News 02.10.2024, 14:14

Wie wird man Nationalratspräsident:in?

"Nach der Angelobung wählt der Nationalrat aus seiner Mitte den Präsidenten, den Zweiten und den Dritten Präsidenten", legt die Geschäftsordnung fest. Grundsätzlich kann also jede:r der 183 Abgeordneten ins Präsidium gewählt werden. In der parlamentarischen Praxis ist es aber Usus, dass die drei stimmenstärksten Klubs die drei Präsident:innen stellen.

Zwischen Geschäftsordnung und gelebter Praxis

Auch ein Blick in die Geschichte zeigt: Dass der oder die Nationalratspräsident:in nicht von der mandatsstärksten Partei kam, gab es noch nie. 19 verschiedene Personen standen seit 1920 an der Spitze des Nationalrats. Sie gehörten alle der ÖVP oder der SPÖ – bzw. ihren Vorgängerparteien – an. Drei davon waren Frauen. Gleich viele hießen Leopold. Zählt man die Zweiten und Dritten Präsident:innen mit, waren bisher 52 Personen im Präsidium vertreten.

Bis ins Jahr 1983 ging allerdings die drittstärkste Partei in puncto Präsident:innenposten leer aus. Der Wahlsieger (ÖVP oder SPÖ) stellte in dieser Zeit neben dem Präsidenten auch den Dritten Nationalratspräsidenten. Nach der Wahl 1983 war dann erstmals ein Mitglied einer weiteren Partei im Präsidium vertreten: Der Freiheitliche Gerulf Stix wurde Dritter Nationalratspräsident.

Dass der bzw. die Nationalratspräsident:in nicht von einer Koalitionspartei gestellt wird, ist äußerst selten, kam aber schon einmal vor. Von 1999 bis 2002 stand Heinz Fischer (SPÖ) unter schwarz-blauer Regierung an der Spitze des Nationalrats. Auch seine Wahl zum Nationalratspräsidenten hat aber der parlamentarischen Usance entsprochen: Die SPÖ war damals die stimmenstärkste Partei.

In derselben Periode stellte die FPÖ mit Thomas Prinzhorn übrigens zum bisher einzigen Mal den Zweiten Präsidenten. ÖVP und FPÖ hatten damals zwar beide je 26,91 % der Stimmen und 52 Mandate eingeholt. Die Freiheitlichen lagen aber um einige hundert Stimmen vor der Volkspartei auf Platz 2.

Knapp ging es auch bei der Wahl 2006 zu, bei der die Grünen um 0,01 % vor der FPÖ landeten. Mandate hatten beide Parteien gleich viel (21), der dritte Posten im Nationalratspräsidium ging an die Grünen, nämlich an Eva Glawischnig-Piesczek.

Für eine Besonderheit sorgte die Dritte Nationalratspräsidentin der XVIII. Legislaturperiode, Heide Schmidt. Sie trat 1993 aus dem Freiheitlichen Klub aus und gründete mit dem Liberalen Forum einen eigenen Parlamentsklub. Weil sie auch nach dem Wechsel den Posten im Präsidium behielt, gab es in dieser Periode Nationalratspräsident:innen von insgesamt vier Parteien.

Die (fast immer) geheime Wahl

Die Geschäftsordnung des Nationalrats gibt auch die Spielregeln für die Wahl der drei Präsident:innen vor. Die Wahl erfolgt geheim, das heißt die Abgeordneten wählen mit einem Stimmzettel, üblicherweise in einer Wahlzelle. Die Klubs bringen davor Wahlvorschläge in der Nationalratskanzlei ein. Gewählt kann aber grundsätzlich auch jede:r andere Abgeordnete werden. In der Regel findet vor der Wahl eine Debatte statt.

Als gewählt gilt, wer eine einfache Mehrheit (50 % der gültigen Stimmen plus eine Stimme) erhält. Erreicht niemand diese Mehrheit, wird ein zweiter Wahlgang durchgeführt. Geht auch aus diesem kein eindeutiges Ergebnis hervor, stehen in einer "engeren Wahl" jene beiden Abgeordneten zur Wahl, die im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten haben, wobei bei Stimmengleichheit das Los entscheidet. Die Wahl gilt für die gesamte Gesetzgebungsperiode: Eine Abwahl ist nicht möglich.

Bei der ersten Nationalratspräsident:innenwahl nach dem Zweiten Weltkrieg hat man es übrigens nicht ganz so genau mit den Regeln genommen. "Nach der Geschäftsordnung ist diese Wahl mittles Stimmzettel durchzuführen. Ich wurde aber von allen Parteien verständigt, dass man sich mit der Vornahme der Wahl per acclamationem begnügt", sagte der damalige Vorsitzende Karl Seitz laut Stenographischem Protokoll vom 19. Dezember 1945. Der Abgeordnete Leopold Kunschak (ÖVP) wurde somit mit einer gewöhnlichen Abstimmung gewählt – die Abgeordneten standen als Zeichen der Zustimmung auf. Das Ergebnis war einstimmig.

Zwischen 61 und 100 % - verschiedene National­rats­präsident:innen erzielten verschiedene Mehrheiten

Nicht immer fielen die Wahlen so eindeutig aus wie im Jahr 1945. Die Zustimmungsraten bei den Wahlen zum Nationalratspräsidenten bzw. zur Nationalratspräsidentin schwanken seitdem zwischen 61 und 100 %. 100 % aller gültigen Stimmen erreichten neben Leopold Kunschak auch Leopold Figl (ÖVP) 1959 sowie Alfred Maleta (ÖVP) 1962 und 1966. Zahlenmäßig die meisten Stimmen – nämlich 167 – erhielt Anton Benya (SPÖ) 1975. Der erste Präsident mit weniger als 90 % Zustimmung war Heinz Fischer (SPÖ) 1994 (86 %). Seither wurde kein:e Nationalratspräsident:in mehr mit über 90 % der Stimmen ins Amt gewählt.

Die geringste Zustimmung, sowohl in Prozent der gültigen Stimmen als auch in der absoluten Anzahl der Stimmen erhielt Wolfgang Sobotka (ÖVP), als er im Dezember 2017 als Ersatz für Elisabeth Köstinger (ÖVP) zum Nationalratspräsidenten gewählt wurde. Für ihn stimmten 106 Abgeordnete oder 61 %. Ganze 65 Stimmen entfielen damals auf den Abgeordneten Karlheinz Kopf (ÖVP), für den kein Wahlvorschlag vorlag. Das zweitschlechteste Ergebnis fuhr Köstinger selbst im November 2017 ein. Sie erhielt 117 Stimmen, was 67 % der gültigen Stimmen entsprach. Auch bei dieser Wahl wollten viele Mandatar:innen den bis dahin Zweiten Präsidenten Karlheinz Kopf (ÖVP) an der Spitze des Nationalrats sehen. Er erhielt 56 Stimmen.

Eine Möglichkeit, die Unzufriedenheit mit einem Wahlvorschlag zum Ausdruck zu bringen, ist auch die Enthaltung bzw. eine ungültige Stimmabgabe. Die meisten ungültigen Wahlzettel – je 25 - wurden bei der Wiederwahl von Heinz Fischer (SPÖ) 1999 sowie bei der Wahl von Doris Bures (SPÖ) als Nachfolgerin der verstorbenen Präsidentin Barbara Prammer (SPÖ) 2014 abgegeben.

Zweithöchstes Amt im Staat

Wer auch immer das Amt des oder der Nationalratspräsident:in übernimmt, trägt jedenfalls eine große Verantwortung. Denn es handelt sich um das zweithöchste Amt im Staat mit weitreichenden Befugnissen.

"Der Präsident wacht darüber, dass die Würde und die Rechte des Nationalrates gewahrt, die dem Nationalrat obliegenden Aufgaben erfüllt und die Verhandlungen mit Vermeidung jedes unnötigen Aufschubes durchgeführt werden", heißt es in der Geschäftsordnung, die die Aufgaben des bzw. der Nationalratspräsident:in regelt. Er oder sie leitet die Sitzungen, darf diese unterbrechen und muss für Ruhe und Ordnung im Saal sorgen. Dabei kann er sich von dem bzw. der Zweiten und Dritten Präsident:in vertreten lassen.

Zentrale Kompetenz des bzw. der Nationalratspräsident:in ist die "Handhabung der Geschäftsordnung", also die Entscheidung über Rechtsfragen zum Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrats. In der Regel wird versucht, in der Präsidialkonferenz Konsens zu finden. Das letzte Wort hat aber immer der oder die Nationalratspräsident:in. Er oder sie übt das Hausrecht in den Parlamentsgebäuden aus und steht der Parlamentsdirektion vor. Außerdem vertritt der bzw. die Nationalratspräsident:in das Parlament nach außen, insbesondere bei internationalen Terminen. Gemeinsam mit dem Rest des Präsidiums vertritt der bzw. die Nationalratspräsident:in den bzw. die Bundespräsident:in, wenn diese:r länger als 20 Tage verhindert ist.