Parlamentskorrespondenz Nr. 789 vom 21.11.1997
ÖSTERREICHISCHES VEREINSRECHT AUF DEM PRÜFSTAND
Wien (PK) - Die Reform des Vereinsrechtes war heute Gegenstand einer Tagung der Österreichischen Juristenkommission im Parlament, bei der die geltenden vereinsrechtlichen Bestimmungen einer kritischen Prüfung unterzogen wurden und vor allem Möglichkeiten einer Novellierung zur Sprache kamen. Im Mittelpunkt der Diskussionsveranstaltung standen Statements von Innenminister Schlögl und Justizminister Michalek sowie Referate der Autoren des Expertenentwurfes zur Reform des Vereinsrechtes.
Nationalratspräsident Dr. Heinz FISCHER erinnerte in seinen Begrüssungsworten daran, dass das Vereinsgesetz, das auf die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts zurückgeht, unter anderen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen entstanden ist. Reform- und Nachdenkbedarf seien daher naheliegend. Die Diskussion solle dazu führen, das gute österreichische Vereinsrecht noch weiter zu verbessern, sagte er. Sollte sich dabei aber herausstellen, dass das Vereinsrecht nicht mehr verbessert werden kann, dann solle es bleiben, wie es ist, formulierte Fischer.
Dr. Rudolf MACHACEK, Präsident der ÖJK, wies darauf hin, dass die Bedeutung des Vereinsrechts in den letzten Jahren gestiegen ist. Hatten die Vereine ursprünglich politische und ideelle Grundlagen, so überwiegen heute immer stärker wirtschaftliche Aspekte. Durch Deregulierungen und Ausgliederungen haben die Vereine neue Verantwortung übernommen, sie führen viele Aufgaben durch, die für den Staat nicht mehr erfüllbar sind. Reformüberlegungen müssten unter diesem Gesichtspunkt gesehen werden.
Innenminister Mag. Karl SCHLÖGL bekannte sich ausdrücklich zur Vereinsfreiheit auf Basis der Menschenrechtskonvention. Was die Reformbestrebungen betrifft, meinte er, für den Bereich des Innenministeriums gebe es beim geltenden Vereinsrecht mehr zu bewahren als zu verändern. Ausser Streit stehe aus seiner Sicht die Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden für Anmeldung, Auflösung und Kontrolle der Vereine. Bei der Bildung von Vereinen sollte zudem weiter nach einem Untersagungssystem und nicht nach einem Genehmigungsverfahren vorgegangen werden. Auch solle es beim Grundsatz bleiben, dass eine Auflösung nur dann erfolgen darf, wenn dafür im Rahmen einer demokratischen Gesellschaft dringende Bedürfnisse bestehen. Die Reform soll bei optimaler Vereinsfreiheit ein Maximum an Mitgliederschutz und Sicherheit für Funktionäre, Konsumenten und Gläubiger gewährleisten. Wichtig ist für Schlögl dabei der Konsens der politischen Parteien und der zahlreichen österreichischen Vereine.
Justizminister Dr. Nikolaus MICHALEK hielt die Schaffung von Normen im Bereich des Vereinsprivatrechtes für wesentlich. Dies gelte sowohl für die Gründung als auch für die Organisation und den Mitglieder- und Gläubigerschutz. Das Grundrecht der Vereinsfreiheit werde bei der Reform aber völlig unangetastet bleiben, versicherte er. Kritik am Expertenentwurf, vor allem die Befürchtung einer Bürokratisierung, ist für Michalek Zeichen eines grossen Informationsdefizites. Es sei durchaus angebracht, Mindestanforderungen an die Vereinsorgane und Mindestrechte, insbesondere Informationsrechte, für die Mitglieder vorzusehen. Auch die Auflösung des Vereins müsse klar geregelt werden, meinte Michalek. Strengere Rechnungslegungsvorschriften würden jedenfalls nur von denjenigen Vereinen verlangt werden, die sich umfassend als Unternehmer betätigen.
Dr. Peter FESSLER, Mitglied des Verfassungsgerichtshofes, bemerkte, das geltende Vereinsgesetz nehme auf die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung der Vereine zu wenig Bedacht. So fehle es gänzlich an privatrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen. Die Kritik am Expertenentwurf geht nach Ansicht Fesslers von falschen Prämissen aus. Befürchtungen, es werde auch für kleine Vereine zu einem grösseren bürokratischen Aufwand kommen, bezeichnete er als absolut unzutreffend. Wesentliche Teile des Entwurfes, wie die Gebarungskontrolle oder die Rechnungslegung, würden sich bloss auf grosse Vereine, also auf weniger als 5 % aller Vereine, beziehen, betonte Fessler.
Dr. Christine KELLER, Bundesministerium für Inneres, befasste sich mit Gründung und Auflösung von Vereinen und schickte voraus, dass der Entwurf Antworten auf derzeit ungelöste vereinsrechtliche Fragen geben soll. Die Unterlage gehe bei der Definition von Vereinen davon aus, dass ein Verein eine den ideellen Zweck bloss unterstützende oder diesem untergeordnete Erwerbstätigkeit ausüben darf. Rechtspersönlichkeit erlange der Verein nach dem Entwurf durch Eintragung in ein zentrales Vereinsregister. Bezüglich der behördlichen Auflösung sei klargestellt, dass diese nur erfolgen darf, wenn die Voraussetzungen der MRK für einen Eingriff in die Vereinsfreiheit vorliegen. Bei weniger schwerwiegenden Rechtsverletzungen sei aber auch eine blosse Abmahnung möglich. Für die freiwillige Auflösung wiederum sieht der Entwurf die Erlassung eines Mandatsbescheides nach dem AVG vor.
Univ.-Prof. Dr. Heinz KREJCI vom Institut für Handels- und Wertpapierrecht des Juridicums der Universität Wien hielt es für notwendig, einen Mindestrahmen für eine funktionsfähige Vereinsorganisation zu schaffen, den Schutzanliegen der Mitglieder, der Gläubiger und der Allgemeinheit verstärkt zum Durchbruch zu verhelfen und die privatautonome Gestaltung der Vereinsorganisation durch ergänzendes dispositives Gesetzesrecht zu erleichtern. Der Entwurf ist bemüht, sagte der Mitautor des neuen Vereinsrechtes, die bisher ungeregelten Organisationsfragen im Sinne einer Kodifizierung jener Rechtsgrundsätze zu lösen, die heute anerkannt sind. Das geplante Gesetz erfinde nichts Neues, sondern orientiere sich an Bausteinen, die unserer Rechtsordnung vertraut, jedoch in der Lehre bzw. Judikatur kaum auffindbar sind. Der Entwurf der interministeriellen Arbeitsgruppe sei vom Prinzip "mehr privat, weniger Staat" geprägt, die Betroffenen selbst sollen eine "gesetzliche Hilfe zur Selbsthilfe" erhalten.
Fragen der Rechnungslegung und der Haftung schnitt Generalanwalt Dr. Peter ZETTER vom Justizministerium an. Er unterstrich, dass sich für das Gros der Vereine bei der Rechnungslegung auch in Zukunft nichts Wesentliches ändern werde, sie hätten auch weiterhin eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung durchzuführen. Höhere Anforderungen an die Rechnungslegung stelle der Entwurf nur an grosse Vereine, an
Spenden-, Subventions- und Publikumsvereine, die eine ordnungsgemässe Rechnungslegung sowohl im Eigeninteresse wie auch im Interesse der Geschäftspartner und zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten bräuchten.
Kernbereich des neuen Vereinsrechtes sind für Zetter die Haftungsregeln. Im Entwurf festgeschrieben werde die "Repräsentantenhaftung". Ein Verein soll demnach nicht nur für das Fehlverhalten seiner Organwalter, sondern auch für jedes Fehlverhalten leitender Personen, gleichgültig ob sie nach dem Statut Organstellung haben oder nicht, haften. Was die Haftung von Mitgliedern des Leitungsorganes gegenüber dem Verein anlangt, seien Fehlleistungen der Organe nicht verwaltungsstrafrechtlich, sondern zivilrechtlich zu sanktionieren. Damit sollen Organwalter, sofern sie ihre Pflichten verletzen, persönlich dem Verein gegenüber haften. Klargestellt werde auch im Entwurf, was geschieht, wenn ein Verein gegen das Mitglied eines Leitungsorganes Ersatzansprüche geltend machen will. (Schluss)