Parlamentskorrespondenz Nr. 485 vom 21.06.2001

ANTI-EU-VOLKSBEGEHREN: VERFASSUNGSAUSSCHUSS SCHLIESST BERATUNGEN AB

Wien (PK) - Der Verfassungsausschuss des Nationalrats schloss heute nach einer Anhörung von ExpertInnen seine Beratungen über das Volksbegehren zur Neuaustragung der EU-Volksabstimmung ab. Die Abgeordneten werden dem Plenum des Nationalrats über den Verlauf der Verhandlungen Bericht erstatten, eine Umsetzung der Forderung des Volksbegehrens ist jedoch nicht in Aussicht, da seitens des Ausschusses keine weiteren Initiativen - beispielsweise die Vorlage eines Gesetzentwurfs oder ein diesbezügliches Ersuchen an die Regierung - ergriffen wurden.

Tenor der Meinungen der Abgeordneten war, dass ein Austritt aus der EU zwar theoretisch möglich sei, sie aber keinen Sinn in einem solchen Schritt sehen. Seitens der ÖVP gab Abgeordneter Michael Spindelegger außerdem zu bedenken, dass alle von den Vertretern des Volksbegehrens vorgebrachten Argumente gegen die EU bereits bei der Volksabstimmung 1994 Gegenstand der politischen Diskussion gewesen seien. Man solle die Demokratie nicht missbrauchen, indem man ständig neue Abstimmungen durchführe, warnte er. Abgeordneter Peter Schieder (S) wertete das Volksbegehren als indirekten Auftrag an den Gesetzgeber, sich immer wieder mit der Frage zu beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen eine neuerliche Volksabstimmung nötig wäre.

Dem Abschluss der Beratungen über das Volksbegehren war ein mehr als dreistündiges Hearing vorangegangen. Die geladenen ExpertInnen vertraten dabei in der Frage, ob ein einseitiger Austritt Österreichs aus der EU möglich sei oder ein Austrittsvertrag mit den anderen EU-Staaten auszuhandeln wäre, unterschiedliche Auffassungen, waren sich aber zum überwiegenden Teil darin einig, dass ein EU-Austritt massive Probleme nach sich ziehen würde. Dem hielt Karl-Albrecht Schachtschneider (Universität Erlangen), der von den ProponentInnen des Volksbegehrens als Experte nominiert wurde, allerdings entgegen, dass die österreichische Bevölkerung mit einem EU-Austritt gut beraten wäre, da dadurch der Schaden im Verhältnis zu einem Verbleib in der EU noch gering gehalten werden könnte. Die Politikwissenschaftlerin Sonja Puntscher-Riekmann räumte ein, dass es Demokratiedefizite und andere Probleme innerhalb der EU gebe, sie hält es aber für sinnvoller, diese innerhalb der EU zu lösen und nicht mit einem Austritt zu reagieren.

Verfassungsexperte Herbert Haller vertrat die Auffassung, dass die Aufnahme neuer EU-Mitglieder eine zwingende Volksabstimmung in Österreich zur Voraussetzung hätte, da damit eine Relativierung des Stimmgewichts und eine Reduzierung des Vetorechts Österreichs verbunden wären, was die Grundprinzipien der Verfassung berühre. Er zeigte sich aber überzeugt, dass eine solche Volksabstimmung positiv ausgehen würde.

Die VertreterInnen des Volksbegehrens hatten ihre Forderung nach Neuaustragung der EU-Volksabstimmung damit begründet, dass sich Aussagen und Versprechungen offizieller Organe vor der EU-Abstimmung 1994 als unzutreffend herausgestellt hätten und die Bürger nicht über die "massiven Souveränitätsverluste" Österreichs im Falle eines EU-Beitritts aufgeklärt worden seien. Es würde daher, heißt es in der Begründung zum Volksbegehren, dem Demokratieprinzip entsprechen, das Volk neuerlich über die EU-Mitgliedschaft abstimmen zu lassen. Insgesamt war das Volksbegehren von 193.901 Personen unterzeichnet worden.

Eingeleitet wurde die Diskussion im Verfassungsausschuss durch Erwin Bader (Universität Wien), der sowohl die Vorgangsweise bei der EU-Abstimmung, als auch die EU selbst als demokratiepolitisch bedenklich qualifizierte. Die Österreicher seien bei der EU-Abstimmung überrumpelt und mit unfairen Mitteln beeinflusst worden, sagte er. Zudem muss seiner Ansicht nach das Volk jederzeit die Möglichkeit haben, über einen EU-Austritt abzustimmen. Innerhalb der EU sieht Bader den Grundsatz verletzt, dass die Gesetzgebung vom Volk auszugehen hat, da ein Großteil der Gesetzesbeschlüsse ohne Auftrag des Volkes durch die Regierungen und andere Beauftragte durchgeführt würde. Auch könne es zu keiner objektiven Meinungsbildung der Öffentlichkeit kommen.

In Gefahr sieht Bader auch die österreichische Neutralität, wobei er beklagte, dass seit der Mitgliedschaft Österreichs in der EU die Neutralität immer stärker untergraben werde.

Karl-Albrecht Schachtschneider kam in seinen Ausführungen zu folgendem Schluss: Es gebe ein Recht zum Ausstieg aus der EU, ein solcher Ausstieg sei geboten, und das Volk habe ein Recht, auf eine Abstimmung darüber. Seiner Ansicht nach besteht die rechtliche Möglichkeit, die EU oder auch Teile davon, etwa die Währungsunion, jederzeit zu verlassen, ohne dass Schadenersatzansprüche gegen Österreich drohten. Er erachtet einen Ausstieg aus Vernunftgründen auch für geboten, da sich die EU zu einem Staat entwickle, der die Staatlichkeit der einzelnen Mitglieder beende. Das sei aber, so der Experte, mit den demokratischen Prinzipien nicht vereinbar, nur kleine Einheiten könnten demokratisch sein. Ihm zufolge würde sich Österreich mit einem Austritt auch nicht in volkswirtschaftliche Gefahr begeben, vielmehr wäre der Schaden geringer als bei einem Verbleib in der EU.

Eine Ablehnung der im Volksbegehren geforderten EU-Volksabstimmung durch die Abgeordneten wäre laut Schachtschneider ein nicht begründbarer Willkürakt des Nationalrats.

Wirtschaftsexperte Ewald Walterskirchen befasste sich mit den ökonomischen Auswirkungen des EU-Beitritts und bekräftigte, diese würden sicher nicht für einen EU-Austritt sprechen. Ihm zufolge sind im Wesentlichen jene Effekte eingetreten, die Ökonomen vor dem EU-Beitritt prognostiziert hätten. Unter anderem nannte er die Verstärkung des Binnenhandels, die Zunahme der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Österreich, deutliche Preissenkungen aufgrund der Liberalisierung und eine deutlich geringere Inflationsrate. Auf der negativen Seite seien dem gegenüber ein größerer Preisdruck für Landwirte und Belastungen durch die EU-Beitragszahlungen Österreichs zu verbuchen. In diesem Zusammenhang gab Walterskirchen auch zu bedenken, dass sich die Schweiz in den letzten Jahren wirtschaftlich deutlich ungünstiger entwickelt habe als Österreich oder der EU-Durchschnitt.

Verfassungsexperte Herbert Haller wertete die von den VertreterInnen des Volksbegehrens beantragte Neuaustragung der EU-Volksabstimmung als nicht zielführend und erinnerte daran, dass Österreich den EU-Beitritt durch die seinerzeitige hohe Zustimmung gut abgesichert habe. Er vertrat allerdings die Auffassung, dass bei der Neuaufnahme von EU-Staaten eine Volksabstimmung zwingend erforderlich wäre, da bei einer EU-Erweiterung die Rechte kleiner Staaten sinken. Die Relativierung des Stimmgewichts Österreichs und die Reduzierung des Vetorechts würden aber so stark in die Grundprinzipien der österreichischen Verfassung eingreifen, dass das Volk befragt werden müsste. Haller zeigte sich allerdings überzeugt, dass eine solche Volksabstimmung positiv beendet würde. Die Frage, ob ein Austritt Österreichs aus der EU völkerrechtlich und europarechtlich zulässig sei, beantwortete er mit Ja.

Rechtsexperte Waldemar Hummer wies die Darstellung der VertreterInnen des Volksbegehrens zurück, wonach die Regierung bei der Volksabstimmung 1994 eine bewusste Irreführung der Bevölkerung betrieben hätte. Er erinnerte daran, dass die EU von ihren Gründungsvätern als internationale Organisation und nicht als Staat konzipiert worden sei und sich erst nach und nach in diese Richtung entwickle. Hummer äußerte darüber hinaus die Auffassung, dass Österreich im Verbund der EU-Staaten gut aufgehoben sei, wobei er insbesondere auf ökonomische Vorteile und die im Sicherheitsverbund liegenden Vorteile hinwies.

Sowohl Hummer als auch Völkerrechtsexperte Gerhard Hafner stellten im übrigen die Möglichkeit eines einseitigen Austritts Österreichs aus der EU in Frage. Hafner begründete seine Rechtsauffassung damit, dass das Völkerrecht auf den Beitrittsvertrag Anwendung finde. Dieses sehe Austrittsmöglichkeiten aus Verträgen aber nur in engen Grenzen vor. So müsste Österreich eine gravierende Änderung der Umstände geltend machen, welche aber nicht gegeben sei. Hummer ergänzte, eine einvernehmliche Entlassung Österreich aus der EU wäre die theoretisch einzige Möglichkeit, würde aber ungeheure Probleme nach sich ziehen.

Zur Frage der Neutralität merkte Hafner an, es sei auf Basis von Vereinbarungen innerhalb der Vereinten Nationen mittlerweile Gewohnheitsrecht, dass Staaten zur Zusammenarbeit verpflichtet seien, wenn ein Land eine Völkerrechtsverletzung begehe. Dem zufolge kann auch ein neutraler Staat gegenüber dem Aggressor nicht die gleiche Stellung einnehmen wie zum Opfer des Aggressors. Der Experte sieht ebenso keine völkerrechtliche Verpflichtung, die Neutralität aufrechtzuerhalten.

Politikwissenschaftlerin Sonja Puntscher-Riekmann bekräftigte, man solle sich angesichts bestehender Probleme überlegen, wie man die EU reformieren und demokratisieren könne, und nicht aus der EU austreten. Sie wisse nicht, warum es schwieriger sein solle, einen Konsens etwa zwischen Österreichern und Briten herzustellen als zwischen Burgenländern und Vorarlbergern, meinte sie. Eine Lösung im europäischen Kontext brauche aber, so Puntscher-Riekmann, eine Beteiligung der Bürger und nicht nur Bürgernähe.

Die Forderungen der Volksbegehrens-Vertreter hält die Expertin zwar für legitim, ein Austritt Österreichs aus der EU hätte ihrer Meinung nach aber fatale Konsequenzen. Für problematisch wertete sie Bestrebungen, die für Österreich wichtige Neutralität "einfach im Schleichweg zu kassieren", ohne dass die EU auch nur die Eckpfeiler einer Außenpolitik definiert habe.

Universitätsprofessor Hans Peter Aubauer hielt fest, wenn die Abgeordneten auch nur eine Spur von Interesse an der Meinung der Bevölkerung hätten, müssten sie dem Wunsch auf Volksabstimmung nachgeben. Es gehe nicht darum, ob die Parlamentarier eine EU-Mitgliedschaft für sinnvoll hielten oder nicht, sondern was die Bevölkerung denke. Nach Ansicht Aubauers entwickelt sich die EU immer mehr von einer Vision zu einem "Völkerkerker". Außerdem bemängelte er, dass nachhaltiges Wirtschaften in Österreich innerhalb der EU nicht möglich sei.

Sowohl von der Präsidentin des Wiener Tierschutzvereins Loucie Loube als auch von Franz Josef Plank (Verein gegen Tierfabriken) wurde der mangelnde Tierschutz innerhalb der EU angesprochen. Die EU habe für Tiere nur Katastrophen gebracht, sagte Loube. Sie konstatierte darüber hinaus, dass die Landwirtschaft in der EU in eine völlig falsche Richtung gehe und forderte u. a. einen allgemeinen Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere, strengere Bestimmungen für Tiertransporte und eine Neupositionierung der Landwirtschaft.

Franz Josef Plank machte geltend, dass Tierschutz innerhalb der EU nur im Zusammenhang mit einheitlichen Wettbewerbsbestimmungen und freiem Handel ein Thema sei. Tiere würden lediglich als wirtschaftlicher Faktor gesehen und wie Agrarprodukte behandelt. Auch sinnlose Tierquälereien wie Stierkämpfe, Hahnkämpfe, Vogelfang oder betäubungsloses Schächten von Tieren seien nach wie vor erlaubt. Als einzigen Pluspunkt nannte Plank, dass Tiere im Amsterdamer Vertrag als fühlende Geschöpfe bezeichnet worden seien, in der Praxis habe sich dadurch aber nichts verändert. Als Experte für Tierhaltung sehe er durchaus einen Sinn darin, aus der EU auszutreten, meinte Plank.

Seitens der ProponentInnen des Volksbegehrens interpretierte Inge Rauscher die Wortmeldungen der ExpertInnen dahin gehend, dass diese im Grunde für eine neuerliche EU-Volksabstimmung sprächen. Was fehle, sei der Mut zur politischen Konsequenz. Wesentlich wäre es für Rauscher, die Neuaustragung der EU-Volksabstimmung - unter fairen Bedingungen - noch diesen Herbst durchzuführen, da man dann auch noch die Einführung des Euro verhindern könnte. Für Rauscher ist die EU nicht Europa, sondern "eine Zerstörung europäischer Werte". Im Übrigen prophezeite sie, dass die osteuropäischen Staaten massive Verlierer eines EU-Beitritts sein werden.

Adolf Kriechhammer ergänzte, in der EU sei "vieles daneben gegangen". "Bitte geben Sie dem österreichischen Volk die Chance auf Neuaustragung der EU-Volksabstimmung", appellierte er an die Abgeordneten.

Außenministerin Benita Ferrero-Waldner machte darauf aufmerksam, dass eine Volksabstimmung über einen EU-Austritt nur auf Basis eines Bundes-Verfassungsgesetzes erfolgen könnte. Um ein solches Bundes-Verfassungsgesetz durch Nationalrat und Bundesrat beschließen zu können, müssten zuvor aber ausführliche Verhandlungen mit den anderen EU-Staaten über einen Austrittsvertrag erfolgen. Solche Verhandlungen sind für Ferrero-Waldner aber nicht zielführend. Darüber hinaus machte die Außenministerin geltend, dass über das Thema bereits eine Volksabstimmung mit 67-prozentiger Zustimmung stattgefunden habe. "Reformen Ja, aber neue Volksabstimmung Nein", fasste sie ihren Standpunkt zusammen.

Seitens der Abgeordneten des Verfassungsausschusses führte Abgeordneter Michael Krüger (F) das Volksbegehren auf ein gewisses Unbehagen in der Bevölkerung zurück. Viele Leute fühlten sich überfahren, mahnte er.

Abgeordneter Michael Spindelegger (V) wandte sich gegen den Vorwurf einer einseitigen Propaganda bei der Volksabstimmung 1994 und erklärte, es habe wohl von beiden Seiten hin und wieder Überzeichnungen gegeben, man könne aber keine Pauschalverurteilung treffen. Auch die Forderung nach Neuaustragung der Volksabstimmung wies Spindelegger zurück. Die ProponentInnen des Volksbegehrens hätten keinen neuen Aspekt und keine neuen Argumente in die Diskussion eingebracht, skizzierte er und warnte davor, die Demokratie durch ständig neue Abstimmungen zu missbrauchen. Man könne aus dem Volksbegehren aber die Lehre ziehen, dass die Politiker Schritte der EU mit der Bevölkerung diskutieren und den Informationsprozess verstärken müssten, sagte der Abgeordnete.

Abgeordneter Peter Schieder (S) führte aus, ein Austritt aus der EU sei theoretisch möglich, man könne aber sicher nicht "mir nichts dir nichts" austreten. Modalitäten und Übergangsfristen würden sicher nicht einfach zu finden sein und könnten auch nicht von Österreich allein getroffen werden.

Schieder stellte allerdings die Frage nach dem Sinn eines EU-Austritts Österreichs. Seiner Meinung nach sind seit der Volksabstimmung 1994 keine so gravierenden Änderungen in der EU eingetreten, die einen Austritt empfehlenswert erscheinen ließen. Im Gegenteil würden fast alle Gründe dagegen sprechen. Für Schieder ist das Volksbegehren aber ein indirekter Auftrag an den Gesetzgeber, sich sehr ernsthaft mit der Frage zu beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen eine neuerliche Volksabstimmung nötig wäre.

Ausschussobmann Peter Kostelka (S) schloss sich den Ausführungen seines Fraktionskollegen Schieder an. Er respektiere das Volksbegehren als politischen Willen von 200.000 Stimmbürgern, meinte er, man könne aber nicht davon ausgehen, dass 200.000 Stimmberechtigte im Namen der Mehrheit der Österreicher sprechen.

Abgeordnete Madeleine Petrovic (G) hinterfragte, was ein EU-Austritt bringen würde. Zwar seien beispielsweise im Umweltbereich im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Verschlechterungen eingetreten, etwa im Tierschutz, es gebe aber auch andere Bereiche, wo das Gegenteil der Fall sei, bekräftigte sie. Für Petrovic ist die zentrale Frage vielmehr, ob es die bestehenden Mehrheiten in der EU möglich erscheinen lassen, EU-weit ökologische und soziale Mindeststandards festzulegen und die Demokratie auszuweiten. Die "Demontage" der Neutralität hat nach Meinung der Abgeordneten bereits vor dem EU-Beitritt begonnen und sei nicht so sehr auf die EU als auf den zu geringen Nachdruck seitens der österreichischen Bundesregierung zurückzuführen.

Der Bericht des Verfassungsausschusses über das Volksbegehren zur Neuaustragung der EU-Volksabstimmung wird in einer der kommenden Sitzungen des Nationalrats Anfang Juli auf der Tagesordnung stehen.

(Schluss)