Parlamentskorrespondenz Nr. 483 vom 29.10.1999

NATIONALRAT DER XXI. GESETZGEBUNGSPERIODE KONSTITUIERT

Wien (PK) - Volles Haus im Hohen Haus am Ring: Da keiner der 183 am 3. Oktober gewählten Abgeordneten krank gemeldet oder aus anderen Gründen entschuldigt war, bot der Sitzungssaal des Nationalrats das rare Bild voller Sitzreihen. Von den 183 MandatarInnen gehören in der XXI. Gesetzgebungsperiode 65 der SPÖ, je 52 der FPÖ und der ÖVP und 14 den Grünen an. 70 Abgeordnete sind neu im Nationalrat, der Frauenanteil liegt bei rund 27 Prozent.

Nicht nur das Plenum war voll, auch auf den Galerien herrschte beträchtliches Gedränge. Präsident Fischer begrüßte Bundespräsident Dr. Klestil zu der konstituierenden Sitzung; auch seine Vorgänger, Dr. Kirchschläger und Dr. Waldheim, waren Gäste im Hohen Haus, dazu zahlreiche Persönlichkeiten ausländischer Vertretungsbehörden, viele Journalisten und interessiertes Publikum auf der Besuchergalerie.

Noch vor der Angelobung der 183 Abgeordneten wurde die Bundeshymne von einem Bläserensemble der Universität für Musik unter der Leitung von Prof. Mag. Werner Hackl intoniert. Stehend sangen die Mandatare die erste Strophe. Es folgte die Angelobung der Abgeordneten.

Den Tagesodrnungspunkt Präsidentenwahl nutzten die Redner, angeführt von den Klubobmännern der vier Fraktionen, zu grundsätzlichen Feststellungen. Abgeordneter Dr. KOSTELKA (SP) hielt eingangs fest, das Wahlergebnis fordere mehr Gestaltungswillen und -bereitschaft als jemals zuvor. Das Wahlergebnis habe Österreich verändert, das Nachkriegsösterreich gehöre der Vergangenheit an. Es gebe nunmehr zwei Parteien mit je 27 % der Stimmen, und nur eine Partei verfüge über mehr als ein Drittel der Mandate. Dazu komme noch eine vierte Fraktion, die, je nach Ausgangslage, Mitwirkungschancen bei Verfassungsgesetzen haben werde. Durch diese Konstellation ergäben sich inhaltliche Chancen bei Verfassungsgesetzen - und damit ein politischeres Haus.

Österreich sei auf dem Weg von der Konkordanz- zur Konkurrenzdemokratie, und doch sei seine Fraktion dafür, Gemeinsames zu bewahren. Der Wähler wolle den Wandel, nicht aber eine Wende. Der Wähler habe die politische Gestaltungskraft herausgefordert, es gelte, das Wahlergebnis vom 3. Oktober mit Leben zu erfüllen. Dazu sollten alle beitragen. Je mehr Vertrauen eine Partei vom Wähler bekomme, desto mehr müsse sie Verantwortung übernehmen, und seine Fraktion sei bereit dazu.

Hinsichtlich der Wahl des Nationalratspräsidiums anerkenne sein Klub das Recht der Fraktionen auf eine Vertretung im Präsidium proportional zu ihrer Stärke, weshalb seine Fraktion eine Person für den ersten Präsidenten nominiert habe, Heinz Fischer, einen der namhaftesten Parlamentarier der Zweiten Republik. Die Kandidatur der F habe aber nicht nur eine formale, sondern auch eine inhaltliche Seite, erinnerte Kostelka an Prinzhorns Aussagen in der "Stuttgarter Zeitung". Prinzhorn sei aufgerufen, dies klarzustellen.

Abgeordneter SCHEIBNER (F) hoffte, das Wahlergebnis und die über 50 neuen Abgeordneten mögen das Selbstverständnis der Parlamentarier wandeln. Er habe schon im Juli kritisiert, dass in diesem Hause 600 Gesetze beschlossen wurden, aber kein einziges auch hier erarbeitet wurde. Gleichzeitig seien 400 Initiativen liegen geblieben.

Der 3. Oktober habe daher auch einen Auftrag bedeutet. Man solle sich wieder als Volksvertreter sehen, stärker Kontrollorgan der Regierung sein. Es gebe einen Arbeitsauftrag, die Probleme, die dieses Land bewegten, auch einer Lösung zuzuführen. Alle politischen Kräfte sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein, Österreich eine bessere Zukunft zu bringen. Als erste konkrete Initiative verwies Scheibner auf die geplante Erhöhung der Pensionen um 0,4 %, während die Politikergehälter gleichzeitig um 3,3 % angehoben werden sollten. Hier müsse man zeigen, dass man für die Schwachen im Lande da sei. Seine Fraktion werde einen entsprechenden Antrag auf eine weitere Nulllohnrunde für Politiker einbringen, kündigte Scheibner an.

Auch seine Fraktion anerkenne die Usance, das Präsidium nach dem Stärkeverhältnis zu besetzen. Inhaltliche Auseinandersetzungen mögen auf der Sachebene stattfinden, bei der Wahl zum Präsidium sei ein breiter Konsens wünschenswert. Von seiten der F stelle man diese Usancen ausser Streit, und wenn es auch teilweise Kritik an den vorgeschlagenen Personen gebe, so anerkenne man dennoch das Nominierungsrecht. Scheibner stellte sodann den F-Kandidaten für das Amt des Zweiten Präsidenten vor, dabei die Aussagen seines Vorredners in bezug auf ein Interview Prinzhorns berichtigend. Die Wahl der Präsidenten könne, so Scheibner abschliessend, ein erstes Zeichen dafür sein, dass die Parlamentarier das Signal des 3. Oktober erkannt haben.

Abgeordneter Dr. SCHÜSSEL (VP) dankte zunächst den ausgeschiedenen Abgeordneten für ihre Arbeit und begrüsste die neuen. Parlamentarische Regeln, parlamentarische Usancen seien etwas sehr Wichtiges, daher bekenne sich auch seine Fraktion hiezu. Sie respektiere den Anspruch der F auf den Zweiten Präsidenten, sei doch diese Partei nun einmal zweitstärkste - zwar nicht an Mandaten, aber an Stimmen - Kraft geworden. Abgeordneter Prinzhorn sei ein ernster Vorschlag, den seine Fraktion auch anerkennen werde. Sodann würdigte der Redner die Verdienste des Kandidaten seiner Fraktion, Khol, und dankte dem scheidenden Zweiten Präsidenten Neisser für seine Tätigkeit.

Schüssel analysierte sodann die neue Situation mit drei annähernd gleich starken Parteien, was neue Möglichkeiten, neue Chancen biete. Es sei daher gut vom Bundespräsidenten gewesen, inhaltliche Sondierungsgespräche zu initiieren. Die politischen Aufgaben seien heute anders als in der letzten GP, "Effizienz statt Sparpakete" sei gefordert. Europa sei dabei eine entscheidende Zukunftschance, und seine Fraktion sei "ja die klassische Europapartei", und davon rücke man "kein Jota" ab. Nötig für die grossen Aufgaben sei ein neuer Stil in diesem Haus. Schüssel forderte einen Gesamtkonsens gegen Intoleranz und Ausgrenzung und meinte, man werde umso glaubwürdiger gegen Pauschalvorwürfe aus dem Ausland sein, je glaubwürdiger man selbst ist. Friede und Versöhnung müsse zuhause beginnen, in diesem Sinne möge der neue Nationalrat ein lebendes Haus der Toleranz werden.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) würdigte zunächst die Abgeordnete Lichtenberger als eine der erfahrendsten G-Politikerinnen, um sodann darauf hinzuweisen, dass es bei der anstehenden Wahl nicht nur um formale, sondern auch um inhaltliche Fragen gehe, nämlich, wer dieses Land an welcher Stelle vertreten dürfe. Van der Bellen übte Kritik an der im Land herrschenden Xenophobie, wobei er auch auf die Aussagen des Innenministers im gestrigen "Standard" verwies. Gerade Abgeordnete hätten hier eine besondere Verantwortung. Die F sei nicht allein-, aber mitverantwortlich für diese Stimmung durch den Wahlkampf, den sie führte. Van der Bellen kritisierte den F-Kandidaten Prinzhorn wegen dessen Aussagen in der "Stuttgarter Zeitung" und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, es möge in diesem Haus über solche Aussagen nie einen Konsens geben. Der Redner appellierte an SP und VP, dies nicht hinzunehmen. Es sei ein neuer Stil gefordert worden, doch werde es zu einem Fehlstart kommen, wenn SP und VP diese Wahl einfach aus formalrechtlicher Sicht sehen würden. "Heute keine Stimme für einen freiheitlichen Kandidaten wäre ein Signal", meinte Van der Bellen an die Adresse der beiden Regierungsparteien gerichtet.

Abgeordnete Dr. MERTEL (SP) betonte, die Wahl der Nationalratspräsidenten sei kein reiner Formalakt, es gehe darum, welche Persönlichkeit das Amt am besten erfüllen und Österreich am besten repräsentieren könne. Mit Heinz Fischer schlage die SPÖ, so Mertel, einen der erfahrensten Parlamentarier der Zweiten Republik für die Funktion des Ersten Nationalratspräsidenten vor.

Was die Wahl des Zweiten Nationalratspräsidenten betrifft, erklärte Mertel, die von den Grünen aufgestellte Eva Lichtenberger sei "ein verlockendes Angebot", es sei aber nicht üblich, den Kandidaten der viertstärksten Partei für dieses Amt zu wählen. Gegenüber dem FPÖ-Kandidaten Thomas Prinzhorn äußerte sie allerdings Skepsis, da dieser "die Besorgnis erregende Kampagne" der Freiheitlichen gegen Ausländer im Wahlkampf nicht nur mitgetragen, sondern auch noch "durch peinliche, unsinnige Äußerungen" übertrumpft habe. Sie appellierte an Prinzhorn klarzustellen, dass "Menschenverachtung in welcher Form auch immer, keinen Platz in unserer parlamentarischen Demokratie hat".

Abgeordneter Dr. OFNER (F) erklärte, er wünsche sich, dass die Bundesregierung gegenüber dem Nationalrat künftig mehr Respekt an den Tag lege als in den letzten Jahren, und dass die Mitglieder des Nationalrates mehr Selbstbewusstsein in ihrer Tätigkeit erkennen liessen. Zur Wahl der Nationalratspräsidenten sagte er, nur die Usancen seien es, die verhinderten, dass die stärksten Parteien alle drei Präsidenten stellten. Ofner hält Thomas Prinzhorn für einen guten Kandidaten, "er hat Eigenständigkeit und Gewicht" und sei kein Hampelmann.

Abgeordneter SCHWARZENBERGER (VP) wies darauf hin, dass die Präsidenten des Nationalrates von hoher Bedeutung für die Republik seien. Seiner Auffassung nach hat es einen guten Grund, dass die stärksten Fraktionen im Präsidium des Nationalrates vertreten sind, da dieses Präsidium oft Krisenmanagement im Hohen Haus betreiben und einen Kompromiss finden müsse. Es sei, so Schwarzenberger, Tradition, dass die stärkste Fraktion den Ersten Präsidenten, die zweitstärkste Fraktion den Zweiten Präsidenten und die drittstärkste Fraktion den Dritten Präsidenten stellten. Auch wenn die ÖVP nur 415 Stimmen hinter der FPÖ liege, bekenne sie sich zu diesem Grundsatz. Von Prinzhorn erwartet sich Schwarzenberger, dass er das Amt unparteiisch und objektiv ausübt.

Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) unterstrich, Usancen seien kein Gesetz, sie sollten und müssten dann zurücktreten, wenn "Gefahr droht für das Land, und das Ansehen dieser Republik Schaden nehmen könnte". Sie könne Abgeordneten Prinzhorn nicht zum Präsidenten wählen, erläuterte Petrovic, erstens weil auch er "zu einem entsetzlichen Kapitel der Geschichte dieses Landes", der Vertreibung der Juden und der Arisierung, mit Verdrängen reagiert habe, zweitens weil die FPÖ im Wahlkampf "rassistische, verheerende" Flugblätter verteilt habe. (Forts.)

Format