Parlamentskorrespondenz Nr. 270 vom 18.05.2000
SOZIALDEMOKRATEN BEFÜRCHTEN NEUES SPARPAKET
Wien (PK) - Die Beratungen über den Bundeshaushalt 2000 wurden am Nachmittag zur Debatte einer Dringlichen Anfrage unterbrochen. Die Sozialdemokraten forderten vom Bundeskanzler Auskunft "betreffend Wiederherstellung der Verteilungsgerechtigkeit und neuerliches Sparpaket".
Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) befasste sich in seiner Begründung der Anfrage mit dem von der Bundesregierung beschlossenen Belastungspaket, das das untere Einkommensdrittel doppelt so hoch belaste wie das obere. Seiner Meinung nach gehe es der Regierung nicht um das Sparen, sondern um das Abkassieren und Umverteilen. Weiters wies Gusenbauer darauf hin, dass das Budgetprogramm der schwarz-blauen Bundesregierung von der EU-Kommission als weniger ambitioniert erachtet wurde als jenes des vorherigen Finanzministers Edlinger. Es enthalte keine echten Strukturreformen, sondern lediglich Budgettricks und Einmalmaßnahmen. Der zuständige EU-Kommissar habe überdies festgestellt, dass das Budgetprogramm im Widerspruch zu den Vertragsverpflichtungen stehe und damit "eine einzige Peinlichkeit" für Minister Grasser sei.
Zudem plane der Finanzminister neue Belastungen für die Bevölkerung, vermutete Gusenbauer, denn so habe er u.a. angekündigt, den 13. und 14. Monatsgehalt höher besteuern zu wollen und überdies eine Mehrwertsteuererhöhung von 20 % auf 22 % angeregt. Ein weiterer Vorschlag von ihm lautete, die Landesregierungen abzuschaffen. Der Bevölkerung müsse endlich reiner Wein eingeschenkt werden, sie müsse darüber informiert werden, welche abenteuerlichen Vorhaben die Regierung noch plane, forderte er. Derzeit laute wohl das Motto der Regierung "Hält man die Leute mit der Wahrheit kurz, macht man einen Kassasturz".
Er hätte sich gedacht, dass es in diesem Haus einen Konsens darüber gebe, dass die Rettung der Staatsfinanzen eine absolut dringende Notwendigkeit sei, erklärte eingangs Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL. Die Budgetdebatte hätte die Möglichkeit geboten, in einer harten Abrechnung die Maßnahmen der Regierung zu hinterfragen und eigene Alternativen vorzulegen. Bedauerlicherweise habe die Dringliche Anfrage aber alles bloß in Bausch und Bogen kritisiert und keinerlei Alternativvorschläge enthalten. Die Vorgangsweise der Sozialdemokraten diene nur dazu, Angst zu machen und den Klassenkampf zu schüren, bemängelte der Bundeskanzler.
Es sei unrichtig, sagte Schüssel, dass das Budgetprogramm die ökologischen Aspekte nicht berücksichtige, denn so werde beispielsweise die Schwerverkehrsabgabe von 16.000 S auf bis zu 21.000 S erhöht. Was die Erlöse aus der Versteigerung der Handylizenz anbelangt, so werden vielleicht 1 bis 2 Mrd. S für die Forschungsoffensive eingesetzt, der Rest jedoch für die Schuldentilgung. Weiters erinnerte er daran, dass auch die Sozialdemokraten noch vor kurzem einer Reduktion der Lohnnebenkosten - zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich und zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen - zugestimmt haben.
Er sei davon überzeugt, dass alles sozial gerecht sei, was Arbeit schaffe. Man müsse daher weg von einer Bestrafungs- zu einer Belohnungsstrategie kommen. Aus diesem Grund sollen die Zuverdienstgrenzen gelockert und die Qualifikation von Arbeitslosen verbessert werden. Zudem werden Anreize geschaffen, gemeinwirtschaftliche Tätigkeiten zu übernehmen.
Sozial gerecht sei auch, was allen Kindern gleiche Chancen biete. Den Eltern werde mehr Zeit für ihre Kinder gegeben, zwei Jahre für einen Partner, ein weiteres Jahr für den anderen Partner. Dies sei die wichtigste Investition für eine familien- und kinderfreundliche Gesellschaft und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sozial gerecht sei zudem, in Generationen zu denken und jenen zu helfen, die Hilfe brauchen, aber dennoch die gesamtwirtschaftlichen Stabilitätsziele nicht zu gefährden.
Es gebe einen großen Konsolidierungsbedarf, räumte Schüssel ein, daher müsse eine sehr sorgsam strukturierte Gesamtreform vorgelegt werden, denn Österreich dürfe nicht Schlusslicht in der EU sein. Es werde allerdings nicht querfeldein gekürzt, sondern nur dort, wo Sparpotentiale vorhanden sind. In manchen Bereichen wurde nichts eingespart, etwa bei der Kunst- und bei der Volksgruppenförderung, in anderen wurden sogar Offensiven gestartet, z.B. bei den Informations- und Kommunikationstechnologien.
Hinsichtlich der Frage, wie die einzelnen Maßnahmen auf die verschiedenen Gruppen wirken, teilte Schüssel mit, dass es sehr viele positive Auswirkungen gebe. Arbeiter werden etwa im Krankheits- und Dienstverhinderungsfall den Angestellten gleichgestellt und können leichter zu einer Abfertigung oder einer betrieblichen Pension kommen. Weitere Entlastungen gibt es durch die Senkung der Betriebskosten und Mieten, die beschleunigte Liberalisierung von Strom und Gas und die Bergbauernhilfe für die sozial schwächeren Landwirte. Weiters habe man sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, durch eine offensive Wirtschaftspolitik in den nächsten zwei Jahren 100.000 Arbeitsplätze zu schaffen. Was die Pensionsreform anbelangt, so appellierte Schüssel an die Sozialpartner, einen nationalen Konsens im Interesse der Jungen zu finden.
Schließlich merkte der Bundeskanzler an, dass er die Bundesregierung als ein Team verstehe, das in den ersten 100 Tagen erstklassig zusammengearbeitet hat, was auch von der Bevölkerung geschätzt werde.
Der Bundeskanzler könne so viel schönreden wie er wolle, aber dieses Budget sei die größte Umverteilungsaktion der 2. Republik, meinte Abgeordneter NÜRNBERGER(S). Unternehmer, Selbständige und die Landwirtschaft erhalten Steuergeschenke in der Höhe von rund 21 Mrd. S, während die Arbeitnehmer mit 31 Mrd. S belastet werden. Auch die so genannte Abfertigung neu, die die Arbeitgeber entlaste, stelle eine Zwangsenteignung der Arbeitnehmer dar. Für Lehrlinge ist eine Verlängerung der Arbeitszeit bis 23 Uhr vorgesehen, führte Nürnberger weiter aus, damit ältere, d.h. teurere Arbeitskräfte, nicht mehr eingesetzt werden müssen. Und auch die Experten des Wirtschaftsforschungsinstitutes urteilten, es könne eine politische Strategie im Geiste von Reagan und Thatcher sein, die Unternehmer und Besserverdienenden zu entlasten, aber man sollte diese Strategie nicht als Politik für den kleinen Mann verkaufen.
Abgeordneter Mag. HAUPT (F) bezweifelt, dass die von Abgeordnetem Nürnberger vorgelegten Zahlen seriöser sind als jene drei Rechenbeispiele, die bereits von Sozialministerin Sickl widerlegt worden seien. Im Innersten seines Herzens wisse Nürnberger, dass die Regierung nicht die Unternehmer, sondern die Unternehmungen und damit den Wirtschaftsstandort Österreich stärken wolle, meinte er.
Dem Vorsitzenden der SPÖ, Gusenbauer, warf Haupt vor, ihm sei das Schielen nach Medienberichten wichtiger als seriöse Politik. So wies er beispielsweise darauf hin, dass der Ankauf von Hubschraubern ursprünglich auch bei der SPÖ unumstritten gewesen sei.
Abgeordneter Dr. STUMMVOLL (V) bekräftigte, die Regierung trete sehr wohl für "den kleinen Mann" ein. Seiner Ansicht nach hat die SPÖ in den vergangenen Jahren die Stabilitätsziele zu wenig ernst genommen, das sei nicht nur von Experten, sondern auch von der ÖVP immer wieder kritisiert worden. Stummvoll zufolge hat es Ex-Finanzminister Edlinger etwa unterlassen, vor zwei Jahren eine Ausgabeneinsparungs-Kommission einzusetzen.
Allgemein erklärte der Abgeordnete, sparen heiße für ihn, Steuergelder effizient und sozial verträglich einzusetzen. Zudem sprach er sich für eine Aufgabenüberprüfung des Staates aus.
Abgeordneter Mag. KOGLER (G) erinnerte daran, dass das vorliegende Sparpaket nicht das erste sei. Auch die letzten beiden Sparpakete, für die die SPÖ mitverantwortlich gewesen sei, hätten kleinere Einkommensbezieher stärker getroffen als Bezieher höherer Einkommen.
Als einen Fehler der Vergangenheit wertete der Abgeordnete darüber hinaus die Verabschiedung des Stiftungsrechtes. Man hätte gleich hineinschreiben können, dass Einkommen über eine Mrd. S steuerfrei seien, klagte er. Der neuen Regierung hielt Kogler vor, lediglich ihre Klientel zu versorgen und so den sozialen Frieden in Österreich zu gefährden. Kritik übte er in diesem Zusammenhang an der geringen Unternehmensbesteuerung und an den geplanten höheren Militärausgaben.
Abgeordneter EDLINGER (S) betonte, die Politik eines Landes bestehe nicht nur "aus nackten Budgetzahlen". Er machte geltend, dass es "in 30 Jahren erfolgreicher Politik unter sozialdemokratischer Führung" gelungen sei, Österreich von einem europäischen Nachzügler zum drittreichsten Staat in Europa zu machen.
Als positive Errungenschaften nannte Edlinger u.a. die niedrige Arbeitslosenrate, den sozialen Frieden, die hohen familienpolitischen Leistungen, das exzellente Gesundheitssystem und den freien Zugang zu Bildung. All dies werde nun durch die Regierung gefährdet. Zur Schuldenproblematik merkte Edlinger an, es sei die ÖVP und nicht die SPÖ gewesen, die in den letzten Jahren treibende Kraft bei neuen Ausgaben gewesen sei.
Abgeordneter GAUGG (F) hält die Dringliche Anfrage für unnötig und sieht in den darin enthaltenen Ausführungen "Klassenkampf pur". Die SPÖ arbeite seiner Auffassung nach mit Unterstellungen und Fehlinformationen und verunsichere damit die Bevölkerung. Für Gaugg ist das "eine Politik der verbrannten Erde".
Die neue Regierung wird Gaugg zufolge "das Land in eine Blüte führen". Er verwies u.a. auf die geplante Angleichung der Rechte der Arbeiter an jene der Angestellten. Kritik übte er an Privilegien für ÖGB-Funktionäre.
Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V) führte aus, ginge es der SPÖ wirklich um eine seriöse Diskussion über Verteilungsgerechtigkeit, stünde die ÖVP auf ihrer Seite. Die Regierung verfolge nämlich eine Politik der sozialen Gerechtigkeit und trete u.a. dafür ein, dass Mindestpensionisten zumindest die Inflationsrate abgegolten wird, dass neue Arbeitsplätze geschaffen würden und dass jungen Familien, die wenig Geld haben, geholfen werde. Auch eine Angleichung der Rechte von Arbeitern und Angestellten sei geplant. Die SPÖ betreibe dem gegenüber "Klassenkampf der untersten Lade", bemängelte Spindelegger, "sozialistisch ist aber nicht gleich sozial".
Abgeordneter ÖLLINGER (G) skizzierte, bevor die SPÖ "ein drittes, ein viertes und wahrscheinlich ein fünftes Belastungspaket zu Recht beklagen will", müsste sie zunächst "auch eine Träne - oder zwei oder mehrere - über die Belastungspakete Nummer eins und zwei vergießen". Ihm zufolge hat es bereits in den letzten zehn, zwanzig Jahren an Verteilungsgerechtigkeit gemangelt, und zwar nicht nur hinsichtlich der Einkommenshöhe, sondern auch in Bezug auf die Verteilungsgerechtigkeit zwischen Männern und Frauen oder zwischen jenen, die Arbeit haben, und jenen, die keine Arbeit haben. Verteilungsgerechtigkeit vermisst Öllinger aber auch bei der geplanten Einführung des Kinderbetreuungsgeldes. Zudem sieht er durch die Umsetzung dieses Schrittes neue Belastungen auf die Pensionsversicherungen zukommen.
Abgeordnete SILHAVY (S) warf der Regierung vor, durch massive Budgetumschichtungen, Klientelpolitik zu betreiben. Die Devise sei, so die Rednerin, Taschengeld für Reiche und Streichung der Gelder für die ArbeitnehmerInnen. Als größte Mogelpackung bezeichnete sie den Verkauf der Aktion „Fairness“. Der Solidaritätsbegriff gelte offensichtlich nicht für die ArbeitnehmerInnen. Die Kranken würden in eine risikobehaftete Privatversicherung gedrängt. Silhavy befürchtete, dass das soziale Gleichgewicht kippen werde.
Abgeordnetem SCHWARZENBERGER (V) zufolge habe auch die Landwirtschaft Opfer für das Budget gebracht. Er suche deshalb die immer wieder von den Sozialdemokraten genannten Millionengeschenke vergeblich. Um die Argumentation der SPÖ zu entkräften, erinnerte der Mandatar daran, dass das Koalitionsabkommen mit der FPÖ keine Unterschiede zu jenem mit der SPÖ in diesem Bereich aufweise. Die SPÖ verfange sich daher bei ihrer Argumentation in dauernde Widersprüche.
Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) sprach kritisch den Stil der FPÖ, insbesondere des Kärntner Landeshauptmannes an, und meinte, dass auch Schüssel einmal dazu Stellung werde nehmen müssen. Sie beklagte, dass es derzeit einen Kurs des Sozialabbaus und der sozialen Ungerechtigkeit gebe, den sie allerdings auch bereits bei den vorangegangenen Regierungen festgestellt habe. Die Grünen hätten einen Vorschlag zur Steuerreform sowie das Konzept der sozialen Grundsicherung vorgelegt, das die Unabhängigkeit der Frauen und somit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesichert hätte. Leider sei bis jetzt seitens der Regierung keine Rückmeldung erfolgt.
Abgeordneter Mag. TRATTNER (F) warf der SPÖ-Fraktion vor, in der Anfrage falsche Zahlen zu verwenden, zumal Dr. Gusenbauer selbst in einem anderen Papier davon abweichende Zahlen genannt habe. Die SPÖ habe Sparpakete geschnürt, wo die Steuerzahler 50 % aufbringen hätten müssen, jetzt liege dieser Anteil bei nur 15 %. Trattner bezog sich bei seiner Verteidigung der Regierungspolitik auf den EU-Rat, der den eingeschlagenen Kurs in Bezug auf die Pensionsreform sowie in Bezug auf die Sanierung durch eine Ausgabenreform vollinhaltlich unterstütze.
Abgeordneter RIEPL (S) stellte fest, dass diese Regierung einen großen gesellschaftlichen Umbau betreibe. Begründung sei der Schuldenberg, aber den Schulden stünden auch Werte gegenüber, die für die nächste Generation geschaffen worden seien. Der Abgeordnete nannte als Beispiel dafür den Schulbau, das Gesundheitssystem und die Beschäftigungspolitik. Er plädierte für eine gerechtere Verteilung der Mittel und brachte einen Entschließungsantrag der Abgeordneten Silhavy ein, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, bis zum 30. Juni 2000 einen Bericht über die Wirkung bereits getroffener oder geplanter Umverteilungsmaßnahmen vorzulegen.
Abgeordneter Ing. WESTENTHALER (F) bedankte sich bei Abgeordnetem Nürnberger, dass er das Koalitionsübereinkommen nicht unterschrieben hat und somit dazu beigetragen hat, dass die FPÖ in der Regierung sitzt. Die Dringliche Anfrage, die offenbar im Hause Fellner-News geschrieben worden sei, bezeichnete er als einen „Rohrkrepierer“, was anhand der falschen Zahlen nachgewiesen werden könne. Er rechnete den Sozialdemokraten vor, welche Erhöhungen Bundesminister Edlinger bei den Sparpaketen den BürgerInnen aufgebürdet habe. Der Finanzminister habe im Jahr 1996/97 Steuererhöhungen im Ausmaß von 95 Mrd. S vorgenommen. Abschließend zitierte Westenthaler eine neue Umfrage, wonach die SPÖ in der Wählergunst von 33,2 auf 30 % gesunken sei, die ÖVP und FPÖ zwischen 26,5 und 29 % liege.
Abgeordneter Dr. KHOL (V) konstatierte, dass die SPÖ bislang eine Diskussionsverweigerung betrieben habe, heute aber hätte Gusenbauer eine Art Regierungserklärung abgegeben. Nachdem er den SPÖ-Obmann gehört habe, sei ihm der Urfaust eingefallen, in dem Mephisto sagt: „Ich bin der Geist, der stets verneint“, denn Gusenbauer habe keinen positiven Vorschlag gebracht. Vielmehr gehe dieser mit Volldampf zurück ins 19. Jahrhundert in Richtung Klassenkampf. Khol hielt schließlich fest, dass die Anfragen der SPÖ offensichtlich nicht dringlich seien und seitens dieser Fraktion auch kein Diskurs erwünscht sei, da ein Großteil der SPÖ-Abgeordneten fehle.
In einer tatsächlichen Berichtigung widersprach Abgeordneter EDLINGER (S) Abgeordnetem Khol, dass Gusenbauer eine Regierungserklärung abgegeben habe. Vielmehr habe er eine Anfrage gestellt, die der Bundeskanzler nicht beantwortet habe.
Bei der Abstimmung fand der Entschließungsantrag der Abgeordneten Silhavy keine Mehrheit.
(Schluss)