Parlamentskorrespondenz Nr. 788 vom 02.12.1998
HAUPTAUSSCHUSS: KLIMA INFORMIERT ABGEORDNETE ÜBER WIENER EU-GIPFEL
Wien (PK) - Der Hauptausschuss des Nationalrates befasste sich in seiner heutigen Sitzung ausführlich mit dem für 11. und 12. Dezember in Wien anberaumten Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer. Im Mittelpunkt der Diskussion stand dabei die Frage der Beschäftigungspolitik. Zu diesem Thema liegt ein sogenanntes "Non Paper" der österreichischen Präsidentschaft vor, in dem u.a. festgehalten wird, dass eine grössere Koordination der EU-Staaten in anderen Politikfeldern, etwa in der Steuerpolitik, Voraussetzung für eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik ist. Bundeskanzler Klima qualifizierte es als Erfolg des Gipfels von Pörtschach, dass nunmehr das Argument vom Tisch sei, Beschäftigungspolitik wäre eine rein nationale Angelegenheit. Vom Ausschuss mehrheitlich abgelehnt wurden zwei Anträge der Grünen bzw. der Liberalen auf eine bindende Stellungnahme bezüglich der Europäischen Leitlinien zur Beschäftigungspolitik.
Bundeskanzler Klima zog in seinem Einleitungsstatement eine positive Bilanz der bisherigen österreichischen Ratspräsidentschaft. Österreich habe nicht nur "im operativen Geschäft des Managers" Erfolge erzielen können, unterstrich er, sondern auch wichtige Beiträge zum Prozess der Vertiefung und zum Prozess der Erweiterung der EU leisten können. Als Beispiele nannte Klima u.a. die Einigung über das fünfte Rahmenprogramm für Forschung, die Lösung in der Transitfrage und den Start konkreter Beitrittsverhandlungen mit den osteuropäischen Staaten. Das Treffen in Pörtschach beurteilte er als wichtiges Signal in Richtung mehr Bürgernähe der EU, die EU-Mitgliedstaaten hätten sich dort verpflichtet, in den zwei für die Bevölkerung wichtigsten Fragen, nämlich jener der inneren Sicherheit und jener der Beschäftigungspolitik, neue Wege zu gehen.
Klima erklärte, dass man die Diskussion über die beim Treffen in Pörtschach angeschnittenen Fragen beim Wiener Gipfel weiterführen wolle. So werde man in Wien erstmals die Gelegenheit haben, die einzelnen Nationalen Beschäftigungspläne der EU-Länder einer Beurteilung zu unterziehen, und die beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU für 1999 diskutieren und verabschieden. Weitere wichtige Themen beim Gipfel werden dem Bundeskanzler zufolge die gemeinsame Währungspolitik, die Subsidiarität, die Umweltpolitik, die innere Sicherheit und die Reform der EU-Förderungen sein.
Österreich beabsichtige, informierte Klima, beim Wiener Gipfel zur "Agenda 2000" ein auf wenige Seiten komprimiertes Arbeitspapier mit den entscheidenden politischen Schlüsselfragen vorzulegen. Es sei aber immer klar gewesen, dass die Entscheidung über die Reform der Förderungen letztendlich erst im Rahmen der deutschen Präsidentschaft im März kommenden Jahres fallen wird, bekräftigte er. Österreich sei es aber bereits gelungen, substantielle Fortschritte zu erreichen, und wolle im Rahmen seiner Präsidentschaft jedenfalls alle technischen Fragen klären.
Auf dem Gebiet der inneren Sicherheit erachtete es Klima für wichtig, sich nicht mit dem Erreichten zufrieden zu geben, sondern die gemeinsame Bekämpfung der organisierten Kriminalität weiterzuentwickeln und eine Harmonisierung der Asyl- und Integrationspolitik anzustreben. In der Umweltpolitik arbeitet der Bundeskanzler auf einen sogenannten "Mainstreaming"-Ansatz hin, Umweltfragen sollten auch in anderen Politikfeldern wie der Wirtschafts- oder der Entwicklungshilfepolitik eine wichtige Rolle spielen.
Was die Frage der Osterweiterung der EU betrifft, wies Klima darauf hin, dass die Beitrittskandidaten, wie aus den Fortschrittsberichten der Europäischen Kommission hervorgehe, bereits gute Fortschritte hinsichtlich der Annäherung ihrer Wirtschafts- und Rechtsstandards an die Standards der EU gemacht hätten. Die EU wolle eine Erweiterung, betonte er, gleichzeitig sei aber klar, dass dieser Prozess gut vorbereitet werden müsste. Sowohl die Beitrittskandidaten als auch die EU-Länder seien auf manchen Gebieten an Übergangsperioden interessiert. Der Kanzler stellte in diesem Zusammenhang klar, es sei nicht Ziel der Beitrittskandidaten, die Sozial- und Einkommensstandards der EU-Länder zu drücken, vielmehr wollten sie genügend Zeit, um sich den EU-Standards anzunähern.
In der Debatte brachten sowohl die Liberalen als auch die Grünen einen umfassenden Antrag auf eine bindende Stellungnahme des Hauptausschusses zu den EU-Leitlinien für die Beschäftigungspolitik 1999 ein, die beide bei der Abstimmung über die eigene Fraktion hinaus jedoch keine Unterstützung erhielten. So urgieren die Liberalen u.a. eine generelle Präzisierung und Konkretisierung der Vorschläge, eine aliquote Berücksichtigung von Frauen bei arbeitsmarktpolitischen Förderungen, eine Ökologisierung der Steuersysteme, ein verpflichtendes gemeinsames Vorgehen bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit und steuerliche Ansätze zum Ausbau neuer Technologien im Umwelt-, Informations- und Kommunikationsbereich.
Allgemein meinte L-Abgeordnete Dr. GREDLER, es sei bedauerlich, dass es Österreich nicht geschafft habe, während seiner bisherigen Präsidentschaft der EU "eine Punze aufzudrücken". Es habe zwar in Teilbereichen gute Verhandlungsergebnisse gegeben, insgesamt werde die österreichische Präsidentschaft aber sicher nicht "in die Geschichte eingehen". Den von Bundeskanzler Klima hervorgehobenen Beginn der Beitrittsverhandlungen mit den osteuropäischen Staaten qualifizierte sie als "normalen Vorgang".
Ziel der Grünen ist es, wie aus ihrem Antrag auf Stellungungnahme hervorgeht, dass die Beschäftigungspolitik der EU denselben Stellenwert und dieselbe Verbindlichkeit geniesst wie die Wirtschafts- und Währungspolitik. Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialpolitik seien gemeinsam in den Dienst der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut zu stellen, heisst es im dort, Arbeitsmarktpolitik dürfe nicht ausschliesslich auf die Senkung der Arbeitslosenrate ausgerichtet sein, sondern müsse auch die Schaffung qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze zum Inhalt haben. Weiters fordern die Grünen eine europaweite Initiative zur Arbeitszeitverkürzung, ein Aktionsprogramm zur Armutsbekämpfung und die verstärkte Förderung von Frauen am Arbeitsmarkt.
"Gewisse Befriedigung" äusserte Abgeordnete Mag. KAMMERLANDER in ihrer Wortmeldung darüber, dass die Forderung nach einer Koordinierung der Wirtschafts- und Fiskalpolitik Eingang in das "Non Paper" der Regierung gefunden habe. Ansonsten teilte sie die positive und optimistische Einschätzung von Bundeskanzler Klima hinsichtlich der österreichischen EU-Präsidentschaft nicht, sie vermisst u.a. "ein tatsächliches Engagement" für die EU-Erweiterung und Schritte in Richtung mehr Bürgernähe der EU.
Kritik an der EU-Präsidentschaft Österreichs übten auch die Freiheitlichen. So räumte Abgeordneter Mag. HAUPT zwar ein, dass es hinsichtlich der gemeinsamen Beschäftigungspolitik der EU zu Verbesserungen gekommen sei, von einer Gleichrangigkeit gemeinsamer Finanz- und Wirtschaftspolitik auf der einen Seite und Beschäftigungspolitik auf der anderen Seite könne aber noch lange nicht die Rede sein. Abgeordneter GAUGG machte geltend, dass auch während des EU-Vorsitzes Österreichs die Zukunftssicherheit der Arbeitnehmer sowohl in Österreich als auch in den anderen EU-Staaten weiter abgenommen habe. Durch zunehmende Fusionierungen von Unternehmen gingen immer mehr Arbeitsplätze verloren, klagte er. Auch die Einigung in der Transitfrage werteten die Freiheitlichen nicht unbedingt positiv, Abgeordneter Haupt führte aus, dass sich Verkehrsminister Einem nicht an den Verhandlungsauftrag des Nationalrates gehalten habe. Er sieht ausserdem keine Schritte in Richtung mehr Bürgernähe.
Abgeordneter SCHIEDER (SP) vertrat hingegen die Auffassung, dass die Präsidentschaft von Österreich ausgezeichnet geführt wird, was auch für die anderen neuen Mitglieder wichtig sei. Österreich brauche sich bei einem Vergleich mit den vorherigen Präsidentschaften "wahrlich nicht zu schämen", sagte er. Den Bundeskanzler ersuchte er um Unterstützung hinsichtlich des Plans des Europäischen Parlaments, alle EU-Dokumente ins Internet zu stellen.
Ähnlich argumentierte auch Schieders Fraktionskollege Abgeordneter Dr. CAP. Österreich habe als relativ neues, kleines Mitglied der EU eine beachtliche Erfolgsliste, sagte er, und auch das "Non Paper" müsse positiv beurteilt werden. Immerhin habe man erstmals in einem Leitpapier die notwendige Gleichbehandlung von Männern und Frauen festgeschrieben, ebenfalls zum ersten Mal erwähnt sei, dass die Zusammenarbeit auf anderen Politikfeldern Voraussetzung für eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik sei.
Auch die Vertreter der ÖVP äusserten Lob für den österreichischen EU-Vorsitz. Abgeordneter Dkfm. DDr. KÖNIG (VP) stellte fest, die Arbeit Österreichs sei durchwegs positiv aufgenommen worden, und das, obwohl die deutschen Wahlen die Handlungsfähigkeit eingeschränkt hätten. In bezug auf die gemeinsame Beschäftigungspolitik der EU ist für ihn u.a. wichtig, das Entstehen von Monopolen durch Firmenfusionen zu verhindern. VP-Abgeordneter Dr. FEURSTEIN zeigte sich über die "Kehrtwende in der Beschäftigungspolitik" erfreut, man habe klar zum Ausdruck gebracht, dass es um aktive Arbeitsmarktpolitik und nicht um das Verwalten von Arbeitslosen gehe.
Bundeskanzler Mag. KLIMA betonte abschliessend, die Wirtschafts- und Währungsunion werde nur dann erfolgreich sein, wenn es eine koordinierte Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik der EU-Staaten gebe. Von Abgeordneter Kammerlander darauf angesprochen, dass die von Österreich und Deutschland geführte Nettozahlerdebatte kontraproduktiv für die EU-Erweiterung sei, sagte er, es sei wichtig, die Idee des sorgfältigen Umgangs mit Steuergeldern auch in Brüssel zu vertreten. Er könne nichts Schlechtes daran entdecken, wenn man als Nettozahler sage, man wolle eine Stabilisierung des Haushaltes.
MOLTERER PRÄSENTIERT MASSNAHMEN GEGEN EU-WEITE SCHWEINEKRISE
Vor der Diskussion über den EU-Gipfel in Wien debattierten die Abgeordneten über die EU-weite Krise am Schweinefleischsektor. Die Preise für Schweinefleisch sind in den vergangenen Monaten aufgrund mehrerer Ursachen stark gefallen. So hat die vermehrte Nachfrage nach Schweinefleisch in Folge der BSE-Krise und durch die aufgrund der Schweinepest notwendige Vernichtung von tausenden Schweinen vor allem in Holland zunächst zu Preissteigerungen und damit zu einer Ankurbelung der Schweinefleischproduktion geführt. Als dann durch die Asien-Krise und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Russlands weite Teile des Exportmarktes wegfielen, war man in der EU plötzlich mit einer Überproduktion konfrontiert, die zu einem rasanten Preisverfall führte.
Als Gegenmassnahme forderten die Freiheitlichen heute im Ausschuss, Landwirtschaftsminister Molterer möge bei der EU-Kommission unter Berufung auf Art. 147 EU-Beitrittsvertrag und unter dem Hinweis auf die erhebliche Störung des österreichischen Marktes sofortige Schutzmassnahmen in Richtung eines Importstopps von Schweinefleisch beantragen, was dieser jedoch als für die österreichischen Bauern kontraproduktiv ablehnte. Molterer wies darauf hin, dass sowohl auf EU-Ebene als auch von österreichischer Seite bereits zahlreiche Massnahmen zur Lösung der Schweinekrise gesetzt worden seien. Der Antrag der Freiheitlichen auf bindende Stellungnahme wurde von der Ausschussmehrheit ebenso abgelehnt wie ein Antrag der Grünen, demzufolge sich der Landwirtschaftsminister für eine nachhaltige Entlastung des Schweinemarktes durch eine ökologische und tierschonende Produktion einsetzen solle.
Die Freiheitlichen begründeten ihren Antrag mit der Existenzbedrohung zahlreicher heimischer Schweinezuchtbetriebe. Abgeordneter Mag. SCHWEITZER wies darauf hin, dass der Preis für Schweinefleisch von 30 S je Kilo auf unter 10 S gefallen sei. Seine Fraktionskollegin Abgeordnete AUMAYR machte geltend, die österreichischen Bauern würden lediglich 100 % des heimischen Schweinefleischbedarfs produzieren, in Holland und Dänemark seien es jedoch an die 400 %. Darüber hinaus wertete sie es als Betrug am österreichsichen Konsumenten und an den österreichischen Bauern, dass holländische und dänische Schweine, die lebend nach Österreich importiert und hier geschlachtet werden, den "A-Stempel" erhielten.
Abgeordneter SCHWARZENBERGER (VP) räumte ein, dass die Situation am Schweinemarkt tatsächlich katastrophal sei. Kein Arbeiter würde es sich gefallen lassen, wenn sein Lohn derartig reduziert würde, wie nunmehr die Erträge der Schweinezüchter, betonte er. Seiner Ansicht nach kann man für die Fehleinschätzung der Marktlage nicht die Bauern verantwortlich machen, schliesslich habe man beispielsweise mit der Russland-Krise nicht rechnen können. Ähnlich argumentierte auch VP-Abgeordneter DONABAUER.
Sowohl Abgeordneter SMOLLE (L) als auch Abgeordnete Mag. KAMMERLANDER (G) meinten hingegen, die jetzige Krise am Schweinemarkt sei selbstgemacht. Kammerlander unterstrich, die Schweinekrise sei keine Naturkatastrophe, die über die Bauern hereingebrochen sei, vielmehr habe es sich um einen absehbaren Prozess gehandelt. Selbstverständlich halte auch sie kurzfristige Massnahmen zur Behebung der Krise für notwendig, erklärte die Abgeordnete, langfristig werde man das Problem der Überproduktion aber nur dann in den Griff bekommen können, wenn man zu einer ökologischen und tierschonenden Produktion übergehe.
Auch Abgeordneter GRADWOHL (SP) sieht die Zukunft der heimischen Schweinezüchter in der Herstellung von Qualitätsprodukten. Aufgrund ihrer Grösse könnten die österreichischen Bauern mit ausländischen Betrieben nicht konkurrieren, skizzierte er, deshalb müssten sie auf Qualität statt Quantität setzen.
Landwirtschaftsminister Mag. MOLTERER informierte die Abgeordneten über die auf EU-Ebene und in Österreich gesetzten Massnahmen zur Behebung der Schweinekrise. So sei etwa für Schweine eine Exporterstattung eingeführt und laufend erhöht worden, für Schweineexporte nach Russland gebe es eine Sondererstattung der Union. Darüber hinaus würden im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe 100.000 Tonnen Schweinefleisch nach Russland geschickt. An nationalen Massnahmen nennt der Minister u.a. die Erhöhung der degressiven Ausgleichszahlungen um 300 Mill. S für den Mastschweine- und den Zuchtsauensektor, höhere Förderungen für Tiergesundheits- und Klassifizierungsdienste, eine mögliche Stundung der Kapitalrückzahlungen für das Sonderinvestitionsprogramm sowie eine Intensivierung der Werbemassnahmen der AMA im Schweinefleischsektor.
Keine geeignete Massnahme ist für den Landwirtschaftsminister die von den Freiheitlichen beantragte Anrufung der im EU-Beitrittsvertrag vorgesehenen Schutzklausel. Er gab zu bedenken, dass diese deshalb verankert wurde, um eine Störung des österreichischen Marktes zu verhindern, im gegenständlichen Fall handle es sich aber um eine EU-weite und keine österreichspezifische Krise. Die Anwendung der Schutzklausel habe also keine Chance auf Realisierung, Molterer fürchtet ausserdem negative Konsequenzen für die österreichischen Exporte.
Prinzipiell wies der Landwirtschaftsminister darauf hin, dass österreichisches Schweinefleisch hochqualitativ sei und keinen Qualitätsvergleich zu scheuen brauche. In der Frage der Kennzeichnung will er verstärkt das AMA-Gütesiegel, das nur für österreichische Schweine verwendet werden darf, gegenüber dem rot-weiss-roten "A" forcieren. (Fortsetzung)