Parlamentskorrespondenz Nr. 46 vom 03.02.2000

HEARING IM FAMILIENAUSSCHUSS ZUM FAMILIEN-VOLKSBEGEHREN

Wien (PK) - Mit einem öffentlichen Hearing starteten heute die parlamentarischen Beratungen über das vom Österreichischen Familienbund initiierte Familien-Volksbegehren. Die Experten beurteilten die Hauptforderung "Karenzgeld für alle" dabei unterschiedlich. Während die Ausweitung des Anspruches auf Karenzgeld etwa von Helmuth Schattovits vom Österreichischen Institut für Familienforschung eindeutig befürwortet wurde, qualifizierte Ingrid Moritz von der Arbeiterkammer Wien es als "sozial unfair und zynisch", Karenzgeld unabhängig von geleisteten Beitragszahlungen und sozialer Bedürftigkeit auszuzahlen.

Wirtschaftsforscher Alois Guger warnte vor den Kosten des geplanten neuen Familienpaketes und wertete es als Illusion zu glauben, dass durch zusätzliche Geldleistungen die Geburtenrate erhöht werden kann. Einig waren sich die meisten Experten dahin gehend, dass Maßnahmen zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie notwendig seien. Barbara Moser von der Familienakademie Oberes Drautal urgierte eine verstärkte Anerkennung der Familienarbeit und einen "marktfähigen Begriff" für den Managementberuf Hausfrau bzw. Hausmann.

Zu Beginn der Sitzung des Familienausschusses war ein Antrag der Abgeordneten Doris Bures (SP) und Madeleine Petrovic (G) auf Abhaltung einer aktuellen Aussprache über die geplanten familienpolitischen Vorhaben von ÖVP und FPÖ von der Mehrheit des Ausschusses abgelehnt worden. Die beiden Parteien verweigerten auch die Vorlage des ausverhandelten Koalitionsabkommens an alle Ausschussmitglieder.

Als erster Redner des Hearings nahm der Sprecher des Familien-Volksbegehrens, Mag. Otto GUMPINGER, zu den einzelnen Forderungen des Volksbegehrens Stellung. Neben "Karenzgeld für alle" sind das: Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Sekten und vor Gewalt in den Medien, Auszahlung von Kinderbetreuungsgeld, Schülerfreifahrt auch für Schüler und Lehrlinge in Internaten, voller Kostenersatz für Zahnspangen.

Gumpinger machte geltend, dass Österreich "auf die totale Vergreisung" hinsteuere, nur eine gerechtere Behandlung der Familien würde die Chance bieten, diesen Trend zu ändern. Er erachtet es etwa für sozial höchst ungerecht, dass 10 % der Mütter und Väter kein Karenzgeld erhalten. Da es sich ihm zufolge bei dieser Gruppe ohnehin um die sozial Schwächsten der Gesellschaft handelt, wäre auch die Einführung einer Einkommensgrenze nicht erforderlich. Gumpinger sprach sich weiter dafür aus, das Karenzgeld in Kinderbetreuungsgeld umzubenennen und in den ersten drei Lebensjahren des Kindes auszuzahlen. In Bezug auf die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf schlug er vor, durch Senkung von Lohnnebenkosten Anreize für die Wirtschaft zu schaffen, vermehrt Teilzeitarbeitsplätze anzubieten.

Gegen Gewalt in den Medien will Gumpinger mittels einer europäischen Konvention vorgehen, die für alle Fernsehsender gewisse Grenzen definieren und einheitliche Kennzeichnungen vorsehen soll. Die Forderung nach vollem Kostenersatz für Zahnspangen begründete er damit, dass diese gerade für kinderreiche Familien eine ganz große Belastung darstellten. Ungerecht ist es seiner Auffassung nach außerdem, dass Schüler, die täglich zur Schule fahren, die öffentlichen Verkehrsmittel gratis benutzen könnten, während Internatsschüler die Fahrten zu zahlen hätten.

Die Soziologin Mag. Katharina NOVY mahnte, man dürfe bei der gegenständlichen Diskussion nicht vom Familienbild des 19. Jahrhunderts und "vom Mythos der natürlichen Mutterliebe" ausgehen. Heute wisse man, wie wichtig es wäre, wenn Kinder mit ihren Vätern auch im Alltag zu tun hätten und nicht nur in der Freizeit. Die Einführung von einkommensabhängigem Karenzgeld könnte ihrer Meinung nach ein Schritt dazu sein, dass mehr Väter Karenz in Anspruch nähmen.

Als weiteren wichtigen Punkt nannte Novy die gerechte Aufteilung von Erwerbsarbeit und häuslicher Arbeit auf beide Geschlechter. In diesem Sinn plädierte sie für einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit und Teilzeitkarenz sowie für eine Ausdehnung der Behaltefrist nach der Karenz auf 26 Wochen.

Dr. Helmuth SCHATTOVITS vom Österreichischen Institut für Familienforschung appellierte an die Abgeordneten, die Forderung nach "Karenzgeld für alle" aufzugreifen. Er wies darauf hin, dass sich die familienpolitischen Ansätze derzeit auf das Versicherungsprinzip und das Fürsorgeprinzip beschränkten, eine Ausweitung auf das Prinzip des Leistungsausgleichs wäre erforderlich. Kinderbetreuung müsste als gesellschaftliche Leistung, die nicht durch den Markt abgedeckt wird, abgegolten werden. Ähnliches gebe es, so Schattovits, bereits in der Landwirtschaft. Er sieht ein Unterstützungsdefizit der Zwei- bis Vierjährigen in der Höhe von neun bis zehn Mrd. S.

Universitätsprofessor Dr. Wolfgang MAZAL, Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien, ortet eine sinkende Bereitschaft in der Gesellschaft, sich Kindern und der Familie zu widmen. Er glaubt, dass mehrere Maßnahmen notwendig sind, um dieser Tendenz gegenzusteuern. So regte er etwa an, die soziale Abhängigkeit von Frauen, die Kinder betreuen, durch eine eigenständige Pensionssicherung zu verringern. 

Was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie betrifft, müssten Mazal zufolge im Bereich des Arbeitsrechts Schritte gesetzt werden. Das Recht auf Teilzeitbeschäftigung für Eltern sei prinzipiell vorhanden, erklärte er, die damit verbundenen Mechanismen und Verfahren seien aber unzumutbar. Der Experte will keine einseitige Lösung zu Lasten der Wirtschaft, kann sich aber eine Art "Zwangsschlichtungsverfahren" vorstellen, wenn der Betrieb einer Teilzeitbeschäftigung nicht zustimmt.

Barbara MOSER, Vertreterin der Familienakademie Oberes Drautal, führte aus, man schulde Kindern und Familien in Österreich bereits Millionen und Milliarden. "Wir müssen mehr in Humanvermögen investieren", sagte sie, Familien würden unverzichtbare Leistungen anbieten.

Moser forderte insbesondere eine verstärkte Anerkennung der Familienarbeit. Familie müsse als Managementschule gesehen und Familienarbeit als so genannte Schlüsselkompetenz bewertet werden. In diesem Sinn gelte es eine marktfähige Berufsbezeichnung für Hausfrau und Hausmann zu finden. In Richtung der Abgeordneten stellte sie die Frage: "Wollen wir Frauen unser Leben nur noch auf Erwerbsarbeit ausrichten?"

Dr. Herbert VONACH vom Freiheitlichen Familienverband machte darauf aufmerksam, dass es zwischen 1985 und 1994 in Österreich eine annähernd konstante Geburtenrate gegeben habe. Nach 1994 sei sie kontinuierlich gesunken. Vonach führt dies auf die beiden Sparpakete zurück, die insbesondere Familien mit Kindern unter drei Jahren getroffen hätten.

Die Österreicher und Österreicherinnen wünschten sich im Durchschnitt zwei Kinder, erklärte Vonach, tatsächlich liege die Geburtenrate aber bei 1,32. Es gehe bei der Familienförderung also nicht darum, die Österreicher dazu zu bringen, mehr Kinder zu wollen, sondern entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sie jene Kinder bekommen können, die sie sich wünschen. Was die Forderung "Karenzgeld für alle" betrifft, meinte Vonach, derzeit würden 10% der Betroffenen mit unverhältnismäßig hohem Verwaltungsaufwand vom Bezug ausgeschlossen.

Mag. Ingrid MORITZ von der Arbeiterkammer Wien gab zu bedenken, dass Karenzgeld von Anfang an eine Leistung gewesen sei, die sich an Erwerbsarbeit orientiert habe. Es werde auch zur Gänze aus lohnbezogenen Abgaben finanziert. Für Mütter in Ausbildung bzw. für Hausfrauen gebe es in mehreren Bundesländern Ersatzleistungen, die je nach Bedürftigkeit gewährt würden.

Durch die massiven Einsparungen in den letzten Jahren hätten KarenzgeldbezieherInnen um ein Viertel weniger bekommen, unterstrich Moritz. Die Höhe des Karenzgeldes sei in keiner Weise mehr existenzsichernd und auch ein Hemmnis für die partnerschaftliche Teilung der Karenz. In erster Linie sieht die Expertin daher die Notwendigkeit, das Karenzgeld anzuheben. Karenzgeld unabhängig von geleisteten Beitragszahlungen und sozialer Bedürftigkeit auszuzahlen, wäre ihrer Ansicht nach "sozial unfair und zynisch".  Wollte man das Karenzgeld durch ein Kinderbetreuungsgeld ersetzen, müsste das aus öffentlichen Steuermitteln finanziert werden und nicht aus lohnabhängigen Abgaben, aus denen der Familienlastenausgleichsfonds gespeist werde. Die finanziellen Mittel, die notwendig sind, um "Karenzgeld für alle " zu finanzieren, würde Moritz zum Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen verwenden.

Wirtschaftsexperte Mag. Alois GUGER nahm zur Familienförderung aus Sicht der Staatsfinanzen Stellung und machte darauf aufmerksam, dass die von ÖVP und FPÖ geplanten Vorhaben weitere sechs bis sieben Mrd. S kosten würden. Dies würde zu einem gewaltigen Defizit im Familienlastenausgleichsfonds führen, warnte er. Zugleich werde es durch die vorgesehenen zusätzlichen Pensionsanwartschaften bei verhältnismäßig geringen Beiträgen zu weiteren Finanzierungslücken im Pensionssystem kommen.

Guger zufolge ist es eine Illusion zu glauben, dass durch zusätzliche Geldleistungen die Geburtenrate erhöht werden kann, vielmehr wären Maßnahmen zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie erforderlich. Auch für die Finanzierung des Pensionssystems wäre es wichtig, wenn die Erwerbsbeteiligung der Frauen steigen würde. Im internationalen Vergleich gibt Österreich laut Guger zwar sehr viel Geld für Familien aus, stellt aber relativ wenige Dienstleistungen zur Verfügung. Als klare Gewinner der Familienförderung bezeichnete er Haushalte von Selbständigen, da diese nur über den allgemeinen Steuertopf Einzahlungen leisten würden. (Fortsetzung)