Parlamentskorrespondenz Nr. 682 vom 23.10.1998

BUNDESKANZLER KLIMA INFORMIERT ÜBER EU-GIPFEL IN PÖRTSCHACH

Wien (PK ) ‑ Im Mittelpunkt der heutigen Sitzung des Hauptausschusses, die von Nationalratspräsident Dr. Heinz FISCHER geleitet wurde, stand das informelle Treffen der Staats‑ und Regierungschefs der Europäischen Union am bevorstehenden Wochenende in Pörtschach. Bundeskanzler Mag. KLIMA sagte, die EU dürfe sich nicht mit der gemeinsamen Währung und dem Binnenmarkt zufrieden geben. "Das ist nicht das Ende der gemeinsamen europäischen Entwicklung." Zur Stabilisierung von Wirtschaft und Beschäftigung müsse der grösste Wirtschaftsblock der Welt im eigenen Interesse Verantwortung übernehmen, eine gemeinsame Wirtschaftspolitik entwickeln, die Steuerpolitik harmonisieren und seine Position in internationalen Organisationen wie der Weltbank wirkungsvoll mit einer Stimme vertreten. Dazu komme die Verantwortung der Europäischen Union für die Erhöhung der Inneren Sicherheit und den Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Trotz seiner wirtschaftlichen Stärke sei Europa politisch noch schwach. Es habe keine gemeinsame Aussenpolitik und noch keine gemeinsamen Schritte in Richtung einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur gesetzt. Der Prozess in diese Richtung werde noch einige Zeit dauern, räumte der Bundeskanzler ein und wies darauf hin, dass es sich beim Gipfel in Pörtschach um ein informelles Treffen handle, bei dem keine Beschlüsse gefasst werden. Er erwarte sich aber Impulse und Meilensteine zur sinnvollen Koordination wichtiger Politikfelder in Europa. Daher wird der holländische Ministerpräsident Wim Kok über wirtschaftliche Stabilität und Beschäftigungspolitik referieren, der spanische Regierungschef Aznar über Innere Sicherheit und der britische Premierminister Tony Blair über Aussen‑ und Sicherheitspolitik für Europa sprechen.

Bei der Vorbereitung des Gipfels habe man es vermieden, Themen auf die Tagesordnung zu setzen, die nicht entscheidungsreif sind. Als Beispiel nannte der Regierungschef die Institutionenreform, da der Vertrag von Amsterdam noch nicht in allen Mitgliedsländern ratifiziert sei. Dasselbe gelte für die Frage der Stimmgewichtung und die finanzielle Vorschau für die nächsten Jahre. Darüber werde ‑ gut vorbereitet ‑ auf dem Wiener Gipfel im Dezember zu sprechen sein. Pörtschach biete den Staats‑ und Regierungschefs die Chance, darüber nachzudenken, in welche Richtung wichtige Politikfelder weiterentwickelt werden sollen, denn, so Klima mit Nachdruck, "der Integrationsprozess darf mit der Wirtschafts‑ und Währungsunion und mit dem Binnenmarkt nicht zu Ende sein".

Abgeordneter Mag. SCHWEITZER (F) erinnerte den Bundeskanzler an ein Interview vom vergangenen Juni, in dem er sich für die Zurückverlagerung von Entscheidungen auf die nationale und regionale Ebene ausgesprochen habe, und drückte sein Bedauern darüber aus, dass die Themen Bürgernähe und Subsidiarität, die die urprünglichen zentralen Themen des Pörtschacher Gipfels hätten sein sollen, nicht behandelt werden. In einem Antrag seiner Fraktion, der ‑ wie die Anträge der anderen Oppositionsparteien auch ‑ letztlich abgelehnt wurde, verlangte Schweitzer die konsequente Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips, eine klare Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, mehr Einfluss für die nationalen Parlamente, die Ausweitung der Kontrollrechte des Europäischen Parlaments und die Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips. Ausserdem trat er für die Einrichtung eines Kompetenzverletzungsgerichtshofes ein und bestand auf der Institutionenreform als einer Voraussetzung für die Osterweiterung.

Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (SP) zeigte sich dagegen froh darüber, dass die Tagesordnung des Gipfels geändert wurde und nunmehr Themen behandelt werden, "die den Menschen unter den Nägeln brennen", insbesondere die Lage der Weltwirtschaft und die Frage, wie die Wirtschafts‑ und Währungsunion ihre Position in einer globalisierten Weltwirtschaft zur Geltung bringen kann. Es sei auch gut, wenn Tony Blair zur GASP sprechen wird, zumal im Dezember ein "Mister GASP" ernannt werden soll, was eine grössere aussenpolitische Kohärenz in der EU voraussetze.

Abgeordneter Dr. MOCK (VP) erkundigte sich nach der Position Österreichs in der Frage der Beziehung zwischen EU und WEU und verlangte eine aktive Teilnahme unseres Landes an der Weiterentwicklung der GASP, wie dies Österreich bei seinem EU‑Beitritt angekündigt habe. Die Erweiterungsdiskussion will Mock nicht ohne gleichzeitige Diskussion der Institutionenreform führen.  Beitrittsverhandlungen mit Zypern würde er erst nach Lösung des dortigen Volksgruppenkonflikts führen.

Abgeordnete Ing. LANGTHALER (G) befürchtete, der Gipfel in Pörtschach werde ebenso unglücklich verlaufen, wie er ‑ auf Druck Kohls und Chiracs ‑ in Cardiff vereinbart wurde. Unter Bürgernähe verstehe sie eine Institutionenreform, die mehr Rechte für das Europäische Parlament bringe. In diesem Sinne wäre die Demokratiereform ein wichtiges Thema in Pörtschach gewesen. So stelle sich die Frage, welche politischen Ergebnisse die österreichische Präsidentschaft und insbesondere der Gipfel von Pörtschach verzeichnen können. Ihr Antrag auf Stellungnahme zielte auf einen Zeitplan zur Institutionenreform, auf die Einbeziehung des EU‑Parlaments in das Verfahren zur Vertragsrevision und auf eine Demokratisierung der EU durch öffentliche Gesetzgebung im Rat, Zuständigkeit des EuGH in der inneren Sicherheit und Freizügigkeit für alle legal in der EU lebenden Personen.

Von einer "missglückten Tagesordnung" sprach auch L-Abgeordnete Dr. SCHMIDT, die eine Diskussion über die Institutionenreform und das Abgehen vom Mehrstimmigkeitsprinzip für wichtig hielt. Hier könnte Österreich Zeichen setzen, da die Enttäuschung über seine Haltung zur EU‑Osterweiterung ohnehin gross sei. In zwei Anträgen ersuchte die Abgeordnete den Kanzler, auf dem Gipfel in Pörtschach die Einberufung einer Regierungskonferenz für eine Reform der EU‑Institutionen mit Beginn spätestens im Jahr 2000 vorzuschlagen. In einem weiteren Antrag verlangte sie die Konstituierung einer verfassungsgebenden Versammlung zur Ausarbeitung einer Europäischen Verfassung, durch die das Europäische Parlament das Recht auf Gesetzesinitiative und Mitentscheidung bei allen Rechtsakten der EU erhält, die Einstimigkeit radikal reduziert wird und alle Vertragsbestimmungen der Kontrolle des EuGH zugänglich gemacht werden.

Abgeordneter Dr. CAP (SP) sah keinen Anlass, "die Europäischen Generalstände einzuberufen und zum Sturm auf die Brüsseler Bastille zu blasen". Ob die EU eine eigene Verfassung brauche, sei eine offene Frage, zumal sie ein politisches Gebilde sui generis sei. Es ist legitim, für den Pörtschacher Gipfel Themen auszuwählen, die eine grössere Chance für Fortschritte bilden als etwa die Institutionenreform, sagte Cap, der die Kritik an der Tagesordnung des Gipfels als "oppositionelle Pflichtübung" zurückwies. Was sonst wäre wichtig genug, in Pörtschach beraten zu werden als Beschäftigungspolitik, innere Sicherheit und GASP?

Abgeordneter Mag. FIRLINGER (F) erbat vom Bundeskanzler Auskunft über die Halbzeitbilanz der österreichischen EU‑Präsidentschaft, interessierte sich nach der Richtung der Steuerharmonisierung und sprach sich für ein Konvergenzprogramm für die Beitrittskandidaten mit einem realistischen Zeitplan aus.

Auf die Debattenbeiträge und Fragen der Abgeordneten eingehend führte Bundeskanzler Mag. KLIMA aus, beim Gipfel in Cardiff sei fest vereinbart worden, die Institutionenreform erst nach der Ratifikation des Vertrages von Amsterdam in Angriff zu nehmen. In Pörtschach werden keine Entscheidungen getroffen, aber über wichtige politische Entwicklungen nachgedacht. Von dem Recht, gemeinsam in Klausur zu gehen und sich über politisch wichtige Fragen zu verständigen, werden die Staats‑ und Regierungschefs der EU in Zukunft öfter Gebrauch machen, meinte Klima und zeigte sich überrascht, mit Erwartungshaltungen konfrontiert zu werden, die er hinsichtlich Pörtschachs nie geweckt habe.

Bei seiner "Tour des Capitales" habe sich kein einziger Regierungschef dafür ausgesprochen, Pörtschach zu einem Gipfel der Renationalisierung zu machen, sagte Klima in Richtung FPÖ. Unter Subsidiarität sei zu verstehen, dass gemäss dem Amsterdamer Vertrag bei jeder EU‑Entscheidung zu fragen sei, ob sie auch einen Mehrwert für Europa erwarten lasse. In diesem Zusammenhang wendete sich der Regierungschef gegen die Einführung ökonomischer Wettbewerbsregeln in der Kultur und gegen die Zerstörung nationaler Sportverbände. Er sei für eine Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen mit Zypern, werde sich aber für die Einbeziehung eines Vertreters der türkischen Volksgruppe einsetzen.

Die Frage, ob sich die Europäische Sicherheitsstruktur in Richtung Verschmelzung von WEU und EU entwickle oder nach den neuen Vorschlägen Tony Blairs, der einen vierten Teil des Europäischen Vertragswerks vorschlägt, sei noch offen und werde nicht in Pörtschach entschieden werden, hielt Klima fest.

Zum Tempo der Osterweiterung strich der Kanzler heraus, die Menschen in Ungarn oder Tschechien brauchen realistische Perspektiven und haben ein Recht darauf, wohlvorbereitet und mit entsprechenden Instrumenten ausgestattet in die EU einzutreten. Sie wollen nicht das Niveau der jetzigen EU‑Mitglieder senken, sondern an dieses herangeführt werden, daher seien Übergangsfristen notwendig. Mit dem bisherigem Ergebnis der österreichischen EU‑Präsidentschaft zeigte sich Mag. Klima zufrieden. Es sei gelungen, Finanzmittel für NGO's freizumachen und den Verhandlungsbeginn mit den Beitrittskandidaten zu fixieren. Nun beginne die heisse Phase der Vorbereitung für den Wiener Gipfel im Dezember, wo über die Agenda 2000 zu diskutieren sein wird.

Nach einer weiteren Verhandlungsrunde mit sehr ins Detail gehenden Fragen der Abgeordneten informierte Staatssekretär Dr. WITTMANN darüber, dass es in Pörtschach ‑ wie bei informellen Gipfeltreffen üblich ‑ keine Schlusserklärung geben wird. Die Teilnehmer seien aber übereingekommen, nach Schluss der Beratungen ein Pressestatement abzugeben.

ÖSTERREICHISCHE TEILNAHME AN OSZE‑MISSION IN BOSNIEN VERLÄNGERT

Mit SP‑VP‑G‑Mehrheit genehmigte der Ausschuss einen Antrag von Aussenminister Schüssel, die Entsendung eines österreichischen Offiziers in die "Implementation Section" der OSZE‑Mission in Bosnien und Herzegowina im Bereich "Regional Stabilization" bis längstens 31. Oktober 1999 fortzusetzen. Der OSZE ist im Allgemeinen Rahmenübereinkommen für Frieden in Bosnien und Herzegowina eine wichtige Rolle in den Bereichen Vorbereitung und Unterstützung von Wahlen, Menschenrechte und Demokratisierung sowie regionale Stabilisierung übertragen worden.

F-Abgeordneter JUNG sprach von einer "richtigen Sache", der er jedoch nicht zustimmen könne, da die Entsendung aus den ordentlichen Mitteln des Verteidigungsministeriums gedeckt werde. Solange das Bundesheer so schlecht ausgerüstet sei, könne er derartige Auslandseinsätze nicht unterstützen.

Auch Abgeordnete Dr. SCHMIDT (L) befürwortete grundsätzlich die Entsendung des österreichischen Offiziers. Es komme jedoch einer Beleidigung und Desavouierung des Parlaments gleich, wenn der Hauptausschuss erst drei Tage nach Ablauf der Frist damit befasst werde.

Bundesminister Dr. FASSLABEND freute sich über das Einvernehmen in der Sache selbst und nahm zu den beiden von der Opposition vorgetragenen Kritikpunkten Stellung. Seiner Ansicht nach sei es bei Einzelentsendungen vertretbar, keine zusätzlichen Kosten einzufordern, denn das hiesse, Budgetüberschreitungsgesetze zu veranlassen. Was die Terminfrage betrifft, so habe die OSZE im September das Ansuchen an Österreich herangetragen und darüber wurde relativ rasch im Ministerrat entschieden. Da verschiedene Termine relativ ungünstig gefallen sind, habe erst jetzt die Möglichkeit bestanden, die Materie im Hauptausschuss zu behandeln, bedauerte er, aber der betroffene Offizier, der sich derzeit in Österreich befindet, werde erst nach der Beschlussfassung im Ausschuss wieder nach Bosnien reisen. (Schluss)