Parlamentskorrespondenz Nr. 727 vom 05.12.2000

KUNDGEBUNGEN GEGEN REGIERUNGSPOLITIK BESCHÄFTIGEN NATIONALRAT

Wien (PK) Die aktuellen Kundgebungen gegen die Politik der Bundesregierung beschäftigten heute die Abgeordneten zum Nationalrat in einer hitzigen Debatte in der ersten Stunde der Sitzung , auf deren Tagesordnung die Kapitel Inneres, Soziales und Justiz im Bundeshaushalt 2001 stehen. Die Koalitionsfraktionen haben eine Dringliche Anfrage zum Thema "Reformdialog statt Straßenblockaden" eingebracht, die am Nachmittag debattiert wird.

Am Beginn der Sitzung stellte Präsident Dr. FASSLABEND rückblickend auf die Sitzungen der vergangenen Woche fest, das Ziel seiner Sitzungsführung sei es, möglichst ohne Ordnungsrufe auszukommen. Dies erfordere aber die Mitwirkung aller Abgeordneten des Hauses. In zwei Extremfällen habe er allerdings Ordnungsrufe erteilt, und zwar an die Abgeordnete Dr. Partik-Pable und den Abgeordneten Mag. Posch wegen der Ausdrücke „Nazi-Methoden der SPÖ“ bzw. „Nazi-Sprache“. Mit Nachdruck wies der Präsident auch Versuche von Abgeordneten zurück, Einfluss auf die Protokollführung zu nehmen.

Vor Eingang in die Tagesordnung übte Abgeordneter Dr. KHOL (V) in einer Wortmeldung zur Geschäftsbehandlung mit scharfen Worten Kritik an den Protestmaßnahmen, für die er sozialistische und grüne Gruppen verantwortlich machte. Mit rechtswidriger Gewalt sei versucht worden, Abgeordnete daran zu hindern, rechtzeitig im Parlament zu den Beratungen zu erscheinen. Khol sprach von einer Blockade des Gesetzgebers und verlangte eine kurze Debatte über dieses Thema.

Als erster Redner in dieser Debatte untermauerte Khol seine Ablehnung der Demonstrationen und richtete überdies schwere Vorwürfe an den ÖGB: Der Gewerkschaftsbund habe am Reformdialog teilgenommen, nun lege er während der Budgetberatungen eine Menschenkette um das Parlament und versuche damit, den Gesetzgeber unter Druck zu setzen. Khol erteilte sämtlichen Versuchen, den parlamentarischen Entscheidungsprozess zu behindern, eine klare Absage und meinte, mit Straßenblockaden dürften Probleme nicht gelöst werden.

Abgeordneter Ing. WESTENTHALER (F) sprach von einer „rot-grünen Chaotenpartie“, die die Straßen Wiens unsicher mache und den Verkehr blockiere. Empört zeigte er sich über den Umstand, dass auch Abgeordnete der Oppositionsparteien ihre Solidarität mit den Demonstranten bekundet hatten. Dem ÖGB wiederum warf er vor, Arm in Arm mit den Drahtziehern der Gewalt zu marschieren. Die Bevölkerung sehe heute, dass ein rot-grünes Bündnis in Chaos und Gewalt führe. Weil der SPÖ und den Grünen die Argumente gegen die Politik der Regierung ausgegangen sind, würden sie nun die Gewalt der Straße mobilisieren, konstatierte Westenthaler. Der FP-Klubchef forderte die Oppositionsparteien zudem auf, „den rot-grünen Mob zurückzupfeifen“.

Abgeordneter NÜRNBERGER (S) stellte klar, ÖGB und SPÖ hätten mit diesen Demonstrationen nichts zu tun, die unsoziale Politik der Regierung sei vielmehr Schuld daran, dass die Menschen auf die Straße gehen. Nürnberger erinnerte, dass der erste Streik gegen Maßnahmen dieser Koalition nicht von der SPÖ, sondern von der VP-nahen Lehrergewerkschaft ausgegangen ist. Die Reaktionen der Regierungsparteien auf die Proteste bezeichnete der Redner als Dramatisierung und meinte, der wahre Grund der heutigen Nervosität seien wohl die Wahlergebnisse aus dem Burgenland.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) warf den Regierungsparteien vor, das Demonstrationsrecht „madig“ zu machen. Die Menschen seien verärgert über die Budgetgesetze, ihre Aufregung sei legitim. Demonstrationsfreiheit gelte aber offensichtlich nur dann, wenn es der Regierung passt, stellte Van der Bellen pointiert fest. Wer für Grenzblockaden gegen Temelin sei, der müsse auch Blockaden gegen Budgetgesetze akzeptieren, gab der Redner zu bedenken. Klar war für Van der Bellen, dass durch Protestaktionen nicht die Arbeit des Parlaments gefährdet werden dürfe.

Abgeordneter Mag. TANCSITS (V) kritisierte, die Regierungsgegner würden schon seit dem 4. Februar versuchen, den Entscheidungsprozess aus dem Parlament auf die Straße zu verlegen. Heute gehe die Gewerkschaft das erste Mal seit 1950 auf die Straße, um gegen die Mehrheit im Parlament zu demonstrieren. Die Herbeiführung eines künstlichen Belagerungszustandes habe, wie Tancsits betonte, nichts zu tun mit den legitimen Möglichkeiten der Menschen, in Interessenvertretungen für ihre Rechte einzutreten.

Abgeordneter Dr. KOSTELKA (S) mahnte das Recht auf Demonstrationsfreiheit ein und übte scharfe Kritik an FPÖ und ÖVP: Weil den Regierungsparteien die Argumente ausgehen, würden sie nun den Menschen das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit nehmen. Das Demonstrationsrecht dürfe man nicht einseitig sehen. Es gelte nicht nur am Brenner oder gegen Temelin, sondern auch gegen die unsozialen Maßnahmen der Regierung, unterstrich Kostelka, der der Koalition im übrigen vorwarf, die Ereignisse zu dramatisieren.

Abgeordneter GAUGG (F) erwiderte, illegale Versammlungen und die Lahmlegung der Republik hätten mit dem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit nichts zu tun. Der Redner vermisste die Solidarität des Gewerkschaftsbundes mit der werktätigen Bevölkerung, die wegen der Blockaden heute zu spät zur Arbeit kommt, und ortete bei der SPÖ mangelndes Demokratieverständnis.

Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) zeigte Verständnis für die Demonstranten, deren Proteste sich ihrer Meinung nach auch gegen den Abbau von Menschenrechten richten. Schon allein wegen des Ansehens Österreichs in der Welt seien die heutigen Aktionen notwendig.

Abgeordneter Dr. STUMMVOLL (V) stellte mit Nachdruck fest, demokratische Entscheidungen hätten im Hohen Haus, und nicht auf der Straße zu fallen. Die Bürger würden die Protestaktionen mehrheitlich ablehnen, glaubte er. Der SPÖ warf Stummvoll vor, mit ihrem Auszug aus den Budgetberatungen im Ausschuss die Diskussion verweigert zu haben und nun auf die Straße zu ziehen.

Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) begründete die Proteste mit dem Ärger der Bevölkerung über den, wie er sagte, Belastungskurs der Regierung. Er erinnerte daran, dass die Menschenkette vom ÖGB angemeldet wurde. Die SPÖ werde nicht zulassen, dass nach dem Maß des Abgeordneten Khol „gute Demonstranten – böse Demonstranten“ ein garantiertes Verfassungsrecht eingeschränkt werde, betonte Gusenbauer mit Nachdruck. Im Übrigen zeigte sich Gusenbauer überzeugt, dass die Bevölkerung den Kurs der Regierung ablehne, was für ihn auch die heutige Nervosität der Koalitionsparteien erklärte.

Abgeordneter Mag. SCHWEITZER (F) vertrat die Ansicht, das Demonstrationsrecht dürfe nicht eingeschränkt werden; wer es aber zu einem Kampfinstrument mache, der setze sich ins Unrecht. Wer neuralgische Verkehrsknoten blockiere, schade den Menschen sowie dem Land und säe Hass. Dem Abgeordneten Van der Bellen warf Schweitzer vor, wenn er mit Checkpoint Austria nichts zu tun habe, warum er mit den Veranstaltern der Morgenblockaden eine Pressekonferenz im Parlament gemacht habe.

Abgeordneter Dr. PILZ (G): Wenn heute schwarze, rote, grüne und blaue Lehrer demonstrieren, dann ist dies ihr gutes Recht. Die Regierung sollte sich aber überlegen, warum Betroffene aus allen politischen Lagern auf die Straße gehen. Das dürfte etwas mit der Regierungspolitik zu tun haben und auch damit, dass die Menschen nicht genug Vertrauen in die offizielle Politik und deren Lösungskompetenz haben. Unter Bezugnahme auf den Tod von H.C. Artmann, den Pilz, wie er sagte, "als Dichter bewundert und als Mensch sehr geschätzt hat", meinte der Redner, mit den Mitteln der persönlichen Diffamierung und der Verletzung der Grundsätze des Rechtsstaates könne man keinen politischen Erfolg erzielen.

Präsident Dr. FISCHER teilte nach der Geschäftsbehandlungsdebatte mit, dass von Vertretern der Koalitionsparteien der Antrag gestellt wurde, die schriftliche Anfrage 1629/J an den Bundeskanzler betreffend Reformdialog statt Straßenblockaden dringlich zu behandeln.

Nach der Dringlichen findet eine Diskussion über den von den Grünen eingebrachten Antrag, dem Unterrichtsausschuss zur Behandlung des Antrages 233/A (Änderung des Schulorganisationsgesetzes) eine Frist bis 30. Jänner 2001 zu setzen, statt.

(Schluss)