Parlamentskorrespondenz Nr. 75 vom 05.02.2001

SENIOREN IN ÖSTERREICH: 10 PROZENT ARMUTGEFÄHRDET, 2 PROZENT ARM

Wien (PK) - Rund 10 % der älteren Menschen in Österreich gelten als armutgefährdet, etwa 2 % dürften von akuter Armut - zusätzlich zu einem knappen Einkommen bestehen Versorgungsdefizite - betroffen sein. Das geht aus dem Seniorenbericht 2000 der Bundesregierung hervor, der kürzlich dem Nationalrat zugeleitet wurde. Besonders prekär ist die Einkommenssituation älterer Frauen: 40 % beziehen ein Einkommen unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz; bei den Männern sind es unter 20 %. Die wichtigstes Einkommensquelle der älteren Bevölkerung ist - nicht überraschend - die Pension bzw. Rente.

Der Seniorenbericht "steht für mich persönlich unter dem Aspekt, die Verbundenheit zwischen den Generationen zu fördern und den Ausgleich der Interessen zwischen älteren und jüngeren Menschen in Österreich sichern zu können", schreibt Bundesminister Mag. Haupt in seinem Vorwort zu dieser ersten umfassenden Darstellung der Lebenssituation älterer Menschen in unserem Land. Erstellt wurde die umfangreiche Publikation (659 Seiten) vom Österreichischen Institut für Familienforschung.

KEINE GRUPPE WÄCHST SO STARK WIE DIE "SEHR ALTEN"

Heute leben in unserem Land 140.000 85-jährige und ältere, im Jahr 2050 werden es bei weiter steigender Lebenserwartung rund 600.000 sein. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene werden dagegen zahlenmäßig beträchtlich abnehmen. Das momentane Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern ist eine Folge der unterschiedlichen Lebenserwartung, vor allem aber zweier Weltkriege. Gegenwärtig kommen auf 100 über 60-jährige Frauen 66 Männer gleichen Alters, bei den über 75-jährigen ist das Verhältnis 100 zu 44 und bei den über 85-jährigen 100 zu 34. Mit dem Wegsterben der Kriegsgenerationen wird das Verhältnis aber ausgeglichener werden. Schon im Jahr 2015 werden bei den über 60-jährigen auf 100 Frauen 80 Männer kommen, ab dem Jahr 2025 werden es dann 85 Männer sein.

Österreich altert nicht gleichmäßig. So nimmt Wien eine Sonderstellung ein, daneben gibt es eine beträchtliche Ost-West-Differenz. Aus historisch-politischen Gründen stieg in der Bundeshauptstadt der Anteil der über 60-jährigen in einem international einzigartigen Ausmaß und Tempo von 7 % im Jahr 1910 auf 28 % im Jahr 1951 - im selben Zeitraum wuchs der Anteil im Bundesdurchschnitt von 9 % auf 14 % - und liegt heute bei 20 %. Demografisch "älter" ist die Bevölkerung im Südosten Österreichs (Burgenland 23 %, Steiermark 21 %), "jünger" im Westen (Salzburg, Tirol, Vorarlberg: 16 bis 17 %).

SOZIALKONTAKTE DER ÄLTEREN MENSCHEN FAMILIENKONZENTRIERT

Rund 98 % der Männer und 96 % der Frauen im Alter ab 60 Jahren wohnen in privaten Haushalten. Nur eine kleine Minderheit - 40.000 Frauen und 11.000 Männer - leben nicht in den "eigenen vier Wänden", sondern in institutionellen Haushalten (in Alten- und Pflegeheimen).

Alleinlebende ältere Frauen sind hauptsächlich ein Phänomen städtischer Lebensräume, insbesondere Wiens. So lebten 1991 53 % der Wienerinnen im Alter von 60 und mehr Jahren und zwei Drittel aller 75- und mehrjährigen in einem Einpersonenhaushalt. Selten wohnen ältere Wienerinnen und Wiener mit einem Kind in gemeinsamem Haushalt.

In der Regel bestehen Besuchskontakte zwischen den Generationen, nur eine Minderheit von 2 % hat nach eigenen Angaben keine Verbindung mit den Kindern. 55 % aller älteren Menschen, die Kinder haben, haben tagtäglichen Kontakt (Besuch, Telefonat) mit einem Kind. Weiters wohnen 48 % der älteren Menschen mit einem Kind im selben Haus, wobei dies vor allem für die kleinen agrarisch geprägten Gemeinden gilt.

Zwei Drittel der älteren Menschen, die nicht gemeinsam mit Kindern wohnen, haben mindestens wöchentlichen Besuchskontakt mit ihren Kindern. Enkellose ältere Menschen erhalten zu 57 %, solche mit Enkeln zu 66 % mindestens einmal pro Woche Besuch von einem Kind. Dieser "Enkeleffekt" schlägt bei Kindern von Töchtern stärker zu Buche als bei Kindern von Söhnen.

Die Besuche durch andere Verwandte sind lockerer als jene durch Kinder; mit steigendem Alter kommt es zu einer Ausdünnung dieser Kontakte. Besuche durch Freunde und Bekannte sind häufiger als jene durch andere Verwandte. Von einer Minderheit werden mehr oder weniger regelmäßig Lokalbesuche, Ausflugsfahrten, Bildungs- und Kulturaktivitäten und Seniorenveranstaltungen wahrgenommen. Das soziale und kulturelle Leben der älteren Menschen spielt sich in erster Linie zu Hause (z.B. beim Fernsehen) und in Form von Kontakten im engeren Familien-, Verwandten- und Freundeskreis ab.

KEINE FEINDSELIGKEIT ZWISCHEN DEN GENERATIONEN

Aus einer 1998 österreichweiten repräsentativen Studie über die Einstellungen und Verhaltensweisen im Wechselverhältnis zwischen den Generationen geht hervor, dass bei Unterstützungsbedürftigkeit - das war bei vier Fünftel der erwachsenen Bevölkerung in den letzten zwei Jahren der Fall - kaum jemand ohne ausreichende Hilfe seitens der Familie bleibt. Ein solcher Hilfsbedarf tritt bei den Jüngeren zum Teil erheblich häufiger auf als bei den Älteren. Besonders deutlich wird dies im finanziellen Bereich und bei der Betreuung von Kindern, und es ist regelmäßig die Elterngeneration, die primär diesen Hilfsbedarf deckt. Zentrale Hilfsperson ist die Mutter, bei Dienstleistungen für Personen höheren Alters spielen auch die Töchter eine wichtige Rolle.

Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ist zwar ein Konfliktpotential, aber keine Feindseligkeit im Verhältnis zwischen den Generationen auszumachen. Den Senioren wird nur wenig Beteiligung an intergenerationellen Konflikten zugeschrieben.

SENIOREN: ZWISCHEN WOHLHABENHEIT UND ARMUT

Die wichtigste Einkommensquelle der älteren Bevölkerung ist das Pensionseinkommen. Die Spannweite der Brutto-Personen-Monateinkommen der pensionierten Älteren ist breit: 10 % dieser Einkommen liegen unter 4.267 S, 90 % sind geringer als 25.933 S. Dabei beziehen Frauen sehr niedrige Einkommen: mindestens 40 % haben ein Bruttoeinkommen, das niedriger als der Ausgleichszulagenrichtsatz ist, bei den Männern sind es weniger als 20 %. Relativ wenige Ältere beziehen ein hohes Bruttoeinkommen: jeder 20. Pensionist und jede 66. Pensionistin.

Im Schnitt verfügen 23 % der PensionistInnen-Haushalte über zumindest eine Lebensversicherung, zu 24 % über eine Krankenzusatzversicherung und zu 10 % über Wertpapiere (Erwerbstätigen-Haushalte: 54 %, 38 % und 10 %).

Rund 10 % der Haushalte älterer Menschen bzw. der älteren Menschen für sich allein betrachtet gelten einkommensmäßig als armutsgefährdet. Von akuter Armut (zusätzlich zu einer knappen Einkommenssituation auch Versorgungsdefizite) dürften 2 % der Senioren betroffen sein.

Am unteren Ende der Verteilung des Lebensstandards in Haushalten von PensionistInnen finden sich Ausgleichszulagenbezieherinnen und Haushalte von Personen, die nie erwerbstätig waren. Diesen Gruppen sind niedrige Wohnqualität, ein hoher Anteil an Substandardwohnungen (7 % aller PensionistInnen-Haushalte hatten 1993 keine Sanitärinstallationen), geringe Mobilität und das Fehlen von Haushaltsgeräten - 1993 verfügten 5 % der PensionistInnenhaushalte über keinen Herd -  und anderen technischen Hilfsmitteln (1993: 14 % kein Telefon, 5 % keinen Fernsehapparat) gemeinsam. Die höchsten Wohnstandards bei den Älteren erreichen Personen im ehemaligen Angestellten- und Beamtenstatus und die Selbständigen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft.

REISELUST UND SPORTAKTIVITÄTEN DER ÄLTEREN

Entgegen oft gehörten Meinungen verbringen die meisten Älteren ihre Zeit nicht mit Reisen. Zwar hat in den vergangenen Jahrzehnten die Reisefreudigkeit zugenommen, jedoch weisen die über 60-jährigen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ein unterdurchschnittliches Reiseinteresse auf; unter den über 75-jährigen haben drei Viertel keine Urlaubsreise mit mehr als vier Übernachtungen gemacht.

Aus einer Erhebung aus 1997 geht hervor, dass 9 % der 50- bis 59-jährigen, 7 % der 60- bis 69-jährigen und rund 3 % der über 70-jährigen häufig Sport betreiben. Zu den wichtigsten Sportarten gehören Wandern, Schwimmen und Radfahren.

ZEITGEMÄSSE SENIORENPOLITIK BRAUCHT EIGENE GRUNDSÄTZE UND ZIELE

Seniorenpolitik, heißt es in den von Univ.-Prof. Dr. Anton Amann erarbeiteten Empfehlungen des Berichts, muss an der Minderung sozialer Ungleichheit arbeiten und auf die Unterschiedlichkeit von Lebenslagen im Alter Rücksicht nehmen. Eine entsprechende Perspektive des politischen Handelns bedarf einer integrativen und ganzheitlichen Sichtweise; dazu müssen die Einflüsse früherer Lebensabschnitte berücksichtigt und Familienverhältnisse, Arbeitsleben, Bildung, soziale und kulturelle Teilhabe, die materielle Absicherung und die Gesundheitsituation angemessen bewertet werden. Seniorenpolitik ist ohne integrierte Beschäftigungs-, Sicherungs- und Steuerpolitik unvollständig.

Die materielle Absicherung im Alter muss auch in Zukunft in angemessener Weise gewährleistet werden. Die in Zukunft notwendigen Reformen am Sicherungssystem haben sich nicht nur auf die Frage der Finanzierbarkeit zu konzentrieren, sondern auch auf die Verminderung der Ungleichheiten, die einerseits zwischen Männern und Frauen und andererseits zwischen verschiedenen sozialen Gruppen bestehen. Im Rahmen von Finanzierungsfragen ist es erforderlich, in der öffentlichen Diskussion Kostenwahrheit (z.B. beim Pflegegeld, Bundeszuschuss zur Sozialversicherung) herzustellen. Neue Formen der Erwerbskombination sind zu überlegen. Projekte könnten in den Bereichen von Dienstleistungen, aber auch von Beratung und Hilfe zur Kommunikation erfolgreich sein. Projekte, in denen Ältere mit Älteren arbeiten, bedürfen der Förderung. (III-84 d.B. ) (Schluss)