Parlamentskorrespondenz Nr. 93 vom 18.02.1997
NEUES ÜBER DIE ZWEITE REPUBLIK
Wien (PK) - 1991 erschien die erste Auflage des "Handbuch des politischen Systems Österreichs. Die zweite Republik" und avancierte rasch zu einem Standardwerk über die politische Ordnung und die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes nach 1945. Heute konnte Nationalratspräsident Heinz Fischer zur Präsentation der dritten, erweiterten und völlig neu bearbeiteten Auflage ins Parlament laden.
Das von Herbert Dachs, Peter Gerlich, Herbert Gottweis, Franz Horner, Helmut Kramer, Volkmar Lauber, Wolfgang C. Müller und Emmerich Talos herausgegebene und im Manz-Verlag erschienene Kompendium bietet nicht nur einen Überblick über die Geschichte, den aktuellen Zustand und die Entwicklungstendenzen der Zweiten Republik, sondern beschäftigt sich auch mit den Konsequenzen des EU-Beitrittes und den Veränderungen der Parteienlandschaft und analysiert die neuesten Wahlergebnisse und Daten über politische Einstellungen. Insgesamt 54 Autoren aus dem Bereich der Politikwissenschaft und verwandter wissenschaftlicher Disziplinen resümieren Fakten und neueste Forschungsergebnisse und versuchen, in ihrem jeweiligen Bereich bestehende Strukturen und künftige Entwicklungen darzustellen.
Gegliedert ist das beinahe 1.000 Seiten starke Handbuch in acht Abschnitte, deren Titel - Historische Entwicklung, Regierungssystem/politische Institutionen, Parteiensystem/politische Bewegungen, Sozialpartnerschaft, Verbände und Wirtschaftsmacht, Politische Kultur/Politisches Verhalten, Politikbereiche, Aussenpolitik sowie Bundesländer und Gemeinden - zeigen, wie weit der Terminus "Politik" von den Herausgebern verstanden wird. Es geht um politische Strukturen ebenso wie um politische Prozesse und um politische Inhalte. Das in der Einleitung formulierte Anliegen der Herausgeber, mit dem Handbuch einen substantiellen Beitrag zur politischen Aufklärung und Information leisten zu wollen, kann wohl schon allein aufgrund dieser umfassenden Gesamtdarstellung als verwirklicht bezeichnet werden.
Auch das Kapitel über das Parlament, von Nationalratspräsident Heinz Fischer verfasst, enthält aktuelle Daten und Analysen. So weist Fischer anhand von Statistiken nach, dass die parlamentarische Tätigkeit in den letzten Jahren intensiviert wurde. Auch erfährt der Leser, dass die Zahl der im Nationalrat einstimmig beschlossenen Gesetze deutlich rückläufig ist. Während nämlich in den 70er Jahren und teilweise noch in den 80er Jahren die Zahl der einstimmigen Gesetzesbeschlüsse im Durchschnitt über 75 % lag, ist sie im Fünf-Parteien-Parlament der XIX. Gesetzgebungsperiode (1994-1996) radikal auf 34,4 % zurückgegangen. Ebenfalls berücksichtigt im Kapitel sind die neuen Mitwirkungsrechte des Parlaments bei der EU-Gesetzgebung.
Bei der heutigen Präsentation des Handbuches im Parlament, zu der Fischer auch den ehemaligen Rechnungshofpräsidenten Tassilo Broesigke, die frühere Umweltministerin Ruth Feldgrill-Zankel und zahlreiche Abgeordnete begrüssen konnte, wies der Nationalratspräsident auf die ungeheuer dynamische Entwicklung des politischen Systems in Österreich hin. In den letzten Jahren habe es sowohl starke normative Veränderungen wie den EU-Beitritt oder die Wahlrechtsreform als auch viele faktische Veränderungen, etwa im Bereich der politischen Kultur, gegeben, betonte er.
Franz Stein, Vertreter des Verlages, erinnerte daran, dass sich der auf juristische Bücher spezialisierte Manz-Verlag mit der Herausgabe der ersten Auflage des Handbuchs des politischen Systems Österreichs vor sechs Jahren erstmals auf das Terrain der Politikwissenschaft gewagt habe. Inzwischen sei Politik ein etablierter Programmschwerpunkt geworden. So ist im Manz-Verlag auch ein analog aufgebautes Handbuch über das politische System der Ersten Republik erschienen.
Der Koordinator der dritten Auflage des Handbuches, Herbert Dachs, bezeichnete das Werk als eine Visitenkarte der Leistungskraft der Disziplin Politikwissenschaft. Es sei aus der politikwissenschaftlichen Forschung und Lehre nicht mehr wegzudenken. Mit einem Vergleich versucht Dachs die Ausweitung des Handbuches zu veranschaulichen: Die erste Auflage habe 1,5 Kilo gewogen, die aktuelle Version bringe es bereits auf 1,7 Kilo, meinte er.
In kurzen Statements gingen Dachs und die übrigen Herausgeber auf die im Buch skizzierten aktuellen politischen Entwicklungen in Österreich ein. So führte Dachs zum Abschnitt Bundesländer und Gemeinden aus, der in sieben Ländern per Landesverfassung festgeschriebene Regierungsproporz werde zunehmend in Frage gestellt. Volkmar Lauber machte darauf aufmerksam, dass der Staat zunehmend darauf verzichte, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen zu beeinflussen, weil er glaube, dies sei nicht mehr möglich bzw. nicht mehr effizient.
Wolfgang C. Müller ortet im Bereich des Regierungssystems und der Parteien durchaus widersprüchliche Tendenzen. So werde das Parlament lebendiger und aktiver und sei weniger eine Abstimmungsmaschine der Regierung als früher, sagte er, andererseits werde es durch den EU-Beitritt in seiner Gesetzgebungskompetenz erheblich beschnitten. Der Bundespräsident wiederum schöpfe seine Kompetenzen mehr aus, in verfassungsrechtlicher Hinsicht dränge man ihn aber eher zurück. Emmerich Talos konstatierte, dass die Sozialpartnerschaft zwar kein Auslaufmodell ist, ihre Hochblüte sei aber vorbei. Franz Horner befasste sich mit dem Wandel der politischen Kultur und dem politischen Bewusstsein in Österreich, Helmut Kramer mit den gravierenden Änderungen in der Aussenpolitik.
Das "Handbuch des politischen Systems Österreich. Die Zweite Republik" ist im Buchhandel erhältlich, hat 958 Seiten und kostet 920 S. (Schluss)