Parlamentskorrespondenz Nr. 752 vom 13.12.2000
VOLLZIEHUNG DES GLEICHBEHANDLUNGSGESETZES IM JAHR 1999
Wien (PK) - Die Bundesminister Herbert Haupt und Martin Bartenstein legten dem Parlament einen gemeinsamen Bericht über die Vollziehung des Gleichbehandlungsgesetzes im Jahr 1999 vor. Wie dem Bericht zu entnehmen ist, haben sich 772 Personen (627 Frauen, 145 Männer) zur Beratung bei der Anwaltschaft für Gleichbehandlungsfragen Wien/Innsbruck gemeldet. Die wichtigsten Themen betrafen die Gleichbehandlung (283 Fälle), die sexuelle Belästigung (142), den öffentlichen Dienst (89) und das Arbeitsrecht (26). Die meisten Beratungen gab es in Wien (426), Tirol (126) und Niederösterreich (48).
THEMENSCHWERPUNKTE ...
Inhaltliche Schwerpunkte der Beratungen nach Diskriminierungsbereichen waren sexuelle Belästigung (33,4 %), Mehrfachdiskriminierung (28,2 %), Begründung eines Arbeitsverhältnisses (10,8 %), Entgelt/freiwillige Sozialleistungen (9,5 %), Arbeitsbedingungen/Mobbing (7,5 %), Beförderung (4,7 %), Beendigung des Arbeitsverhältnisses (3,1 %), geschlechtsneutrale Stellenausschreibung (1,9 %) und Aus- bzw. Weiterbildung (0,9 %).
... UND TENDENZEN IN DEN EINZELNEN DISKRIMINIERUNGSBEREICHEN
Wiederholt hat sich gezeigt, dass Frauen selbst dann, wenn sie ihre Kompetenz und ihr Können in einem Betrieb schon unter Beweis stellen konnten, noch immer gravierenden Benachteiligungen ausgesetzt sind, wenn es um eine fixe oder unbefristete Anstellung geht. Frauen sind zwar als freie Mitarbeiterinnen, Werkvertragsnehmerinnen, Praktikantinnen oder Aushilfskräfte willkommen, aber ArbeitgeberInnen sind auch nach einem längeren Zeitraum der Bewährung nicht zu einem regulären Dienstvertrag bereit. Für die Frauen bedeutet dies eine sozial und finanziell wenig bis gar nicht abgesicherte Situation und fortsetzten Druck, neue Einkommensmöglichkeiten zu suchen.
Als neue Diskriminierungsfalle für Frauen hat sich die Einführung von geänderten Gehaltsschemata in Betrieben herauskristallisiert. Auch bei der betrieblichen Pensionsvorsorge zeigt sich, dass Frauen nicht damit rechnen können, unter Zugrundelegung gleichbehandlungskonformer Kriterien in Pensionskassensysteme einbezogen zu werden. Um anzurechnende Dienstzeiten müssen sie wesentlich häufiger kämpfen als männliche Kollegen.
Die Verweigerung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen für Frauen wird zuweilen als bewusste Strategie eingesetzt, um Mitarbeiterinnen künftige Karriereschritte und das Eindringen in Männerdomänen zu verwehren, heißt es im Bericht, denn die Teilnahme an Schulungs- und Fortbildungsveranstaltungen stellt regelmäßig ein innerbetriebliches Steuerungsmittel zur Karriereplanung der MitarbeiterInnen dar.
Massiv verschlechtert hat sich die Situation für Frauen, die nach der Geburt eines Kindes und einer längeren Betreuungsphase zu Hause wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren; sie erhalten Arbeiten und Aufgabenbereiche zugewiesen, die ihrer Qualifikation und ihrem Dienstvertrag nicht entsprechen. Das Ersuchen um Teilzeitarbeit wird als Druckmittel seitens der ArbeitgeberInnen dazu benützt, Frauen vorzuwerfen, dass sie ihre Arbeit nicht ordnungsgemäß erledigen, dass sie "nie da sind" und vermehrt mit der Möglichkeit eines Arbeitsplatzverlustes rechnen müssen.
Frauen, sobald sie innerbetrieblich Beschwerden wegen vermuteter Ungleichbehandlung, Änderungswünsche hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen oder sonst wie ihre Unzufriedenheit äußern, laufen Gefahr, sehr schnell ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Im Falle einer Beschwerde wegen sexueller Belästigung war es schon bisher so, dass die Frau, die den Vorfall aufzeigte, als "Störenfried" betrachtet und durch Kündigung von ihrem Arbeitsplatz verdrängt wurde. In äußerst seltenen Fällen sucht der Arbeitgeber eine innerbetriebliche Lösung, die der belästigten Frau die Fortsetzung ihrer Tätigkeit gewährleistete.
1999 wurde vermehrt die Tendenz sichtbar, dass immer öfter weibliche Lehrlinge im Alter von 14, 15, 16 Jahren an ihrem Arbeitsplatz massiven verbalen oder auch körperlichen Übergriffen ausgesetzt sind. Diese Vorfälle sind nicht auf einzelne Branchen beschränkt, sondern betreffen die klassischen Frauenlehrberufe ebenso wie Mädchen, die in bisher traditionell männlich dominierten Lehrberufen arbeiten. Auch bei Meldung massiver sexueller Attacken neigen Arbeitgeber eher dazu, sich vom Lehrling als vom "verdienten Facharbeiter" zu trennen.
Erstmals sind aber auch einzelne Männer an die Gleichbehandlungsanwaltschaft herangetreten, die sich zu Unrecht von Frauen der sexuellen Belästigung beschuldigt fühlten und von der Anwaltschaft vertreten werden wollten.
KOMMISSIONSARBEIT VON 1991 BIS 1999
Seit der Errichtung der Gleichbehandlungsanwaltschaft 1991 bis Jahresende 1999 wurden in der Gleichbehandlungskommission insgesamt 133 Überprüfungsverfahren eingeleitet. 80 Verfahren hat die Gleichbehandlungskommission auf Grund eines Antrags der Anwaltschaft für Gleichbehandlungsfragen durchgeführt. Davon wurden 49 (überwiegend) positiv, 4 negativ erledigt, 15 Anträge wurden durch Antragszurückziehung nach zumeist positiven arbeitsgerichtlichen Vergleichen erledigt, 11 Verfahren sind offen, in einem Fall war die Kommission unzuständig.
GESETZLICHE VERBESSERUNGEN NOTWENDIG
Eine Reihe von Verbesserungen ist notwendig, um das österreichische Recht an geltendes EU-Recht anzugleichen bzw. den Schutz betroffener ArbeitnehmerInnen wirksam und effektiv zu gestalten. Dazu zählen: die Aufhebung der Schadenersatzobergrenzen bei Verletzung des Gleichbehandlungsgebots bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses und beim beruflichen Aufstieg; die Anpassung der Beweislastverteilung an die Beweislast-Richtlinie der EG; die Einbeziehung von nicht geschlechtsneutralen Stellenausschreibungen durch ArbeitgeberInnen in die Verwaltungsstrafbestimmung des Gleichbehandlungsgesetzes; der verbesserte Schutz bei Diskriminierung durch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz; die Erleichterung der Beweisführung in Fällen der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz; der verbesserte Schutz bei Folgediskriminierungen und die Einbeziehung von Personen, die arbeitnehmerInnenähnlich beschäftigt sind, in den Geltungsbereich des Gleichbehandlungsgesetzes. (III-74 d.B. )
(Schluss)