Parlamentskorrespondenz Nr. 80 vom 07.02.2001

GRENZMENGE FÜR BESITZ VON HEROIN WIRD AUF 3 GRAMM GESENKT

Wien (PK) – Politisch und inhaltlich sensible Materien, die in den letzten Wochen auch in der Öffentlichkeit für heftige politische Auseinandersetzungen gesorgt haben, prägten heute die Diskussion im Hauptausschuss des Nationalrates unter der Leitung von Nationalratspräsident Heinz Fischer. Auf der Tagesordnung standen nämlich unter anderem die Suchtgift-Grenzmengenverordnung und die Niederlassungsverordnung.

Die Grenzmengen für strafbaren Besitz und Erwerb von Drogen mit dem Ziel der Weitergabe wurde mit 3,0 g – bisher 5,0 g – mit den Stimmen von F und V festgesetzt.

Um für die Entscheidung zusätzlich sachliche Argumentationen zu erhalten, waren zudem von den einzelnen Fraktionen genannte Experten eingeladen, deren Stellungnahmen in Bezug auf die geplante Herabsetzung der Grenzmengen differenziert ausfielen. Einig waren sich die Experten darüber, dass die therapeutischen Maßnahmen ausgebaut werden müssten, insbesondere auch dann, wenn sich die Drogenbekämpfung von der Prävention wieder mehr in Richtung judiziellen Bereich bewegt.   

Für die Opposition bedeutet die Novelle eine Kriminalisierung Süchtiger und keine Lösung des Problems. Positive Ergebnisse würden vor allem durch Prävention und Therapie erzielt, so die S-G-MandatarInnen. Sie sehen sich darin auch von den negativen Stellungsnahmen der Länder und anderen Institutionen unterstützt, wobei sich Kärnten dazu nicht geäußert hat. Demgegenüber argumentierten die V-F-Abgeordneten, dass es nicht um Kriminalisierung gehe, sondern in erster Linie um die Bekämpfung des Dealerwesens und darum, die Verbreitung von Drogen sowie die Ansteckungsgefahr durch HIV-Viren und Hepatitis-C zu vermindern.  

Die Niederlassungsverordnung 2001 sieht für das laufende Jahr höchstens 8.338 quotenpflichtige Niederlassungsbewilligungen und 180 quotenpflichtige Aufenthaltserlaubnisse für Pendler vor. Dies entspricht der Gesamtzahl von Bewilligungen für das Vorjahr, wobei jedoch den Bedürfnissen der Wirtschaft nach zusätzlichen Informationstechnologie-Kräften – insgesamt 1.613 - durch Umschichtungen innerhalb der Quoten Rechnung getragen werden soll. Die Familienzusammenführung wird verstärkt weitergeführt, für 7.000 Erntehelfer wird eine neue Quote eingeführt. Ihr wurde ebenfalls mit den Stimmen der Koalitionsparteien die Zustimmung erteilt.

GRENZMENGE FÜR STRAFBAREN BESITZ VON HEROIN WIRD HERABGESETZT

Einer Herabsetzung der Grenzwerte für den Besitz oder Erwerb von Heroin und Diacetylmorphin von 5,0 g auf 3,0 g stimmten heute die Mitglieder des Hauptausschusses nach einer außerordentlich kontroversiell geführten Diskussion zwischen Koalition und Opposition mit V-F-Mehrheit zu. Diese Grenzwerte sind strafrechtlich relevant, da aufgrund § 28 des Suchtmittelgesetzes der Besitz oder Erwerb von Suchtgift in einer großen Menge mit dem Vorsatz, es in Verkehr zu bringen, mit Freiheitsstrafe geahndet wird. Für die einzelnen Suchtgifte werden diese Grenzmengen auf dem Verordnungsweg nach Zustimmung des Hauptausschusses festgelegt. Sie bezeichnen jene Menge, ab der die genannten Stoffe als geeignet gelten, Gewöhnung hervorzurufen und in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen. Ein weiterer Aspekt für die Festlegung von Grenzwerten ist auch die Auswirkung auf das Gewöhnungsverhalten von Suchtkranken.

Die noch von der Bundesministerin für soziale Sicherheit und Generationen im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz geplante Novelle der Verordnung wird, wie die Erläuterungen dazu ausführen, nur als ein erster Schritt gesehen, was auch von Abgeordnetem Alois Pumberger (F) in der Debatte unterstrichen wurde. Im Jahr 2001 sei beabsichtigt, nach erfolgter Überprüfung der übrigen in Betracht kommenden Grenzwerte weitere Änderungen der Suchtgift-Grenzmengenverordnung vorzuschlagen, bekräftigte Pumberger.

Zunächst kamen die vier Experten zu Wort.

Dr. Ewald Höld (Institut für Suchtdiagnostik) sprach sich aufgrund seiner umfangreichen therapeutischen Praxis „zumindest“ für die Beibehaltung der bestehenden Regelung aus, da jede Herabsenkung der Grenzmenge den Verbrechenstatbestand untermauere und damit negative Auswirkungen habe. Anhand eines umfangreichen statistischen Zahlenmaterials versuchte er darzulegen, dass im Rahmen der Möglichkeit zur Anzeigenrücklegung ohne Drohung einer strafrechtlichen Konsequenz die Möglichkeiten der Resozialisierung gewaltig erweitert worden seien. Man könne mit Hilfe der Psychotherapie zugrundeliegende Probleme bewältigen, die Süchtigen gesundheitsbezogenen Maßnahmen zuführen und bei Schwerkranken eine Begleitbetreuung und damit auch Kontrolle besser organisieren. Die Tagesdosis, der Wochenbedarf und die Gewöhnungseffekte hingen auch von den Umständen ab und seien daher sehr unterschiedlich. Für Höld sind daher starre Mengenregelungen äußerst problematisch.

Prim. Univ. Prof. Dr. Herwig Scholz (Ärztl. Leiter des Krankenhauses De La Tour; Treffen) skizzierte eingangs drei Pole beim Drogenproblem: Das Sucht- und Gefahrenpotenzial der Droge, den restriktiven Ansatz, bei dem der Schutz der Umgebung eine Rolle spiele und den permissiven Ansatz, der auf die Behandlung der bereits Kranken abziele. Scholz wies insbesondere auf das hohe Suchtpotenzial bei Heroin und auf die HIV-Gefährdung durch die Weitergabe hin. Daher müsse man auch auf dem restriktiven Sektor Bedacht nehmen. Eine Verminderung der Grenzmenge könne auch einen hemmenden Effekt hinsichtlich der Ausbreitung auf Nichtsüchtige haben. Allein beim permissiven Ansatz zu bleiben, heiße auch, auf die Chance einer Risikovermeidung zu verzichten. Scholz räumte jedoch ein, dass es für schwer Süchtige Ausnahmeregelungen aufgrund von Gutachten geben sollte und dass eine Verlagerung vom therapeutischen Bereich in das Justizressort auch ein verstärktes therapeutisches Angebot auf dem Justizsektor nach sich ziehen müsse. 

Scholz fasste die Notwendigkeiten der Drogenpolitik in fünf Punkten zusammen: Die Schaffung eines Fachbeirates, der multidimensional zusammengesetzt ist, eine länderübergreifende systematische Präventionsarbeit, ein österreichweit verfügbares Angebot von ambulanten und stationären Einrichtungen, bei Herabsetzung der Grenzmenge der Ausbau von Therapiemöglichkeiten im Justizbereich und schließlich eine enge und kollegiale Zusammenarbeit sowie einen regen Informationsaustausch unter Fachleuten. Wie der Experte in einer weiteren Wortmeldung betonte, haben wir die Hausaufgaben, was Prävention und Therapie betrifft, nicht gemacht.

Hofrat Dr. med. Reinhard Fous (Chefarzt der Bundespolizeidirektion Wien) hält es sogar für sinnvoll, die Grenze auf 0,5 Gramm herabzusetzen und gab zu bedenken, dass drei Gramm noch immer eine ungeheure „Straßenmenge“ bedeuteten. Er erläuterte, dass in der Verordnung von einer Reinsubstanz gesprochen werde, in der Straßenqualität aber eine Konzentration zwischen 10 und 25 Prozent vorherrsche. Das heiße, dass die heutige Grenzmenge 40 Portionen dieser Straßenqualität umfasse, eine Grenzmenge von drei Gramm 24 Portionen, eine Reduktion die er als „keinen heroischen Schritt“ bezeichnete. Als tödliche Dosis nannte der Chefarzt 25 Portionen.

Dr. Alfred Uhl (Ludwig Boltzmanninstitut für Suchtforschung) lehnte dezidiert eine Absenkung der Grenzmengen ab und führte u. a. aus, dass in der Schmerztherapie weitaus größere Dosen eingesetzt würden und nur zirka drei Prozent der PatientInnen darauf süchtig würden. Aufgrund seiner Erfahrungen würde er daher sogar für eine Hinaufsetzung der Grenzmengen auf 6 bis 10 Gramm plädieren. Als besonderes Problem nannte Uhl die psychische Abhängigkeit der Kranken, weshalb vor allem jene Programme wichtig seien, die eine Substitution anbieten, wodurch es zu keinen Entzugserscheinungen und damit zu Abhängigkeiten kommt. Die zentrale Frage in der heutigen Diskussion bezeichnete er, ob man abschrecken wolle oder nicht. Das Beispiel Amerika als Weltmeister des Drogenproblems und hoher Strafen zeige, dass Abschreckung der falsche Weg sei.

In der anschließenden Diskussion wurde von allen daraufhin gewiesen  dass der Drogenbesitz grundsätzlich nicht erlaubt sei und es sich bei den Grenzmengen darum handle, ob ein Straftatbestand oder ein Vergehen vorliegt.

Abgeordneter Johannes Jarolim (S) mutmaßte, dass mit dieser Vorlage der Wahlkampf in Wien eröffnet werde. Wie andere Abgeordnete seiner Fraktion und der Grünen betonte er, dass sowohl Länder- als auch Ärztekammer gegen den Verordnungsentwurf seien und hob die Notwendigkeit hervor, die Sucht zurückzudrängen, indem man Personen vom Dealen wegbringe. In diesem Zusammenhang stellte er den Antrag, ein Kommunique des Hauptausschusses zu veröffentlichen, in dem der Ausschuss sein grundsätzliches Interesse an einer dem Einzelfall gerecht werdenden Anwendung des Instruments der probeweisen Anzeigerücklegung insbesondere bei schwer Heroinabhängigen erklärt. Daher soll es künftig auch in Fällen schwerster Abhängigkeit zu keiner Einschränkung der probeweisen Anzeigerücklegung und den damit verbundenen therapeutischen Maßnahmen kommen.

Ihm schloss sich sein Fraktionskollege Erwin Niederwieser an, der vor allem die Kriminalisierung kritisierte. Abgeordneter Caspar Einem (S) meinte, das Absenken der Grenzmengen werde das Verhalten der Betreffenden nicht ändern, da „Süchtige keine Apotheker“ seien. Ihm sei klar, dass es in erster Linie um die Frage „mehr Schmalz oder nicht“ gehe.

Auch Abgeordneter Dieter Brosz (G) unterzog die durch die Herabsetzung der Grenzmengen bewirkte Kriminalisierung einer harten Kritik und nahm vor allem gegen die Aussagen von Dr. Fous Stellung. Man werde damit auch nicht effizient die Dealer bekämpfen, denn die müsse man dort ansiedeln, wo gedealt wird und nicht dort, wo Krankheit vorherrsche. Mit hoher Strafandrohung lasse sich das Problem nicht lösen, weshalb er den Schritt der Regierung als „bedauernswert“ bezeichnete. Er thematisierte auch das Alkoholproblem als Sucht, dessen kulturelle Wahrnehmung sich im öffentlichen Bewusstsein anders darstelle.

In seiner Argumentation wurde er von Abgeordneter Evelin Lichtenberger (G) unterstützt, da sie als zentrales Element der Verordnung die Hilfe von Suchtkranken durch Therapie sieht. Die Resozialisierung bringe nur bei Entkriminalisierung Erfolg mit der Herabsetzung der Grenzmenge von Heroin würde man jedoch nicht nur ausschließlich mehr Dealer in die Gefängnisse bringen, sondern auch Kranke. Sie sprach sich daher auch für das von Abgeordnetem Jarolim vorgelegte Kommunique aus.

Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen argumentierten dagegen, dass man die Verbreitung von Drogen und Krankheiten verhindern wolle. Vor allem Abgeordneter Günther Leiner (V) stellte diesen Aspekt in den Vordergrund seiner Sicht der Dinge und unterstrich insbesondere die fünf Punkte von Dr. Scholz. Für ihn stehe die Frage im Vordergrund, wie man Leute von der Sucht wegbringen könne, wie man die Weitergabe von Drogen verhindern und die Ansteckungsgefahr vermindern könne. Es gebe äußerst unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema, die Herabsetzung der Grenzmengen sei aber ein verfolgenswerter Versuch. Leiner gab jedoch zu, dass präventive Maßnahmen besser gesetzt werden müssten.

Sein Fraktionskollege Gerhard Bruckmann (V) wies auf das Problem der Verbreitung, mit dem man sich viel zu wenig auseinandersgesetzt habe, hin. Auch die Abgeordneten Werner Amon und Hermann Schultes (beide V) sehen in der Maßnahme die Möglichkeit, das Dealen zu minimieren, da die Gefährdung nicht Süchtiger ein großes Problem darstelle. Abgeordneter Josef Trinkl (V) verwehrte sich gegen den Vorwurf, kriminalisieren zu wollen.

Abgeordneter Alois Pumberger (F) nannte als Ziel die Herabsetzung von Grenzmengen auch anderer Drogen und ergänzte, dass bei einer Grenzmenge von 0,5 Gramm es nicht so viele in den Gefängnissen gegeben habe, wie dies heute der Fall sei. Die Drogenpolitik müsse bei drei Punkten ansetzen: Bei der Suchtprophylaxe, wobei der Abgeordnete den Ministerien vorbildliche Arbeit bescheinigte; bei der Suchttherapie, wo er noch viel Arbeit ortete und bei der Bekämpfung des Dealerunwesens, die nur mit verschärften Strafen möglich sei.

Bundesminister Herbert Haupt dankte Dr. Scholz für die klaren Hinweise, die dieser mit seinen fünf Forderungen an die Politik artikuliert hatte. Er gab ihm auch darin Recht, dass in der Drogenpolitik der Länder nicht Zusammenarbeit, sondern das Gegeneinander vorherrsche. Die zukünftige Drogenpolitik müsse daher auf mehr Kooperation der Länder setzen. Es gehe nicht darum, Herzeigeprojekte zu schaffen, sondern flächendeckend Therapie anzubieten und dabei bestünden noch viele Defizite. Auch er sprach sich dafür aus, möglichst viele in der Rehabilitation zu behandeln und durch Therapie von Sucht zu befreien. Er räumte aber ein, dass sich die Drogenpolitik bisher zu sehr auf jene konzentriert habe, die bereits süchtig sind, und zuwenig auf die Gefährdung Bedacht genommen habe. Die Novelle zur Verordnung verbinde den präventiven Charakter und den Grundsatz der Strafe besser.

Bei der Abstimmung wurde der Verordnungsentwurf mit den Stimmen der Regierungsfraktionen mehrheitlich angenommen. Der S-Antrag auf Veröffentlichung des Kommuniques wurde von V-F-MandatarInnen mehrheitlich abgelehnt. (Fortsetzung)