Parlamentskorrespondenz Nr. 175 vom 13.04.1999

DRITTER BERICHT ZUR LAGE DER JUGEND IN ÖSTERREICH

Wien (PK) - Jugendarbeit und Freizeitarbeit in Österreich sowie Rahmenbedingungen, Formen und Auswirkungen von Jugendbeteiligungsmodellen sind die Schwerpunkte des dritten Berichtes zur Lage der Jugend in Österreich, der nunmehr von Bundesminister Bartenstein dem Nationalrat vorgelegt wurde. Im fünfbändigen und insgesamt mehr als 1.000 Seiten starken Bericht werden nicht nur eine Situations- und Bedarfsanalyse der Jugend- und Freizeitarbeit vorgenommen und bestehende Partizipationsmodelle von Jugendlichen analysiert, sondern auch Möglichkeiten der Qualitätssicherung und Selbstevaluation verbandlicher Jugendarbeit aufgezeigt. Auf Basis eines Vergleichs der Rechtsentwicklungen im Bereich der Jugendförderung in mehreren europäischen Ländern wurden Anregungen zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendförderung in Österreich ausgearbeitet.

Aus den dem Bericht zugrunde liegenden Studien geht hervor, dass die österreichischen Jugendlichen noch immer eher optimistisch als pessimistisch eingestellt und in einem überwiegenden Ausmass mit ihrem Leben zufrieden sind, auch wenn einige Jugendliche ihre Lebenssituation weniger gut beurteilen. Ihre Freizeit verbringen sie am liebsten mit Musik, Fernsehen, Sport und Freunden sowie mit dem Besuch von Lokalen. Dabei stehen im Durchschnitt 4,6 Stunden Freizeit pro Tag zur Verfügung, wobei SchülerInnen über weniger und Berufstätige über mehr Freizeit verfügen.

Der allgemeine Strukturwandel im Freizeitbereich macht auch vor den Jugendlichen nicht Halt. Freizeit wird nicht mehr als "Restkategorie" definiert, sondern als zentraler und individuell gestaltbarer Bestandteil des Lebens. Im Vergleich zur Arbeit hat Freizeit eine zunehmend identitäts- und sinnstiftende Dimension bekommen, die Arbeit ist längst nicht mehr das, wofür man lebt. "Fun" wurde zu einer weitverbreiteten Lebenseinstellung unter Jugendlichen.

Die immer wieder geäusserte Befürchtung, dass die Allgegenwart der Medien und der damit verbundene zunehmende Medienkonsum die Sozialkontakte der Jugendlichen einschränkt, wurde nicht bestätigt. Vielmehr bilden, so das Ergebnis mehrerer Studien, Medien und Freunde für Jugendliche problemlos eine Einheit. Häufig nutzen sie die Medien gemeinsam mit Freunden, oder sie konsumieren die Medienangebote zwar allein, reden dann aber mit Freunden über das, was sie gesehen, gehört und gelesen haben. Medieninhalte werden so zu Ressourcen für die direkte, interpersonelle Kommunikation.

Immer noch feststellbar sind geschlechtsspezifische Unterschiede im Freizeitverhalten. Während etwa männliche Jugendliche bei der Beschäftigung mit dem Computer und beim Sport dominieren, werden traditionelle Hochkultur- und Fortbildungsaktivitäten deutlich stärker von weiblichen Jugendlichen ausgeübt. Ausserdem sind Mädchen bei den kommunikativen Freizeitbeschäftigungen wie Telefonieren wesentlich stärker vertreten. Der Zugang zu diversen Freizeitaktivitäten hängt darüber hinaus von den finanziellen Möglichkeiten und der zur Verfügung stehenden Zeit ab.

Fragt man die Jugendlichen nach den ihrer Ansicht nach bestehenden Defiziten im Freizeitbereich, wird neben dem Wunsch nach einem Kino in direkter Wohnumgebung der Bedarf an frei gestaltbaren Räumen für Jugendliche - etwa "Abenteuerwiese", Jugendraum, Lokale - und ein grosses Bedürfnis nach jugendkulturell ausgerichteten Freizeitangeboten deutlich. Solche jugendkulturell orientierten Angebote werden aber vorrangig von kommerziellen Anbietern offeriert, was zur Folge hat, dass Jugendliche in kleinen Gemeinden bzw. mit bescheidenen finanziellen Ressourcen der Zugang zu Jugendkulturen erschwert oder unmöglich gemacht wird. Kommerzielle Angebote richten sich zudem kaum auf subgruppenspezifische Bedürfnisse ein, daher sind viele Angebotsformen für Jugendliche unter 16 Jahren oder für Mädchen, etwa wegen fehlender Elternerlaubnis, nicht nutzbar.

VERBESSERUNG DER JUGENDARBEIT IN DEN GEMEINDEN NOTWENDIG

Die Jugendarbeit der Gemeinden bewegt sich demgegenüber, wie eine Erhebung unter 625 der 2.357 österreichischen Gemeinden zeigt, noch in sehr traditionellen Bahnen und ist stark an der Vereinsarbeit orientiert, was nicht zuletzt auch aufgrund der weit verbreiteten Institutionenskepsis der Jugendlichen problematisch ist. In der Mehrzahl der Gemeinden fehlen darüber hinaus Jugendbeauftragte, die als AnsprechpartnerInnen bzw. VermittlerInnen zur Verbesserung der Freizeitinfrastruktur beitragen könnten. Mehr als 60 % der Gemeinden haben kein eigens definiertes Budget für Jugendbelange; in lediglich 18 % gibt es, als Lobby für die Gemeindejugend gedacht, Jugendplattformen oder -foren. Zahlreiche Angebotsformen, z.B. viele Sportvereine, sind nicht explizit auf Jugendarbeit ausgerichtet, sondern für die Gesamtbevölkerung offen.

Die AutorInnen zu diesem Themenkomplex des Berichts urgieren daher eine Professionalisierung im angesprochenen Bereich. Der wichtige Bereich der Jugendkulturen dürfe nicht kommerziellen Anbietern überlassen werden, betonen sie, vielmehr sollten nichtkommerzielle Organisationen durch neue Angebote Versäumtes nachholen und Jugendlichen damit die Möglichkeit bieten, ihre Freizeitbedürfnisse wieder innerhalb der Organisationen zu befriedigen. Für notwendig erachtet wird insbesondere auch eine strukturierte Ergänzung des Angebots um stark zielgruppenorientierte Massnahmen. So sollen Genderaspekte in der Angebotsentwicklung forciert berücksichtigt und - als Voraussetzung für aufbauenden interkulturellen Austausch - auch vermehrt Angebote für MigrantInnenkinder bzw. -jugendliche entwickelt werden. Da die voranschreitende schulische Integration Behinderter von einer ungebrochenen Grundtendenz massiver Segregation im Freizeitbereich begleitet wird, wären zudem geeignete Massnahmen zur Integration von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung auszuarbeiten.

Als Voraussetzung für eine Verbesserung der Jugendarbeit sehen die AutorInnen die Notwendigkeit, sich im Sinne einer kontinuierlichen Bedarfs- und Trendbeobachtung verstärkt mit der jugendlichen Lebensrealität und den Anliegen der Jugendlichen auseinanderzusetzen. Auch empfehlen sie den TrägerInnen der Kinder- und Jugendarbeit den regelmässigen Einsatz und die Weiterentwicklung von Instrumenten der Selbstevaluation. In diesen Prozess der Selbstevaluation sollen alle Betroffenen - sowohl die ehren- und hauptamtlichen MitarbeiterInnen wie auch die jugendlichen NutzerInnen und die Verantwortlichen auf öffentlicher Ebene - von Beginn an einbezogen werden.

Da Gemeinden mit Jugendbeauftragten tendenziell über eine bessere Freizeitinfrastruktur für Jugendliche verfügen, regen die AutorInnen auch an, die Gemeindeordnungen der Länder um eine Verpflichtung zur Ernennung von Kinder- und Jugendbeauftragten zu ergänzen. Gerade für kleinere Gemeinden halten sie darüber hinaus eine regionale Vernetzung der jugendrelevanten Infrastruktur und regionale Planungszusammenschlüsse mehrerer Gemeinden für sinnvoll.

JUGENDBETEILIGUNGSMODELLE FESTIGEN DEMORKATISCHES BEWUSSTSEIN

Um den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich in politische Willensbildungsprozesse einzubringen, sollen dem Bericht zufolge zudem Jugendbeteiligungsmodelle - z.B. Jugendgemeinderäte, projektbezogene Modelle - forciert werden. Dabei wäre es jedoch, so die AutorInnen, wichtig, auf Transparenz zu achten und durch professionelle Planung und Durchführung des Projekts sicherzustellen, dass das Projektziel möglichst erreicht wird und Lösungen für auftauchende Probleme gefunden werden können. Grundsätzlich ist zudem auf Gleichheit aller Jugendlichen Bedacht zu nehmen, damit keine Ausgrenzungen, etwa nach Geschlecht, sozialem Status oder Alter, entstehen.

Eine umfassende Analyse von bestehenden Jugendbeteiligungsmodellen zeigt darüber hinaus, dass es für die erfolgreiche partizipative Einbindung Jugendlicher von entscheidender Bedeutung ist, dass ihre Leistungen in deutlicher Weise anerkannt werden und keinesfalls als dekorative Produkte kindlicher Aktivität abgetan werden. Auch legen die Ergebnisse nahe, dass die Einbeziehung von kommunalen Vermittlungspersonen dazu beiträgt, politisches Vertrauen und Interesse zu fördern und gleichzeitig politische Entfremdung zu reduzieren. Bei jungen Jugendlichen - insbesondere unter 13jährigen - gilt es darauf zu achten, dass sie nicht überfordert werden.

Prinzipiell wurde bei der gross angelegten Untersuchung von Jugendbeteiligungsmodellen festgestellt, dass das demokratische Bewusstsein bei einem hohen Anteil der Teilnehmer - 85,4 % - gefestigt wurde. Jedoch gab auch mehr als die Hälfte an, dass ihre Politikverdrossenheit durch die Teilnahme an den Projekten gestiegen ist. Hinsichtlich der Auswirkungen auf die solidarische Orientierung konnte bei 83 % der Jugendlichen eine gestiegene Solidarbereitschaft konstatiert werden. Rund drei Viertel der Befragten gaben zudem eine Erweiterung ihrer persönlichen Fähigkeiten in mindestens fünf von sieben genannten Schlüsselfunktionen - z.B. Teamarbeit, Aneignung einer realistischeren Sichtweise - an. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Zielerreichung dazu beiträgt, demokratieskeptische, gewaltbejahende Haltungen und Politikverdrossenheit zu reduzieren. Immerhin hatte rund ein Viertel der für die Studie befragten Jugendlichen jedoch den Eindruck, dass das Projekt "zweckentfremdet" und ihre Tätigkeit missbraucht wurde.

Nach Ansicht der Jugendlichen bewähren sich in Beteiligungsprojekten themenspezifische Arbeitsgruppen zur Erarbeitung von Ideen und Projekten, Diskussion in gemeinsamen Plenumssitzungen, gemeinsame Besprechungen mit Erwachsenen, jugendgerechte Methoden bei der Gestaltung und Moderation von Sitzungen sowie Protokolle, um die Verbindlichkeit der Zusagen zu steigern. Sie legen ausserdem Wert auf Kontinuität - entweder dauerhafte Einbindung oder regelmässige Mitsprachemöglichkeiten - und wünschen sich für ihre Anliegen eine erwachsene Kontaktperson. Von den jeweils zuständigen PolitikerInnen erwarten sie sich die Übernahme der Verantwortung für Beteiligungsprojekte und deren Umsetzung.

Um die politische Beteiligung von Jugendlichen verstärkt zu fördern, wird im Bericht u.a. vorgeschlagen, den Österreichischen Bundesjugendring zu öffnen und in Richtung Partizipationsplattform für Kinder- und Jugendpolitik auszubauen. Auch sollen von der öffentlichen Hand mehr personelle, räumliche und finanzielle Ressourcen bereitgestellt, die Vielfalt von Beteiligungsformen gefördert, vermehrt Vermittlungspersonen zwischen Jugend und Politik eingesetzt und eigene Kinder- und Jugendbudgets der Gemeinden veranschlagt werden. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft müsste nach Meinung der AutorInnen entweder weisungsfrei und direkt dem Parlament unterstellt oder weisungsfrei beim Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie angesiedelt werden. Die AutorInnen warnen aber davor, den Ausbau der politischen Beteiligung Jugendlicher zum Vorwand zu nehmen, die Bemühungen von Regierung und Parlamenten im Rahmen konventioneller Jugendpolitik zu reduzieren.

VORSCHLÄGE ZUR VERBESSERUNG DER KINDER- UND JUGENDFÖRDERUNG

Was den angestellten Vergleich der Rechtsentwicklungen der Jugendförderung in mehreren europäischen Staaten betrifft, orten die AutorInnen einen europaweit wahrnehmbaren Trend zur Stärkung der Koordinierungskompetenz für Kinder- und Jugendpolitik bzw.

-förderung auf nationaler Ebene. Sie stellen daher auch in Österreich den Abschluss eines Koordinationsvertrages über die Kinder- und Jugendförderung zwischen Bund und Ländern zur Diskussion. Dieser Koordinationsvertrag soll u.a. Ziele der Jugendförderung sowie Grundsätze und Tätigkeitsfelder der Jugendarbeit festschreiben, die Koordination zwischen den Gebietskörperschaften regeln, aber auch Förderungsgrundsätze und Mindestförderungshöhen sowie Ausgleichsvereinbarungen enthalten.

Gleichzeitig soll auch, so der Vorschlag, die Bundesförderung für die Kinder- und Jugendarbeit - im Bundesvoranschlag 1998 waren für die Jugendförderung insgesamt knapp 100 Mill. S vorgesehen - neu geordnet werden. Demnach könnte bei der Grundförderung bundesweiter TrägerInnen der Kinder- und Jugendarbeit die Mitgliedschaft im Bundesjugendring von einer kriterienbezogenen Anerkennung durch das BMUJF abgelöst werden, wobei ein Drittel des Gesamtfördervolumens des Bundes dafür zur Verfügung stehen könnte. Ergänzt werden soll diese Grundförderung durch innovationsorientierte und bildungsorientierte Programmförderung, Infrastrukturförderung (z.B. für Jugendherbergen, Erholungszentren etc.), Dachorganisationsförderung, Forschungsförderung und freie Projektförderung.

Angeregt wird ausserdem die Einsetzung einer "Kinder- und Jugendkommission des Bundes", die über Forschungs-, Förderungs-, Massnahmen- und Strukturentwicklungsschwerpunkte für den Kinder- und Jugendplan des Bundes berät und Stellungnahmen und Empfehlungen zu kinder- und jugendrelevanten Angelegenheiten abgibt, sowie die Einrichtung einer "Monitoringkommission für Kinder- und Jugendfragen", die für eine Evaluierung der Schwerpunktvorhaben des Kinder- und Jugendplanes und des Systems der Kinder- und Jugendförderung zuständig wäre. Diese beiden Organe und deren Besetzung, Status und Aufgaben sollten in einem Bundesgesetz für die Kinder- und Jugendförderung verankert werden.

Durch seine Schwerpunktsetzung unterscheidet sich der dritte Bericht zur Lage der Jugend in Österreich - er ist gemäss einer Entschliessung des Nationalrates in jeder Legislaturperiode einmal vorzulegen - von seinen beiden Vorgängern. Diese hat auch zur Folge, dass ganz existentielle und aktuelle Lebens- und Problemfelder heutiger Jugendlicher - etwa die Bereiche Arbeit oder Schule - weitestgehend ausgeklammert bleiben. Diesem Manko könnte, so der Bericht, dadurch entgegengewirkt werden, indem man die Schwerpunkte des nächsten Berichts wieder stärker auf die Kernzonen jugendlicher Lebenswelten legt (III-182 d.B.). (Schluss)