Parlamentskorrespondenz Nr. 342 vom 06.06.2000
DRINGLICHE ANFRAGE DER SP: BELASTUNGSSTOPP - JA ODER NEIN
Wien (PK) - Präsident Dr. FISCHER unterbrach die Verhandlungen, um mit der Behandlung der Dringlichen Anfrage beginnen zu können. Vor Eingang in die Debatte teilte Fischer mit, dass eine kurze Präsidialsitzung stattgefunden hat, die sich mit geschäftsordnungsmäßigen Fragen, insbesondere mit der Zulässigkeit aller oder einzelner Fragen der Dringlichen Anfrage, beschäftigt hat. Da es dabei zu keiner einheitlichen Beurteilung der aufgeworfenen Probleme gekommen ist, habe er folgende Vorgangsweise vorgeschlagen: Er werde die Vizekanzlerin ersuchen, insbesondere die Fragen 4, 6 und 8 inhaltlich zu beantworten. Es werde dann ihr überlassen, ob sie zu den restlichen Fragen eine Stellungnahme abgeben will. Vor der Begründung werde es noch die Möglichkeit geben, in Wortmeldungen zur Geschäftsbehandlung zu den diskutierten Problemen Stellung zu nehmen, führte Fischer aus.
In der Geschäftsbehandlungsdebatte qualifizierte Klubobmann Dr. KOSTELKA (S) in seiner Wortmeldung das Verhalten von VP-Klubobmann Dr. Khol als kontrollfeindlich und vermutete bei den Regierungsparteien das Motiv, unangenehmen Fragen auszuweichen. Kostelka zitierte dann aus dem Geschäftsordnungsgesetz, um seine Auffassung zu untermauern, dass die gestellten Fragen zulässig seien, da der Gesetzgeber Fragen zu "allen Gegenständen der Vollziehung" zulasse und die Kontrollrechte des Nationalrates nicht - wie jene des Rechnungshofes - auf eine nachfolgende Kontrolle beschränke. Dass auch in die Zukunft gerichtete Fragen zulässig seien, belegte Kostelka anhand eines Präzedenzfalles.
FP-Klubobmann Ing. WESTENTHALER meinte dagegen, die Dringliche Anfrage der SPÖ sei an Absurdität nicht zu überbieten, sie "beleidigt", so der Redner, "die Geschäftsordnung des Hauses", indem sie eine Ministerin nach ihrem künftigen Abstimmungsverhalten zu Themen befrage, die es nicht gebe: Mehrwertsteuererhöhung, Besteuerung des 13. und 14. Gehalts, Gebührenerhöhungen, Aussetzung der Steuerreform, Kürzung der Pensionen. - Das ist eine virtuelle Dringliche Anfrage, schloss Westenthaler und folgerte, dass vom heutigen Tag an jede Frage an jeden Minister zulässig sei. In diesem Zusammenhang warf Westenthaler SP-Vorsitzendem Gusenbauer vor, hinsichtlich seines 70.000-Schilling-Monatsgehalts dem Parlament die Unwahrheit gesagt zu haben.
VP-Klubobmann Dr. KHOL registrierte einen Niedergang bei den Anfragen und sagte, SP-Klubobmann Kostelka habe kein Glück mit seinen Dringlichen. Erst habe die ehemalige Sozialministerin Hostasch die erst wenige Tage amtierende Sozialministerin Sickl mit Fragen konfrontiert, die sie selbst leichter hätte beantworten können, dann habe eine Konfrontation zwischen SP-Vorsitzendem Gusenbauer und Bundeskanzler Schüssel einen Verlauf genommen, der es verständlich mache, dass die SPÖ heute eine Wiederholung dieser Gegenüberstellung vermeiden wollte. Das werde ihr aber nichts nützen, denn Vizekanzlerin Riess-Passer werde es Gusenbauer nicht leichter machen.
G-Klubobmann Dr. VAN DER BELLEN warf VP-Klubobmann Khol vor, dem Haus einen Zensurversuch zugemutet zu haben, von dem er hoffe, dass er sich nicht wiederholen werde. Denn die Geschäftsordnung gebe dem Präsidenten kein Recht, über die Zulässigkeit oder Nichtzulässigkeit schriftlicher Anfragen zu entscheiden. Eine Dringliche Anfrage im Keim ersticken zu wollen, sei kein guter Parlamentarismus, sagte Van der Bellen.
Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) schickte der inhaltlichen Begründung seiner Anfrage die Feststellung voraus, es müsse einem Parlament noch erlaubt sein, Fragen zu stellen, die der Regierung unangenehm sein könnten. Konkret erinnerte der SP-Vorsitzende an die Vernebelungstaktik der letzten Wochen. Nachdem die FPÖ entgegen ihrer Ankündigung, im Budget 2000 lediglich "Anpassungen" vorzunehmen, massive Erhöhungen für Kranke, für Strom und Autofahrer, bei den Gebühren sowie Pensionskürzungen herbeigeführt habe, sei bei den Freiheitlichen nun ein Wandlungsprozess im Gange. Während Finanzminister Grasser weitere Steuer- und Gebührenerhebungen nicht ausschließe, habe Jörg Haider Vizekanzlerin Riess-Passer bei einer Veranstaltung am Kärntner Millstättersee veranlasst, einen Belastungsstopp anzukündigen.
Für Gusenbauer laute die Frage nun, wie die Maastricht-Kriterien ohne weitere Belastung für die österreichische Bevölkerung eingehalten werden können. Diese Frage stelle sich umso dringlicher, so Gusenbauer, als die Regierung zusätzliche Ausgaben - Karenzgeld für alle, höhere Heeresaufwendungen, Lohnnebenkosten-Senkung - im Gesamtumfang von 34 Mrd. S plane, während der Finanzminister eine Verschärfung der Budgetkonsolidierung zur Reduzierung des Defizits auf 0,5 % des BIP bereits für 2003 ankündige.
Auf weitere Aussagen der Koalition eingehend fragte Gusenbauer, wo 30.000 Planstellen ausgegliedert und 9.000 Planstellen eingespart werden sollen bzw. wo die von Klubobmann Westenthaler zusätzlich geforderten 5.000 Planstelleneinsparungen vorgenommen werden sollen. Sollte die Freiheitliche Partei den angekündigten Belastungsstopp ernst nehmen, habe sie heute Gelegenheit, einem von der SPÖ eingebrachten Entschließungsantrag zuzustimmen.
Vizekanzlerin Dr. RIESS-PASSER wollte die Gelegenheit dieser Dringlichen Anfrage dazu nützen, eine ganze Flut von Unwahrheiten und Falschmeldungen richtig zu stellen. Zunächst registrierte sie aber mit Interesse, wie viel Beunruhigung das Wort "Belastungsstopp" bei der SPÖ auslöse und interpretierte dies mit deren Angst, es könnte eine Regierung geben, die eine andere und bessere Budgetpolitik mache als sie die SPÖ bisher praktiziert habe. "Sie haben die Bevölkerung in den vergangenen Jahren beispiellos belastet", sagte Riess-Passer zur linken Seite des Hauses und erinnerte an die Erhöhung der direkten Steuern um 65,68 Mrd. S, der indirekten um 28,11 Mrd. S und an die Leistungskürzungen im Familien- und Sozialbereich um 14 Mrd. S innerhalb von zwei Jahren. Die Vizekanzlerin wies auf die 1.650 Mrd. S an Staatsschulden hin, die von sozialdemokratischen Finanzministern aufgehäuft wurden und sprach vom katastrophalen Erbe der SPÖ. Die neue Bundesregierung habe bewiesen, dass es anders gehe. Schon das Budget 2000 bringe einen Belastungsstopp, sagte die Vizekanzlerin und machte auf die Entlastung einer durchschnittlich verdienenden Alleinerzieherin mit einem Kind um 9.200 S pro Jahr und auf die Entlastung einer Familie mit zwei Kindern um 14.742 S hin.
"Unterstellungen" in der Anfrage zurückweisend führte die Vizekanzlerin aus, niemand habe von einer Mehrwertsteueranhebung gesprochen, eine höhere Besteuerung des 13. und 14. Gehalts angekündigt oder eine Gebührenerhöhung bzw. Leistungskürzungen im Gesundheitssystem oder Pensionskürzungen in Aussicht gestellt. Die Frage eines Vetos im Ministerrat stelle sich daher nicht.
Auf alle an sie gerichteten Fragen im Einzelnen eingehend erläuterte die Vizekanzlerin die bereits beim Budget 2000 bewährte Top-Down-Budgetierungsmethode, die die Regierung auch in Zukunft auch bei den Förderungen anwenden werde, da sie den einzelnen Ressorts ein Maximum an Spielraum bei der Gestaltung ihrer Haushalte gebe. Die Pensionsreform sehe keine Kürzung für Pensionisten vor. Solche habe es bisher nicht gegeben und werde es auch in Zukunft nicht geben. Es gehe vielmehr darum, die Pensionen für die Pensionisten und für die nachfolgenden Generationen zu sichern, unter Anrechnung der Karenz- und Kindererziehungszeiten. Die Vollkostenkalkulation für öffentliche Dienstleistungen werde deutlich machen, wie viel die staatlichen Dienstleistungen jeweils kosten.
Die Steuerreform 2000 und das Familienpaket werden nicht ausgesetzt. Die Bundesregierung werde vielmehr dafür sorgen, dass die Steuerreform weiter finanzierbar bleibe.
Von einer Belastung der kleinen und mittleren Einkommen könne keine Rede sein. Wir haben eine Entlastung der kleineren und mittleren Einkommen erreicht und dabei werde es auch in Zukunft bleiben, schloss Vizekanzlerin Dr. Riess-Passer.
In einer tatsächlichen Berichtigung warf Abgeordneter Ing. WESTENTHALER (F) Abgeordnetem Dr. Gusenbauer vor, das Parlament über sein Gehalt falsch informiert zu haben.
In einer persönlichen Erwiderung stellte Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) dar, dass er keinen Schilling mehr bekomme als die anderen Klubobmänner Khol, Westenthaler und Van der Bellen.
In einer weiteren tatsächlichen Berichtigung führte Abgeordneter EDLINGER (S) aus, dass die von Riess-Passer als Erfolg der Regierung reklamierte Steuer- und Familienreform von der SP-VP-Regierung beschlossen, von den Freiheitlichen aber abgelehnt worden war. Die Staatsschuld habe sich in der Zeit der Mitgliedschaft des heutigen Bundeskanzlers Dr. Schüssel an der Bundesregierung von 800 Mrd. S auf 1.600 Mrd. S erhöht, fügte Abgeordneter Edlinger hinzu.
Angesichts der AK-Wahlergebnisse verstand Abgeordnete Mag. KUNTZL (S) die Nervosität der FPÖ, die sich nun nicht dafür entschieden hat, eine bessere Politik zu machen, sondern lediglich das Marketing geändert hat, um sich besser zu verkaufen. Damit beginnt die Täuschungsarbeit der FPÖ, meinte sie. In einem Entschließungsantrag verlangt die Abgeordnete namens ihrer Partei einen Belastungsstopp für kleinere und mittlere Einkommensbezieher, damit diese Personengruppen nicht unter die Räder der steuerlichen Belastung kommen.
Abgeordneter Dr. STUMMVOLL (V): Wenn die Bundesregierung angetreten ist, das Land neu zu regieren, dann bedeutet dies Mut zur Wahrheit, Probleme offen anzusprechen und den Bürgern die Wahrheit zu sagen. Der SPÖ wirft er vor, schlechte Verlierer zu sein, außer Rand und Band zu geraten und an Realitätsverlust zu leiden. Verdrängt wird auch die von Altfinanzminister Edlinger erhobene Forderung nach Anhebung des Frühpensionsalters.
Abgeordneter Mag. TRATTNER (F) sprach den "Schuldennachlass" in der Größenordnung von 1.700 Mrd. S an. Das bedeute Zinsen von 100 Mill. S pro Jahr oder von 3.170 S pro Sekunde. Unter Ihrer Ägide, meinte Trattner in Richtung Ex-Finanzminister Edlinger, sei Österreich trotz eines hohen Wirtschaftswachstums und trotz Steuererhöhungen auf den letzten Platz in Europa zurückgefallen. Die Belastungen der Bevölkerung durch das Budget 2000 wurden vom Abgeordneten nicht abgestritten, auf der anderen Seite aber verwies er auf eine Steuerreform, die der Bevölkerung eine Nettoentlastung von 22 Mrd. S brachte.
Abgeordneter ÖLLINGER (G) zeigte sich nicht damit einverstanden, dass in der Diskussion ein rhetorisches Niveau erreicht werde, das "jeder Diskussion spottet". In concreto führte der Redner Äußerungen von V-Klubobmann Khol an. Der Abgeordnete fragte sich, wie die Vizekanzlerin 70 Mrd. S einsparen bzw. welche Steuern und Abgaben sie anheben möchte. Öllinger war überzeugt, dass bei den Sozialtransfers im Bereich der kleinen und mittleren Einkommen eingespart werden soll.
Abgeordnete Mag. KUBITSCHEK (S) stellte die Frage in den Raum, was man vom neuesten Versprechen der FPÖ halten soll, handelt es sich doch nicht um das erste Versprechen dieser Art. Seit Jahren predige die FPÖ, dass sie die einzige Partei sei, die die "einfachen, braven und fleißigen Österreicher" vertritt. Jetzt stehe die FPÖ vor der Aufgabe, diesen Menschen zu erklären, warum sie bei erstbester Gelegenheit deren Interessen durch ein Belastungspaket verraten habe.
Abgeordneter Dr. MÜHLBACHLER (V) sah keinen Grund, sich inhaltlich mit der Dringlichen auseinander zu setzen, zumal nicht einmal die Hälfte der S-Abgeordneten im Saal anwesend war.
Abgeordneter Mag. HAUPT (F) warf den Sozialdemokraten vor, die Österreicher zu verunsichern und durch Aktionen wie der heutigen die Beschlussfassung wichtiger Gesetze zu verhindern. Die Fortschreibung der Politik a la Edlinger lehnte Haupt ab. Fest stehe, dass am Ende der Ära Edlinger 500.000 Österreicher in Armut gelebt haben und eine Million Menschen armutsgefährdet waren. Durch Zusatzleistungen will man versuchen, diese Personen "aus der Armutsfalle" herauszubekommen.
Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) erinnerte daran, dass die FPÖ als Oppositionsfraktion immer wieder für eine Verbesserung der Situation der kleinen Leute eingetreten sei. Da eine Dringliche Anfrage einem Politiker die Möglichkeit einräumt, seinen Politikbereich darzustellen, mutet es der Rednerin eigenartig an, dass man eine solche Debatte scheue. Auch vertrat sie die Meinung, dass ein in höchstem Maße selektiver Spar- oder Belastungskurs gefahren wird.
Abgeordneter PRINZ (V) meinte, die budgetäre Situation sei derzeit sehr ernst, alle Österreicher hätten einen Beitrag zur Stabilisierung zu leisten. Die Denkweise der "linken Reichshälfte" nannte er eigenartig und die heutige Dringliche Anfrage sinnlos.
Abgeordneter Mag. KOGLER (G) zweifelte an der Seriosität der Ankündigung eines ausgeglichenen Budgets bis 2003 bei gleichzeitigem Belastungsstopp. Wie soll das unter einen Hut gehen, wenn die Regierungsparteien ihre eigene Klientel versorgen, fragte er.
Abgeordneter GRADWOHL (S) betonte, über ein Sanierungspaket könne man mit der SPÖ reden, nicht aber über ein Belastungspaket. Kritisch äußerte sich Gradwohl auch zur Getränkesteuerlösung. Nur der Großhandel werde davon profitieren, an die Konsumenten werde der Steuerwegfall allerdings nicht weitergegeben werden, meinte er.
Abgeordneter HAIGERMOSER (F) qualifizierte die Dringliche als Selbstfaller und warf der SPÖ vor, das Anfragerecht auf peinliche Art ad absurdum geführt zu haben. Das rasante Reformtempo sei gerade deshalb notwendig, weil die SPÖ die Probleme jahrzehntelang vor sich hergeschoben habe, betonte der Redner.
Der Entschließungsantrag der SPÖ fand keine Mehrheit.
(Schluss)