Parlamentskorrespondenz Nr. 212 vom 25.04.2000
MENSCHENRECHTSAUSSCHUSS DISKUTIERT AKTUELLE FRAGEN
Wien (PK) - Der Menschenrechtsausschuss des Nationalrats hat in seiner heutigen Sitzung neuerlich keine Einigung über die Anträge der vier Fraktionen zum Thema Toleranz erzielt. Die Regierungsfraktionen legten keinen gemeinsamen Entwurf vor, der Versuch der Oppositionsvertreter, den ÖVP-Antrag zur Abstimmung zu bringen, scheiterte. Der Antrag des Abgeordneten ELLMAUER (V) auf Vertagung der vier Anträge wurde mit den Stimmen der Regierungsfraktionen angenommen. Außerdem nahm der Ausschuss den in der Sitzung am 16.3.2000 vertagten S-Antrag 104/A(E) wieder auf, durch den die Bundesregierung dazu aufgefordert werden soll, in bilateralen Gesprächen mit betreffenden Staaten auf die Aufhebung der Todesstrafe hinzuwirken. Der Antrag wurde einhellig angenommen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung stellte die Grün-Abgeordnete Mag. LUNACEK den Antrag, den Antrag ihrer Fraktion auf Anerkennung des Massakers an den Armeniern als Völkermord auf die Tagesordnung zu setzen. V-Abg. ELLMAUER wies darauf hin, dass Armenien die Aufnahme in den Europarat gestellt habe, eine Äußerung wie die mit dem Antrag beabsichtigte aber diese Bemühungen konterkarieren würde - eine Sichtweise, denen sich Mag. POSCH (S) nicht anschließen konnte. Der Antrag blieb mit den Stimmen der Opposition in der Minderheit.
AKTUELLE FRAGEN: ZIVILDIENST, VOLKSGRUPPEN
Erster Punkt der Tagesordnung war eine Aussprache über aktuelle Fragen aus dem Arbeitsbereich des Ausschusses, zu der Ausschuss-Obfrau Mag. STOISITS Staatssekretär MORAK (Bundeskanzleramt) begrüßte. Zwei Themen beherrschten die Diskussion: die Änderungen beim Zivildienst und die geplante Aufnahme einer Staatszielbestimmung im Zusammenhang mit den Volksgruppen in die Verfassung. Zunächst aber gab es einen kurzen Disput über den aktuellen Stand in der Entschädigungsfrage für Zwangsarbeiter während der NS-Zeit. Vorsitzende Stoisits wies auf die geplante Informationsveranstaltung im Parlament am 2. Mai hin, zu der nicht nur die Fraktionen, sondern auch Vertreter der Wirtschaft eingeladen seien. Ziel der Veranstaltung sei ein Initiativantrag auf Einrichtung eines Fonds.
Abg. OBERHAIDINGER (S) monierte, die Verknappung der Zivildienstplätze und die daraus resultierende mehrjährige Wartezeit auf Ableistung des Zivildienstes sei für junge Männer am Beginn ihrer beruflichen Karriere unzumutbar. Dieser Meinung schloss sich auch Abg. Mag. LUNACEK (G) an. Seitens der Regierungsfraktionen wurde bezweifelt, dass dies ein geeignetes Thema für den Menschenrechts-Ausschuss sei: Die Gewissensfreiheit sei nicht in Gefahr (Abg. AMON, V), der Ausschuss drohe zu einem "Wald-und-Wiesen-Ausschuss" zu verkommen, in dem jedes Thema unter dem Aspekt der Menschenrechte diskutiert werde (Dr. FEKTER, V), zudem habe die Regierung einen "Rucksack" von 15.000 Zivildienern von der früheren Regierung übernommen (ELLMAUER, V). Vorsitzende STOISITS trat dafür ein, im Menschenrechts-Ausschuss alles zu besprechen, was mit Grundrechten zusammenhänge, wobei die Abgrenzung der Materien schwierig sei. In Reaktion auf eine Anregung des Abg. OBERHAIDINGER (S), zur Zivildienstthematik den zuständigen Innenminister einzuladen, meinte Stoisits, dies sei nur im Konsensweg möglich; Innenminister Dr. Strasser habe aber bereits seine Bereitschaft bekundet. Mag. PLANK(S) wollte von Staatssekretär Morak wissen, welche konkrete Maßnahmen zur Bewusstseinbildung bei der Polizei gesetzt würden.
Staatssekretär MORAK verwies auf das vorbildliche Verhalten der Polizei bei den Demonstrationen gegen die Regierung. Zum Thema Zivildienst meinte der Staatssekretär, es handle sich um eine wichtige Problematik, die den Menschenrechts-Ausschuss tangiere, doch sollte sie mit dem zuständigen Ressortchef debattiert werden.
Ausschuss-Obfrau STOISITS zeigte sich enttäuscht über die "Magerkeit" des Entwurfs, das Bekenntnis zu den Volksgruppen im Sinne einer Staatszielbestimmung in der Verfassung zu verankern. Zugleich kritisierte sie die damit im Zusammenhang stehende Streichung des Art. 19 des Staatsgrundgesetzes 1867. Es gehe nicht darum, die Volksgruppen in ihrer Existenz anzuerkennen, sondern ihren Schutz und ihre Förderung zum Ziel zu machen.
Staatssekretär Morak trat für eine Versachlichung der Debatte ein und wies darauf hin, dass Wortmeldungen im Zuge der Begutachtung in den Gesetzestext einfließen könnten. Zwischen der Staatszielbestimmung und der Streichung des Art. 19 gebe es keinen Zusammenhang; bei letzterem würde nur formal nachvollzogen, was materiell bestehe. In ähnlichem Sinn äußerte sich der Leiter des Verfassungsdienstes, Dr. OKRESEK, der als Hauptmotiv für die Bereinigungsmaßnahme die Herstellung von Rechtsklarheit nannte. Die Vertreter der Regierungsfraktionen (Dr. OFNER, F, und Dr. FEKTER, V) begrüßten die geplante Maßnahme, während Mag. LUNACEK und Mag. STOISITS (beide G) sich eine Ergänzung und Konkretisierung im Gesetzestext wünschten und für eine Trennung der Erarbeitung der Staatszielbestimmung und der Rechtsbereinigung eintraten.
TOLERANZ-ANTRÄGE NEUERLICH VERTAGT
Nach der Aussprache über aktuelle Fragen wurden die Verhandlungen über die getrennten Anträge der vier Fraktionen zum Themenkreis Toleranz und Demokratie wieder aufgenommen. Es sind dies ein Entschließungsantrag, in dem die Grünen Maßnahmen zur Verbesserung der gegenseitigen Verständigung und für das Miteinander aller Bevölkerungsgruppen vorschlagen (21/A[E]), zwei von der SPÖ und von der ÖVP getrennt voneinander eingebrachte, aber weitgehend wortgleiche Entschliessungsanträge betreffend Toleranz als Grundlage der Demokratie in Österreich (39/A[E] und 34/A[E] ) sowie e in Entschließungsantrag der Freiheitlichen betreffend die Weiterentwicklung von Demokratie und Menschenrechten. (48/A[E])
Für die Regierungsfraktionen erklärte Abg. ELLMAUER (V), das Bemühen um einen gemeinsamen Antrag sei ohne Erfolg geblieben. Er stellte daher den Antrag, die Behandlung der vier Anträge neuerlich zu vertagen, und zwar auf eine Zeit, bis "die Emotionen geringer" seien, zumal die Anträge heute nicht mehr aktuell seien. In ähnlichem Sinn äußerten sich die Abg. Dr. OFNER und Dr. GRAF (beide F) sowie Dr. FEKTER (V). Die Mandatare der Oppositionsparteien hielten dem entgegen, dass der Menschenrechts-Ausschuss Gefahr laufe, zum "Vertagungsausschuss" zu werden (REHEIS, S), dass die Anträge nicht dem Datum, sehr wohl aber dem Inhalt nach aktuell seien (Mag. POSCH und OBERHAIDINGER, beide S, und STOISITS, G) und dass es sich um ausschuss-spezifische Themen handle (Mag. PLANK, S). F-Abg. Dr. GRAF plädierte dafür, sich des Themas ohne Zeitdruck anzunehmen. Bei der Abstimmung setzten sich die Regierungsfraktionen mit ihrem Vertagungsantrag gegen die Stimmen der Opposition durch.
ABGEORDNETE FÜR VERSTÄRKTES ENGAGEMENT GEGEN DIE TODESSTRAFE
Auf der Grundlage eines von Abgeordnetem Mag. POSCH (S) eingebrachten gesamtändernden 4-Parteien-Abänderungsantrages empfahl der Ausschuss dem Plenum einstimmig die Verabschiedung einer nunmehr an die Außenministerin gerichteten Entschließung. Dr. Ferrero-Waldner soll generell ersucht werden, sich verstärkt für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe einzusetzen. Im Rahmen des Europarates soll die Ministerin auf die Ratifizierung des entsprechenden Abkommens drängen und darüber hinaus in ganz Europa, also auch in Albanien, Georgien, Polen und der Türkei für dieses Anliegen eintreten und es gegenüber Beitrittskandidaten zur Sprache bringen. Auch innerhalb der Vereinten Nationen, konkret in der Menschenrechtskommission und in der diesem Thema gewidmeten diesjährigen Vollversammlung, soll sie für diese Initiative votieren und besonders darauf hinwirken, dass Kinder und Jugendliche in keinem Staat der Erde der Todesstrafe unterliegen.
Die in der Debatte vorgebrachten Bedenken des V-Abgeordneten AMON, durch den fünften, speziell Kindern und Jugendlichen gewidmeten Punkt könnte das Gesamtanliegen relativiert und möglicherweise eine Hintertüre zur Aufrechterhaltung der Todesstrafe für Erwachsene geöffnet werden, zerstreute Abgeordneter Dr. OFNER (F) mit dem Hinweis darauf, dass die Verhängung der Todesstrafe gegen - strafunmündige - Kinder und Jugendliche ein potenziertes Unrecht darstelle. Darauf gesondert einzugehen bedeute keine Schwächung der gesamten Initiative. Dieser Auffassung folgte auch G-Abgeordnete Mag. LUNACEK.
Auf Anregung von Abgeordnetem ELLMAUER (V) ersuchte Ausschussvorsitzende Mag. STOISITS Staatssekretär MORAK, bis zur Abstimmung im Plenum seitens des Bundeskanzleramtes zu klären, wie weit das Procedere zur Abschaffung der Todesstrafe in Polen bereits gediehen sei, um gegebenenfalls eine weitere Abänderung vorzunehmen. (Schluss)
Links
- 34/A(E) - Toleranz als Grundlage der Demokratie in Österreich
- 48/A(E) - Weiterentwicklung von Demokratie und Menschenrechten
- 21/A(E) - Klima der Toleranz und des Respekts als Grundlage der Demokratie
- 104/A(E) - Bekämpfung der Todesstrafe
- 1/A-ME - Ausschuss für Menschenrechte
- 39/A(E) - Rückkehr zu einem Klima der Toleranz als Grundlage der Demokratie in Österreich