Parlamentskorrespondenz Nr. 761 vom 14.12.2000

DIE HABSBURGER-MONARCHIE IM HOHEN HAUS

Wien (PK) - Der 7. Band der Reihe "Die Habsburger-Monarchie 1848-1918", herausgegeben von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, wurde heute Abend im Hohen Haus durch Nationalratspräsident Heinz Fischer vorgestellt. Schwerpunkte des Buches sind die Entwicklung von Verfassung und Parlamentarismus im einstigen Reich.

In seiner Begrüßung nannte der Präsident das Buch ein "eindrucksvolles wissenschaftliches Werk", das gut geeignet sei, hier vorgestellt zu werden. Wiewohl man es in der österreichischen Geschichte mit klar abgegrenzten Epochen (jene der Monarchie, jene der Ersten Republik, jene des Faschismus und der Okkupation, jene der Zweiten Republik) zu tun habe, so wirkten diese doch auf einander ein, nicht zuletzt durch eine Kontinuität der Eliten. Schliesslich ging Fischer auf die Entwicklung der Geschäftsordnung des Reichsrates ein, die noch bis in die 80er Jahre maßgeblich jene des Nationalrates determiniert und beeinflusst habe.

Der Präsident der Akademie der Wissenschaften Werner Welzig dankte sodann dem Präsidenten des Nationalrates für die Möglichkeit, das Buch im Hohen Haus vorstellen zu dürfen, und den beiden Herausgebern für ihre Mühe. Er unterstrich die Bedeutung von Verfassung und Parlamentarismus für das Funktionieren einer Demokratie und mahnte, unter Bezugnahme auf den Nationalsozialismus, antidemokratischen Tendenzen gegenüber wachsam zu bleiben.

Für die Herausgeber sagte Helmut Rumpler, es liege nun ein weiterer Teil eines internationalen wissenschaftlichen Unternehmens vor, welches schon 1952 angedacht worden sei. Die Habsburger-Monarchie sollte als ein Modellfall untersucht werden, denn viele Erfahrungen könnten auch für heute gelten. Somit sei dieses "Opus magnum" im Lichte der Erfahrung der Geschichte Mitteleuropas ein Blick auf die Gegenwart.

Dazu sei freilich Grundlagenforschung nötig gewesen, wisse man doch bislang wenig über die Praxis des Parlamentarismus, wenig über den Hintergrund der Abgeordneten und praktisch nichts über die Parteien. Es lägen keine Wahlergebnisse vor, und auch sonst seien viele Forschungsdefizite zu beklagen.

Dieses grosse Werk beantworte nun erstmals viele dieser Fragen, stelle es doch eine integrative Zusammenschau auf der Grundlage rezentester Forschungen dar, was auch den gewaltigen Umfang des Werkes rechtfertige. Rumpler ging auf die einzelnen Besonderheiten des Buches ein und wies dabei auch auf den Umstand hin, dass es im österreichischen Parlamentarismus nicht weniger als 186 Klubs gegeben habe, wobei sich der Bogen alphabetisch von den Agrariern bis zu den Zionisten spannte. Schliesslich befasste sich der Redner noch mit den Gründen für das Scheitern der Monarchie und dankte allen Mitwirkenden am Zustandekommen dieser Publikation für ihre Mühe. Im Anschluss an Rumpler hielt der Hagener Professor Arthur Schlegelmilch noch einen Vortrag zum Thema "Konstitutionalismus als Alternative. Verfassungspolitische Perspektiven des Habsburgerstaates zwischen Absolutismus und Parlamentarismus".

VERFASSUNGSRECHT UND WIRKLICHKEIT DER DONAUMONARCHIE

Der neue Band der Reihe berührt eines der zentralen Probleme der seinerzeitigen Weltmacht. Die Staats- und Reichswirklichkeit war nicht nur, aber auch, eine Verfassungsfrage. Österreich (ab 1867 Österreich-Ungarn) war ein Vielvölkerstaat mit divergierenden Interessen und Bedürfnissen. Den Autoren des Bandes geht es dabei darum, bisher noch nicht in diesem Zusammenhang geklärte Fragen zu stellen und zu beantworten, mithin also darum, wissenschaftliches Neuland zu betreten. Besonders augenfällig wird dies mit der ausführlichen Darstellung der Entwicklung in Ungarn, die in dieser Form in deutscher Sprache noch nicht behandelt worden war.

Neben den verfassungsrechtlichen Aspekten erfährt die Geschichte der Zentralparlamente entsprechende Würdigung. Dargestellt wird dabei die Wandlung etwa des österreichischen Reichsrates von einem Honoratiorenparlament hin zu einer, zumindest teilweisen, Volksvertretung mit Massenparteien im heutigen Sinn. Dabei gehen die Autoren nicht nur auf die legislative Tätigkeit der Körperschaften, sondern auch auf die Handlungsspielräume, die Strategien und die Zielsetzungen der einzelnen Fraktionen ein. Als Fallbeispiel für eine Reichsratswahl wird jene des Jahres 1897 herangezogen, bei der erstmals Sozialdemokraten in das Haus am Ring gewählt wurden.

Der zweite Teil des Buches wendet sich den regionalen Repräsentativkörperschaften, also den Landtagen, zu. Jeder der 14 Landtage Cisleithaniens wird dabei gesondert untersucht und in seiner Entwicklung dargestellt, wodurch der Blick auf zahlreiche Spezifika der in vieler Hinsicht unterschiedlich organisierten und strukturierten Länderparlamente fällt. Ebenfalls beschrieben werden die Landtage Kroatiens und Siebenbürgens sowie der erst ab 1908 existierende bosnische Landtag, die teilweise einen von Cisleithanien unterschiedlichen Weg nahmen. Ein weiterer Abschnitt befasst sich schliesslich mit den Gemeindevertretungen.

Mit "Verfassung und Parlamentarismus" liegt somit ein weiterer Band einer Reihe vor, die 1973 mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Habsburger-Monarchie eingeleitet wurde. 1975 folgte ein Band über das Rechtswesen und die Verwaltung, 1980 die Darlegung der Völker des Reiches. Der 4. Band umfasst die Konfessionen (1985 publiziert), der 5. (erschienen 1987) die Armee. Der 6. Band, erschienen 1989, befasste sich schliesslich mit der Außenpolitik.

Der 7. Band der Reihe umfasst 2.695 Seiten, erschien im Verlag der Akademie der Wissenschaften und ist zum Preis von 3.680 S im Buchhandel erhältlich. (Schluss)