News 11.11.2024, 10:22

Fachdossier zeigt Veränderung in der Gesetzgebung unter ÖVP und Grüne

Gesetzesbeschlüsse, die aus Initiativen von Abgeordneten hervorgingen, überholten in der 27. Gesetzgebungsperiode (GP) erstmals jene der Regierung. Bedeutet diese Tatsache, dass der Nationalrat gestärkt wurde? Ein aktuelles Fachdossier des Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen Dienstes (RLW) der Parlamentsdirektion beschäftigt sich mit dieser Frage.

Die nähere Analyse der Entwicklungen seit 2020 zeigt laut dem Dossier, dass diese Trendumkehr hin zu selbstständigen Anträgen mit einer Verkürzung der Beratungszeit, dem Fehlen von Informationen und mangelnden Möglichkeiten der Evaluierung von Gesetzen einhergeht.

Die COVID-19-Pandemie machte rasche Gesetzesbeschlüsse notwendig, selbstständige Anträge von Abgeordneten wurden in der Praxis dafür genutzt. 

COVID-19-Pandemie ebnete den Weg für Initiativanträge als Mittel zum Ziel

Jedes beschlossene Gesetz hat seinen Anfang in einem Antrag, einer Regierungsvorlage oder einem Volksbegehren. Eingebracht werden können Anträge von Nationalratsabgeordneten, vom Bundesrat oder einem Drittel seiner Mitglieder, Regierungsvorlagen, wie der Name schon sagt, von der Bundesregierung. Bis zur jüngsten abgeschlossenen Gesetzgebungsperiode, der 27., mit einer Regierung aus ÖVP und Grünen, gingen die Gesetzesbeschlüsse vorrangig auf Regierungsvorlagen zurück. In dieser GP dominierten allerdings die selbstständigen Anträge von Abgeordneten mit 53 Prozent – sie werden auch oft als Initiativanträge bezeichnet. Nur 38 % der Beschlüsse basierten auf Regierungsvorlagen.

Die "Trendumkehr" wurde wohl mit der COVID-19-Pandemie eingeläutet. Ab März 2020 war es notwendig, viele bestehende Gesetze anzupassen und gesetzliche Grundlagen für den Umgang mit der Pandemie und ihren Folgen zu schaffen – und zwar möglichst schnell. Als Mittel zur Umsetzung wurden selbstständige Anträge eingesetzt, die unmittelbar eingebracht werden konnten – also ohne Ministerialentwurf und Begutachtungsverfahren. So wurden in der Tagungsperiode 2019/2020 54 % der Gesetze auf Basis von selbstständigen Anträgen beschlossen. Doch auch 2023/24, also nach der Pandemie, dominierten solche Beschlüsse (51 %).

Als Beispiel eine umfangreiche Regierungsvorlage für das Budget 2011.

Großteil der erfolgreichen Initiativanträge von Abgeordneten der Regierungsparteien eingebracht

Die Anträge, die in Gesetzesbeschlüssen mündeten, wurden Großteils von Abgeordneten der Regierungsparteien eingebracht. In der jüngsten Tagungsperiode – 2023/24 – kamen von den 99 erfolgreichen selbstständigen Anträgen 93 von Abgeordneten der ÖVP und der Grünen.

38 % der Beschlüsse in der 27. GP hatten ihren Ursprung in Regierungsvorlagen. Für Regierungsvorlagen sind höhere Anforderungen gesetzlich vorgesehen. So müssen etwa finanzielle, aber etwa auch wirtschafts-, umwelt- und konsumentenschutzpolitische sowie soziale Auswirkungen einer Maßnahme im Rahmen der sogenannten "Wirkungsorientierung" geprüft werden, ebenso Auswirkungen auf die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern. In manchen Fällen genügt eine vereinfachte Abschätzung, eine WFA (wirkungsorientierte Folgenabschätzung).

Konsequenzen der Veränderung

Gibt es keine Regierungsvorlage, fehlen auch die WFA und die Information betreffend Verwaltungskosten. Für die Abgeordneten bedeutet das, dass die Informationsgrundlage beschränkt ist. Deshalb sollen selbstständige Anträge zumindest einen Bedeckungsvorschlag enthalten, wenn sein Beschluss zu einer finanziellen Belastung des Bundes führen würde, die im Budget nicht vorgesehen ist. Fehlt dieser, gibt es allerdings keine Sanktionen.

Hinzu kommt, dass Gesetze, für die es zuvor eine WFA gab, eine Evaluierung innerhalb von längstens fünf Jahren gibt. Der Hintergrund: Qualitätssicherung.

Im Fachdossier wird betont, dass sich auch die rechts- und sozialwissenschaftliche Forschung in den letzten Jahren häufiger mit Entwicklungen beschäftigt habe, die auch in der 27. Gesetzgebungsperiode für Österreich typisch geworden sei. Es werde dabei auf das Risiko hingewiesen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Gesetzgebung sinken könne. Im internationalen Vergleich zeige sich, dass Gesetze, die in raschen Gesetzgebungsverfahren ohne Konsultationen und breite Diskussionsprozesse beschlossen worden seien, oftmals geändert werden müssten. Die Konsequenzen daraus: Fallweise hohe Anpassungskosten für Unternehmer:innen und Private und die Förderung von Korruption.