Parlamentskorrespondenz Nr. 523 vom 09.07.1998

DRINGLICHE ANFRAGE DER GRÜNEN ZUM THEMA FLÜCHTLINGE AUS DEM KOSOVO

Wien (PK) - Abgeordnete Mag. STOISITS (G) schildert die dramatischen Menschenrechtsverletzungen im Kosovo, die ethnischen Säuberungen und politisch motivierten Vergewaltigungen, die zuletzt sogar die Nato veranlasst haben, über ein Eingreifen nachzudenken. 80.000 bis 100.000 Kosovo-Albaner befinden sich auf der Flucht, die meisten von ihnen in Jugoslawien, Albanien und Makedonien, einige wenige suchen auch Schutz in Österreich, bei Verwandten zumeist, die hier als Gastarbeiter und Zuwanderer leben. Bei uns aber werden die Türen zugemacht und schutzsuchende Menschen zurückgewiesen, klagt Stoisits.

Sie kritisiert einmal mehr die Änderung des Asylgesetzes, die zu einem Absinken der Anerkennungsquote bei gleichzeitig sinkenden Asylbewerbungen geführt habe, und macht darauf aufmerksam, dass in den ersten fünf Monaten dieses Jahres nur 3.633 Asylanträge erledigt wurden, lediglich 149 davon positiv. Vor allem wendet sich Stoisits dagegen, Flüchtlinge nach Ungarn abzuschieben, da selbst aus offiziellen Dokumenten des UNHCR hervorgehe, dass Ungarn nicht als sicheres Drittland gelten könne. Zur Untermauerung weist sie auf die untragbaren Zustände im Auffanglager Györ hin, wo Flüchtlinge wie in einem Gefängnis untergebracht werden. Schluss mit den Abschiebung von Kosovo-Albanern nach Ungarn und ein befristetes Aufenthaltsrecht für diese Menschen, solange sie in ihrer Heimat in Gefahr sind, fordert Stoisits.

Innenminister Mag. SCHLÖGL leitet die Anfragebeantwortung mit allgemeinen Feststellungen zur österreichischen Asylpolitik ein. Er unterbreitet dem Nationalrat Zahlen, aus denen hervorgeht, dass Österreich nach wie vor eine führende Rolle beim Flüchtlingsschutz in Europa einnimmt. Im bisherigen Verlauf des Jahres 1998 hat die Zahl der Asylwerber gegenüber dem Vorjahr um 56 % zugenommen. Österreich rangiert bei der Aufnahme von Flüchtlingen vor den meisten europäischen Staaten. Länder wie Spanien, Schweden, Griechenland, Finnland, Italien und Portugal weisen laut Schlögl weitaus geringere Asylwerberzahlen auf. In den letzten zehn Jahren hat Österreich 100.000 Asylwerber aufgenommen und mehr als 10.000 politische Flüchtlinge anerkannt und integriert.

Derzeit ist Österreich wieder von einem Asylwerberstrom betroffen, berichtet der Innenminister. Angesichts der Situation im Kosovo sei Österreich sofort aktiv geworden und habe 5 Mill. S zur Unterstützung von Vertriebenen zur Verfügung gestellt. Die Behauptung, das österreichische Asylgesetz sei restriktiv, weist Minister Schlögl entschieden zurück und macht auf den Ausbau des vorläufigen Aufenthaltsrechts, den ausnahmslosen Zugang zum Asylverfahren auch bei Einreise aus einem sicheren Drittland, die Einrichtung einer unabhängigen Kontrollbehörde, die Übertragung von Refoulemententscheidungen an das Asylamt, die Erleichterung der Familienzusammenführung, die Verbesserung des Rechtsschutzes und die verstärkte Einbindung des UNHCR in das Verfahren aufmerksam.

Im Zusammenhang mit dem österreichischen Vorsitz in der Europäischen Union bemüht sich die Bundesregierung um einen solidarischen Ausgleich der finanziellen Lasten infolge von Massenfluchtbewegungen, stellt Schlögl fest. Flüchtlingsfragen werde er mit den zuständigen Ministern aus Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz besprechen. Mit dem ungarischen Amtskollegen werde er bald Gespräche aufnehmen und sich dabei auch für die Verbesserung der Aufenthaltszentren einsetzen.

Hinsichtlich der Detailfragen gibt der Innenminister bekannt, dass in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 616 jugoslawische Staatsangehörige auf dem Luftweg und 154 Personen auf dem Landweg abgeschoben wurden. An den Grenzübergangsstellen wurden im selben Zeitraum 1.238 jugoslawische Staatsangehörige zurückgewiesen. 302 jugoslawische Staatsangehörige wurden nach Ungarn zurückgestellt. Rechtlich sind Abschiebungen, Zurückschiebungen und Zurückweisungen im Fremdengesetz und im bilateralen Schubabkommen mit Ungarn geregelt.

Die Auffassung, Ungarn sei kein sicheres Drittland, trifft laut Schlögl nicht zu. Nach Ansicht des UNHCR könne vielmehr in konkreten Fällen und bei bestimmten Konstellationen nicht von vornherein von einer Drittstaatssicherheit ausgegangen werden. Der Innenminister lehnt es jedenfalls ab, aus tagespolitischer Oportunität schwerwiegende Werturteile über Nachbarstaaten zu treffen. Ungarn ist Mitglied des Europarates, hat die Genfer Flüchtlingskonvention und die EMRK ratifiziert, es besitzt klare innerstaatliche Regelungen über den Flüchtlingsschutz - es ist daher als ein sicheres Drittland anzusehen.

Die Frage eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts könne beim heutigen Stand der europäischen Integration nicht mehr isoliert von einem Land allein beantwortet werden. Ein isoliertes österreichisches Aufenthaltsrecht für Kosovo-Albaner hätte etwa grösste Auswirkungen auf Deutschland. Er werde gemeinsam mit der Kommission dafür Sorge tragen, dass noch in diesen Tagen Texte auf den Tisch der zuständigen EU-Gremien gelegt werden, die den vorübergehenden Schutz und den Solidarausgleich zwischen den EU-Staaten regeln. Einen österreichischen Alleingang hält der Innenminister nicht für sinnvoll. Er sagt aber zu, dass Flüchtlinge, die direkt aus dem Konfliktgebiet im Kosovo kommen, äusserst sensibel behandelt werden sollen.

 

Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) stimmt dem Innenminister darin zu, dass es besser sei, von Solidarausgleich statt von Lastenausgleich zu sprechen. Menschen sollten nicht als Lasten betrachtet werden. Die Behauptung, die Grünen hätten Ungarn generell angegriffen, weist die Rednerin zurück, ihre Fraktion trete nach wie vor entschieden dafür ein, den Reformstaaten in ihrer schwierigen Lage zu helfen. Das sollte uns aber nicht daran hindern, Einzelfälle massiver Misshandlungen von Flüchtlingen zu klären.

Innenminister Mag. SCHLÖGL teilt mit, dass heuer rund 1.000 Flüchtlinge aus dem Kosovo nach Österreich eingereist sind. Jeder Fall werde einzeln überprüft, niemand werde ungeprüft nach Ungarn abgeschoben, versichert er.

Abgeordnete Dr. HLAVAC (SP) betont, Österreich drücke sich nicht vor seiner Verantwortung, es habe gerade bei den bosnischen Flüchtlingen eine vorbildliche Rolle gespielt. Was die Kosovo-Albaner betrifft, hält es Hlavac für notwendig, das Problem nicht allein Ungarn zu überlassen. Sie fordert deshalb einen Solidaritätsausgleich zwischen allen Staaten Europas.

Abgeordneter DDr. KÖNIG (VP) meint, Österreich müsse sich wegen seiner Asylpolitik keine Vorhaltungen machen lassen. Kein anderes Land in der EU habe in Relation zu seiner Bevölkerungszahl so viele Flüchtlinge aus Bosnien aufgenommen wie Österreich. Auch im Kosovo werden wir uns weiter für Hilfe vor Ort einsetzen, unterstreicht er. König wendet sich aber gegen eine undifferenzierte Vermengung von Asylwerbern und Wirtschaftsflüchtlingen, die seiner Meinung nach Ablehnung in der österreichischen Bevölkerung provoziert.

Abgeordnete Dr. PARTIK-PABLE (F) stellt fest, die Regierung sei nun Opfer ihrer eigenen Fremdenpolitik und bekomme dafür die Rechnung präsentiert. Die Rednerin spricht sich für eine klare Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und Einwanderern aus und lehnt eine Anerkennung der Kosovo-Albaner als Flüchtlinge entschieden ab. Diese Menschen würden in erster Linie als Einwanderer nach Österreich kommen, argumentiert sie.

Abgeordneter Dr. KIER (L) fühlt sich in seiner Kritik am Asylgesetz durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs bestätigt. Im übrigen fordert er eine gesamteuropäische Solidarität in der Asylpolitik unter Einschluss der Reformstaaten.

Abgeordnete Dr. Gabriela MOSER (G) verlangt in einem Entschliessungsantrag Massnahmen, die sicherstellen, dass die Flüchtlinge aus dem Kosovo zumindest bis zum Ende des Konflikts ein Aufenthaltsrecht in Österreich erhalten.

Abgeordneter SCHEIBNER (F) bezeichnet die Kritik der Grünen als pauschale Diffamierung der Österreicher, die über Jahrzehnte Hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen haben. Er beklagt, dass der Zustrom von Einwanderern seit den achtziger Jahren und das Heimatrecht für die bosnischen Flüchtlinge nun zu Ausländerzahlen geführt haben, die eine Integration unmöglich machen. Ferner kritisiert Scheibner auch Missbräuche des Asylrechts.

Abgeordneter WABL (G) erklärt, die Grünen hätten die Dringliche Anfrage aufgrund der in Österreich herrschenden Abschiebepraxis eingebracht. Er hält die derzeit geltende Regelung in bezug auf sichere Drittstaaten für inhuman, unsolidarisch und ungerecht. Dem VP-Abgeordneten König wirft Wabl vor, sich in seiner Rede zu einem Fürsprecher jener gemacht zu haben, die gegen ganz bestimmte Menschen, die in Not seien, Stimmung erzeugten. In einem Entschliessungsantrag fordert er die Bundesregierung auf, Mittel für die Sanierung des Auffanglagers in Györ zur Verfügung zu stellen.

Abgeordneter JUNG (F) bezeichnet Abgeordneten Wabl als Beispiel eines "phrasendreschenden Gutmenschens". Er verteidigt die im Asylwesen tätigen Beamten und macht geltend, dass diese lediglich die vom Nationalrat beschlossenen Gesetze vollziehen würden. Es gebe keinen Hinweis auf eine unkorrekte Vorgangsweise. Jung zufolge wäre den Kosovo-Albanern vor allem durch ein rasches Eingreifen der internationalen Staatengemeinschaft vor Ort geholfen.

Abgeordneter Dr. KHOL (VP) erinnert daran, dass die österreichische Regierung seit der einseitigen Aufhebung der jugoslawischen Verfassung durch Präsident Milosevic und der damit verbundenen Beendigung des quasi autonomen Status des Kosovo ständig in Serbien interveniert habe. Darüber hinaus sei die OSZE mit dieser Problematik befasst worden, der Nationalrat habe eine All-Parteien-Mission auf den Balkan geschickt. Auch der amtierende Aussenminister Schüssel setze sich konsequent für die Menschenrechte im Kosovo ein.

Die beiden Entschliessungsanträge der Grünen betreffend humanitäres Aufenthaltsrecht für Kosovo-Flüchtlinge bzw. betreffend Unterstützung Ungarns zur Sanierung des Auffanglagers in Györ werden nur von den Grünen und den Liberalen unterstützt und bleiben damit in der Minderheit. (Schluss)