehört zum Beispiel der Lohn, der gerechte Lohn, der den Arbeitern enthalten wird, oder der Schrei der Unterdrückten. Also da stecken natürlich eminent politische Dimensionen drin. Es gibt da keine ausgefeilte Theorie zum politischen Engagement, aber das kann man nur politisch deuten. Und da muss man sich überlegen, was heißt das heute? Das Zweite Vatikanische Konzil, also die große Weltversammlung der Bischöfe von 1962 bis 1965, hat in einem Text, der "Gaudium et spes" heißt, also "Freude und Hoffnung" übersetzt, ein ganzes Kapitel, wo so grundlegende politische Einstellungen beschrieben werden, die eigentlich jede katholische Christin, jeder katholische Christ zu üben und zu praktizieren hat. Und dazu gehört die Verantwortung fürs Gemeinwohl, also über mein Eigeninteresse hinaus zu denken und immer auch im Blick zu haben, welche Folge hat meine politische Einstellung, mein politisches Handeln für alle anderen hier, wie wirkt sich das insgesamt aus? Die Gerechtigkeit für alle Gruppen in der Gesellschaft, die Verantwortung, sich gegen Armut zu engagieren, und, was ich sehr schön finde in einer Gesellschaft, die so zerstritten ist wie die unsere momentan, auch innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft anzuerkennen, dass es verschiedene politische Positionen geben kann. Natürlich gibt es da Grenzen, also Rassismus oder Fremdenhass ist ganz sicher nicht katholisch, aber wie man zum Beispiel Migrationspolitik bearbeitet, da kann es durchaus verschiedene Positionen geben. Also wir haben da recht viele verschiedene Sichtweisen.
LUKÁŠ: Sie haben gerade letztens bei einer Studie mitgearbeitet, die heißt "Was glaubt Österreich?" Jetzt würde uns natürlich schon interessieren, was ist denn da rausgekommen? Was sind denn die Ergebnisse, was glaubt Österreich denn?
POLAK: In Bezug auf Demokratie?
LUKÁŠ: Ja, gerne.
POLAK: Also ich glaube, das ist für Sie jetzt besonders wichtig. Erstens ist der Glaube an Gott sehr erodiert in Österreich und auch ein religiöses Selbstverständnis. In Bezug auf den Einfluss von Religiosität auf demokratiepolitisch relevante Einstellungen sieht man die Krise, die die liberale und menschenrechtsbasierte Demokratie in Österreich hat. Und nicht nur in Österreich, das ist ja ein weltweites Phänomen, die sieht man auch in den österreichischen Daten und Ergebnissen. Das heißt, es gibt auch unter Menschen, die sich selbst als religiös verstehen, viele, die mit der Demokratie unzufrieden sind, so wie sie momentan praktiziert wird, viele, die autoritäre Einstellungen haben. Da muss man gleichzeitig auch dazu sagen, dass innerhalb derer die religiös sind, überdurchschnittlich viele mit autoritärer Einstellung anzutreffen sind. In Bezug auf die Ablehnung von Vielfalt unterscheiden sich religiöse Menschen nicht wirklich vom Rest der Bevölkerung. Das ist in Österreich ein echtes Problem. Religiöse Menschen sind allerdings gleichzeitig mit der Demokratie als Staatsform zufriedener als alle anderen in der Bevölkerung. Das ist auch ein interessantes Ergebnis. Also das ist ein recht durchwachsener Befund, wo man schon sieht, dass das Ideal, das wir beide jetzt vorher beschrieben haben, und die Empirie nicht unbedingt deckungsgleich sind, waren sie auch nie, wird auch bei keiner anderen Religion, Ideologie anders sein, so sind wir als Menschen. Aber es ist doch etwas, das man bearbeiten kann und muss. Einerseits das Potenzial zu nutzen, dass es da eine höhere Zustimmung zur Demokratie als Regierungsform gibt, aber gleichzeitig sich auch bewusst zu sein, dass es da eine demokratiepolitische Gefährdung gibt, mit der man sich auseinandersetzen muss.
LUKÁŠ: Ich habe da ein Zitat zur Hand, ich würde das gerne ganz kurz aus dieser Studie vorlesen, weil ich finde, das ist wirklich ganz erstaunlich, dieser Zusammenhang. "Personen die der Ansicht sind, dass das Leben, einen vorgegebenen Sinn hat..." Davon gibt es ja viele Menschen, gerade, wenn man dieses Calling hat oder man denkt: "Jetzt bin ich schon wieder da, was mache ich da, ich glaube, ich kehre daher". Ich meine, diese Momente gibt es ja in vielen Leben. Also: "...dass das Leben einen vorgegebenen Sinn hat, den es zu finden gilt, stimmen einem starken Führer..." - oder Führerin, sagen wir an dieser Stelle - "eher zu. 25 Prozent Zustimmung, als Personen, die meinen, dass den Sinn des Lebens jeder für sich selber finden müsse. 11 Prozent Zustimmung." Was steckt da dahinter?
POLAK: Wir haben einen sehr weit verbreiteten Schicksalsglauben in Österreich. Also in Österreich glauben 37 Prozent an ein vorherbestimmtes Schicksal.
LUKÁŠ: Ist das weltweit hoch?
POLAK: Das wissen wir nicht, die Schicksalsfrage kenne ich aus keiner einzigen anderen religionssoziologischen Studie. Die haben wir beim qualitativen Forschungsteil, also bei den Interviews, die wir im Vorfeld gemacht haben. Auf das sind wir gestoßen, wie viele Leute das glauben. Das war uns vorher selber nicht bewusst. Und das ist mehr als an Gott glauben. Also an Gott sind es 22 Prozent, an ein höheres Wesen 36, 37 an ein vorherbestimmtes Schicksal. Und darunter sind überdurchschnittlich viele Religiöse. Es sind nicht nur die Religiösen, es ist einfach weit verbreitet, aber eben auch Religiöse. Der Schicksalsglaube kann dazu verführen, passiv zu werden. Wenn man eine grundsätzlich passive Einstellung hat, ist das nicht unbedingt demokratieförderlich, weil Demokratie ist kein Zustand der abgesichert ist, sondern braucht Bürgerinnen und Bürger, die initiativ sind, ins Handeln kommen und sich auch in den Institutionen und gesellschaftlich und in Gemeinschaften aktiv einbringen. Schicksalsglaube kann dazu verführen, dass man passiv wird. Und warum das bei Religiösen stärker der Fall ist, meine Vermutung ist, dass es uns wahrscheinlich nicht ausreichend gelungen ist, den Begriff der Vorherbestimmung richtig zu erklären. Weil da in vielen Köpfen immer noch das Bild ist, es gibt von Gott ja so einen fix ablaufenden Plan, der natürlich ein Widerspruch zur Freiheit eo ipso wäre. Aber wenn man sich das Wort genauer anschaut, ist diese berühmte Vorherbestimmung auf Lateinisch eigentlich die Providentia. Und Providentia heißt Fürsorge. Also Plan Gottes hieße in dem Zusammenhang, Gott stellt, was immer Menschen aufführen, grundsätzlich alles bereit, damit die Sachen gut laufen können. Aber die Menschen können und müssen das natürlich auch nehmen. Es gibt kein ablaufendes Schicksal, aber so wurde es sehr oft propagiert, ähnlich auch im Islam. Da gibt es auch diese Vorstellung von einem vorhergegebenen Schicksal, aber auch die Muslime unterscheiden zwischen einem moralischen Kismet und einem geschichtstheologischen Kismet. Und beim moralischen ist die Freiheit genauso zentral wie in der katholischen oder in der evangelischen oder in der jüdischen Tradition. Ich kann, darf und ich muss auch in Freiheit wählen. Das heißt, der Schicksalsglaube ist einfach schlecht kommuniziert und kann dann eine Passivität fördern. Und Passivität macht anfällig für autoritäre Einstellungsmuster. Dann ist es halt praktisch, wenn man einen starken Mann oder eine starke Frau hat, die gibt es ja mittlerweile auch, die einem sagen, so läuft die Sache. Und dagegen muss man natürlich was tun, weil das ist für Demokratien zerstörerisch.
LUKÁŠ: Das ist wahnsinnig spannend, finde ich. Also in meinem persönlichen Umfeld wird das genauso interpretiert. Das ist wirklich sehr, sehr interessant. Lieber Herr Schipka, bevor wir jetzt zu Menschenrechten, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit gehen, haben Sie auch noch einen Gedanken zu dieser Studie? Zu dem, was da gerade zu hören war, von diesem Zusammenhang von Schicksalsglaube und autoritären Tendenzen?
SCHIPKA: Ja, die Empirie sagt das, was sie herausgefunden hat. Ich merke meine eigene Erfahrung aus den Pfarrgemeinden, in denen ich tätig war. Da gibt es schon viele Menschen, die ich kennengelernt habe, die sich wirklich sehr engagieren, in der Umweltbewegung, in der Lebensschutzbewegung, für Solidarität mit anderen Ländern. Also dort, wo ich war, habe ich jetzt wenig Passivität kennengelernt aber das ist natürlich auch nur ein Ausschnitt der Gesellschaft derer, die am Sonntag regelmäßig Gottesdienst mitfeiern und die ich daher kenne. Aber das hat keinen Anspruch auf eine Wissenschaftlichkeit, sondern es ist bloß mein Eindruck.
POLAK: Den kann man wissenschaftlich durchaus bestätigen, dass Leute, die aktiv dabei sind, sich natürlich dann auch engagieren. Nur wer sich als religiös versteht, ist ja nicht automatisch auch in einer religiösen Gemeinschaft. Das haben wir uns auch angeschaut. Religiös verstehen sich 27 Prozent der Befragten, aber aktiv im letzten Jahr in einer religiösen Organisation - und da sind jetzt die muslimischen, die katholischen, alle religiösen Gemeinschaften - waren es 13 Prozent. Also das ist einfach ein viel geringerer Teil, wobei da die religiösen Organisationen und Gemeinschaften im Ranking der Organisationen eh an zweiter Stelle sind. Wir haben in Österreich generell ein massives Problem mit stabilen Vergemeinschaftungsformen und da spielen die Kirchen natürlich immer noch eine Rolle. Nur gibt es halt auch genügend Katholiken, Muslime, was auch immer, die sind nicht irgendwo Teil und das ist die Zahl, auf die sich dieser Schicksalsglaube und der Autoritarismus bezieht. Ich meine, dass wir jetzt auch in Österreich, in eigentlich allen Religionsgemeinschaften, ein Problem mit Rechtsautoritarismus haben, sieht man ja auch in den Medien. Also es ist nicht gleich das, was man in Amerika sieht, also Vents und Co. und was da im Hintergrund mittlerweile auch gut erforscht ist. Aber da gibt es natürlich auch Auswirkungen nach Österreich. Das ist ein globales Phänomen, ein religionspolitisches, das man sich genauer anschauen muss und fragen muss, welche Formen von Glaube begünstigen eigentlich autoritäre Einstellungen? Weil biblisch und theologisch ist das eigentlich keine Option. Gott ist nicht autoritär. Punkt.
LUKÁŠ: Da könnte ich noch ewig drüber weitersprechen, aber wir müssen zum nächsten Thema kommen. Es ist hochspannend tatsächlich. Was auch hochspannend ist, war die Bischofskonferenz, die die Bedeutung von Menschenrechten, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit betont hat. Wie sieht denn da die konkrete gesellschaftliche Verantwortung der Kirche in der Demokratie aus, Herr Schipka?
SCHIPKA: Ich würde jetzt eigentlich ganz gern von religiösen Bürgerinnen und Bürgern sprechen, als von der Institution Kirche. Das wirkt so monolithisch. Das ist sie ja zum Glück nicht. Wir sind auch viel vielfältiger, gerade in einer pluralen Gesellschaft. Das gilt ja auch für die Kirche. Aber ich denke, wir sind als religiöse Bürgerinnen und Bürger genauso auf Rechtsstaatlichkeit angewiesen und auf Solidarität wie alle anderen auch. Dadurch, dass es institutionell vielleicht nochmal zusätzlich abgesichert ist oder auch Bischöfe manchmal mehr Gehör finden als einzelne Bürgerinnen und Bürger, wird das stärker wahrgenommen. Aber an sich ist das ein Bedürfnis, das ja jeden trifft, dass wir in einer Gesellschaft leben, die rechtsstaatlich ist, die solidarisch ist, die demokratisch ist. Weil es uns allen damit besser geht, das ist etwas, was dem Gemeinwohl hilft. Also das ist nicht spezifisch kirchlich, das will ich damit sagen.
LUKÁŠ: Und das Verhältnis von Kirche und Staat, das ist ja viel diskutiert worden, würden Sie uns das auch aus Ihrer Sicht mal ganz kurz aufmachen, wie schaut das in Österreich aus, welche Regelungen gibt es, wie steht es um das Kreuz in Schulklassen? Vielleicht machen wir diesen Kosmos mal ganz kurz auf, der in der allgemeinen Bevölkerung so besprochen wird.
SCHIPKA: Gerne. Ich denke mir, das Wichtigste in einem Land ist, dass die Religions- und Gewissensfreiheit geachtet wird. Das ist das Allererste und Wichtigste. Auch bei uns ist das schon seit dem 19. Jahrhundert grundrechtlich, verfassungsrechtlich gesichert. Und das bedeutet, Religionsfreiheit bedeutet, dass ich erstens die Freiheit habe, eine Religion zu wählen, die ich wählen möchte und auch die Freiheit habe, kein Religionsbekenntnis zu haben. Auch das ist ein wichtiges Menschenrecht, für das wir auch als Kirche eintreten, weil Glaube Freiheit voraussetzt und auch der Staat es nicht vorgeben darf, welches Religionsbekenntnis ich habe oder ob ich überhaupt eines habe. Das ist, denke ich, das ganz Grundlegende. Das Kreuz im Klassenzimmer ist kein Thema der Religionsfreiheit, weil, ob ein Kreuz im Klassenzimmer hängt oder nicht, sagt nichts darüber aus, ob ich meine Religion frei ausüben kann, gemeinschaftlich, sondern es sagt etwas anderes aus. Es erinnert uns daran, dass Religion - und wenn die Mehrheit Christen sind, dann hängt das Kreuz auch im Klassenzimmer - dass die Mehrheit etwas bekennt, dass es noch etwas mehr gibt, als das was man in der Schule an Wissen lernt. Dass wir Menschen uns auch den Fragen aussetzen müssen, woher komme ich, wohin gehe ich, was ist mein Sinn? Es ist ein Hinweis darauf, dass unser Leben auch ein vorläufiges ist, bei allem Wichtigen, was man in der Schule lernt. Und das Kreuz soll daran eigentlich auch erinnern, und wenn es eine andere Mehrheit gibt, dann kann auch ein anderes Symbol im Klassenraum hängen, es muss kein Kreuz sein. Das ist die rechtliche Vorgabe, das ist rechtlich so geregelt.
LUKÁŠ: Wirklich?
SCHIPKA: Ja, natürlich.
POLAK: Das habe ich auch nicht gewusst.
LUKÁŠ: Und Sie können ja auch Stellungnahmen zu Begutachtungsverfahren zu Gesetzesentwürfen abgeben, Sie haben das ganz am Anfang schon erwähnt?
SCHIPKA: Genau, das Zweite was mir wichtig ist, also nach der Religionsfreiheit, zeichnet sich Österreich dadurch aus, dass die Republik wählt, mit manchen Religionsgemeinschaften ein besonderes Verhältnis zu pflegen. Wir nennen das gesetzliche Anerkennung. Es gibt in Österreich 16 gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften, wie wir das nennen. Und mit dieser Anerkennung sind bestimmte Rechte verbunden. Zum Beispiel, dass eine Religionsgemeinschaft das Recht hat, in der Schule Religionsunterricht zu erteilen. Das ist deswegen wichtig, weil damit deutlich wird, dass zur Bildung eines Menschen auch die religiöse Bildung gehört. Und zwar von der je eigenen Religionsgemeinschaft. Weil nur die kann das auch angemessen Lehren. Weil jemand, der eine Religionsgemeinschaft nur von außen kennt, der hat halt ein bisschen Wissen dazu, aber er hat die Innensicht nicht. Es gehört im Grunde zum Lehren der Religion immer die Innensicht dazu, aber verantwortet vor der Vernunft. Und die gesetzlich anerkannten Kirchen- und Religionsgesellschaften erteilen also Religionsunterricht in der Schule, weil der Staat zu Recht, wie ich meine, erkannt hat, dass Bildung weitergeht als nur Wissen, dass Wissen über die eigene Religion wichtig ist. Das hat zur Konsequenz, dass ich dann auch respektieren kann, dass jemand anderer etwas anderes glaubt, weil ich ja meinen eigenen Glauben gut kennengelernt habe. Also 16 gesetzlich anerkannte Kirchen- und Religionsgesellschaften und zu denen gehört zum Beispiel natürlich die katholische Kirche, aber auch die evangelischen Kirchen, orthodoxe Kirchen, die Neuapostolische Kirche, die Buddhisten, das sind alle gesetzlich anerkannte Kirchen- und Religionsgesellschaften. Und das ist ein ganz wichtiges und großartiges Instrument, finde ich. Der Staat zeigt damit, dass er zwar einerseits religionsneutral ist, aber religionsfreundlich. Diese Freundlichkeit des Staates gegenüber den Religionen bewirkt, dass auch die Religionen untereinander freundlich sind. Ich halte das für etwas ganz Wichtiges, dass die Religionen durch den Staat und die staatlich Verantwortlichen freundlich, positiv behandelt werden als Kooperationspartner. Das ist das System in Österreich. Wir haben eine institutionelle Trennung der Religionen vom Staat bei gleichzeitiger Kooperation. Die Trennung, die haben wir mühsam errungen - im 19. Jahrhundert.
LUKÁŠ: Als Gesellschaft.
SCHIPKA: Und auch als Kirchen. Es war ja eine starke Verflechtung zwischen der katholischen Kirche und dem Kaiserhaus. Das war auch für die Kirche nicht nur positiv, weil sie auch manche Freiheiten nicht gehabt hat. Es war natürlich für die Minderheitenreligionen schon gar nicht positiv, weil sie noch weniger Rechte gehabt haben. Also diese Trennung, die uns eine Verfassung, eine säkulare Verfassung, ermöglicht hat, ermöglicht auch eine Kooperation. Ich kann ja nur mit jemandem kooperieren, wenn das in Freiheit passiert, wechselseitig. Und daher ist auch aus meiner Sicht die institutionelle Trennung etwas ganz Wichtiges, aber die Kooperation genauso. Wir sind zum Glück kein laizistischer Staat, weil jeder, denke ich, das, was ihn ausmacht, auch öffentlich zeigen können muss, ob jetzt religiös ist oder nicht. Aber da gibt es aus meiner Sicht keine Bevorzugung oder Benachteiligung. Religion ist eine höchstpersönliche Sache, aber keine Privatsache. Und die Stellungnahmen habe ich noch.
LUKÁŠ: Ich wollte gerade erinnern, diese 16 anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften, die können alle Stellungnahmen zu Begutachtungsverfahren, zu Gesetzesentwürfen abgeben oder nur ausgesuchte?
SCHIPKA: Mittlerweile kann überhaupt jeder eine Stellungnahme abgeben. Aber in den Zeiten vor dem Internet, die ich auch noch erlebt habe, war es von ganz hoher Bedeutung, dass diese Begutachtungsentwürfe, wie sich das im Gesetzgebungsverfahren nennt, den Religionsgemeinschaften zugeschickt worden sind. Sonst hätte man ja gar nicht davon erfahren, dass es geplant ist. Und dieses Recht hat erstmals, wenn ich mich nicht täusche, die evangelische Kirche in den 1960er-Jahren herausverhandelt, dass sie diese Begutachtungsentwürfe bekommt, um Stellungnahmen abzugeben. Und im Zuge der Gleichbehandlung haben auch die anderen Religionsgemeinschaften das Recht bekommen. Mittlerweile haben es andere auch schon drin stehen in ihren Gesetzen, aber auch die katholische Kirche. Wir haben sozusagen im Zuge der Gleichbehandlung dieses Recht bekommen. Mittlerweile ist alles im Internet auffindbar und man könnte es auch anders erfahren. Aber es wird uns immer noch zugeschickt, ja.
LUKÁŠ: Ja. Ich habe von dem Recht natürlich auch schon als Bürgerin einmal Gebrauch gemacht, eine Stellungnahme abzugeben, zu einem neuen Mediengesetz zum Beispiel. Das ist wirklich sehr einfach und effizient und wird dann aufgenommen und besprochen. Das ist schon toll.
SCHIPKA: Und es ist öffentlich einsehbar. Das halte ich gerade für einen demokratischen Prozess für etwas Wichtiges. Gerade dieses Begutachtungsverfahren ist da, finde ich, etwas Wunderbares. Denn es ist ja gesetzlich gar nicht geregelt. Sondern man versucht, eigentlich die, wie man so sagt, die Schwarmintelligenz zu nutzen, auch zu hören, was sagt ihr zu unserem Gesetzesentwurf. Und manchmal kann es ja wirklich sein, dass man was übersehen hat, auch bei denen, die ein Gesetz gemacht haben, und dann helfen die Stellungnahmen, darauf hinzuweisen. Wir konnten das eine oder andere Mal tatsächlich auf Dinge hinweisen, wo man uns gar nichts Böses tun wollte, aber uns vielleicht übersehen hat. Dann ist es in die Regierungsvorlage dann eingearbeitet worden. Also es geht ja gar nicht um einen bösen Willen meistens, hoffentlich.
LUKÁŠ: Oft geht es einfach um Unkenntnis.
SCHIPKA: Ja, man kann nicht immer alles berücksichtigen.
LUKÁŠ: Nun stehen wir heutzutage vor der Herausforderung und vor dem Geschenk, dass unsere Gesellschaft immer pluraler wird. Es kommt ja darauf an, was man damit tut. Auf der einen Seite werden Lebensstile und Wertvorstellungen der Menschen immer individueller. Man spricht da von einer narzisstischen Gesellschaft, die immer stärker wird. Auf der anderen Seite sind da auch Migrationsbewegungen, durch die Gläubige anderer Religionen oder verschiedener Religionen nach Österreich kommen. Und in dieser Situation gibt es ja immer wieder Konflikte zwischen den Menschen, verschiedene Religionen auch, aber auch zwischen nicht-religiösen und religiösen Menschen. Also kurzum, wir leben in einer pluralistischen, konfliktschwangeren Gesellschaft, die immer ein bisschen narzisstischer wird. Mag auch sein, eben einfach gepusht durch Digitalisierung und andere Einflüsse, die diese Jahrtausendwende mitprägen. Frau Polak, Ihre Forschung zeigt ja, dass Religionen konflikthaft wirken können, aber eben nicht nur. Sie können auch integrativ wirken. Können Sie uns diese zwei Verhältnisse vielleicht genauer beschreiben?
POLAK: Zum Thema Konflikthaftigkeit - das würde ich sogar noch mehr differenzieren. Das ist nicht ein naturhaft gegebenes Phänomen, sondern hat ganz viel mit politischen Diskursen zu tun. Nachdem ich ja jetzt schon recht lang diese Art von Forschung mache, habe ich schon, also nicht nur ich, sondern auch in der Politikwissenschaft sieht man das schon sehr deutlich, dass das Thema Religion zu einem solchen Konfliktthema wurde. Es beginnt eigentlich mit 9/11. Bis dahin war eigentlich sowohl gesellschaftlich und auch in der Religionssoziologie die Einstellung, die Leute werden immer weniger religiös und Kirchen und Religion werden sowieso gleichgültig und verschwinden. Das war auch in der Religionssoziologie ein Leitmotiv. Dann kam 9/11 und plötzlich war Religion als politischer Faktor wieder mitten im Geschehen. Und was da Sprachwissenschaftler, Diskursanalytiker, Politikwissenschaftler beobachten, ist, dass viele politische Parteien - also vor allen Dingen rechtspopulistische und im Gefolge dann auch zum Teil konservative Parteien - dieses Thema, also politische Themen, eigentlich religionisiert haben, oder umgekehrt, Religion plötzlich zum Politikum wurde. Also wir haben ja dieses interessante Phänomen in Österreich auch, dass ein eigentlich wirklich substanzielles Christentum weniger wird, während das Thema Christentum und Islam auf der politischen Ebene dauerpräsent ist. Das entsteht durch politische Diskurse und von daher ist Religion als Konfliktthema eigentlich gemacht. Das andere ist, dass es natürlich auch damit zu tun hat, dass es innerhalb von Religionsgemeinschaften unterschiedliche Auslegungstraditionen gibt oder Vorstellungen darüber, was es heißt, eine Katholikin, ein evangelischer Christ, orthodox oder islamisch zu sein. Wir sind ja auch intern nicht einig. Und gleichzeitig bergen aber gerade diese drei monotheistischen Traditionen - vielleicht auch die anderen, aber da kenne ich mich zu wenig aus - in sich ein enormes, demokratiepolitisch relevantes Potenzial und auch die Fähigkeit, mit Pluralität zu leben. Es gibt einen Judaisten, der ein sehr spannendes Buch geschrieben hat. Eric Nelson heißt er: "The Hebrew Republic", die Hebräische Republik. Dort zeigt er sogar, der politische Liberalismus, auf den wir heute so stolz sind, ist eigentlich im Alten Testament erfunden worden, am Berg Sinai, als dort Gott die Tora verkündet, also die jüdische Weisung, das jüdische Gesetz. Weil dort nämlich alle stehen, Männer, Frauen, Kinder, und die Bindung zwischen dem Volk und Gott über das Recht erfolgt und dass alle hören und alle eine Verpflichtung und eine Teilhabemöglichkeit bekommen. Das ist in der griechischen Demokratie nicht der Fall, weil da dürfen sich nur die reichen, adeligen Männer beteiligen. Während die Frauen und die Metöken, also die Ausländer, und die Kinder überhaupt keine Teilhaberechte haben. Und all die großen Aufklärer, auf die wir so stolz sind, die kannten alle das Alte Testament und auch die Grundideen eines politischen Gemeinwesens. Von daher gibt es dort Traditionen und das Christentum und auch der Islam sind ja ohne das Judentum als Vorgängerreligion, also als Textbasis, überhaupt gar nicht zu verstehen. Gleichzeitig real heute haben wir viele Gemeinden, die in Versöhnungsaktivitäten engagiert sind. Du hast schon die sozial engagierten Gemeinden, die entwicklungspolitisch engagierten Gemeinden und auch Organisationen benannt. Das gibt es auch in anderen Religionsgemeinschaften. Die IGGÖ zum Beispiel engagiert sich intensiv gegen Rassismus, hat auf ihrer Website auch eigene Hinweise zu Workshops, wie zum Beispiel Demokratieworkshops. Also es gibt von Seiten der Religionsgemeinschaften ein wirkliches Interesse, sich da auch zu beteiligen. Und nachdem Friede ein Schlüsselwort ist, Versöhnung ein Schlüsselwort ist, gibt es da auch theologisch und praktisch viele Anknüpfungspunkte, mit diesen Konflikten umzugehen. Weil ausgehend von der Idee, dass jeder Mensch einzigartig ist und Einzigartigkeit dazu führt, dass wir einfach alle verschieden sind, ist es zumindest der Theorie nach in all diesen Religionen normal, dass wir verschieden sind und daher zusammenleben können. Dieses Potenzial freizulegen, und es wird ja teilweise auch schon freigelegt, das halte ich eigentlich für riesige Ressourcen von Religionsgemeinschaften, die man eigentlich abrufen kann und sollte, die auch repräsentiert sein sollten im öffentlichen Diskurs, was es da auch innerhalb der Religionsgemeinschaften zu entdecken gilt. Dazu braucht man natürlich eine gute theologische Ausbildung, um das zu kennen. Also das kommt nicht automatisch von selber.
LUKÁŠ: Ja, also eigentlich eine Frage der Interpretation auch ein bisschen, oder?
POLAK: Ja aber Religion ist immer eine Interpretation. Alle Religionsgemeinschaften sind Interpretationsgemeinschaften. Selbst der Katechismus darf und muss interpretiert werden. Das gehört zur Matrix von Religion dazu, dass es keiner Generation erspart bleibt, sich zu überlegen: Die Texte und Traditionen, die wir haben - was bedeuten die jetzt? Und ich sehe gerade jetzt, jetzt rede ich wieder über meine Kirche: Wenn sich die katholische Kirche versteht als Zeichen und Werkzeug für die Vereinigung der Menschen mit Gott und der Einheit der Menschen untereinander, ist das auch eine politische Aussage. Also eine steile natürlich, weil das heißt, wir haben hier die Aufgabe zu zeigen, wie geht denn das miteinander Leben, wenn wir verschieden sind, unterschiedliche Sichtweisen haben, und zu zeigen, das geht, auch innerhalb der Kirche. Und da eine Art Role Model zu sein.
LUKÁŠ: Herr Schipka, wie erleben Sie das denn aus kirchlicher Sicht, die Veränderungen in einer zunehmend pluralen und von Migration geprägten Gesellschaft?
SCHIPKA: Mir ist einmal wichtig, ich halte die zunehmende Pluralität für keine Bedrohung, sondern für einen Ausdruck der individuellen Freiheit. Und das ist etwas Gutes. Menschen können frei wählen, wie sie leben wollen. Das ist ein großartiger Fortschritt, den wir gemacht haben. Gleichzeitig werden natürlich die Herausforderungen größer, weil wir uns dann stärker aushandeln müssen, wie leben wir denn mit unseren verschiedenen Lebenskonzepten? Wie viel Freiheit kann ich mir herausnehmen, ohne die Freiheit des anderen allzu sehr einzuschränken? Das, was mir Sorge macht, Regina hat es schon ein wenig angesprochen, ist, wenn Religion politisch instrumentalisiert wird. Das ist für mich der entscheidende Begriff. Und zwar kann es das in zwei Richtungen geben. Es können politische Parteien Religion instrumentalisieren, entweder für ihre eigene Meinung oder gegen eine Religion zu sein. Es gibt aber auch Religionen, die meinen, oder Menschen, religiöse Bürger, die meinen, dass ihre Auffassung religiös begründet sei, aber aus Unkenntnis wissen sie nicht, dass das vielleicht gar nicht der Fall ist und meinen, es müsse politisch auch so umgesetzt werden. Da handelt es sich um eine Instrumentalisierung von Religionen. Die muss, finde ich, aufgedeckt werden. Nicht alles, was jemand mit einer Religion in Verbindung bringt, entspricht dieser Religion auch schon. Das ist manchmal etwas komplex, weiß ich, aber das sehe ich als die Herausforderung.
POLAK: Und auf grassroots level braucht es einfach Bildung. Da hat schon die katholische Kirche in Österreich so viele Institutionen, wie ich das eigentlich aus Deutschland vielleicht noch kenne - also dem deutschsprachige Raum -, wo es möglich ist, dass sich auch Laien entsprechend weiterbilden.
SCHIPKA: Ich möchte zur Pluralität noch etwas sagen, die findet auch auf institutioneller Ebene statt. Wir haben vor mehr als zehn Jahren - da durfte ich dabei sein - die "Plattform der gesetzlich anerkannten Kirchen- und Religionsgesellschaften" gegründet. Es ist ein völlig loser, freiwilliger Zusammenschluss der gesetzlich anerkannten Kirchen- und Religionsgesellschaften. Und wir besprechen dort die Dinge, die uns aus rechtlicher Sicht verbinden, weil wir ja gegenüber dem Staat Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartner sind. Wir haben ein aus meiner Sicht wirklich hervorragendes Verhältnis. Die Größeren, auch die katholische Kirche, schaut manchmal auch auf die Kleineren, wenn es um rechtliche Fragen geht. Dass wir so ein gutes Verhältnis haben, zeigt, wie Pluralität funktionieren kann. Denn in unseren Glaubensinhalten sind wir einander manchmal sehr widersprüchlich und haben ein unterschiedliches Verständnis von der Welt, vom Menschen. Aber das schließt nicht aus, sondern - ganz im Gegenteil - es schließt mit ein, dass wir miteinander kooperieren. Aus meiner Sicht ist das ein Vorbild für Pluralität. Pluralität kann nicht heißen, du musst es genauso sehen wie ich, sondern Pluralität heißt, du respektierst mich, und deswegen respektiere ich dich genauso. Auch wenn wir sehr unterschiedlicher Auffassung sind.
LUKÁŠ: Da passt auch gut meine nächste Frage dazu. Frau Polak, Sie fordern ja, dass Theologie und Kirche die Erfahrung von Migrantinnen und Migranten stärker in den Blick nimmt. Warum?
POLAK: Das hat einen theologischen und einen praktischen Grund. Der praktische Grund ist: Allein in der katholischen Kirche Österreichs ist der Anteil von Katholiken und Katholikinnen, die jetzt unter Anführungszeichen "migrantischen Hintergrund" haben - mag das Wort nicht so, in der Erstdiözese Wien heißt es anderssprachige Gemeinden -, wachsend und groß. Wenn Sie da jetzt rausgehen und wir geben Ihnen eine Übersicht über die Gemeinden in Wien mit, dann können Sie in Wien die Weltkirche besuchen. Also polnisch, ungarisch, tschechisch, chinesisch, arabisch, alles. Es gibt den Katholizismus, den globalen, der ja kulturell und sprachlich so verschieden ist. Das ist alles hier in Wien präsent. Das nimmt man fast gar nicht wahr. Und da ist es schon innerkirchlich ganz wichtig wahrzunehmen, dass auch die katholische Kirche eine Migrantenkirche ist. In Deutschland gibt es Diözesen, die mittlerweile vom Geld der migrantischen Katholiken leben. Ich nenne die nicht gern so, das ist jetzt die soziologische Sprache, weil in der Kirche gibt es eigentlich keine Fremden. Aber wenn man es soziologisch beschreibt: ganz viele Migranten. Das betrifft auch die Evangelischen. Dort heißen sie internationale Gemeinden. Es betrifft die jüdische Gemeinde, da gibt es ganz viele Zuwanderer aus Russland. Bei den Muslimen ist es evident, wie kulturell und herkunftsmäßig verschieden das ist. Allein schon, um einmal wahrzunehmen, wir leben in einer Migrationsgesellschaft und auch innerhalb der Religionsgemeinschaften. Das ist eine Normalität und die gehört gestaltet. Und manchmal verdoppelt man leider innerhalb der Religionsgemeinschaften die Segregation, die Nicht-Kommunikation, wie sie auch in der Gesellschaft stattfindet. Das ist der ganz praktische Grund. Der theologische ist, dass wir eigentlich dem biblisch bezeugten Glauben Menschen verdanken, die permanente Erfahrungen mit Migration haben. Also vielleicht die Geschichte des Exodus, der Auszug aus Ägypten, die Ur-Erzählung im Alten Testament, für Juden und Jüdinnen bis heute. Für Christen so zentral, dass es auch in der Osternacht verlesen wird, weil es quasi auch schon einen Befreiungsprozess vorweg nimmt. Aber der Abraham, der aufbricht, ohne zu wissen, wo er landet. Wenn man mal mit der Migrationsbrille unsere biblischen Texte liest, ich habe das auch erst mit 40 entdeckt, weil ich da mit Migrationsforschung begonnen habe. Und ich habe es halt gelesen, wie eine 40-Jährige Sesshafte. Mir ist das gar nicht aufgefallen. Es war Hintergrundrauschen. Aber das waren alles Menschen, die irgendwie aufgebrochen sind, und zwar nicht nur im Geiste, sondern zuallererst einmal physisch. Das heißt, wir verdanken eigentlich unseren Glauben maßgeblich Menschen mit Migration, mit Migrationserfahrung - meistens schmerzlicher -, mit Flucht, mit Vertreibung, babylonisches Exil, das zieht sich durch. Auch im Neuen Testament: Das frühe Christentum wird als "der Weg" beschrieben, und auch das ist nicht nur eine Metapher, sondern wirklich buchstäblich Gemeinschaften, die auch als Wanderprediger unterwegs sind. Also es gehört zum Christentum dazu. Ohne Migration hätte sich das Christentum überhaupt nicht ausgebreitet, Paulus. Das hat auch eine theologische Bedeutung, weil Glaube eben nichts Statisches ist, sondern eigentlich auch etwas, das immer in Bewegung ist und von daher auch angesichts der Migration, die natürlich viele Herausforderungen und Schwierigkeiten mit sich bringt, auch hier ein Umdenken im Kopf erfordert worden ist. Ich habe mich dann sehr gefreut, dass der verstorbene Papst Franziskus seine erste Reise nach Lampedusa gemacht hat, 2013, weil ich da endlich auf päpstlicher Ebene einen Verbündeten hatte, dem das Migrationsthema so wichtig war wie mir. Weil hier war das 2013 noch überhaupt kein Thema, das jetzt in der Theologie wirklich bearbeitet worden ist. In der globalen schon, also in Lateinamerika und in Afrika war das alles schon Thema. Und nachdem der Papst ja aus Argentinien kam, für den war Migration völlig normal. Mit 2015 ist es hier auch angekommen. Das wird uns auch in Zukunft beschäftigen. Wenn ich jetzt daran denke, gestern hat man gesehen, diese iranische Expertin, die gesagt hat, also wenn uns da die Bude jetzt explodieren sollte, dann muss man auch mit Flüchtlingen aus dem Iran rechnen. Das Migrationsthema wird uns beschäftigen, so hoch kann man die Mauern gar nicht ziehen. Wir werden uns damit auseinandersetzen müssen und da spielen die Kirchen und die Religionsgemeinschaften echt eine zentrale Rolle.
SCHIPKA: Ich würde gerne ergänzen, weil die Religion im Zuge der Migration gleich benannt wird als Herausforderung. Nach meinen Erfahrungen in meinem Umkreis, wo ich mit Menschen anderer Religionen zu tun habe, glaube ich, dass das eigentliche Problem meistens mit der Kultur zusammenhängt, die die Menschen mitbringen. Es sind halt nicht-demokratische Gesellschaften, aus denen sie kommen, patriarchale Gesellschaften und das wird dann manchmal leider religiös überhöht. Aber aus der eigenen Religion würde es gar nicht so viel Unterstützung finden. Das zu unterscheiden, was kommt eigentlich aus der Kultur und was ist religiös, merke ich, ist einfach in allgemeinen Diskussionen so schwierig. Das geht nur, indem man einander nicht befragt. Aber ich sehe, soweit ich andere Religionen kenne, jetzt keinen Grund, dass die unterschiedlichen Religionen nicht sehr gut miteinander leben können, sondern es sind die Kulturen, die die Menschen mitbringen und die manchmal die Konflikte eigentlich erst heiß machen. Auch unsere eigene - will ich gar nicht ausschließen davon.
POLAK: Es gibt auch Katholiken, also migrantische Katholiken, mit hohem Autoritarismus. Oder mit niedrigem. Und das hat ganz viel damit zu tun, was die dort erlebt haben an Demokratie oder Nicht-Demokratie.
SCHIPKA: Oder wenn es dazu heißt: "Wir sind ein christliches Land" - was verbinden manche Menschen damit? Das sind eher kulturelle Aspekte und da geht es gar nicht um die Religion, sondern es ist eigentlich ein Platzhalter für etwas anderes.
LUKÁŠ: Ja, ich würde zu meiner Abschlussfrage kommen. Da dreht es sich um die Zukunft, um die Wünsche für die Zukunft von Kirchen und Religionen in der Demokratie Österreichs. Und vielleicht könnte man da diese Frage nach dem Dialog zwischen den Religionen und was da vielleicht noch wünschenswert wäre, gleich mit reinnehmen. Ich würde mit Ihnen, Frau Polak, anfangen. Was wären denn Ihre Wünsche für die Zukunft von Kirchen und Religionen in der Demokratie Österreich, gerne mit Bezug auf Dialogstärkung?
POLAK: Dass man sich wirklich als Kirchen- und Religionsgemeinschaften bewusst ist, dass man ein ganz wichtiger Player ist und da durchaus selbstbewusst sein kann und sich auch einbringt. In einer Zeit, wo es so viele Krisen, so viel Hoffnungslosigkeit, so viel Resignation oder Angst vor der Zukunft gibt, sind vielleicht sogar die spirituellen Dimensionen von Religionsgemeinschaften wichtiger als je zuvor. Zukunftsperspektiven zu eröffnen, den Menschen zuzusprechen, dass Zukunft - auch wenn sie ganz schwierig ist - offen ist und dass wir das miteinander gestalten können. Dass man hier wirklich auf das Herzstück der Religionsgemeinschaften... Ist verschieden, aber alle geben in gewisser Weise Hoffnung, dass das Leben auch gut werden kann. Das halte ich eigentlich momentan angesichts der schwierigen Lage für am wichtigsten. Und dann kommen natürlich die Dinge dazu, über die wir vorher gesprochen haben: Das soziale Engagement, das Einüben von Demokratie auch innerhalb von Gemeinschaften und Gemeinden, ist ja auch ein zentraler Erfahrungsort. Ich habe bei der Jungschar, ohne dass man es jetzt jemals Demokratie genannt hätte, gelernt, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen, eine Gruppe zu gestalten, wo Leute verschieden sind, also auch wahrzunehmen. Und das ist der andere Teil, gesellschaftlich und Religionen auch einen entsprechenden Raum der Repräsentation einzuräumen. Das sind Orte, an denen Demokratie geübt und gelernt werden kann und auch wird, und das wahrzunehmen und auch ganz bewusst als ein gesellschaftliches Potenzial verstärkt zu nutzen. Und wir müssen uns natürlich intern auch dementsprechend vorbereiten und weiterbilden.
LUKÁŠ: Dann gebe ich die Frage an den Herrn Schipka gleich weiter. Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Kirchen und Religionen in der Demokratie Österreich?
SCHIPKA: Ich kann ja nur ergänzen, was Regina gesagt hat. Mir ist wichtig, dass sich die Religionsgemeinschaften als Player verstehen. Das setzt für mich auch voraus, das ist etwas Schmerzhaftes, dass Religionsgeschichte auch Schuldgeschichte ist. Die gibt es auch bei Nichtreligiösen, auch da gibt es Schuldgeschichten. Und ich glaube, dass es uns hilft, diese Schuldgeschichten zu benennen, aus denen zu lernen und auch zu zeigen, dass wir gelernt haben. Weil wir dann überzeugender sind, so wie wir uns jetzt einbringen. Das fällt ja jeder Institution schwer und auch den Religionsgemeinschaften. Ich glaube, dass wir da mit gutem Beispiel auch vorangehen können. Das wünsche ich mir, weil es nicht um einen Machtausgleich geht, zwischen säkularen Bürgern, nichtreligiösen oder religiösen Bürgern. Es geht nicht um Machtkämpfe. Sondern um einen Wettbewerb der besten Ideen. Was bringt uns eigentlich in einer Gesellschaft am meisten weiter? Und da glaube ich, dass Religionsgemeinschaften, ich bin überzeugt davon, die katholische Kirche erst recht, dass wir etwas Gutes einbringen können, es in der Geschichte schon bewiesen haben. Denke jetzt nur an die Krankenhäuser, die aus dem Christlichen kommen, die Bildungseinrichtungen. Und dass das nicht zu Ende ist, nicht nur im Mittelalter passiert ist, sondern dass wir auch jetzt viel einbringen können. Ich glaube, dass jede Gesellschaft, jede Demokratie eigentlich nur dankbar sein kann, sage ich jetzt als Staatsbürger, wenn es aktive, konstruktive Religionsgemeinschaften gibt.
LUKÁŠ: Dann danke Ihnen beiden für die viele Zeit, die Sie sich genommen haben, für dieses Gespräch und für die Gastfreundschaft. Vielen Dank. Herr Schipka, Frau Polak, danke fürs Dasein.
POLAK: Danke für das Interesse.
SCHIPKA: Vielen Dank für das Gespräch, auch für das Einlassen auf unsere Themen.
POLAK: Da gibt es ja was zu essen jetzt.
LUKÁŠ: Das war interessant. Wer in diesem Land aufgewachsen ist, hatte mit diesen Themen schon persönlich zu tun, ob jetzt in der Jungschau oder sonst wo. Das geht uns ja alle an.
POLAK: Waren Sie da auch?
LUKÁŠ: Natürlich war ich in Jungschar. Ich bin Tirolerin.
POLAK: Ach so, Sie sind eine Tirolerin.
LUKÁŠ: Ich habe Fürbitten vorgelesen, ich habe die ganze Karriere durchgemacht.
SCHIPKA: Sehr schön. Die ist noch nicht am Ende.
LUKÁŠ: Es ist ein Prozess. Manchmal ist da mehr, manchmal ist da weniger. Aber es ist auf jeden Fall eine Frage, die begleitet. Vielen Dank auf jeden Fall für das Gespräch. Und das war es auch schon wieder mit "Rund ums Parlament". Ich hoffe, euch hat diese Folge gefallen. Wie schon gesagt, ist unsere Reihe über die Nachbarn des Parlaments damit vorbei. Und leider auch der Podcast "Rund ums Parlament"- beinahe. Nach 75 Folgen über fast alles, was das österreichische Parlament betrifft, endet dieser Podcast mit der nächsten Folge. Ich sage vielen Dank, dass ihr meinen Gästen und mir so treu eure Ohren geliehen habt. Und ich hoffe, wir konnten euch ein paar Dinge etwas näher bringen, die unser Parlament und unsere Demokratie betreffen. Vielleicht habt ihr auch hier und da was Neues erfahren. Das würde mich auf jeden Fall sehr freuen und auch das Produktionsteam. Einstweilen könnt ihr euch aber auf die letzte Folge freuen. Da werde ich ein paar Gäste bei mir haben, die üblicherweise nicht vor dem Mikrofon stehen, sondern dahinter alles organisieren. Mehr wird aber noch nicht verraten. Bis dahin schaut vorbei auf der Website und den Social-Media-Kanälen des österreichischen Parlaments Ich freue mich schon auf unsere letzte Folge mit euch. In diesem Sinne vielen, vielen Dank fürs Zuhören. Mein Name ist Tatjana Lukáš. Bis dann.
Jingle: Rund ums Parlament. Der Podcast des österreichischen Parlaments.