Parlamentskorrespondenz Nr. 407 vom 01.06.2001
75 JAHRE ÖSTERREICHISCHE LIGA FÜR MENSCHENRECHTE
Wien (PK) – Mit einer Festakademie im Parlament feierte die Österreichische Liga für Menschenrechte am Donnerstag Abend ihr 75jähriges Bestehen. Nationalratspräsident Heinz Fischer, der unter den zahlreich erschienenen Gästen auch den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Verfassungsgerichtshofes begrüßen konnte, meinte, das Programm der Liga – der Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - habe über die Jahrzehnte hinweg nichts von seiner Relevanz verloren. Auf die aktuelle Diskussion in Österreich anspielend betonte Fischer, heute gelte es vor allem, dafür einzutreten, das österreichische Strafgesetzbuch mit einem modernen Menschenrechtsverständnis in Einklang zu bringen. So dürfe es nicht mehr vorkommen, dass Österreich im Jahr 2001 in Menschenrechtsberichten wegen seiner diskriminierenden Haltung gegenüber Homosexuellen angeprangert werde, gab Fischer zu bedenken.
Ferdinand Lacina, der Präsident der Österreichischen Liga für Menschenrechte, erinnerte an die Tätigkeit der Liga vor dem Hintergrund der wechselvollen österreichischen Geschichte und stellte fest, das, was zur Gründung der Organisation im Jahre 1926 geführt habe, sei auch heute in vielen Bereichen noch aktuell. Nach wie vor seien die Verantwortlichen in der Politik den Grundsätzen der Liga gemäss aufgefordert, das öffentliche Gewissen gegen Verletzungen der Menschenrechte zu schärfen, zu einer Weiterentwicklung der Gesetzgebung im Sinne des Schutzes der Grundfreiheiten beizutragen und sich für Völkerverständigung und Friedenserziehung einzusetzen. Aufgabe der Liga ist es heute, den klassischen und neuen Bedrohungen entgegenzutreten und dabei vor allem gegen jene die Stimme zu erheben, die die Rechte der sozial Schwachen und der Minderheiten schmälern und einem Wiederaufleben rassistischer Gedanken Vorschub leisten wollen, unterstrich Lacina.
Heinrich Neisser befasste sich in seinem Festvortrag mit der Zukunft der Menschenrechte in Österreich. Die Kardinalfragen der aktuellen Diskussion betreffen seiner Meinung nach heute die Grenzen der Freiheit, das Verhältnis von Grundrechten und Grundpflichten, die Durchsetzbarkeit der Grundfreiheiten im Sinne sozialer Grundrechte sowie die Globalisierung der Menschenrechte. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde – das Grundrecht der Grundrechte, wie Neisser es formulierte, - trete zusehends in ein Spannungsverhältnis zur modernen Medizin und zur Bioethik. Eine Problemzone stellte für Neisser aber auch der Datenschutz im Zusammenhang mit den modernen Ermittlungsmethoden dar. Auf europäischer Ebene wiederum gehe es darum, bei der Vereinheitlichung der Asylpolitik Sorge zu tragen, dass es nicht zu einer "Festung Europa" kommt, warnte er. In den Grundrechten der ethnischen Minderheiten sah Neisser ferner eine der grossen Herausforderungen in Bezug auf den bevorstehenden Erweiterungsprozess.
Auf Österreich bezogen plädierte Neisser für eine breit angelegte Grundrechtsdiskussion, an der die zivile Gesellschaft stärker in Erscheinung treten müsste. Er beklagte einen "saloppen" Umgang mit den Grundrechten und wies kritische auf die Beschlussfassung von Lauschangriff und Rasterfahndung, die Medienpolitik, aber auch auf die fehlenden sozialen Grundrechte hin. Die politische Diskussion werde praktisch verweigert, es finde in Österreich kein Bewusstseinsbildungsprozess in Richtung Grundrechtsschutz statt, stellte Neisser mahnend fest. Der ehemalige Zweite Nationalratspräsident schloss mit einem Appell an das Parlament, mehr Initiative zu zeigen. Die Wahrung der Menschenrechte sei eine permanente Herausforderung. Keine Gesellschaft sei so gut, dass sie sich einen menschenrechtlichen Persilschein ausstellen könne, betonte er.
Terezija Stoisits, die Vizepräsidentin der Liga und Obfrau des parlamentarischen Menschenrechtsausschusses, knüpfte in ihrem Schlusswort an Neisser an und bedauerte, weder in der Öffentlichkeit noch in der Politik und den Medien gebe es eine ausreichende Sensibilität für die Grundrechte. Dadurch fehle es dann auch am entsprechenden gesetzgeberischen Willen, die Menschenrechte konkret durchzusetzen. Ohne eine tiefgreifende Diskussion in der Gesellschaft werde es aber nicht möglich sein, ein Grundrechtsbewusstsein zu schaffen und den Grundrechten auch auf parlamentarischer Ebene zum Durchbruch zu verhelfen, gab sie zu bedenken.
(Schluss)