Parlamentskorrespondenz Nr. 32 vom 26.01.2000

GRÜNE FORDERN VOLKSBEFRAGUNG ÜBER NEUTRALITÄT

Wien (PK) In einem von den Grünen eingebrachten Dringlichen Antrag (60/A[E] ) wird der Außenminister aufgefordert, die sofortige Durchführung einer Volksbefragung über die Beibehaltung der Neutralität zu initiieren. Das Ergebnis der Volksbefragung sei von der Bundesregierung in der Regierungskonferenz der EU zu vertreten; ohne Verankerung dieses Ergebnisses im neuen EU-Vertrag sei eine Zustimmung Österreichs nicht möglich. Außerdem wird der Außenminister in dem Antrag aufgefordert, mit der Beibehaltung der Neutralität einen eigenständigen Beitrag Österreichs zu Frieden und Sicherheit in Europa zu leisten und den Weg für ein europäisches Sicherheitssystem offen zu halten. In einer Erweiterung der EU sei das vorrangige Friedensprojekt Europas zu erkennen. Neutralität solle auch als Verpflichtung gesehen werden, bei humanitären Hilfsaktionen und Maßnahmen zur demokratischen Entwicklung u. ä. Aufgaben und Lasten zu übernehmen.

Die Grünen seien immer dafür eingetreten, meinte Abgeordneter Dr. PILZ (G) als begründender Erstredner unter Bezugnahme auf seinen Antrag, einen Volksentscheid über die Frage der Neutralität und eines möglichen Nato-Beitrittes abzuhalten. Es gehe seiner Fraktion darum, aus der Neutralität - trotz ihrer ständigen Beschädigung durch die wichtigsten Exponenten der österreichischen Bundesregierung - wieder ein tragfähiges und zukunftsfähiges Konzept zu machen. Seiner Auffassung nach habe Österreich die Verpflichtung als kleiner, reicher und niemanden bedrohender Staat international dort seine Dienste anzubieten, wo es niemand anderer kann oder will. In den nächsten Monaten werde versucht werden, die Neutralität weiter zu reduzieren, vermutete Pilz, etwa durch den geplanten Beitritt zur westeuropäischen Rüstungsgruppe.

Außenminister Schüssel warf er sodann vor, als Wirtschaftsminister bewusst die Vergabegesetze verletzt und „einen milliardenschweren Rüstungsauftrag gegen den Willen der Beamten einer französischen Firma zugeschoben zu haben“. Zudem tauche der Name Schüssel in den Notizbüchern eines flüchtigen Waffenhändlers auf. Er frage sich, was das für ein zukünftiger Bundeskanzler sei, dessen Existenz von einer möglichen Aussage eines Waffenhändlers abhänge.

In seiner Stellungnahme führte Außenminister Dr. SCHÜSSEL aus, dass der gleiche Peter Pilz, der heute einen dringlichen Antrag über die Bewahrung der Neutralität vorgelegt hat, sich am 1. August 1992 für ein militärisches Eingreifen von außen im Bosnienkonflikt ausgesprochen habe.

Was das europäische Engagement betreffe, so sei es seiner Ansicht nach selbstverständlich, dass sich die 15 EU-Mitgliedstaaten neben einem gemeinsamen Wirtschaftraum oder einer gemeinsamen Währung auch dazu verpflichten wollen, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu machen, wobei am Ende der Entwicklung eine wechselseitige Beistandsgarantie stehen solle. Dies bedeute dann natürlich, dass in einem EU-Zusammenhang Neutralität nicht mehr möglich sei. Zusätzlich sollte ein Friedensgebot verankert werden, „da ein Land wie Österreich besonders die Stimme der Konfliktvermeidung, der Konfliktverhütung und der Friedenssicherung erheben sollte“.

Hinsichtlich gegen der ihn erhobenen Vorwürfe führte Schüssel aus, dass der Abgeordnete Pilz seit Monaten die falsche Behauptung aufstelle, er habe als Wirtschaftsminister im Jahr 1994 bei der Beschaffung einer Radaranlage für das österreichische Bundesheer die Gesetze gebrochen und sei von deutschen bzw. kanadischen Waffenhändlern bestochen worden. Wahr sei vielmehr, dass für den Ankauf der militärischen Anlage das Verteidigungsministerium, das - aufgrund des hohen technischen Standards der Produkte - von Anfang an die französische Firma präferiert habe, zuständig war. Die Aufgabe des Wirtschaftsministers war es lediglich, das bestmögliche Gegengeschäftsangebot herauszuholen. Er sei stolz darauf, dass es ihm gelungen sei, durch harte, zähe Verhandlungen ein Gegengeschäftsvolumen von 270 % zu erreichen. Pilz solle, falls er einen Beweis habe, seine Fakten vorlegen, aber nicht unter dem Schutz der Immunität immer wieder Verdächtigungen ausstossen, die nie bewiesen worden sind.

Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) warf der Bundesregierung die schleichende Aushöhlung der Neutralität vor. Diese Entwicklung  habe bereits im Jahr 1990 begonnen, als die Bestimmungen über die Ein-, Aus-, und Durchfuhr von Kriegsmaterial gelockert wurden, und gehe hin bis zur Nato-Partnerschaft. Sie brachte daher einen G-Entschließungsantrag ein, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, in Vorbereitung der gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik der EU jede weitere Aushöhlung der Neutralität ohne Durchführung des versprochenen Volksentscheides zu unterlassen und das Ergebnis einer ehestmöglich durchgeführten Volksbefragung abzuwarten.

Die Sozialdemokraten haben seit Jahrzehnten immer eine sehr klare Haltung in der Frage der Neutralität eingenommen, unterstrich Abgeordneter Dr. KOSTELKA (SP). Die SPÖ stehe hinter dem Neutralitätsgesetz und er könne daher jedem Vertreter Österreichs nur raten, sich daran zu halten. Seine Fraktion werde keinem Vertrag zustimmen, der eine Beeinträchtigung der österreichischen Neutralität mit sich bringe. Die Position der SPÖ finde sich auch im Schlusspapier des EU-Gipfels von Köln, nämlich dass eine effektiven EU-geführten Krisenbewältigung entwickelt werden soll, in deren Rahmen sich sowohl der Nato angehörende als auch neutrale und bündnisfreie Mitgliedstaaten im vollen Umfang und gleichberechtigt beteiligen können.

Abgeordneter SCHEIBNER (F) erinnerte daran, dass sich Österreich zu einer Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz bekannt habe. Wenn man sich jedoch die Geschichte anschaue, dann müsse man feststellen, dass sich Österreich keinen Moment an diese Bedingungen gehalten habe. Heute müsse man endlich zur Kenntnis nehmen, dass mit dem Zerfall des Warschauer Paktes eine andere Situation eingetreten sei und die Neutralität nicht als Selbstzweck angesehen werden könne. Die FPÖ plädiere daher dafür, offen und ehrlich über die Sicherheitspolitik zu diskutieren und die Bevölkerung in der Frage der Übernahme einer Beistandsgarantie einzubinden.

Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (VP) ortete im Antrag der Grünen Sehnsucht nach der "guten alten Zeit" der siebziger und achtziger Jahre und Österreichs Vermittlerrolle im Kalten Krieg. Heute gehe es aber um Solidarität und nicht um eine Wiederbelebung der Neutralitätspolitik anno 1955, betonte er. Spindelegger trat für die Weiterentwicklung der Neutralitätspolitik weg von der Neutralität des Kalten Krieges und hin zu einer neuen Neutralität ein, die sich auf die grössere Gemeinschaft der EU übertragen lässt. Er verlangte eine Öffnung Österreichs für ein europäisches Sicherheitssystem auf Basis von Solidarität und Integration.

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) sprach sich für eine Neudefinition der Neutralität unter dem Aspekt der Konfliktverhütung aus und forderte eine Volksbefragung über dieses Thema.

Abgeordneter SCHIEDER (SP) wandte sich dagegen, die Gültigkeit des Neutralitätsgesetzes durch Volksabstimmung feststellen zu lassen, und sah darin einen gefährlichen Präzedenzfall. Eine Volksabstimmung solle dann Platz greifen, wenn Änderungen beabsichtigt sind und im Parlament beschlossen wurden, meinte er. Schieder plädierte für die Entwicklung eines Sicherheitssystems innerhalb der EU durch EU-Recht und nicht durch einen Militärpakt.

Abgeordneter Mag. JUNG (FP) bezeichnete die Forderung der Grünen nach defensivem Gewalteinsatz als lächerlich und zeigte sich verwundert über die Aversion der SPÖ gegen eine gemeinsame Verteidigung. Die FPÖ sei gegen eine Volksabstimmung so rasch wie möglich, zuerst müsse die Bevölkerung ausreichend informiert werden, betonte Jung.

Abgeordneter PLATTER (VP) bemerkte, man solle die Neutralität nicht aus den Herzen der Österreicher herausreissen. Die Pflicht der Regierung sei es, die Bevölkerung über jene Mittel zu informieren, durch die ein höchstes Mass an Sicherheit und Frieden gewährleistet wird. Dabei gehe es vor allem darum, die Fakten auf den Tisch zu legen, auf die  Veränderungen hinzuweisen und die Bürger von der Notwendigkeit einer europäischen Solidarität zur Friedenssicherung zu überzeugen.

Abgeordnete JÄGER (SP) meinte, Österreich könnte gerade durch  seine Erfahrungen als neutrales Land einen wichtigen Beitrag in der Konfliktprävention leisten. Die Schwerpunkte sollten deshalb nicht in einer weiteren Militarisierung, sondern vielmehr in Bestrebungen zur Krisenvermeidung gesetzt werden. Jäger warf FPÖ und ÖVP vor, bloss einen NATO-Beitritt anzustreben.

Abgeordneter Dr. BÖSCH (FP) forderte in einem Entschliessungsantrag die Bundesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass Österreich an der Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungsstruktur aktiv und voll berechtigt mitwirken kann. Er appellierte ferner an die Bundesregierung, sich für die Aufnahme einer Beistandsgarantie für die Mitgliedsstaaten in den EU-Vertrag einzusetzen. Weiterer Punkt seiner Initiative war die Einbeziehung der Bevölkerung in die diesbezüglichen Entscheidungsprozesse.

Abgeordneter Dipl.Ing. SCHÖGGL (FP) bekräftigte abermals den Standpunkt seiner Fraktion und forderte bessere Information der Bevölkerung. Polemisieren und emotionalisieren hätten in Sicherheitsfragen keinen Sinn, meinte er.

Abgeordneter Ing. GRAF (FP) setzte sich in seiner Wortmeldung kritisch mit der Haltung der Grünen zum Bundesheer auseinander.

Während sonst niemand in der EU auf die Beistandspflicht setze, sondern andere Konzepte verfolge, trete der Außenminister des neutralen Österreich für eine Beistandsverpflichtung ein, kritisierte Abg. Dr. PILZ (G). Er verglich die SP mit einem Schneidbrett und die Neutralität mit einer Salami, von der Scheibe um Scheibe abgeschnitten werde; die SP werde so zu einer "neutralitätspolitischen Wurstzipfelpartei", konstatierte Pilz und warnte vor der finanziellen Belastung durch einen Nato-Beitritt. Allein die Beschaffung von zwei Staffeln neuer Abfangjäger würde eine Belastung von 15 bis 20 Mrd. S bringen, meinte Pilz.

VP-Abg. Dr. Zernatto kündigte als letzter Redner in der Debatte über den Dringlichen Antrag an, seine Fraktion werde den Anträgen der Grünen und der F nicht beitreten und appellierte an die Fraktionen, in der Außen- und Sicherheitspolitik einen gemeinsamen Weg zu suchen. Ein Land wie Österreich könne Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit nur dann für sich beanspruchen, wenn Kontinuität sichergestellt sei. Man solle nicht versuchen, den Eindruck zu erwecken, Neutralität allein bedeute schon Sicherheit. Der Kärntner Zernatto erinnerte in diesem Zusammenhang an den Einsatz des Bundesheeres im Jahr 1991 an der Grenze zu Slowenien, durch den der Bevölkerung ein Gefühl der Sicherheit gegeben worden sei.

In der Abstimmung blieben sowohl die Anträge der Grünen wie der Antrag der Freiheitlichen in der Minderheit. (Schluss)