Parlamentskorrespondenz Nr. 47 vom 03.02.2000

KARENZGELD BLEIBT STREITPUNKT IN DER FAMILIENPOLITIK

Wien (PK) - Im Anschluss an das Expertenhearing nahmen die Abgeordneten im Familienausschuss des Nationalrats zum Familienvolksbegehren Stellung, wobei die bereits bekannten Punkte des Familienpakets von FPÖ und ÖVP im Mittelpunkt standen.  

Abgeordnete STEIBL (VP) bat Mag. Novy um Erläuterung ihrer Feststellung, dass wir uns mit der derzeitigen Familienpolitik in Richtung des 19. Jahrhunderts bewegen. Sie könne nicht nachvollziehen, warum das Karenzgeld für alle sozial ungerecht sei. Zentrale Frage der zukünftigen familienpolitischen Maßnahmen sei die freie Entscheidung, nach welchem Familienbild man leben wolle.

Abgeordnete Dr. MERTEL (SP) hielt dem entgegen, dass das Karenzgeld für alle weder gerecht noch frauenfreundlich sei. Selbstverständlich hebe Bargeld die Kaufkraft, es wirke aber nicht langfristig. Bei Geldleistungen müsse immer die Fragen nach Nachhaltigkeit und Verteilungsgerechtigkeit gestellt werden. Nach einer neuesten Umfrage unter Frauen wollen 85 % Familie und Beruf vereinbaren und dazu bedürfe es Kinderbetreuungsplätze, Wiedereinstiegshilfen und Teilzeitbeschäftigung. Sie kritisierte, dass der Familienlastenausgleichsfonds in Zukunft Milliarden für falsche Zwecke ausgeben werde. Österreich könne ohnehin in Bezug auf finanzielle Zuwendungen ein hohes Niveau aufweisen, bei Dienstleistungen sei aber ein Nachholbedarf gegeben. Sie hielt es vor allem für notwendig, etwas für AlleinerzieherInnen zu tun.

Abgeordneter Mag. TANCSITS (VP) stellte ebenfalls die Wichtigkeit freier Entscheidungsmöglichkeiten in den Vordergrund seiner Wortmeldung. Hinsichtlich des Familienpakets 2000 fragte er nach den konjunkturellen Auswirkungen. Er wollte von den Experten auch Antwort darauf, wie sie zur Wiedereinführung des zweiten Karenzjahres stehen.

„In einem Wechselbad der Gefühle“ sah Abgeordnete HALLER (F) die Familienpolitik der letzten Jahre. Durchschnittlich hätten die Familien seit 1993 weniger Geld in der Tasche und durch die jetzige Reform sei erst der Stand von 1992 wieder erreicht worden, stellte die Abgeordnete fest. Ziel jeder künftigen Maßnahme müsse die Verbesserung der Situation der Eltern von Kleinkindern sein. Der Kinderbetreuungsscheck leiste dazu einen wichtigen Beitrag und bringe mehr Selbstbestimmung und Wahlfreiheit. Abgeordnete Haller sprach sich für mehr präventive und nicht nur kurative Maßnahmen aus.

Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) wies darauf hin, dass es Länder mit erheblich höherer Kinderquote und gleichzeitig erheblich höherer Frauenerwerbsquote gebe. Internationale Vergleiche zeigten, dass die Wünsche in erster Linie mit den realen Gegebenheiten zusammenhängen. In Österreich werde jedoch viel Geld ausgegeben, ohne die Probleme zu lösen. Es müsse vor allem in der Sozialgesetzgebung angesetzt werden, um die Eigenständigkeit der Frauen zu gewährleisten. Die Frage der Arbeitszeitverkürzung habe, so Dr. Petrovic, hohe Priorität. Sie ersuchte die Experten, zum geplanten 20 %igen Selbstbehalt bei Gesundheitsleistungen Stellung zu nehmen und wollte auch wissen, ob daran gedacht sei, die Leitlinie 19 im Rahmen der EU, welche klare Vorgaben zur Erhöhung der Erwerbsquote der Frauen enthält, zu befolgen.

Abgeordnete Mag. KUNTZL (SP) sah die Wirkungen im Karenzgeld für alle darin, dass weniger als 10.000 davon profitieren, dass ein breiterer Personenkreis eine längere Karenzzeit in Anspruch nehmen könne, die Rückkehr in den Beruf dadurch aber erschwert werde. Ihr  fehlen in der FP-VP Vereinbarung Mittelerhöhungen für Wiedereinstiegsmaßnahmen. Es sei unverhältnismäßig, dass 8 Milliarden Schilling in Hinkunft für Fördermaßnahmen ausgegeben werden, die sich auf den kurzen Zeitraum der Kleinkindphase konzentrieren, womit für längerfristige Vorhaben Ressourcen fehlen. Auch sie stellte etwaige positive Auswirkungen der FP-VP-Familienpolitik auf die Entwicklung der Geburtenrate und der Frauenerwerbstätigkeit in Abrede. Das Karenzgeld für alle entspreche nicht dem Ziel der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, bemerkte die Abgeordnete abschließend.

Abgeordneter DOLINSCHEK (F) unterstrich, dass er alle Punkte des Familienvolksbegehrens unterstütze. Er räumte ein, dass auf dem Dienstleistungssektor zu wenig vorhanden sei, das Kinderbetreuungsgeld aber jene Grundlage bilde, welche Eltern eine freie Entscheidungsmöglichkeit bietet. Er sprach sich für eine stärkere Einbeziehung der Väter in der Kinderbetreuung aus. Der Hebel dafür müsse aber beim Einkommen der Frauen angesetzt werden, da selbstverständlich nur derjenige in Karenz gehe, der weniger verdient.

Abgeordnete BINDER (SP) nannte als zentrale Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie die Verteilung der Versorgungsarbeit zwischen Männern und Frauen, weiters den Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen, und forderte schließlich auch die Flexibilität der Wirtschaft ein. Sie hob insbesondere die Bedeutung der Betreuungseinrichtungen für Kinder als Bildungsstätten hervor und stellte die Frage nach einem einheitlichen Bundesrahmengesetz in den Raum, um notwendige Qualitätsstandards zu gewährleisten. Die Mandatarin wollte auch wissen, ob die Länder ihre Sozialleistungen bei Einführung des Karenzgeldes für alle aufrechterhalten werden.

Abgeordneter BROSZ (G) warf ein, dass beim derzeitigen Karenzgeld der Ersatzcharakter im Vordergrund stehe. Ein Karenzgeld für alle könne nicht mit dem Grundsicherungsmodell verglichen werden. Außerdem vermisse er beim FP-VP-Pakt Vorhaben, die auch die Wirtschaft verpflichten, etwa einen verbesserten Kündigungsschutz. Er bezweifelte auch, dass die Männer in Hinkunft das Karenzjahr nützen würden, da sie bis jetzt das halbe Jahr auch nicht in Anspruch genommen hätten. Der Abgeordnete bat um Informationen hinsichtlich der Zahl der von den geplanten Einschränkungen betroffenen Ausländer.

Abgeordnete ZIERLER (F) betonte, dass Hausfrauen und Mütter nicht diskriminiert werden dürfen, ihr Stellenwert müsse erhöht werden. In einer Reaktion auf die Vorsitzende Dr. Mertel zeigte sie sich verwundert darüber, was an der Steigerung der Kaufkraft, wie es das Pilotprojekt in Kärnten bewirkt habe, schlecht sei.

Abgeordneter ELLMAUER (VP) wollte von Mag. Moritz wissen, weshalb für sie das Karenzgeld für alle „unfair und zynisch“ sei. Geburten könnten selbstverständlich nicht mit Geld erhöht werden, so der Abgeordnete, es könnten dadurch aber Ungerechtigkeiten ausgeglichen werden. Er lobte auch das von Bundesminister Bartenstein eingeführte Audit, womit Unternehmen geholfen wird, nachhaltige Maßnahmen zur Vereinbarung von Beruf und Familie zu setzen.

Die Flexibilität für Familien seitens der Unternehmer gebe es leider nicht, bedauerte Abgeordneter REHEIS (SP). Wünschenswert wäre es, wenn bei Notwendigkeit Betreuungspersonen nach Hause gehen könnten. Auch er hielt die Anhebung der Einkommen von Frauen im Interesse der Chancengleichheit bei Inanspruchnahme von Karenzzeit für notwendig. Hinsichtlich der Bekämpfung von Sekten kritisierte er, dass Organisationen innerhalb anerkannter Kirchen von der Beobachtung ausgenommen seien.

Von den Experten nahm zunächst Mag. GUMPINGER zu den aufgeworfenen Fragen Stellung. Es wäre seiner Meinung nach ein Anreiz, wenn man auch während der Karenzzeit einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen könnte, weil dann der Einkommensverlust geringer ausfiele. Zum Selbstbehalt bei Gesundheitsleistungen wollte er generell nichts sagen. Bei der Bewertung der Geldleistungen, die sicherlich hoch seien, müsse man aber bedenken, was den Familien vorher an Abgaben weggenommen worden sei. Er führte das Beispiel BRD an, wo es ein Splitting des Familieneinkommens gebe, oder Großbritannien, wo auf Kinderbekleidung eine geringere Mehrwertsteuerbelastung liege. Zu den Auswirkungen auf die Geburtenrate berief sich Mag. Gumpinger auf eine Studie der Akademie der Wissenschaften, wonach das erste Kind eine Grundsatzentscheidung sei, bei Entschluss für jedes weitere Kind jedoch die Rahmenbedingungen im Vordergrund stünden. Zu den Auswirkungen auf Länderebene meinte er, dass man den Familien sicherlich nichts wegnehmen, aber die Gelder anderen Familienfördermaßnahmen zukommen lassen werde.

Mag. NOVY beschrieb das Familienbild des 19. Jahrhunderts mit der strikten Trennung von Familie als Sphäre der Kinder und Frauen und Erwerbsleben als Sphäre der Männer. Das moderne Familienbild gehe davon aus, dass jede Person beides tun könne. Sie hielt eine generelle Arbeitszeitverkürzung für erforderlich und bezeichnete die Situation der Karenz als einen Rückschritt in der Partnerschaft, weil es auch hier wieder eine Aufteilung nach dem Muster des 19. Jahrhunderts gebe. Die Einbeziehung der Väter in Haushalt und Betreuungstätigkeit könne nur durch eine einkommensabhängige Karenz, durch eine generelle Arbeitszeitverkürzung, durch Rechtsanspruch auf Teilkarenz und Recht auf Teilzeitarbeit erreicht werden. 

Dr. SCHATTOVITS differenzierte, dass nicht der Kinderwunsch vom Geld beeinflusst werde, sondern die Umsetzung des Wunsches. Das derzeitige Karenzgeld habe den Charakter einer Ausstiegsprämie, wobei durch das Kinderbetreuungsgeld diese Schranke wegfalle, weil es nicht den Ausstieg aus dem Erwerb erzwinge. Auf die Frage, woraus er diese Feststellung entnehme, antwortete der Experte, dass er sich dabei auf die Machbarkeitsstudie des Familienministeriums beziehe. Er zitierte auch den neuesten Sozialbericht, in dem festgestellt wird, dass Österreich bei der Erwerbstätigkeit von Frauen mit Kindern im Spitzenfeld liege. Außer in Wien und Kärnten besuchen über 90 % der Kinder Betreuungseinrichtungen. Bei Kindern unter 6 Jahren würden für Geld- und Dienstleistungen jeweils gleichmäßig 10 bis 12 Milliarden ausgegeben, erst bei den über 6jährigen dominieren die Sachleistungen.

Univ.-Prof. Dr. MAZAL hob hervor, dass es im Arbeitsleben und im Arbeitsrecht eine Interessenabwägung gebe. Bei der Wiedereinstiegshilfe müssten daher verfahrenstechnische Vorkehrungen getroffen werden. Wichtig wäre eine Individualisierung des Sozialrechts.

Dr. VONACH räumte ein, dass Geld allein keine Steigerung der Geburtenrate bewirken könne, vielmehr gehe es auch um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Bessere Vereinbarkeit heiße für viele Frauen aber, eine gewisse Zeit zu Hause bleiben zu können und erst später wieder in den Beruf zurückzukehren, für diese Zeit benötigten sie Kinderbetreuungsgeld.

Mag. MORITZ bekräftigte nochmals, dass ihrer Ansicht nach "Karenzgeld für alle" nichts mit mehr sozialer Gerechtigkeit zu tun habe, da davon auch nichtbedürftige Familien profitieren würden. Grundsätzlich positiv äußerte sie sich dem gegenüber zur geplanten Ausweitung des Karenzgeldanspruches auf zwei Jahre. Den vorgesehenen Pensionsbeitrag für KarenzgeldbezieherInnen in der Höhe von 250 S erachtet sie als nicht ausreichend; um eine entsprechende Bedeckung in der Pensionsversicherung zu erreichen wären ihr zufolge 1.368 S erforderlich.

Mag. GUGER trat dafür ein, beim Thema Familie grundsätzlich "vom Subsidariätsprinzip auszugehen". Demnach sollen die Eltern die erste Verantwortung für die Kinder haben und dann sollte erst der Staat kommen. In Richtung ÖVP betonte Guger, "Karenzgeld für alle" werde sicher armutsenkend sein. Man sollte sich aber einen Beitrag der Selbstständigen zur Familienförderung überlegen.

Familienminister Dr. BARTENSTEIN informierte die Abgeordneten über die im Abkommen zwischen ÖVP und FPÖ vereinbarten familienpolitischen Vorhaben. Demnach ist geplant, die Forderung des Familien-Volksbegehrens "Karenzgeld für alle" umzusetzen, wobei das Karenzgeld 6.250 S brutto bzw. 6.000 S netto betragen soll. 250 S werden als Pensionsbeitrag abgezogen. Die Einführung einer Einkommensobergrenze, wie sie zunächst mit der SPÖ ausverhandelt worden war, hält der Minister für nicht administrierbar. Die Kosten für die Ausweitung und Erhöhung des Karenzgeldes betragen ihm zufolge rund 1,7 Milliarden Schilling.

Weiters vorgesehen ist nach Auskunft Bartensteins die Ausdehnung des Karenzgeldanspruches auf 24 Monate plus 12 Monate für Väter. Das Karenzgeld soll in ein Kinderbetreuungsgeld umgewandelt und vollständig aus dem Familienlastenausgleichsfonds finanziert werden. Zuverdienstmöglichkeiten werden durch eine Jahresdurchrechnung erleichtert, wobei die Zuverdienstgrenze noch nicht genau definiert ist. Laut Minister gilt es "Mitnahmeeffekte" zu vermeiden, es solle nicht so sein, dass die Betroffenen Karenzgeld erhalten und gleichzeitig normal weiterarbeiteten. Die Anspruchsvoraussetzungen auf Karenzgeld werden analog zur Familienbeihilfe gestaltet. Finanziert werden sollen diese Vorhaben durch die erwarteten Überschüsse des Flaf, Bartenstein rechnet mit einem Guthaben von 7 Mrd. S im Jahr 2003. Sollten zusätzliche Mittel vorhanden sein, wird man eine weitere Ausdehnung des Kinderbetreuungsgeldes überlegen.

Darüber hinaus vereinbart sind, so der Minister, eine Ausweitung der Schüler- und Lehrlingsfreifahrt (Kostenpunkt 400 bis 500 Mill. S) und eine Verankerung der Familie in der Verfassung. Über einen vollen Kostenersatz für Zahnspangen findet sich nichts im Abkommen.

Der weitere Zeitplan für die parlamentarische Beratung des Familien-Volksbegehrens wurde bereits im Dezember festgelegt. Die Abgeordneten werden die einzelnen Forderungen zunächst in vier Unterausschusssitzungen diskutieren. Für diesen Unterausschuss nominierten die Parteien folgende Abgeordnete: Dr. Ilse Mertel, Gabriele Binder, Heidrun Silhavy, Mag. Andrea Kuntzl, Gerhard Reheis (alle SP), Theresia Zierler, Edith Haller, Sigisbert Dolinschek, Rüdiger Schender (alle FPÖ), Ridi Steibl, Rosemarie Bauer, Matthias Ellmauer, Nikolaus Prinz (alle VP) und Karl Öllinger (G). Zur Vorsitzenden des Unterausschusses wurde heute SP-Familiensprecherin Ilse Mertel gewählt.

Die Behandlung der Materie im Plenum des Nationalrates ist für Mitte April in Aussicht genommen, zuvor wird es noch eine Sitzung des Familienausschusses geben. Das Familien-Volksbegehren lag Mitte September vergangenen Jahres zur Unterzeichnung auf und wurde von insgesamt 183.154 ÖsterreicherInnen unterstützt. Das entspricht einem Stimmenanteil von 3,17 % der Stimmberechtigten. (Schluss)