Parlamentskorrespondenz Nr. 552 vom 11.09.1997
130 JAHRE POLENKLUB IM PARLAMENT
Wien (PK) - Auf eine Initiative des Verbandes der Polen in Österreich "Strzecha" und des ÖVP-Parlamentsklubs geht die Veranstaltung "130 Jahre Polenklub im Parlament" zurück, zu der zahlreiche prominente Persönlichkeiten, Abgeordnete und Bundesräte der ÖVP, aber auch anderer Fraktionen, wie Bundesrat Konecny von der SPÖ, erschienen waren.
Dieser Event, so ÖVP-Klubobmann Dr. Andreas KHOL in seiner Eröffnungsrede, soll die Perspektiven, die man aus der gemeinsamen Geschichte für eine gemeinsame Zukunft in der Europäischen Union und in den europäischen Sicherheitsstrukturen gewonnen hat, ausleuchten. Beide Länder haben ihr besonderes Verhältnis zueinander über das Ende der Monarchie hinaus bewahren können, und die Jahre 1980/81 bis 1989, als von Polen aus beginnend der totalitäre Kommunismus überwunden wurde, haben die Beziehungen zueinander besonders geprägt. Österreich war für zehntausende Polen, die einen Neubeginn suchten, erstes Zielland. Viele von ihnen sind bei uns geblieben und haben hier eine neue Heimat gefunden, betonte Khol; von den rund 40.000 Polen hat ein grosser Teil bereits die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen. Und viele dieser neuen Österreicher, deren Lebensweg sie zu Antisozialisten und Antinationalisten machte, haben ihre politische Heimat bei der ÖVP gefunden.
1998 wird Österreich die EU-Präsidentschaft übernehmen, und wir sehen es als eine Priorität, die Osterweiterung der Union voranzutreiben, um Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, aber auch die Slowakei so bald wie möglich als neue Mitglieder aufnehmen zu können. Mit dieser Erweiterung wird die Union ein neues Gesicht erhalten, unterstrich der VP-Klubobmann.
Der 1867 gegründete "Polenklub", dem praktisch alle polnischen Abgeordneten angehörten, stand in schwierigen Zeiten stets loyal zur Regierung und kämpfte zugleich konsequent für die Autonomie der von ihm vertretenen Regionen. Mit diesen Autonomiebestrebungen wollte er aber den Gesamtstaat weder schwächen noch auflösen. Die Polen waren sich immer klar darüber, dass sie mit konstruktiver Teilnahme an den Staatsgeschäften der Monarchie am meisten für ihre Heimat bewirken konnten. Eigenschaften des "Polenklubs" nehmen wir auch heute in Anspruch, nämlich Konservativismus, Loyalität und Eigenständigkeit, schloss Klubobmann Khol.
Jan SEK, Vorsitzender des Senatsausschusses für Auslandspolen, bezog sich auf die wichtige Rolle der polnischen Abgeordneten im Reichsrat und sah in der heutigen Veranstaltung einen Ausdruck der Ehre für all jene, die durch ihre Lebenshaltung, ihre soziale Gesinnung, ihr politisches Handeln und in der täglichen Arbeit ein positives Bild der Polen im wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Monarchie bewirkt und, auf ihre im Parlament erworbenen Erfahrungen zurückgreifend, einen enormen Beitrag zum Aufbau und zur Herstellung demokratischer Strukturen in Polen geleistet haben.
Dass die österreichischen Behörden der Tätigkeit der polnischen Vereine wohlwollend gegenüberstehen und die höchsten politischen Vertreter Verständnis für polnische Probleme zeigen, hob der Ausschussvorsitzende zudem positiv hervor.
Richard HEBENSTREIT, Vizepräsident des Verbandes der Polen in Österreich "Strzecha", erinnerte im Rahmen seines geschichtlichen Rückblicks daran, dass bereits im 15. Jahrhundert Polen in Wien lebten, die Wiener Schulen des 16. und 17. Jahrhunderts besten Ruf in Polen genossen und bereits vor 130 Jahren 20.000 Personen polnischer Herkunft in Wien beheimatet waren. Die von ihm vertretene Vereinigung "Strzecha" enstand Ende 1894 auf Initiative des Parlamentsabgeordneten Graf August Los; einer der Mitbegründer war der Jurist im Finanzministerium Dr. Pius Twardowski, Vater des späteren Ministers für Galizien.
Ursula STENZEL, Vorsitzende des Gemischten Ausschusses Europäische Union - Polen im Europäischen Parlament, nannte als eine der Prioritäten auf der Agenda der EU die Osterweiterung. Diese ist ihrer Ansicht nach notwendig, um Europa wieder zusammenzuführen und die Tschechische Republik, Ungarn, Polen, Slowenien und andere Anwärter Mittel- und Osteuropas in keinem sicherheitspolitischen Vakuum zu belassen. Auch darf es an der Wende zum nächsten Jahrtausend kein Europa der zwei Geschwindigkeiten geben.
Dass der Weg nicht leicht sein wird, ist Stenzel klar, zumal es viele Bedingungen von EU-Seite gibt. So sind die Übernahme des gemeinsamen europäischen Rechtsbestandes, die Modernisierung der Wirtschaft, die Rechtssicherheit und ein moderner Verwaltungsapparat, der auch technisch die Verhandlungen mit der EU führen kann, unabdingbar. Man muss bewusst machen, dass es nicht alles zum Nulltarif geben wird - wir müssen uns aber im Sinne der europäischen Solidarität auch dazu bekennen, zu teilen, appellierte das EP-Mitglied.
Die EU vermittelt oft den Eindruck, mit sich selbst am meisten beschäftigt zu sein. Nur wenn man das eigene Haus in Ordnung bringt, den Euro einführt, die Arbeitslosigkeit in Europa bekämpft, EU-weit wirtschaftliche, soziale und pensionsrechtliche Reformen umsetzt, wird man ein guter Partner für die neuen Mitgliedstaaten sein, erklärte abschliessend Stenzel.
Prof. Dr. Jan BARCZ, Botschafter der Republik Polen in Wien, sprach die lange Periode der österreichisch-polnischen Geschichte an und bezeichnete das Jahr 1683, in dem der Entsatz durch Polenkönig Sobieski III. erfolgte, für die polnische Kolonie als wichtigstes Ereignis.
Der Polnische Klub erhielt seinerzeit nicht nur Zustimmung, sondern erntete auch Kritik, weil er zu wenig für die Regulierung von Flüssen in Galizien getan hat, merkte der Botschafter an und vertrat die Ansicht, dass bei grösserer Aktivität des "Polenklubs" die Hochwasserkatastrophen in Tschechien, Polen und Deutschland zu vermeiden gewesen wären.
DIE BEDEUTENDE ROLLE DER POLEN IN ÖSTERREICHS GESCHICHTE
Prof. Dr. Josef BUSZKO (Jagiellonen-Unversität Krakau) ging in einem ausführlichen Referat auf die programmatischen Grundsätze und die Tätigkeit der Polen im österreichischen Parlamentarismus der Verfassungsära ein. Er beleuchtete die unterschiedlichen politischen Strömungen unter den polnischen Vertretern im Reichsrat und nannte die liberalen Intellektuellen und Gutsbesitzer auf der linken Seite, die Bauern und Geistlichen im Zentrum sowie den feudal-konservativen Adel und höheren Klerus, die "Schwarzgelben", auf der Rechten. Buszko verdeutlichte die Diskrepanzen zwischen Polen, Tschechen und Ruthenen, die die Gründung eines gemeinsamen slawischen Blockes verhinderten. 1867, als die Frage Föderalisierung des Landes oder Autonomie für Galizien im Zentrum der polnischen Politik stand, entschieden die Polen, nicht grundsätzlich in Opposition zu gehen, weil sie in einem starken Österreich ein Bollwerk gegenüber Russland sahen. So kam es zum "kleinen Ausgleich" zwischen Österreich und Polen, der zugleich ein notwendiger Bestandteil des "grossen" Ausgleichs mit Ungarn war.
Nicht ohne Stolz erinnerte der Historiker an die bedeutende Rolle, die polnische Politiker in den letzten Jahrzehnten der Monarchie innehatten. In der Regierung Taaffes trat mit Julian Dunajewski ein Pole als Finanzminister und Schöpfer der grossen Finanzreform hervor. Zur Zeit des Berliner Kongresses erwarb sich der Vorsitzende des "Polenklubs", Kazimierz Grocholski, für seine guten Dienste bei der Beilegung der Ostkrise grosse Anerkennung und wurde mit dem Titel eines Geheimrats ausgezeichnet.
Seinen Höhepunkt erreichte der politische Einfluss von Polen in Österreich-Ungarn in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts. Zum dritten Mal, nach Agenor Goluchowski und Alfred Potocki, stand mit Kazimierz Badeni ein Pole an der Spitze der Regierung, in der Goluchowski das Aussenministerium leitete. Und gestürzt wurde Badeni paradoxerweise auch von einem Polen, nämlich dem Sozialisten Ignacy Daszynski, der als einer der besten Redner des Wiener Parlaments und des damaligen Europas gilt.
Das österreichische Parlament sei für die polnischen Politiker eine wichtige Schule des Parlamentarismus gewesen. Hier haben sich die Persönlichkeiten vieler hervorragender polnischer Parlamentarier geformt: der schon genannte Ignacy Daszynski oder Jedrzej Moraczewski, beide Ministerpräsidenten des wiedererstandenen Polen, und der Ministerpräsident der Koalitionsregierung während des polnisch-sowjetischen Krieges, Wincenty Witos. Überdies lagen viele Schlüsselpositionen bei den Sejm-Kommissionen in den Händen der Galizier, die aus den Kämpfen im Wiener Parlament reiche Erfahrungen für den Parlamentarismus in ihrer Heimat gesammelt hatten.
Über DIE POLNISCH-ÖSTERREICHISCHEN BEZIEHUNGEN IM WANDEL DER GESCHICHTE sprach Gesandter Dr. Jakub FORST-BATTAGLIA. Er gab einen Überblick zu den Beziehungen der Habsburger und der Jagellonen und identifizierte die grossräumige Zusammenarbeit als einen traditionellen Gedanken polnisch-österreichischer Politik, die im Schutz- und Trutzbündnis gegen die Expansion der Türken im 17. Jahrhundert einen ihrer Höhepunkte erreichte. Wie sein Vorredner beleuchtete auch Forst-Battaglia die hervorragende Rolle polnischer Politiker in der Geschichte der Donaumonarchie und fügte den Namen des Präsidenten des Kremsierer Reichstages, Dr. Franz Smolka, hinzu. Um die besonderen Beziehungen zwischen Polen und Österreichern zu charakterisieren, zitierte Forst-Battaglia Franz Theodor Csokor, der am Ende der Monarchie über die Polen schrieb: Ihre Beamten waren die gewiegtesten Diplomaten und Minister und ihr Landadel hatte als Mäzen der Musik und der Malerei einen festen Platz im österreichischen Kulturleben.
Zum Thema POLEN UND ÖSTERREICH IM GEMEINSAMEN EUROPA sprach dann Sejm-Abgeordneter Dr. Piotr NOWINA-KONOPKA. Er entwickelte die historische These, dass Österreich und Polen, obwohl durch Sprache, geographische Lage und die germanisch-slawische Grenze getrennt, nicht bloss zufällige Nachbarn darstellten, sondern im Bewusstsein von der Notwendigkeit einer gemeinsamen Einrichtung dieses Kontinents eng verbunden seien. Denn obwohl es auch Kämpfe miteinander gab, haben Österreich und Polen gemeinsame Ideen der Partnerschaft und der Gleichheit zwischen den Nationen entwickelt. Österreich sei war zwar gegenüber Polen eine Besatzungsmacht gewesen, die Entstehung des "Polenklubs" bildete aber das Zeichen für eine andere Entwicklung in Wien, in der Platz für polnische Abgeordnete, polnische Politik und polnische Kultur war.
Hinsichtlich des neuen Kapitels österreich-polnischer Beziehungen im Zeichen der europäischen Integration trat der Abgeordnete dafür ein, alle Ressentiments zu beseitigen, nationale Nuancen aber nicht geringzuschätzen. In diesem Zusammenhang erinnerte er an das Konzept Schumans, der die Zukunft eines vereinten Europas - im Unterschied zu den USA, die ein neues Land darstellten - in einem Europa der Vaterländer sah.
Der Präsident des Bundesrates, Dr. Günther HUMMER, dankte den Referenten der heutigen "Festakademie", die in so beeindruckender Weise den entscheidenden Anteil dargestellt haben, den Polen an der österreichischen Geschichte, Politik und geistigen Entwicklung hat. Dabei haben die Referenten, so Hummer, Fragen ausgespart, die österreichisches Unrecht an Polen betreffen, Unrecht, das die Österreicher sehen sollten und das sie nicht vergessen dürfen. Auch Hummer bekannte sich dazu, die Gunst der historischen Stunde zu nützen und das neue Europa im Geiste der Gerechtigkeit und des Föderalismus als ein gemeinsames Dach zu gestalten, unter dem es allen Ländern möglich sein soll, auf ihre Traditionen und Eigenarten Bedacht zu nehmen. (Schluss)