News in einfacher Sprache 20.11.2023, 15:00

Zwischen Tinte und Tastatur: 175 Jahre Stenografische Protokolle

Die Parlaments-Stenograf:innen in der Mitte des Plenarsaals

Auch nach der Wiedereröffnung des Parlamentsgebäudes an der Wiener Ringstraße sitzen sie in der Mitte des Plenarsaals rechts und links vor dem Pult für die Redner:innen: die Parlaments-Stenograf:innen. Stenografie ist eine Kurzschrift, die aus speziellen Zeichen und Abkürzungen besteht.

Für ihre Arbeit verwenden die Parlaments-Stenograf:innen Block und Bleistift. Sie beobachten genau, was im Plenarsaal vor sich geht. Ihr Gesichtsausdruck ist neutral. Man kann ihnen nicht ansehen, was sie über das Geschehen denken.

Schon der Architekt des Parlamentsgebäudes, Theophil Hansen, wollte, dass die Parlaments-Stenograf:innen im Plenarsaal sichtbar sind. So sollte allen klar sein, dass das Geschehene in den Plenarsitzungen protokolliert und veröffentlicht wird.

Doch welche Rolle haben stenografische Protokolle heute? Es sind jetzt 175 Jahre nach der ersten schriftlichen Aufzeichnung einer Sitzung des Reichstags im Jahr 1848.

Die Entstehung der Stenografie

Die Verbindung zwischen Stenografie und Parlamentarismus geht weit in der Geschichte zurück. Der Begründer der modernen Stenografie im deutschen Sprachraum war Franz Xaver Gabelsberger. Er beschäftigte sich ab 1817 mit der Entwicklung des kurrent‑kursiven Stenografie‑Systems. Dieses System wurde im Jahr 1818 zum ersten Mal bei den Sitzungen der Ständeversammlung in Bayern eingesetzt.

In Österreich gab es das erste stenografische Protokoll bei der Eröffnung des Reichstags in der Winterreitschule der Hofburg im Juli 1848. Verantwortlich für die stenografischen Protokolle war damals Ignaz Jakob Heger. Er hatte bei Franz Xaver Gabelsberger gelernt.

Die Stenografie zur Zeit der Oktober-Revolution

Während der 52. Sitzung des Reichstags am 6. Oktober 1848 kam es zu dramatischen Ereignissen. Der Beginn des Oktober-Aufstands und die Ermordung des Kriegsministers Graf Theodor Baillet de Latour stellten die Stenografen vor eine einmalige Herausforderung. Im Chaos der Aufstände gelang es ihnen aber, dass sie die Protokolle in Sicherheit bringen und so ein wichtiges Stück Geschichte erhalten konnten.

Der Stenograf Leopold Conn beschrieb die Ereignisse so: "Das Tosen der Volksmenge, der Donner der Kanonen, das Knattern des Kleingewehrfeuers mischte sich in die stürmisch bewegten Verhandlungen des Reichstages, und zu den Fenstern des Saales herein leuchtete unheimlich der Flammenschein von dem brennenden Zeughause."

Am 4. März 1849 wurde der Reichstag aufgelöst. Der Absolutismus wurde wiederhergestellt. Es gab also wieder einen Herrscher, der ohne Einschränkung durch Gesetze herrschte und allein die Politik bestimmte. Das war das Ende der ersten Blütezeit der Stenografie in Österreich.

1860 wurde der Reichstag wieder eingesetzt. Dann nahm die Bedeutung der Stenografie wieder zu. Leopold Conn wurde damit beauftragt, das „reichsräthliche Stenografenbüro“ zusammenzustellen.

Stenografie im 19. Jahrhundert: Vom Pauschalgehalt zur Beamtenstelle

Im 19. Jahrhundert gab es für die Mitarbeiter des Stenografen-Büros noch ein Pauschalgehalt. Sie bekamen also immer gleich viel Geld, egal wie viel sie arbeiten mussten.

Erst im Jahr 1897 wurden Beamtenstellen geschaffen. Damals arbeiteten im Büro hauptsächlich Juristen oder nebenberuflich als Stenografen tätige Rechtsanwälte, Richter oder auch Ärzte. Frauen wurden erst 1945 aufgenommen.

Heute haben die Stenograf:innen in der Abteilung "Stenographische Protokolle" des Parlaments unterschiedliche Ausbildungen. Stenografie-Kenntnisse sind heute nicht mehr so wichtig. Bedeutender ist, dass Fehler in den Protokollen gut behoben werden. Deshalb müssen die Stenograf:innen vor allem gute Lektor:innen sein. Sie sollen eine ausgezeichnete Allgemeinbildung und politisches Interesse haben.

Wie in der Vergangenheit ist es auch heute wichtig, dass sich die Stenograf:innen gut konzentrieren können und dass sie belastbar sind.

Im 19. Jahrhundert berichtete Leopold Conn, dass er einmal nach vier Sitzungstagen im September 1860 bewusstlos im Büro zusammenbrach und dann an Herzproblemen litt. Das Protokoll musste damals am Ende der Sitzung fertig sein und am nächsten Morgen gedruckt im Präsidial-Büro abgegeben werden. Gleichzeitig wurden Berichte an die Zeitungen übermittelt. Die Stenograf:innen waren damals auch für die Berichterstattung verantwortlich.

Erst als die Abteilungen des Parlaments im Jahr 1994 neu organisiert wurden, wurden Stenografen-Büro und Parlaments-Korrespondenz getrennte Abteilungen.

Stenografie im 21. Jahrhundert: Zwischen Tradition und Innovation

Die Arbeit der Parlaments-Stenograf:innen hat sich durch neue Technologien verändert: Schreibmaschinen, Audio-Aufzeichnungen und Computer. Das Ziel ist aber gleich geblieben: Die Öffentlichkeit soll am demokratischen Diskurs teilhaben können.

Das sichtbare Stenografieren im Sitzungssaal ist nur ein Teil der Arbeit der Stenograf:innen. Der Großteil der Arbeit geschieht im Verborgenen: Nach zehn Minuten Einsatz im Sitzungssaal haben sie dann drei Stunden Zeit. In dieser Zeit erstellen sie aus ihrer Mitschrift und dem Transkript der Audio-Aufnahme ein zuverlässiges und gut lesbares Protokoll, das veröffentlicht werden kann.

Jedes Jahr erstellt das Team der Parlaments-Stenograf:innen ungefähr 16.000 Protokolle für die Öffentlichkeit. Leiterin der Abteilung ist Bettina Brixa.

Der Bleistift im digitalen Zeitalter: Warum ist Stenografie immer noch wichtig?

Die Debatten im deutschsprachigen Raum sind lebendig und dynamisch. Es macht die Arbeit des Parlaments besser nachvollziehbar, wenn die Debatten in den Protokollen authentisch wiedergegeben werden.

Bettina Brixa erklärt: Das digitale Aufzeichnungs-System kann alles aufnehmen, was in der Nähe eines Mikrofons gesprochen wird. Zwischenrufe der Abgeordneten oder von der Regierungsbank kann es aber zum Beispiel nicht aufzeichnen. Der Bleistift ist immer noch das schnellste und effizienteste Mittel, mit dem auch das alles erfasst werden kann.

Schon im Jahr 1843 beschreibt Louis-Marie de Lahaye de Cormenin in seinem Werk "Das Buch der Redner" die Bedeutung der Stenografie: "Vier Personen kennen das Geheimnis der Schwäche des parlamentarischen Redners: sein Arzt, sein Beichtvater, seine Geliebte und sein Stenograph."

Weitere Informationen die nicht in Einfacher Sprache sind: 

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