Parlamentskorrespondenz Nr. 437 vom 11.07.2000

HAUPTAUSSCHUSS BESCHLIESST MEHRHEITLICH EU-VOLKSBEFRAGUNG

Wien (PK) - Die bereits in der Öffentlichkeit geführte kontroversielle Diskussion über den Antrag zur Durchführung einer Volksbefragung (211/A ) im Zusammenhang mit den von den übrigen 14 EU-Mitgliedstaaten gegenüber Österreich verhängten bilateralen Sanktionen fand heute im Hauptausschuss des Nationalrates unter dem abwechselnden Vorsitz der drei Präsidenten des Nationalrates ihre Fortsetzung. Insbesondere war die Verfassungskonformität der Fragestellungen heftig umstritten. Daher hatte man sich im Vorfeld der Ausschusssitzung darauf geeinigt, Verfassungsexperten zu einem Hearing zu bitten. Eingeladen waren Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger, Univ.-Prof. Dr. Herbert Haller, Univ.-Prof. Dr. Michael Lang sowie Univ.- Prof. DDr. Heinz Mayer.

Die Begründung des Antrages verweist auf die vom Hauptausschuss anlässlich der Regierungskonferenz von Feira beschlossene Stellungnahme, in der der von der Bundesregierung ausgearbeitete Vorschlag zur Neufassung der Art. 7 und 46 des EU-Vertrages mit dem Ziel, ein gerechtes, rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des Art. 6 EUV einzurichten, begrüßt wird. Ebenso wird auf die Resolution der Landeshauptleute Bezug genommen.

Die Abhaltung der Volksbefragung erscheint nach Auffassung der Antragsteller deshalb für notwendig, weil es trotz der Bemühungen der Bundesregierung nicht zur Aufhebung der Sanktionen gekommen ist und der vom portugiesischen Ratspräsidenten gemachte Vorschlag zur Einsetzung eines Weisenrates keinen Zeitplan enthält. Die Regierung will mit der Volksbefragung nun sicherstellen, dass die EU-Sanktionen rasch aufgehoben werden, darüber hinaus soll sich die EU im oben genannten Sinn weiterentwickeln.

Nach einer ausführlichen verfassungsrechtlichen Diskussion mit den Juristen, deren Aussagen jedoch in einzelnen Punkten stark divergierten, brachten die Abgeordneten von FPÖ und ÖVP einen Abänderungsantrag ein, der eine Neuformulierung der Fragen vorsieht. Der Antrag zur Volksbefragung unter Berücksichtigung dieser Änderungen wurde dann mit F-V-Mehrheit beschlossen.

Im Titel des Antrages wird nun nicht mehr von den "ungerechtfertigten" Sanktionen gesprochen. Die Fragestellung lautet konkret:

"Soll der Bundesgesetzgeber im Zuge der bevorstehenden Reform des EU-Vertrages mit allen geeigneten Mitteln sicherstellen, dass die folgenden Zielsetzungen erreicht werden:

sofortige Aufhebung der von den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegen Österreich verhängten Sanktionen;

Ausbau der Europäischen Union als umfassende Gemeinschaft gleichberechtigter Staaten, die allen Mitgliedstaaten gleiche Rechte und Pflichten garantiert und nicht die Vorherrschaft einiger weniger großer Staaten über die anderen ermöglicht;

Sicherstellung, dass die Europäische Union das Grundrecht jedes Landes, seine Regierung auf Basis freier demokratischer Wahlen selbst zu bestimmen, den freien Wettbewerb und die Rechte aller demokratischen Parteien sowie die Einrichtungen der direkten Demokratie achtet;

klare Aufgabenteilung zwischen der europäischen Ebene und den Mitgliedstaaten sowie Aufwertung der Regionen;

Verpflichtung aller Einrichtungen der Europäischen Union zur Einhaltung der Grundregeln des Rechtsstaates und der Menschenrechte;

Aufnahme eines rechtsstaatlichen Verfahrens bei behaupteter Verletzung von Grundwerten der Union mit richterlicher Kontrolle in den EU-Vertrag?"

Darüber hinaus wurde mit den Stimmen der Regierungsfraktionen eine Ausschussfeststellung angenommen, in der darauf hingewiesen wird, dass zu den Angelegenheiten die zum Gegenstand einer Volksbefragung gemacht werden können, auch jene, die Gegenstand einer Stellungnahme nach Art. 23e B-VG, eines Bundesverfassungsgesetzes, eines Staatsvertrages nach Art. 50 B-VG oder eines aufgrund einer Sonderverfassungsbestimmung ergangenen generellen Aktes sein können. Weiters wird hervorgehoben, dass die nunmehr vorliegende Fragestellung keine Suggestivfrage enthält und es sich dabei um eine einzige Frage handelt.

KONTROVERSIELLE DISKUSSION UM VOLKSBEFRAGUNG

Nach den jeweiligen Statements der Verfassungsexperten zu den von den Abgeordneten Ing. WESTENTHALER (F), Dr. KOSTELKA (S), Dr. LICHTENBERGER (G), SCHIEDER (S), Dr. KHOL (V) und Mag. HAUPT (F) aufgeworfenen juristischen Fragen entwickelte sich eine lebhafte Aussprache. Grundsätzlich waren sich die Experten darüber einig, dass die Zielsetzungen der EU-Reform und die österreichische Mitwirkung dabei Fragen von gesamtösterreichischer und grundlegender Bedeutung seien und daher kein Widerspruch in diesem Punkt zur Verfassung besteht. Ausführlich wurde auch der Frage nach der Rolle des Bundespräsidenten nachgegangen, wobei die Juristen mit Ausnahme von Univ.-Prof. DDr. MAYER mehrheitlich die Meinung vertraten, dass der Bundespräsident nur eine Grobprüfung vornehmen und damit die Volksbefragung kaum verhindern könne. Die Fragestellungen schienen allen vier Experten in unterschiedlichem Ausmaß reparaturbedürftig.

Univ.-Prof. Dr. HALLER kam zum Schluss, dass das vorliegende Konzept nicht verfassungswidrig ist. Er begründete dies damit, dass die Fragen nach Demokratisierung der EU oder eines Grundrechtskataloges Zielsetzungen der EU-Reform beträfen, die eine Mitwirkung der Bundesregierung einschließen und Fragen von gesamtösterreichischer und grundlegender Bedeutung sind. Außerdem beträfen Art. 23e und Art. 50 Agenden, die dem Bundesgesetzgeber obliegen. Aus diesem Grund trat Haller auch dafür ein, das Wort "Bundesregierung" durch "Nationalrat" zu ersetzen. In der Frage nach den "ungerechtfertigt" verhängten Sanktionen, konnte der Jurist kein manipulatives Vorgehen erkennen. In der Komplexität der vorgeschlagenen Fragen sah der Experte kein Problem, solange der wesentliche Kern verständlich ist.

Was die Möglichkeiten des Bundespräsidenten betrifft, die vom Nationalrat beschlossene Volksbefragung nicht anzuordnen, meinte Dr. Haller, dass das Staatsoberhaupt dies nur bei ganz schweren Fehlern könne. Bei einer allfälligen Fehlerhaftigkeit bestehe lediglich die Anfechtungsmöglichkeit beim Verfassungsgerichtshof.

Auch Univ.-Prof. Dr. LANG hegte keinen Zweifel an der grundsätzlichen und gesamtösterreichischen Bedeutung des Fragenkatalogs. Der Jurist räumte ein, dass die Verfassung einmal vom "Bundesgesetzgeber" wie im Art. 49b betreffend Volksbefragung und ein anderes Mal vom "Bundesgesetz" wie in Art. 41 betreffend Volksbegehren spricht. Dies lasse den Schluss zu, dass im Rahmen der Volksbefragung der Bundesgesetzgeber eine weitere Formulierung gewählt habe. Außerdem sprächen die Argumente dafür, dass sich das Recht auf Stellungnahme gemäß Art. 23e Abs. 2 B-VG nicht nur auf das EU-Sekundärrecht bezieht, sondern auch auf das Primärrecht. Zum Beispiel werde der Vertrag von Nizza verfassungsmäßig umgesetzt werden müssen. Somit betrifft seiner Meinung nach Art. 49b Abs. 1 nicht nur einfaches Bundesrecht, sondern auch jene Bereiche, für die der Verfassungsgesetzgeber zuständig ist. Darüber hinaus bedürfen Staatsverträge der Genehmigung durch den Bundesgesetzgeber.

Dr. Lang meinte auch, dass man es dem Nationalrat zugestehen müsse, ausführliche und komplexe Fragen zu stellen. Dennoch vertrat er die Auffassung, dass nach seiner Interpretation des Volksbefragungsgesetzes nur eine einzige Frage zulässig sei, das heißt, man könne die sechs Zusatzfragen auch als einzelne Zielsetzungen formulieren. Das Wort "ungerechtfertigt" könne man unterschiedlich interpretieren. Um jeden Zweifel auszuräumen, sprach er sich daher dafür aus, dieses Wort zu streichen.

Abgeordneter Dr. KOSTELKA (S) hatte das VfGH-Erkenntnis vom 16. Juni 2000 zum steirischen Volksrechte-Gesetz zitiert, in dem die Verfassungsrichter davon ausgehen, dass die gestellten Fragen nicht suggestiv, sondern klar und leicht verständlich sein müssen. Auf seine Frage nach der präjudiziellen Wirkung für die bundesweite Volksbefragung, antwortete Dr. LANG, dass das steirische Gesetz andere Bestimmungen habe und man das VfGH-Erkenntnis nur für diese spezifischen Fälle anwenden könne.

Auch Dr. Lang vertrat die Rechtsmeinung, dass der Bundespräsident nur eine Grobprüfung vornehmen und lediglich in gravierenden Fällen von der Anordnung zur Abhaltung der Volksbefragung Abstand nehmen könne. Beim gegenständlichen Antrag liege aber sicherlich kein Fall für eine absolute Nichtigkeit vor.

Univ.-Prof. DDr. MAYER bezeichnete diese Art der Volksbefragung als einen "Missbrauch" dieses Instruments der direkten Demokratie, weil es hier darum ginge, Druck auf die EU zu erzeugen, und nicht darum, ein Bundesgesetz vorzubereiten. Die Volksbefragung sei ein wichtiges Instrument, um den politischen Willen der Bevölkerung im Vorfeld der parlamentarischen Entscheidungen zu erkunden. Die jetzt geplanten Fragen beträfen aber teilweise ohnehin geltendes EU-Recht oder Grundrechte und Grundwerte, die derzeit diskutiert würden, jedoch noch nicht feststünden. Wie solle man sich da ein rechtsstaatliches Verfahren vorstellen?, fragte der Jurist. Er wies in diesem Zusammenhang auf eine ältere Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes hin, in der dezidiert festgestellt wird, dass Volksbefragungen den wahren Willen des Volkes zeigen sollen, hier handle es sich aber um Desinformation, die unzulässig sei. Er gehe daher davon aus, dass man mit dem vorliegenden Antrag die Verfassungskonformität überschreite.

Prof. Mayer widersprach der Auffassung, dass die Abgabe einer Stellungnahme nach Art. 23e B-VG eine Angelegenheit ist, zu deren Erledigung der Bundesgesetzgeber zuständig ist. Dies gelte auch für die Genehmigung von Staatsverträgen, die einen Akt sui generis darstellten.

Im Gegensatz zu seinem Vorredner vertrat der Experte den rechtlichen Standpunkt, dass der Bundespräsident die Verfassungskonformität rechtlich voll zu prüfen habe, denn sonst würde man dem Gesetzgeber unterstellen, den Bundespräsidenten zu verpflichten, einen verfassungswidrigen Akt zu setzen.

Univ.-Prof. Dr. ÖHLINGER sah in der Problemstellung, ob die Fragen Angelegenheiten betreffen, zu deren Regelung der Bundesgesetzgeber zuständig ist, kein wirkliches Problem. Zur Rolle des Bundespräsidenten äußerte er sich im Sinne der Experten Dr. Haller und Dr. Lang und meinte, dass das Staatsoberhaupt keine Prüfungsbefugnis habe, die über evidente Verfassungsbrüche hinausgeht. Die Überprüfung obliege dem Verfassungsgerichtshof.

Kritisch nahm Öhlinger jedoch zu den einzelnen Fragen Stellung und unterstrich, dass der VfGH prinzipiell auf die Vorjudikatur zurückgreife. Daher müsse man davon ausgehen, dass die grundsätzlichen Aussagen des Grazer Erkenntnisses auch für den gegenständlichen Fall anzuwenden seien. Er glaube daher, dass Fragen vorgelegt werden müssten, die klar mit ja oder nein zu beantworten sind. Dies treffe auf die vorliegenden Fragen nicht zu, da man zu diesen durchaus unterschiedlich Stellung nehmen könne. Seines Erachtens handle es sich dabei um Scheinfragen, die nicht darauf abzielen, dem Willen des Volkes nachzugehen. Der VfGH habe mit seinem Grazer Erkenntnis an die Instrumente der direkten Demokratie bestimmte Anforderungen gestellt. Es genüge daher nicht, das Wort "ungerechtfertigt" herauszustreichen. Im Gegensatz zu Dr. Lang halte er aber mehrere Einzelfragen für zulässig, da er das Wort "ein" als einen unbestimmten Artikel interpretiert.

Nach diesen Statements ergriffen die Abgeordneten Dr. KHOL (V), Dr. FISCHER (S), Dr. FASSLABEND (V), Dr. KOSTELKA (S), GAUGG (F), Dr. PILZ (G), SCHWARZENBERGER (V), Dr. CAP (S), DDr. NIEDERWIESER (S), Dr. SPINDELEGGER (V), Dr. LICHTENBERGER (G) und JUNG (F) abermals das Wort, um offen gebliebene oder neu aufgeworfene Fragen an die Experten zu stellen.

Warum solle ein Nationalrat nicht das fragen dürfen, was er gesamteuropäisch für wichtig hält oder von dem er sich etwas verspricht, gab Univ.-Prof. Dr. HALLER zu bedenken. Was die genaue Formulierung der einzelnen Punkte angehe, so müsse man berücksichtigen, dass man im Moment nicht alle Maßnahmen im Detail nennen könne und es daher besser sei, sich auf Ziele festzulegen. Der Ausdruck "geeignete Mittel" stelle seiner Ansicht nach eine Beschränkung dar, d.h. dass man nicht mit allen Mitteln vorgehen wolle.

Univ.-Prof. Dr. LANG machte darauf aufmerksam, dass das Volksbefragungsgesetz nicht konkret verbiete, mehrere Themenkomplexe zusammenzufassen. Bezüglich der Präzision der Fragen müsse man in Rechnung stellen, erklärte Lang, dass der Verfassungsgesetzgeber nicht verlange, einen Gesetzestext vorzulegen, sondern auch eine politische Deklaration als ausreichend betrachtet werde. Je präziser der Text gestaltet werde, desto länger werde er auch, was wiederum auf Kosten der Verständlichkeit gehen könnte. Zu dem angesprochenen "Spielraum des Bundespräsidenten" führte Lang aus, dass eine Anordnung einer Volksbefragung eher mit jenen Vorschriften zu vergleichen ist, die einer Beurkundung von Gesetzesbeschlüssen zugrunde liegen.

Unter "geeigneten Mitteln" verstehe er all jene, die rechtmäßig zielführend sind, meinte Univ.-Prof. DDr. MAYER. Er wäre ihm jedoch lieber, wenn diese Mittel genauer präzisiert würden. 

Nach Univ.-Prof. Dr. ÖHLINGER ist das Verhältnis Regierung und Staatsoberhaupt von einer tiefen Spannung geprägt und diese sei nur deshalb nicht aufgebrochen, weil der Bundespräsident seine gesetzlichen Möglichkeiten nie wirklich genutzt habe. Er gehe davon aus, dass die Verquickung der Fragen in einer einzigen Ja/Nein-Antwort-Möglichkeit vom VfGH als verfassungswidrig angesehen werde.

Staatssekretär MORAK teilte mit, dass der Verfassungsdienst mit dieser Materie nicht befasst wurde, schließlich handle es sich um einen Initiativantrag des Parlaments. Seitens der Bundesregierung werde es eine normale Informationstätigkeit geben. Zum finanziellen Aufwand informierte Innenminister Dr. STRASSER, dass Gesamtkosten in der Höhe von rund 92 Mill. S anfallen werden, der geschätzte Gemeindeanteil bewege sich bei ca. 54 Mill. S.

Abgeordneter Dr. PILZ (G) stellte einen Antrag auf Unterbrechung der Sitzung, solange bis eine Auskunft des Verfassungsdienstes vorliege. - Dem wurde nicht entsprochen.

Nach einer Sitzungsunterbrechung brachte Ing. WESTENTHALER (F) einen Abänderungsantrag ein, Abgeordneter Dr. KHOL (V) legte einen Vorschlag für eine Ausschussfeststellung vor. Beide betonten, dass man damit allfälligen Bedenken der Experten Rechnung getragen habe.

Dem schloss sich die Opposition nicht an. Die S-Abgeordneten Dr. KOSTELKA, Dr. CAP, DDr. NIEDERWIESER und SCHIEDER sowie Dr. PILZ (G) äußerten abermals ihre Bedenken, da ihrer Ansicht nach weder Abänderungsantrag noch Ausschussfeststellung dem Hearing entsprochen haben. Der Abänderungsantrag bringe keine inhaltliche Änderung, die Frage der Suggestivformulierung hänge nicht allein am Wort "ungerechtfertigt" und die Klarheit der Fragestellung habe weiter gelitten. Sie urgierten eine Äußerung des Außenamtes und kritisierten, dass der Verfassungsdienst nicht zu Rate gezogen worden ist. DDr. NIEDERWIESER (S) schloss sich der in den Medien zitierten Aussage des ehemaligen Zweiten Präsidenten des Nationalrates Dr. Neisser an, der von einem "frivolen Umgang mit dem Instrument der direkten Demokratie" gesprochen hat.

Die Frage, wie die Informationskampagne laufen werde und welche Vorarbeiten es dazu geben werde, wurde nicht zur Zufriedenheit der Opposition beantwortet.

Die Veröffentlichung der Verhandlungsschrift wurde einstimmig beschlossen. (Fortsetzung)