Parlamentskorrespondenz Nr. 384 vom 04.06.1998

BUNDESRAT BESTÄTIGT ERSTEN VERFASSUNGSSCHRITT ZU AMSTERDAMER VERTRAG

Wien (PK) - In der Länderkammer wird sodann verhandelt

BUNDESVERFASSUNGSGESETZ ÜBER DEN ABSCHLUSS DES AMSTERDAMER VERTRAGES

Berichterstatter: Bundesrat VINDL (VP)

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Bundesrat Dr. BÖHM (F) kritisiert die Ermächtigung der Bundesregierung zur Ratifikation des Amsterdamer Vertrages als verfassungsrechtlich bedenklich. Dieser Vertrag bedeute eine so einschneidende Weiterentwicklung des EU-Primärrechts, dass sich die Frage einer Gesamtänderung der Bundesverfassung stelle. Böhm nennt dafür den für einzelne Materien vorgesehenen Übergang von einstimmigen zu mehrstimmigen Entscheidungen im Rat, die beschäftigungspolitischen Leitlinien, die Massnahmen zur Förderung der Beschäftigung und der öffentlichen Gesundheit, die Erweiterung der Zuständigkeit des EuGH im Bereich der Grundrechte und die Eröffnung einer gemeinschaftlichen Kompetenz für das Zivilrecht. Ausdrücklich weist Böhm auch auf die Mitwirkung Österreichs an Kampfeinsätzen im Rahmen der GASP und auf die Integration von EU und WEU hin, was nicht mit dem offiziell aufrechterhaltenen Prinzip der Neutralität vereinbar sei. Die Freiheitlichen versagen einer solchen Anlass- und Massnahmengesetzgebung ihre Zustimmung.

Bundesrat KONECNY (SP) erinnert seinen Vorredner daran, dass die Österreicher die Frage der Teilnahme an dem ökonomischen, politischen und sozialen Einigungsprojekt der Europäischen Union bereits mit hinreichender Mehrheit beantwortet haben. Böhms Versuch, diese Entscheidung mit einem verfassungsjuridischen "Revanche-Foul" zu korrigieren, sei abzulehnen. Konecny räumt ein, dass es sich bei der europäischen Integration um einen dynamischen Prozess handelt, der aber nicht über Österreich hinweg, sondern in jeder Phase mit Zustimmung Österreichs erfolgt.

Überdies sollten die Freiheitlichen nicht so tun, als wären die österreichischen Interessen von diesem Vertrag bedroht. Im Gegenteil, er dient den Bürgern Österreichs und trage die Handschrift österreichischer Verhandlungsführung. Konecny macht mit Genugtuung darauf aufmerksam, dass es Österreich gelungen sei, ein Beschäftigungskapitel im EU-Vertrag zu verankern. Auch stehe die Neutralität nicht in Frage, da die Entscheidung, an welchen Aktionen Österreich teilnimmt, ihm selbst vorbehalten bleibt.

Bundesrat Dr. KAUFMANN (VP) hält die Kritik des Bundesrats Böhm in manchen Punkten für gerechtfertigt, er habe es aber verabsäumt, eine Alternative aufzuzeigen. Der Vertrag von Amsterdam stelle eine Weiterentwicklung des Vertrages von Maastricht dar, über den die Österreicher bei der Volksabstimmung über den EU-Beitritt entschieden haben. Über jede einzelne verfassungsrechtliche Auswirkung des Vertrages auf Österreich zu befinden, sei, wie auch Böhm zugebe, aus rechtstechnischen Gründungen unmöglich. Daher hat sich der Gesetzgeber dazu entschlossen, die Bundesregierung zur Ratifikation des Vertrages zu ermächtigen.

Inhaltlich bekennt sich Kaufmann zur Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik der EU - eine Notwendigkeit, die am Beispiel des Kosovo einmal mehr deutlich werde. Positiv sieht er auch die Aufwertung des Ausschusses der Regionen, den Ausbau des Subsidiaritätsprinzips, das Beschäftigungskapitel, die neuen gemeinsamen Ziele zur inneren Sicherheit und die Aufwertung des Europäischen Parlaments. Insbesondere hat man die Resolution des Bundesrates zur EU-Regierungskonferenz umgesetzt: Der Ausschuss der Regionen wurde administrativ vom Wirtschafts- und Sozialausschuss abgekoppelt, kann künftig vom Europäischen Parlament angehört werden und wurde in seinen Kontrollbefugnissen erweitert. Ausserdem wurde das Prinzip der Subsidiarität konkretisiert, lobt Bundesrat Kaufmann.

Bundesrätin Dr. RIESS-PASSER (F) weist erneut auf die Problematik hin, dass keine Vorsorge getroffen wurde, wie EU-Recht in unser Verfassungsrecht eingegliedert werden könne. Daher müsse man sich wieder - wie schon anlässlich des EU-Beitritts - mit einem Ermächtigungsgesetz behelfen, und diesmal sogar ohne Volksabstimmung. Dies sei nichts anderes als eine Beugung der Bundesverfassung durch die Regierungsparteien.

Davon abgesehen müsse auch am Inhalt dieses Vertrages Kritik geübt werden, führt Riess-Passer weiter aus. Die österreichischen Forderungen hätten in den Vertrag keinen Eingang gefunden. Der Vertrag von Amsterdam habe nicht nur keine Aufwertung der Mitbestimmungsmöglichkeiten der nationalen Parlamente gebracht, diese seien im Gegenteil neuerlich reduziert worden. Die nationalen Parlamente würden Kompetenzen verlieren, ohne dass wenigstens das Europäische Parlament entsprechend aufgewertet werde. So zeichneten Experten und das EP selbst ein eher ernüchterndes Bild dieses Vertrages. Vom einst formulierten Ziel eines "Europa der Bürger" sei man weit entfernt, oder, wie es Ursula Stenzel sagte: "Der Berg kreisste und gebar eine Maus".

Bundesrat MEIER (SP) bezeichnet den Vertrag von Amsterdam als neben dem Vertrag von Maastricht wichtigstes Dokument der EU in den letzten Jahren. Fraglos werde der Weg der europäischen Einigung weitergegangen, dieser Prozess sei unumkehrbar. Im übrigen sei es nicht möglich, bei jeder Änderung durch Verträge wie jenen von Amsterdam eine Volksabstimmung abzuhalten, sonst bräuchte es "alle drei Monate eine Abstimmung".

Der Amsterdamer Vertrag habe freilich noch nicht alle Probleme abschliessend geregelt, es bedürfe daher einer fortschreibenden Weiterentwicklung der europäischen Frage. Inhaltlich setzt sich der Redner sodann mit den Themen Beschäftigungspolitik, Sicherheit und freier Personenverkehr sowie Institutionenreform auseinander und meint, die Bevölkerung und die Politiker seien dazu aufgerufen, das europäische Projekt gemeinsam weiterzuentwickeln.

Bundesrat Mag. STRUGL (VP) weist die Kritik der Freiheitlichen am Vorgehen der österreichischen Regierung in bezug auf den Amsterdamer Vertrag als "verfassungsrechtliche Krokodilstränen", die vor dem Hintergrund des Konzepts der Dritten Republik und der Aushöhlung des freien Mandates durch gewisse Verträge "in einem besonderen Licht erscheinen", zurück.

Das Vertragswerk selbst solle man fair beurteilen, und dann erkenne man, dass dieses die Völker Europas näher zusammenrücken lasse. Besondere Beachtung verdienen das Beschäftigungs- und das Sicherheitskapitel, entstehe insgesamt doch ein "Stück gemeinsames Rechtssystem", was als Fortschritt gewertet werden könne. Abschliessend unterstreicht Strugl die Bedeutung des "Europa der Bürger", das ein Stück gelebter Subsidiarität darstelle.

Bundesrat Mag. GUDENUS (F) sagt, es sei nötig, darauf hinzuweisen, dass an den Verträgen von Maastricht und Amsterdam nicht alles schlecht, aber bei weitem eben auch nicht alles gut ist, und gerade eine solche differenzierte Haltung brauche ein lebendiges Parlament, Gleichklang sei kontraproduktiv, immer nur "Erdbeeren mit Schlagobers" unerträglich.

Seine Fraktion wolle, dass der Bürger entscheiden könne, und nicht, dass für den Bürger entschieden werde. Selbst die Befürworter dieses Vertragswerkes würden zugeben, nicht alles erklären zu können, und genau deshalb müsse man ihm schon aus Verantwortungsbewusstsein heraus die Zustimmung verweigern.

Bundesrätin CREPAZ (SP) befasst sich mit dem Aspekt der Chancengleichheit, für die dieser Vertrag doch einen wichtigen Fortschritt bedeute. Vor Amsterdam sei Gleichberechtigung nur unter dem Gesichtspunkt der gleichen Entlohnung gesehen worden, jetzt habe die Kommission die Möglichkeit, hier viel umfassender zu agieren. Gleichstellung sei eine Aufgabe der Gemeinschaft, und dies sei mit dem Vertrag von Amsterdam auch allgemein anerkannt worden. Nun komme es darauf an, diese Erkenntnis auch entsprechend umzusetzen.

Bundesrat Dr. BÖSCH (F) urgiert eine Reform der Institutionen, einen Ausbau der Kontrollrechte und eine Umstrukturierung der einzelnen Politikfelder in der EU. Diese wichtigen Belange seien im Amsterdamer Vertrag nicht berücksichtigt worden. Seine Fraktion mahne ein, die Regierung solle endlich "mit offenen Karten" spielen und der Bevölkerung erklären, dass die Neutralität seit dem 1. Jänner 1995 eigentlich obsolet sei.

Bundesrat Dr. TREMMEL (F) widerspricht den Anschauungen des Bundesrates Konecny bezüglich der Auswirkungen der Beschäftigungspolitik. Bislang habe der EU-Beitritt dem österreichischen Arbeitsmarkt keine Impulse gebracht, vielmehr drohten durch die Osterweiterung neue Probleme für die heimische Beschäftigungslage. Weiters erhebt Tremmel die Forderung, diese Materie einer Volksabstimmung zu unterziehen.

Staatssekretär Dr. WITTMANN betont, die österreichische Bundesregierung habe massgeblich daran mitgewirkt, dass es auf EU-Ebene im Rahmen der Verhandlungen über den Amsterdamer Vertrag zu einer Beschäftigungsinitiative gekommen sei. Es stimme nicht, dass die EU die Beschäftigungspolitik den Nationalstaaten überlasse, bekräftigt er, vielmehr seien Richtlinien und ein Monitoring-System ausgearbeitet worden, um die Effizienz der nationalen Beschäftigungsprogramme zu überprüfen. Zudem habe eine Bewusstseinsänderung in den europäischen Staaten stattgefunden, man habe erkannt, dass das Problem der Arbeitslosigkeit für die Bürger der Union vorrangig sei, und darauf reagiert.

Der Bundesrat erteilt mit den Stimmen der SPÖ und der ÖVP und damit mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit seine Zustimmung zum vorliegenden Bundesverfassungsgesetz über den Abschluss des Vertrages von Amsterdam. (Fortsetzung)

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