Parlamentskorrespondenz Nr. 299 vom 07.05.1998
VERWALTUNGSVERFAHREN WERDEN EINFACHER UND SCHNELLER
Wien (PK) - Verfahren vor Behörden sollen in Zukunft einfacher und schneller abgewickelt werden. Dies ist das Ziel einer Novelle zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG), die heute einstimmig den Verfassungsausschuss passierte. Sowohl die Koalitionsparteien als auch die Oppositionsfraktionen sprachen von einem substantiell herzeigbaren Resultat, auch wenn sich die Grünen in einigen Punkten weitergehende Bestimmungen gewünscht hätten.
Die Gesetzesnovelle, die auf zwei von SPÖ und ÖVP ursprünglich getrennt eingebrachten Anträgen aufbaut und in einem Unterausschuss umfassend diskutiert wurde, hat insbesondere Anlagen- und Massenverfahren im Auge. Der Verfahrensablauf soll durch den erleichterten Einsatz technischer Hilfsmittel und einer vereinfachten Abwicklung der mündlichen Verhandlung beschleunigt werden. Durch verschärfte und erweiterte Präklusionsfolgen werden Parteien veranlasst, Einwendungen frühzeitig zu erheben. Sonderbestimmungen sollen sicherstellen, dass Grossverfahren von der Behörde mit vertretbarem Aufwand durchgeführt werden können, dennoch bleiben, wie es in den Erläuterungen heisst, die subjektiv-öffentlichen Rechte jener BürgerInnen, die vom Vorhaben betroffen sind, erhalten. Einschränkungen behördlicher Dienstleistungen und engere Bestimmungen bezüglich der Parteistellung werden durch die Sicherung erhöhter Publizität und durch Einräumung längerer Reaktionszeiten kompensiert.
Konkret ist in Zukunft vorgesehen, dass jemand seine Parteistellung verliert, wenn er nicht rechtzeitig Einwendungen gegen ein Vorhaben erhebt. So können auch Beteiligte, die nicht persönlich zu einer mündlichen Verhandlung geladen wurden, nachträglich grundsätzlich keine Einwände mehr geltend machen, wenn die Behörde die mündliche Verhandlung so kundgemacht hat, dass die Betroffenen "von der Anberaumung der Verhandlung voraussichtlich Kenntnis erlangen", also beispielsweise durch Hausanschläge, Plakate etc. Damit ist künftig ausgeschlossen, ein Verfahren dadurch zu verzögern, weil ein Anrainer erst kurz vor dessen Abschluss seine Bedenken zu einem Vorhaben gegenüber der Behörde vorbringt.
Sonderbestimmungen gibt es für Grossverfahren. Sind an einer Verwaltungssache voraussichtlich mehr als 100 Personen beteiligt, kann die Behörde einen Antrag mittels Edikt kundmachen, aus dem der Gegenstand des Antrages und eine Beschreibung des Vorhabens hervorgehen muss. Dieses Edikt ist im redaktionellen Teil zweier im Bundesland weitverbreiteter Tageszeitungen und im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" zu verlautbaren, schriftliche Einwendungen gegen das Vorhaben müssen mindestens sechs Wochen lang möglich sein. Damit erspart sich die Behörde die persönliche Information aller Betroffenen und kann im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung Einwendungen bereits im Vorfeld der mündlichen Verhandlung sammeln. Um zu gewährleisten, dass möglichst alle Beteiligten vom Vorhaben Kenntnis erlangen, ist in der Hauptferienzeit (15. Juli bis 25. August und 24. Dezember bis 6. Jänner) die Verlautbarung durch Edikt unzulässig. Erhebt man nicht rechtzeitig Einwendungen, verliert man analog zu anderen Verfahren seine Parteistellung.
Da Grossverfahren in aller Regel Projekte betreffen, von denen sich faktisch auch Personen betroffen fühlen, denen nach einschlägigen Verwaltungsvorschriften weder die Stellung von Parteien noch der Status von Beteiligten zukommt, ist eine erweiterte Informationsmöglichkeit vorgesehen. Der verfahrensleitende Antrag samt Unterlagen soll während der gesamten Einwendungsfrist zur öffentlichen Einsicht aufgelegt werden, jedermann darf als Zuhörer an der mündlichen Verhandlung teilnehmen. Die Behörde ist angewiesen, nach Massgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten die Verhandlungsschrift im Internet bereitzustellen.
Eine weitere wichtige Zielsetzung des vorliegenden Gesetzesantrags ist es, die Verwaltungsverfahrensgesetze durch einfachere und klarere Formulierungen lesbarer zu machen. Geändert wird schliesslich auch das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten, da die geltenden Bestimmungen zu Auslegungsschwierigkeiten in der Praxis geführt haben.
Ausschussvorsitzender Dr. KOSTELKA (SP) berichtete zu Beginn der Sitzung über das Ergebnis der Beratungen im Unterausschuss. Der dort erarbeitete Antrag der Koalitionsparteien wurde auch von den drei Oppositionsfraktionen begrüsst. So sprach Abgeordenter Dr. KIER (L) von einer "hervorragend gelungenen" Novelle, das AVG gewinne stark an Qualität zurück. Seitens der Freiheitlichen signalisierte Abgeordneter Mag. STADLER Zustimmung.
Auch für G-Klubobfrau Dr. PETROVIC ist die Gesetzesnovelle ein "substantiell herzeigbares Resultat". Sie äusserte sich darüber erfreut, dass auch einige Anregungen der Grünen berücksichtigt worden seien, auch wenn sich ihre Fraktion nicht in allen Punkten habe durchsetzen können. Die Grünen hatten, wie aus einem in den Unterausschussberatungen vorgelegten Antrag hervorgeht, u.a. urgiert, dass bei einem Grossverfahren die Beteiligten im Zustellrayon des Verhandlungsgegenstandes durch eine Postwurfsendung vom geplanten Vorhaben informiert werden. Ausserdem sprach sich Petrovic für eine Verlängerung der Berufungsfrist von zwei auf vier Wochen aus, um der zunehmenden Komplexität der Verhandlungsgegenstände gerecht zu werden, und forderte Konsequenzen, wenn eine der Behörde bekannte Partei nicht zur mündlichen Verhandlung geladen wird.
Ein mit der AVG-Novelle mitdiskutierter Entschliessungsantrag der Grünen zielte darauf ab, dass Anrainer von Gewerbebetrieben, die eine nachträgliche Erteilung von Auflagen durch die Behörde beantragen, die Kosten des Verfahrens nicht selbst übernehmen müssen. Die Grünen argumentieren, ein solches Verfahren werde nur dann eingeleitet, wenn die Prognose der Genehmigungsbehörde bei der Erstgenehmigung falsch war, es sei daher ungerecht, wenn die Nachbarschaft für die Kosten einer notwendigen Korrekturentscheidung aufkommen müsse. Auch die Umweltanwaltschaften und die Bundesarbeitskammer hätten auf diese rechtspolitisch bedenkliche Situation aufmerksam gemacht.
Abgeordnete Petrovic erklärte heute, sie hätte sich gewünscht, dieses Anliegen in die AVG-Novelle zu integrieren, nehme aber zur Kenntnis, dass es bei einer geplanten Novelle zur Gewerbeordnung berücksichtigt werden soll. Abgeordneter Dr. JAROLIM (SP) hatte zuvor versichert, seine Fraktion stehe dem Inhalt des Antrags positiv gegenüber, in der nächsten Novelle zur Gewerbeordnung soll eine Bestimmung geschaffen werden, die dem Wunsch der Grünen entspreche. Zur AVG-Novelle sagte Jarolim, man habe sowohl eine inhaltliche Verbesserung als auch eine signifikant verbesserte Textierung erzielt. Ähnlich äusserte sich auch VP-Abgeordneter KOPF.
Mit der Beschlussfassung des SP-VP-Antrages zur AVG-Novelle und damit in Zusammenhang stehender Gesetze gelten die ursprünglich getrennten Anträge von SPÖ und ÖVP zu dieser Materie sowie der Entschliessungsantrag der Grünen als miterledigt.
Der Beschlussfassung im Ausschuss war eine lange Diskussion über die Reform des AVG vorangegangen. Bereits im Arbeitssübereinkommen der Bundesregierung 1996 hatten die Koalitionsparteien vereinbart, "durch Verfahrensvereinfachung, Deregulierung, Liberalisierung und Reform des Verwaltungsverfahrens" Verwaltungsabläufe deutlich zu beschleunigen; Kosten sollten vermindert und Entscheidungen für alle Betroffenen besser nachvollziehbar gemacht werden. Die Abgeordneten des Verfassungsausschusses befassten sich seit dem Oktober 1997 in mehreren Sitzungen und Besprechungen mit dem Thema, bevor es nunmehr zu einer Einigung kam. In den Erläuterungen zum vorliegenden Gesetzesantrag wird jedoch ausdrücklich betont, dass eine Änderung des AVG allein das Problem langer Verfahren nicht lösen könne. Eine lange Verfahrensdauer sei oftmals in der Komplexität des Gegenstandes, aber auch in abweichenden Bestimmungen von Materiengesetzen begründet.
UNTERAUSSCHUSS BEFASST SICH MIT BUNDESSTAATSREFORM
Wieder Bewegung kommt in die Bundesstaatsreform, die eine Neuverteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern zum Inhalt hat. Der Verfassungsausschuss beschloss heute einstimmig die Einsetzung eines Unterausschusses, der sich nicht nur mit der - bereits im Februar 1996 eingebrachten - Regierunsvorlage zur Strukturreform des Bundes befassen wird, sondern auch mit zwei Gesetzesanträgen des Bundesrates. Die Länderkammer will, dass Gesetzesvorschläge und Volksbegehren dem Nationalrat und dem Bundesrat gleichzeitig zugewiesen werden und der Bundesrat bis zum Abschluss der Ausschussberatungen im Nationalrat eine Stellungnahme dazu abgeben kann.
Dem Unterausschuss werden insgesamt 17 Abgeordnete angehören (6 SPÖ, 5 ÖVP, 4 FPÖ, 1 L, 1 G). Bereits 1994 hatte sich ein Unterausschuss des Verfassungsausschusses in mehreren Sitzungen mit der - zwischen Bundesregierung und Landeshauptleuten am 8. Oktober 1992 in Perchtoldsdorf paktierten - Neuordnung des Bundesstaates beschäftigt, damals konnte aber letztlich keine Einigung über eine Umsetzung des Vorhabens erzielt werden. Nunmehr wird ein neuerlicher Anlauf in Richtung Änderung der Kompetenzverteilung gestartet.
VERFASSUNGSDIENST SOLL "BIOETHIK-KONVENTION" PRÜFEN
Auf Basis eines Entschliessungsantrages der Grünen einigte sich der Verfassungsausschuss dahin gehend, den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes zu ersuchen, die Verfassungskonformität der Menschenrechtskonvention zur Biomedizin ("Bioethik-Konvention") des Europarates zu überprüfen. Abgeordnete HAIDLMAYR hatte in ihrem Antrag darauf aufmerksam gemacht, dass der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages festgestellt habe, einige Punkte der Konvention würden die Menschenwürde verletzen und gegen die deutsche Verfassung verstossen.
Ausschussvorsitzender Dr. KOSTELKA hielt dazu fest, dass dem Petitionsausschuss eine Petition zu diesem Thema zugegangen sei. Er schlug daher vor, das Gutachten des Verfassungsdienstes auch dem Petitionsausschuss zukommen zu lassen und die inhaltlichen Beratungen zu dieser Materie dort fortzusetzen. Der Entschliessungsantrag der Grünen wurde einstimmig vertagt. (Schluss)