Parlamentskorrespondenz Nr. 258 vom 02.04.2001

LENKUNGS- UND STEUERUNGSEFFEKTE DER AMBULANZGEBÜHR UMSTRITTEN

Minister Haupt: Initiativantrag ist verfassungskonform

Wien (PK) - Der Sozialausschuss befasste sich heute Morgen in seiner Sitzung nach der Wahl eines neuen Vorsitzenden - S-Abgeordneter Helmut Dietachmayr wurde einhellig gewählt - mit dem Initiativantrag 412/A zur Einführung der Ambulanzgebühr, der nach einer Geschäftsbehandlungsdebatte einem Expertenhearing unterzogen wurde.

Nachdem der Verfassungsgerichtshof am 20. März bekannt gegeben hat, die Bestimmungen über den Behandlungsbeitrag-Ambulanz auf Grund der Verfassungswidrigkeit der zweiten Kundmachung aufzuheben, haben die Regierungsfraktionen einen neuen Antrag eingebracht. Damit soll erreicht werden, dass für den Bereich des ASVG die Bestimmungen über den Behandlungsbeitrag - mit einigen Adaptierungen - weiterhin in Geltung bleiben, um "die damit verbundenen positiven Steuerungseffekte ohne zeitliche Unterbrechung aufrechtzuerhalten".

Gegenüber der derzeit geltenden Regelung soll der Katalog der Befreiungen vom Behandlungsbeitrag vor allem um mitversicherte Kinder erweitert werden. Darüber hinaus wird der jährliche Betrag pro Versicherten und je Angehörigen mit 1.000 S beschränkt. Der Beitrag (150 S bei Überweisung, ansonsten 250 S) ist jeweils für ein Quartal im Nachhinein, erstmalig spätestens am 1. Oktober 2001, einzuheben. Außerdem ist eine Deckelung der Verwaltungskosten in der Höhe von maximal 6,5 % der Summe der eingehobenen Gebühren fixiert worden. Diese Regelungen betreffen allerdings nur den ASVG-Bereich, denn für Gewerbetreibende, Beamte und Bauern ist die schon früher geltende Selbstbehaltsregelung anzuwenden.

Die Einhebung des Behandlungsbeitrages erfolgt durch die betroffenen Krankenversicherungsträger, denen auch die Beurteilung jener Fälle obliegt, in denen kein Beitrag eingehoben wird. Ausgenommen sind im konkreten nunmehr mitversicherte Kinder; medizinische Notfälle, wenn unmittelbar eine stationäre Aufnahme erfolgt; Personen, die von der Rezeptgebühr befreit sind; Schwangere, die im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen Leistungen in Anspruch nehmen; Organ- und Blut(plasma)spender sowie Behandlungen in Ambulanzen für Dialyse und Onkologie. Ebenso gratis sind Untersuchungen in Ambulatorien, die im Auftrag eines Sozialversicherungsträgers oder eines Gerichts zwecks Befundung und Begutachten erfolgen. Für Behandlungen in Zahnambulatorien und Fachambulatorien der Krankenversicherungsträger wird kein Ambulanzbeitrag eingehoben.

Weiters wurde im Antrag festgehalten, dass Einvernehmen zwischen dem Gesundheitsressort und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger über Maßnahmen zur Effizienz- und Servicesteigerung in diesem Bereich erzielt wurde.

Abgeordnete Heidrun Silhavy (S) brachte einen Antrag betreffend die zu nominierenden Experten ein, der von allen Parteien angenommen wurde.

Weitere S-Anträge sahen die Teilnahme von vier Vertretern des österreichischen Seniorenrates und zwei Experten des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes am Expertenhearing vor. Außerdem wurde die Öffentlichkeit für die Anhörung gefordert. - Diese drei Anträge fanden bei der Abstimmung nicht die erforderliche Mehrheit.

Das Expertenhearing wurde mit einer politischen Runde eröffnet. Auf einen Artikel der "Oberösterreichischen Nachrichten" verwies S-Sozialsprecherin Silhavy. Danach habe der Verfassungsdienst die Verfassungswidrigkeit des Antrages 412/A festgestellt. Ihre Frage betraf somit die Verfassungskonformität des zu beschließenden Antrages. In einem Antrag verlangte sie die ersatzlose und rückwirkende Abschaffung der Ambulanzgebühr; bereits entrichtete Ambulanzgebühren müssen rückerstattet werden.

Abgeordnete Beate Hartinger (F) sprach die Steuerungs- und Lenkungseffekte der Ambulanzgebühr an und erkundigte sich, ob nun eine Gleichbehandlung zwischen Ambulanzgebühr und Selbstbehalt gegeben sei.

Es wird massiv Kritik an der Höhe der Verwaltungsgebühren geübt, erklärte Abgeordneter Günter Stummvoll (V) und fragte sich, wie es etwa die BVA mache, die sehr wohl imstande sei, kleinste Beträge zu administrieren.

Greifen auf allen Gebieten diese Steuerungs- und Lenkungseffekte?, fragte Abgeordneter Karl Öllinger (G) und vermerkte nebenbei, dass der Sozialsprecher der FPÖ, Abgeordneter Gaugg, an den heutigen Beratungen nicht teilnimmt. Er vermutet, dass die Regierungsparteien am Ende des Ausschusses mit einem neuen Antrag kommen werden, in dem die Ambulanzgebühr auch auf jene Bereiche ausgeweitet wird, die jetzt noch nicht von dieser Gebühr erfasst sind.

Staatssekretär Reinhart Waneck informierte, dass die Zunahme der Ambulanzbesuche in so genannten bettenführenden Einrichtungen der Grund für die Einführung der Ambulanzgebühr sei. Im vergangenen Jahr habe es nämlich 18,2 Mill. Ambulanzbesuche gegeben. Nur ein geringer Teil konnte durch Krankenkassenbeiträge abgedeckt werden. Deshalb will man trachten, die Patienten von den teuren Ambulanzen in den niedergelassenen Bereich zu bringen.

Dr. Jörg Pruckner, der Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte, betonte, dass die niedergelassenen Ärzte bereit sind, diese Aufgaben verstärkt zu übernehmen, jedoch müssten die legistischen und finanziellen Voraussetzungen erfüllt werden. Ambulanzstrukturen können in der Regel im niedergelassenen Bereich nicht geboten werden. Einen Steuerungseffekt hat es seiner Meinung nach mit der Einführung der Krankenscheingebühr gegeben, da die Versorgung des Patienten beim betreuenden Arzt zusammenläuft und verschiedene Therapien, die enorme Kosten verursachen, hintangehalten werden.

Sozialminister Herbert Haupt zeigte sich überzeugt davon, dass die neue Regelung verfassungskonform ist, wies darauf hin, dass vier Sozialversicherungsanstalten Selbstbehalte in Form von Behandlungsbeiträgen einkassieren und administrieren, ohne dass von Seiten des Verfassungsgerichtshofes jemals eine Aufhebungsdebatte darüber geführt wurde. Die Ausnahmebestimmungen, die jetzt aus sozialen Gründen beschlossen werden, sind nach Ansicht des Ressortleiters weitergehend als die Ausnahmebestimmungen der vier Sozialversicherungsträger. Es wurde darauf geachtet, dass die Ausnahmebestimmungen im Einklang mit den Stellungnahmen des Verfassungsgerichtshofes und der Verfassungsabteilung des Bundeskanzleramtes zur Gleichbehandlung sind. Mit einer Verfassungsdiskussion werde der Rechtsbestand und die Praxis des österreichischen Gesundheitswesens in Diskussion gestellt. Der vorliegende Antrag befinde sich, strich Haupt besonders hervor, auf der "Rechtsbasis der Verfassung". Der Präsident des Verfassungsgerichtshofes habe in seiner Pressekonferenz auf formale Aufhebungsgründe und nicht auf Aufhebungsgründe in der Sache selbst hingewiesen.

Dr. Karl Graf vom Amt der Wiener Landesregierung gab bekannt, aufgrund der kurzen Zeit keine Möglichkeit gehabt zu haben, Umfragen zu starten, lediglich aus zwei Krankenanstalten sei bekannt, dass innerhalb der ersten 14 Tage seit der Geltung des Gesetzes keine Änderung der Frequenz erkennbar war. Zum Finanzierungseffekt meinte er, knapp unter 10 % der Fälle hätten Ambulanzgebühren zahlen müssen.

Eduard Riha von der Arbeitsgemeinschaft Rehabilitation machte darauf aufmerksam, dass ein hoher Prozentsatz der Arztpraxen für behinderte Menschen nicht betretbar ist und, sollten sie den Zutritt zur Arztpraxis geschafft haben, oft unverrichteter Dinge gehen müssen, weil der Dienst habende Arzt bzw. die Sprechstundenhilfe nicht imstande sind, den Patienten auf einen Behandlungstisch zu heben. Unverständlich ist ihm, dass bei Zuweisung ein Patient, der ja keine Wahlmöglichkeit mehr hat, 150 S bezahlen soll. Ferner plädierte er dafür, auch die behinderten Menschen in die Ausnahmebestimmungen aufzunehmen.

Mag. Herbert Choholka vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vertrat die Auffassung, man könne nicht einzelne Maßnahmen miteinander vergleichen, sondern nur Gesamtsysteme. Dass die BVA kein Problem mit der Verrechnung der Behandlungsbeiträge habe, gestand der Experte ein, machte aber gleichzeitig darauf aufmerksam, dass die BVA ein gewachsenes System und es schon immer Selbstbehaltvorschreibungen gegeben habe. Für die Gebietskrankenkassen wäre es etwas völlig Neues. Der Hauptverband habe in einem Schreiben um eine "Vollstreckungsgrenze" für die Administration ersucht.

Werden mehr niedergelassene Ärzte in Anspruch genommen, dann entstehen zusätzliche Kosten für die Sozialversicherung, da es für die Krankenanstalten eine Deckelung gibt, gab der Vertreter des Hauptverbandes außerdem bekannt.

Dr. Martin Gleitsmann von der Wirtschaftskammer sprach von einem wichtigen Schritt, um steuernd in das System einzugreifen. Bisher habe es nämlich wenig Steuerungselemente gegeben. Aufgrund der Befreiungen werde es seiner Meinung nach zu keinen sozialproblematischen Situationen kommen. Eine Kostenbeteiligung wird zu einem Nachdenken über die Inanspruchnahme von Leistungen führen, zeigte er sich überzeugt.

Der Leiter der Abteilung Sozialversicherung der Arbeiterkammer Wien Dr. Helmut Ivansits verwies darauf, dass die Patienten das tun, was vom Arzt vorgeschrieben wird. Mehr als 80 % der Ambulanzbesuche gehen auf ärztliche Überweisung, ein Viertel auf fachärztliche Überweisung zurück. Der Steuerungseffekt ist seinem Dafürhalten nach eher gering. Dass trotz einer Überweisung eine Ambulanzgebühr vorgeschrieben wird, schafft, sagte Ivansits, eine neue Qualität im Gesundheitswesen, was an "Abkassieren" erinnert. Der Rest besuche von sich aus eine Ambulanz. Die Patienten von einer Spitalsambulanz wegzulenken, setze gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten bei den niedergelassenen Ärzten voraus. Der Gesetzgeber habe aber seine Zielsetzung verfehlt, da man, um eine positive Steuerungswirkung sicherstellen zu können, die Versorgungslage hätte prüfen und den Ausnahmekatalog ausweiten müssen. Das ist nicht passiert. Mit der Einführung der Ambulanzgebühr werden nicht nur jene bestraft, die eine ärztliche Anordnung befolgen, sondern auch jene, die in Ermangelung von Alternativen eine Ambulanz aufsuchen müssen.

Dr. Franz Tschulovich (stellvertretender Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte) war der Auffassung, dass ein gewisser Steuerungseffekt durch die Einführung der Ambulanzgebühr zu erwarten sei. Was die Situation im Burgenland betrifft, so gebe es eine sehr gute Versorgung mit praktischen und Fachärzten, meinte er in Richtung des Abgeordneten Öllinger.

Aufgrund der starken Zunahme bei Ambulanzbesuchen sehe auch er die Notwendigkeit, eine Steuerungsmaßnahme einzuführen, erklärte Mag. Michael Bailer vom Niederösterreichischen Gesundheits- und Sozialfonds. Eine gewisse Änderung der Rahmenbedingungen halte er jedoch im Bereich der Spezialambulanzen für erforderlich.

Mag. Bernhard Achitz (ÖGB) teilte die Ausführungen von Dr. Ivansits bezüglich des Lenkungseffektes. Sollten sich die Patienten tatsächlich mehr dem niedergelassenen Bereich zuwenden, dann müsse man auch bedenken, dass - aufgrund der Honorare für die Vertragsärzte - zunächst einmal Mehrkosten auftreten, ohne dass die Aufwendungen für die Ambulanzen im gleichen Ausmaße sinken. Zudem führe die Neuregelung zu skurrilen Einzelfällen, zeigte Achitz auf. Einerseits seien nämlich Untersuchungen im Rahmen des Mutter-Kind-Passes ausgenommen, Komplikationen, die zwischendurch auftreten, jedoch nicht.

Sozialminister Haupt nahm zu den Ausführungen von Dr. Ivansits Stellung, der die Meinung vertrat, dass ein Lenkungseffekt nicht gegeben sei. Durchschnittlich suche ein Patient in Österreich alle fünf Jahre eine Ambulanz auf, informierte Haupt, und er glaube, dass unter Abwägung aller Faktoren wie der Ausnahmen für sozial Schwache oder die Möglichkeiten der Refundierung, die vorliegende Regelung ab einem Einkommen von 13.000 S die günstigste sei. (Fortsetzung)