Parlamentskorrespondenz Nr. 340 vom 06.06.2000

AUSBAU STATT EINSTELLUNG DER NEBENBAHNEN

Aktuelle Stunde mit Infrastrukturminister DI Schmid

Wien (PK) - Vor Eingang in die Tagesordnung der heutigen Sitzung der Nationalrats hielt das Plenum eine AKTUELLE STUNDE ab. Der Themenvorschlag kam von den Grünen und lautete AUSBAU STATT EINSTELLUNG DER NEBENBAHNEN. "Die Nebenbahnen sind für die Grünen ein Hauptthema", sagte Abgeordnete Dr. LICHTENBERGER (G) zur Begründung der Themenwahl. Schon seit langem würden die Nebenbahnen ausgehungert, Strecken nicht modernisiert und auf die Erneuerung veralteter Wagen verzichtet, klagte die Verkehrssprecherin der Grünen. Diese Politik gegen die Nebenbahnen sei die Ursache für die "Geisterzüge", die Generaldirektor Draxler als Argument für seine Absicht nennt, Nebenbahnen einzustellen. Lichtenberger sprach dem gegenüber die Erwartung aus, dass Minister Schmid seine verkehrspolitische Verantwortung wahrnehme, das "Kahlschlag-Programm" Draxlers stoppt und für eine Attraktivierung der Regionalbahnen sorgt. Als Beispiel nannte Lichtenberger die Mariazellerbahn, die große Zukunftschancen habe, weil alle Gemeinden an dieser Strecke Bahn bereit seien, an der Weiterentwicklung der Bahn mitzuarbeiten. Die Attraktivierungskonzepte der Bürgermeister seien wirtschaftlich durchaus interessant, sagte Lichtenberger. "Herr Minister - spielen sich nicht länger Draxlers Prellbock", schloss die Rednerin.

Bundesminister Dipl.Ing. SCHMID antwortete, er sei nicht der "Prellbock Draxlers". Der ÖBB-Generaldirektor sei dafür verantwortlich, die ÖBB wirtschaftlich zu führen. Darüber gebe es aber die politische Verantwortung für die gemeinwirtschaftlichen Leistungen der ÖBB. Und wie beim Kartenspiel der "Ober" den "Unter" steche, so Schmid, sei in der Frage der Nebenbahnen oben die Politik und unten der Generaldirektor. Es gebe aber Bahnen mit einem Zuschussbedarf von 480 S pro Personenfahrt bzw. von 105.000 S pro Fahrgast im Jahr. Ein Generaldirektor, der angesichts solcher Daten nicht die Frage stellte, ob dieser Betrieb weitergeführt werden müsse, wäre fehl am Platz. Er, Schmid, habe angeordnet, dass die ÖBB keinen Einstellungsantrag abgeben, bevor sie nicht nach Möglichkeiten zur Sicherstellung des weiteren Betriebes gesucht haben. Bei der Mariazellerbahn laute sein Auftrag auf den Nachweis, wie man einen Betrieb sinnvoll sicherstellen könne, wobei klar sei, dass finanzielle Mittel über die wirtschaftliche Vertretbarkeit hinaus eingesetzt werden. Abschließend gab der Verkehrsminister die Garantie ab, dass bei jeder Strecke der öffentliche Verkehr aufrecht bleibt. "Darauf gebe ich mein Wort", schloss Minister Dipl.-Ing. Schmid.

Abgeordneter EDLER (S) dankte den Grünen für die Themenwahl und dem Minister für seine Zusage. "Wir werden Sie an Ihren Taten messen", sagte der Eisenbahnergewerkschafter. Denn weniger Bahn bedeute mehr Umweltbelastung und weniger Lebensqualität, zeigte sich Edler überzeugt. Er wies darauf hin, dass die Straßen während der letzten Jahrzehnte 471 Mrd. S an Investitionen, die Bahn hingegen nur 121 Mrd. S erhalten habe. Die Menschen in den Regionen haben ein Recht auf Mobilität und eine Grundversorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. ÖBB-Generaldirektor Draxler sei demgegenüber nur an Gewinnen interessiert. Dies könne aber nicht das Ziel der Politik sein, daher soll der Verkehrsminister sein Weisungsrecht einsetzen. Dass Nebenbahnen attraktiviert werden können, beweisen Beispiele aus dem Weinviertel und dem Burgenland. Die politische Herausforderung laute, die Nebenbahnen zu erhalten, dafür kämpfe die SPÖ.

Abgeordneter Mag. KUKACKA (V) wandte sich gegen die Behauptung, es bestünde die Absicht, den Nebenbahnen den "Todesstoß" zu geben. Die Bundesregierung sei im Gegenteil an guten und erfolgreichen Nebenbahnen interessiert. Sie könnten aber nicht ohne wirtschaftliche Vernunft betrieben werden, sagte Kukacka und warf Abgeordneter Lichtenberger vor, wirtschaftliche Kennzahlen auszublenden. Die SPÖ wiederum betreibe Kindesweglegung und kritisiere einen ÖBB-Generaldirektor, den sie selbst eingesetzt habe. Tatsache sei, dass die ÖBB im Gütertransport nur 1 % ihrer Netto-Tonnen-Kilometer und nur 1 % der Personen-Kilometer auf den Nebenbahnen leiste. Die Unterdeckung betrage dort 1,2 Mrd. S pro Jahr. Einzelne Nebenbahnen wiesen Kostendeckungsgrade von 10 % und weniger auf, daher sei es verständlich, wenn Draxler nach sinnvollen Alternativen suche. Auch die Ökobilanz tonnenschwerer "Geisterzüge", die mit hohem Energieaufwand unterwegs seien, falle klar negativ aus, hielt Kukacka den Grünen entgegen. Vor einer Schließung seien aber in jedem Fall verkehrspolitische Überlegungen anzustellen. Außerdem habe eine öffentliche Ausschreibung stattzufinden, damit die Strecke an private Verkehrsunternehmer vergeben werden könne. Die Zeit des staatlichen Monopols ist vorbei, hielt Kukacka fest und sprach von der Chance, dass private Unternehmen auf den Schienen der Nebenbahnen Verkehrsleistungen erbringen.

Abgeordneter Mag. FIRLINGER (F) analysierte das Streckennetz der Nebenbahnen nach drei Kategorien. Über spärlich ausgelasteten Strecken ohne nennenswerten Güterverkehr und ohne Morgen- und Abendspitzen schwebe für ihn das Damoklesschwert der Betriebsstilllegung. Über Strecken mit geringer Auslastung, ein wenig Güterverkehr, aber mit Morgen- und Abendspitzen könne man reden. Gut ausgelastete Bahnen mit Morgen- und Abendspitzen und touristischer Bedeutung will Firlinger optimieren. Die Abgeordneten müssten lernen, den Rechenstift zu gebrauchen, denn die Zeiten als man sagen konnte, der Status quo sei aufrecht zu erhalten, egal wie hoch die Kosten seien, sind endgültig vorbei. An die Gewerkschaft der Eisenbahner richtete Firlinger den Appell, ihre inflexible Haltung aufzugeben. Als Beispiel dieser Mentalität nannte er ihre Ablehnung des Vorschlags, Rangieren und Lokführen von einer Person durchführen zu lassen.

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) trat zunächst der Behauptung des Abgeordneten Kukacka entgegen, Nebenbahnen hätten eine negative Ökobilanz. Der Verkehr habe einen Anteil von 31 % am Gesamtenergieverbrauch, wovon 81 % auf die Straße und nur 4 % auf die Schiene entfallen. Seit 1990 hat der Verkehrssektor insgesamt seinen CO2-Ausstoss um 25 % erhöht. Ohne diese Zunahme hätte Österreich sein Klimaschutzziel erreicht. Der Verkehrsminister stehe also vor der Aufgabe, einen Beitrag zum Klimaschutzkonzept vorzulegen. Ein wichtiger Aspekt seien die Nebenbahnen, wo laut Glawischnig nur deshalb Geisterzüge unterwegs seien, weil man in der Vergangenheit auf eine Attraktivierung der Regionalbahnen verzichtet habe. Es geht um Umweltschutz und Klimaschutz sowie darum, den Menschen ohne Autos ein öffentliches Mobilitätsangebot zur Verfügung zu stellen.

Auch Abgeordnete HEINISCH-HOSEK (S) unterstrich die Notwendigkeit, den Verkehr umweltfreundlich auf die Schiene zu verlagern und die Erreichbarkeit der Regionen für die Menschen aufrecht zu erhalten. Als ein positives Beispiel für die Entwicklung einer Nebenbahn nannte die Mödlinger Abgeordnete die Badner-Bahn, die vor 20 Jahren fast eingestellt worden wäre, nun aber dank eines Attraktivierungskonzepts Erfolge verzeichne und in neue Zugsgarnituren investiere. Autobuslinien als Ersatz für Nebenbahnen lehnte Heinisch-Hosek ab. Das bringe längere Fahrzeiten, höhere Preise und Staus auf den Straßen mit sich, argumentierte sie.

Abgeordneter FINK (V) kritisierte Versäumnisse der SP-Verkehrsminister bei der Modernisierung der Nebenbahnen und machte darauf aufmerksam, dass seit 1970 700 Mrd. S an Bundeszuschüssen zur ÖBB geflossen seien. Wer dies übersehe gefährde seine politische Glaubwürdigkeit. Bei der Attraktivierung der Nebenbahnen sind für Fink die ÖBB gefordert. Sein Vorschlag lautete auf Zustimmung der Eisenbahner zur Anhebung ihres Pensionsalters von 53 auf 54,5 Jahre - das würde 2 Mrd. S pro Jahr für die Nebenbahnen bringen.

Abgeordneter Mag. HAUPT (F) machte ebenfalls die geringe Flexibilität der Personalvertreter bei den ÖBB für die mangelnde Attraktivität der Nebenbahnen verantwortlich. Wo Nebenbahnen eingestellt worden seien, habe ihnen niemand eine Träne nachgeweint. Mit ihren Fahrdiensten habe sich die ÖBB selbst Konkurrenz auf ihren Schienenstrecken gemacht. Zudem leide die Fahrgaststatistik auf den Nebenbahnen darunter, dass viele Züge nur noch mit dem Lokführer besetzt seien, der nicht gleichzeitig die Arbeit des Schaffners verrichten könne. Aber nicht nur die Nebenbahnen, auch Hauptstrecken wie die Tauernbahn und die Südbahn litten unter mangelnder Attraktivität, klagte Abgeordneter Haupt und wies auf Probleme alter Menschen und Behinderter sowie von Müttern mit Kinderwagen hin, die oft gar keine Möglichkeit haben, die viel zu hohen Waggons zu besteigen.

Abgeordneter Mag. KOGLER (G) wies auf die Probleme steirischer Nebenbahnen hin, sprach hausgemachte Probleme z.B. aufgrund mehrfacher Zuständigkeit bei der Schneeräumung an und trat für einen verstärkten Ausbau der Strecke Spielfeld - Radkersburg ein, steht doch die EU-Erweiterung bevor und in einer Entfernung von 15 km führt eine Haupttransversale vorbei, was einen Anschluss sinnvoll erscheinen lässt.

Präsident Dr. FISCHER gab bekannt, dass der SP-Klub eine Dringliche Anfrage an die Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport betreffend massive Belastungen der kleinen und mittleren Einkommensbezieher ab 1. Juni 2000 und der Ankündigung eines "Belastungsstopps" am 2. Juni 2000 eingebracht hat. - Nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung erfolgt deren Behandlung um 15 Uhr.

Abgeordneter Dr. KHOL (V) meinte in seiner Wortmeldung zur Geschäftsbehandlung, die Bundesministerin könne nicht nach ihrem Stimmverhalten im Ministerrat gefragt werden, noch dazu, wenn ihre Kompetenzen nicht betroffen sind. Aus diesem Grunde regte er die Abhaltung einer Präsidialsitzung an.

Geht es nach Abgeordnetem Dr. KOSTELKA (S), dann soll die Dringliche Anfrage so, wie es die Geschäftsordnung vorsieht, behandelt werden und um 15 Uhr zum Aufruf gelangen.

Das ist ein Musterbeispiel dafür, wie man das Instrument der Dringlichen Anfrage ad absurdum führen kann, meinte F-Abgeordneter Ing. WESTENTHALER und fügte hinzu, es gehe in der Dringlichen nicht nur um die Frage nach dem Stimmverhalten, sondern auch um Sachverhalte, die nicht existieren oder inhaltlich falsch sind.

Präsident Dr. FISCHER will sich den Text der Anfrage genauer ansehen und dann eine Entscheidung treffen. (Fortsetzung)