News in einfacher Sprache 09.07.2024, 11:10

Demokratie – was ist das eigentlich?

Über die Demokratie und andere Regierungsformen

Wolfgang Merkel ist ein deutscher Demokratie-Forscher. Im Interview mit der Parlamentskorrespondenz sagte er: Demokratie ist eine imperfekte, aber die bisher bestmögliche Form des Volkes, sich selbst zu regieren.

Das bedeutet: Demokratie ist nicht perfekt, aber es gibt auch keine andere Form von Regierung, die besser ist.

In einer modernen Demokratie für alle Bereiche muss das Volk von einem Parlament und einer Regierung vertreten werden, sagt Herr Merkel. Er meint: Das Parlament ist der Mittelpunkt der Demokratie. Und Parlamente sind noch stärker demokratisch als Regierungen.

Wolfgang Merkel

Frau Tamara Ehs ist Politik-Wissenschaftlerin. Sie sagt: Wir sind nicht mehr in der attischen Demokratie, wo einige hundert Männer am Marktplatz direktdemokratisch Politik machen. Im modernen Staat erfolgt die Willensbildung über Parteien, die in Parlamenten organisiert sind.

Die attische Demokratie gab es im antiken Griechenland. In Athen kamen Männer am Hauptplatz zusammen, um gemeinsam die Politik zu bestimmen.

Frau Ehs ist der gleichen Meinung wie Herr Merkel. Auch sie bezeichnet das gewählte Parlament als "Kern der Demokratie".

Demokratie braucht aber viel mehr als ein Parlament, meint Frau Ehs. Sie zählt auf, was für sie dazugehört:

  • Freie Medien und eine pluralistische Berichterstattung (Pluralistisch bedeutet: vielfältig)
  • Eine Zivilgesellschaft, die das Parlament und Regierungsmitglieder kontrollieren und korrigierend eingreifen kann (die Zivilgesellschaft sind Menschen außerhalb von Parlament und Regierung)
  • Eine Zivilgesellschaft, die sich versammeln oder Bürger-Initiativen einbringen kann
  • Eine starke Justiz und ein starker Rechtsstaat

Tamara Ehs

Beteiligung erhöhen mit Wahlpflicht

Vor allem vor Wahlen gibt es immer wieder Diskussion über mehr direkte Mitbestimmung. Aber die Wahl-Beteiligung ist in den vergangenen Jahrzehnten gesunken, meinte Frau Ehs. Das gilt vor allem für Wahlen auf der Ebene von Gemeinden und von Bundesländern. Das ist aber nicht nur in Österreich so. Deshalb sind immer mehr Politik-Wissenschaftler:innen für eine Wahl-Pflicht, betont Frau Ehs. Auch sie hat Verständnis für diese Idee.

Auch Wählen über das Internet könnte mehr Menschen dazu bringen, sich an Wahlen zu beteiligen. Frau Ehs bezieht das vor allem auf junge Menschen. Beide Fachleute halten es aber für schlecht, Wahlen nur online abzuhalten. Das wäre außerdem durch die Verfassung verboten, meint Frau Ehs. Denn alle Wahl-Berechtigten müssen ihr Wahlrecht ausüben können. Aber alle Maßnahmen, die das Wählen leichter und einfacher machen, sind willkommen. Frau Ehs nennt hier die Länder Litauen, Lettland und Estland als Vorbilder. Österreich nutzt bereits technologische Möglichkeiten, damit sich mehr Menschen bei der Entstehung oder bei der Änderung von Gesetzen einbringen. Zum Beispiel kann man Volksbegehren über das Internet unterschreiben. Und alle Bürger:innen können sich durch das "erweiterte Begutachtungs-Verfahren" über geplante Gesetze informieren und ihre Meinung dazu sagen.

Immer weniger Demokratien in der Welt

Wolfgang Merkel sieht bei der Demokratie auch Mängel und Fehler und erinnert an den britischen Politiker Winston Churchill. Churchill sagte einmal: "Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.” Oft wird Indien als die größte Demokratie der Welt bezeichnet. Herr Merkel nennt Indien aber "eine Art von defekter Demokratie mit großen Mängeln, die sich gegenwärtig hin zu einem autoritären Regime entwickelt". (Defekt bedeutet kaputt. In autoritären Regimen bestimmen wenige Leute alles und das Volk hat kein Recht auf Mitsprache. Autoritär ist das Gegenteil von demokratisch.) Herr Merkel nennt Indien eine "schlechtere Demokratie" als Ungarn. Weil Indien so weit weg sei, würde man das manchmal vergessen. Abgesehen von Indien mit seiner nicht funktionierenden Demokratie sind die USA die größte Demokratie der Welt. "Auch das ist kein Vorbild mehr", ist das Urteil der Demokratie-Forscher. Denn schon das amerikanische Wahl-System ist eine Katastrophe. Es ist altmodisch und man kann es leicht für Betrug missbrauchen. 

Ganz allgemein stellt Herr Merkel fest, dass die "demokratische Qualität" auf der ganzen Welt abnimmt. Er bezeichnet die meisten politischen Regierungen als Mischform. In Latein-Amerika sagt man dazu "Democradura". Dieses Wort setzt sich aus Demokratie und Diktatur zusammen und bezeichnet eine Schein-Demokratie. Schon das Wort Demokratie ist umstritten. Die meisten Regierungen halten sich oft nicht an demokratische Regeln, sondern handeln mit zweifelhaften Methoden. Herr Merkel nennt auch Zahlen zu diesem Thema. Halbwegs annehmbare Regierungen mit zumindest kleinen demokratischen Maßnahmen nennt er "Elektorale Demokratien" (elektoral bedeutet: gewählt). Im Jahr 2000 gab es 120 solche elektorale Demokratien, aber jetzt sind es nur noch 100. Es gibt auch ungefähr 100 nicht-demokratische Länder. Herr Merkel betont, dass auf der ganzen Welt viel mehr Menschen in Diktaturen und Schein-Demokratien leben als in echt demokratischen Ländern.