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Gutachten zum Aktionsradius der Abgeordneten in der aktuellen Krisensituation

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In der Präsidialkonferenz am 15. März 2020 haben die Mitglieder das Thema „Aktionsradius der Abgeordneten in der aktuellen Krisensituation“ intensiv und von unterschiedlichen Standpunkten ausgehend erörtert. Die Parlamentsdirektion (konkret der Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftliche Dienst RLW) wurde sodann von der Präsidialkonferenz ersucht, eine rechtliche Einschätzung zu erstellen. Ebenso wurden Rechtsgutachten dazu beauftragt bei Univ.-Prof. Dr. Harald Eberhard, Univ.-Prof. DDr. Christian Kopetzki und Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk. Die Professoren Eberhard und Kopetzki haben ihre gutachterliche Stellungnahme vorgelegt, Herr Professor Funk hat sich deren Meinung angeschlossen. Der FPÖ-Klub hat eine gutachtliche Stellungnahme bei Univ.-Ass. Mag. Maximilian Hofmann beauftragt, die der Präsidialkonferenz zur Kenntnis gebracht wurde. Alle dies gutachterlichen Stellungnahmen sind im Volltext abrufbar:

Zum Inhalt der gutachterlichen Stellungnahmen

Univ.-Ass. Mag. Hofmann kommt in seiner Stellungnahme auf Basis einer sehr weiten Interpretation des Begriffs „Auftrag“ in Art. 56 B-VG und unter Bezugnahme auf den Stufenbau der Rechtsordnung zum Schluss, dass die Mandatsausübung von Abgeordneten durch den Gesetzgeber in keiner Weise beschränkt werden dürfe. Eine Einschränkung des freien Mandats wäre nur auf Basis einer Verfas­sungs­norm zulässig. Die Absonderung bzw. Verkehrsbeschränkung von Abgeordneten sei daher nur insoweit möglich, als deren parlamentarische Tätigkeit davon nicht betroffen ist.

Der RLW sowie die Professoren Eberhard, Kopetzki und Funk beantworten die Frage im Kontext der gesamten Verfassungsordnung. Sie kommen alle im Ergebnis zum Schluss, dass epidemie­rechtliche Beschränkungen der Bewegungsfreiheit bei Abgeordneten grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen zulässig sind wie bei allen anderen Personen. Sämtliche aus der Abgeordneten­eigenschaft erfließenden Rechtspositionen können in verhältnismäßiger Form eingeschränkt werden. Bei der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmenden Güterabwägung sei zwischen individuell-personenbezogenen freiheitsentziehenden Maßnahmen (z.B. Absonderung) und flächen­bezogenen Verkehrsbeschränkungen (z.B. Sperre von Gebieten) zu differenzieren. Bei verfassungs­konformer Auslegung der in den einschlägigen Vorschriften vorgesehenen Ausnahme­kataloge müssen die Besonderheiten der Rechtsposition der Abgeordneten und die Funktionsfähigkeit des Nationalrates angemessen berücksichtigt werden. Für den Fall eines Verstoßes gegen seuchenrechtliche Bewe­gungsbeschränkungen könne den Abgeordneten unter Umständen ein aus dem passiven Wahlrecht ableitbarer Rechtfertigungsgrund zu Gute kommen.

Eine (justiz- oder verwaltungs-)strafrechtliche Verfolgung von Mitgliedern des Nationalrates wegen Verstößen gegen das EpidemieG, das COVID-19-MaßnahmenG oder deren Durchführungs­ver­ord­nun­gen, die in irgendeiner Weise mit ihrer parlamentarischen oder sonstigen politischen Tätigkeit zu tun haben, bedürfe gemäß Art. 57 Abs. 3 B-VG der Zustimmung des Nationalrates (außerberufliche Immunität).