ENTWURF ZUR AUSGLIEDERUNG DER INSOLVENZ-ENTGELTSICHERUNG PLENUMSREIF
Experten uneinig, Koalition setzt Gespräche mit Opposition fort
Wien (PK) - Der Wirtschaftsausschuss eröffnete seine heutige Sitzung unter der Leitung seines Obmannes Günter Puttinger mit einem öffentlichen Expertenhearing zum Thema Ausgliederung der Administration der Insolvenz-Entgeltsicherung aus der Ministerialverwaltung. Als Hauptargument für die Gründung einer Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds Service GmbH (IAF-Service GmbH) nennt die Regierung in ihrem diesbezüglichen Entwurf ( 666 d.B.) die Nutzung von Synergieeffekten, zumal der Fonds im Wirtschaftsministerium eingerichtet ist, die Insolvenz-Entgeltsicherung aber zum Sozialministerium ressortierte. Von einer privatwirtschaftlich organisierten Insolvenz-Entgeltsicherung erwartet die Regierung mehr Effizienz sowie eine stärkere Serviceorientierung und stellt eine raschere Zuerkennung des Insolvenz-Ausfallgeldes sowie Stundungszinsen in Aussicht.
DIE EXPERTENMEINUNGEN GEHEN AUSEINANDER
Bernhard Achitz (ÖGB) konzentrierte sich zunächst auf Arbeitnehmerfragen und hielt es für zweckmäßig, bei der Überleitung der Beamten dafür zu sorgen, dass die Reisegebührenvorschrift anwendbar bleibe, wenn sich ein Bediensteter im Zuge der Umstrukturierung örtlich verändern müsse. Für nicht ausreichend gesichert hielt der Experte die Aufrechterhaltung des verstärkten Kündigungsschutzes für die Vertragsbediensteten, unklar seien auch die Bestimmungen für Betriebsratswahlen. Zu klären sei auch die Kollektivvertragsfähigkeit der neuen Gesellschaft.
Stefan Schneider (BSL-Managementberatung) befasste sich mit den geplanten organisatorischen Veränderungen und unterstrich das Ziel, Doppelgleisigkeiten zu vermeiden, Personal- und Sachressourcen sparsamer einzusetzen und den Personalbedarf an den Aufgabenanfall besser anzupassen. Eine Straffung der Verfahren werde eine Verminderung der Bearbeitungszeiten ermöglichen und die Motivation der Mitarbeiter erhöhen. Darüber hinaus erlaube die neue Struktur einen verbesserten EDV-Einsatz, höhere Kostentransparenz und die Einsparung von zehn Vollzeitarbeitsplätzen, was dem Bund eine Kostenverminderung von 14,5 Mill. S bringe.
Walter Schwartz (Schönherr Barfuss Torggler & Partner) ging auf die juristische Seite der geplanten Ausgliederung ein und sprach von einer verfassungskonformen Ausgliederung innerhalb der vom VfGH vorgegebenen Grenzen. Der Fonds bleibe eine selbständige juristische Person und die Leitungsfunktion des Bundesministers bleibe uneingeschränkt erhalten. Die Konstruktion sehe einen Hauptsitz der GmbH in Wien mit nachgeordneten Geschäftsstellen in den Bundesländern vor, führte Schwarz aus und wies darauf hin, dass die neue GmbH insolvenzfest sein werde, die Kontinuität der Aufgabenerfüllung sichergestellt sei und die Bediensteten unter voller Wahrung ihrer Rechte übergeleitet werden. Der Entwurf sei textlich sauber, präzise und verfassungskonform.
Josef Wallner (Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien) leitete seine Ausführungen mit der Feststellung ein, dass mit der Insolvenzentgeltsicherung ein Kernbereich der österreichischen Sozialpolitik ausgegliedert werden soll. Die Kostenfrage sei nicht plausibel genug dargestellt und keinerlei Alternativszenarien zur Beurteilung herangezogen wurden. Außerdem unterstrich Wallner, dass eine effiziente und modern geführte Unternehmung nicht nur Kundenorientierung, sondern auch Mitarbeiterorientierung voraussetze. Er vermisste eine professionelle Darstellung der Synergien und Kostensenkungen und klagte, dass die Einwände, die im Begutachtungsverfahren vom Rechnungshof vorgebracht wurden, nicht berücksichtigt wurden. Da die Erreichbarkeit der Geschäftsstellen für die Kunden wichtig sei, hielt er die Auflassung der Geschäftsstellen in Leoben, Wiener Neustadt und Gmunden für unverständlich. Angesichts der offenen Fragen, nicht zuletzt auch der, ob Kostenüberwälzungen auf den Fonds nicht letztlich Beitragserhöhungen für die Arbeitgeber oder Leistungssenkungen für die anspruchsberechtigten Arbeitnehmer nach sich ziehen werden, sprach Wallner von einem "nicht gänzlich ausgereiften Entwurf im Brainstorming-Stadium".
Für Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein fügte sich das vorliegende - wohlüberlegte - Projekt gut in die Reihe der von der Bundesregierung geplanten Ausgliederungen ein. Von der Zahl der rund 100 betroffenen Mitarbeiter her gesehen sei es eine eher kleinere Ausgliederung, vom Volumen des Fonds mit 5 Mrd. S aus betrachtet aber ein eher größeres Vorhaben, sagte der Minister, fügte aber hinzu, dass sich an der Fondsstruktur nichts ändere. Mit einem Einsparungspotential von kurzfristig 80 bis 85 Mill. S, langfristig bis zu 95 Mill. S pro Jahr sprach Bartenstein von erheblichen finanziellen Auswirkungen. Veränderungen werden ausschließlich an der Administration vorgenommen, versicherte Bartenstein. Am Leistungsrecht für die Arbeitnehmer ändere sich nichts, außer, dass sie schneller zu ihrem Geld kommen. - Die Reduzierung der Standorte von zwölf auf neun entspreche wirtschaftlichen Überlegungen.
Abgeordneter Karl Dobnigg (S) wandte sich entschieden gegen die Absicht, die Geschäftsstelle in Leoben aufzugeben und hielt es für unzumutbar, dass obersteirische Arbeitnehmer nach Graz fahren müssen, um nach einer Insolvenz ihre Rechte wahrzunehmen. Leoben sei eine der stärksten Geschäftsstellen, die mit einer durchschnittlichen Bearbeitungsdauer von drei Monaten pro Antrag eine überdurchschnittliche Effizienz aufzuweisen habe.
Abgeordneter Helmut Dietachmayr (S) hielt es für richtig, über organisatorische Veränderungen nachzudenken. Angesichts der vielen offenen Fragen, die der vorliegende Entwurf aufwerfe, sehe sich die SPÖ aber nicht im Stande, zuzustimmen. Dietachmayr wandte sich gegen die Verschiebung von Kosten zum Fonds und hielt es nicht für vernünftig, die Geschäftsstelle Gmunden aufzulassen.
Auch Abgeordneter Werner Kogler (G) wandte sich gegen die Verschiebung der Verwaltungskosten vom Bund zum Fonds und wandte grundsätzlich ein, dass von dieser Ausgliederung eine staatliche Kernaufgabe betroffen sei. Der Regierungsentwurf könne ihn nicht überzeugen.
Abgeordneter Siegbert Dolinschek (F) unterstützte hingegen die Absicht der Bundesregierung, die Insolvenzentgeltsicherung effektiver zu gestalten und die Bearbeitungsdauer der Anträge zu verkürzen. Die Reduzierung der Standorte sei vernachlässigbar, da ein Arbeitnehmer die Geschäftsstelle höchstens einmal im Leben aufsuchen müsse, die zu erzielenden Effektivitätssteigerungen seien wesentlich höher zu bewerten.
Abgeordneter Hannes Bauer (S) unterstützte die Zielsetzung einer effizienteren Verwaltung, hielt aber die angegebenen Synergieeffekte für nicht nachvollziehbar. Er sah offene Fragen bei den Personalkosten und wollte wissen, wer künftig für die Ansprüche der von einer Insolvenz betroffenen Arbeitnehmer hafte. Schließlich interessierte er sich, welche anderen Aktivitäten die Zweigstellen über die Insolvenzentgeltsicherung hinaus wahrnehmen können.
Die zweite Expertenrunde eröffnete Josef Wallner (Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien) mit der Feststellung, dass dem Gesetzentwurf und den Erläuterungen eine Darstellung der Synergieeffekte fehle und er die Schließung der Geschäftsstelle Leoben, eine der effektivsten Geschäftsstellen, nicht nachvollziehen könne. Die Kosteneinsparungen seien nicht konkretisiert, sagte Wallner und warnte vor übereilten Lösungen.
Walter Schwartz (Schönherr Barfuss Torggler & Partner) teilte die Auffassung nicht, dass es sich bei der Insolvenzentgeltsicherung um einen hoheitlichen Bereich handle und sah keinen Grund für verfassungsrechtliche Bedenken gegen den vorliegenden Entwurf. Er verwies auf das doppelte Weisungsrecht für den Bundesminister sowie darauf, dass das Leistungsrecht und die Haftungen unverändert blieben. Unter neuen Aktivitäten könnte man sich Kooperationen mit Versicherungen für zusätzliche Leistungsangebote an die Arbeitnehmer vorstellen.
Stefan Schneider (BSL-Managementberatung) sah keine Verschiebung von Kosten zum Fonds, wohl aber eine größere Transparenz bei den Verwaltungskosten. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sei der Ist-Zustand wegen unterschiedlicher EDV-Systeme und unterschiedlicher Verwaltungsstrukturen in den einzelnen Bundesländern unbefriedigend. Gegen die Aufrechterhaltung von Kleinsteinheiten spreche, dass sie unter dem Niveau optimaler Betriebsgrößen liegen und von daher bei Personalausfällen oder Großinsolvenzen immer wieder Vollzugsdefizite aufweisen. Außerdem haben Untersuchungen ergeben, dass nur 5 % der von einer Insolvenz betroffenen Arbeitnehmer selbst die Geschäftsstelle aufsuchen. Alternativmodelle seien sehr wohl erstellt und bewertet worden. Diese Bewertung habe die Ausgliederung als wirtschaftlichste Alternative klar dargestellt.
Bernhard Achitz (ÖGB) hielt fest, dass mit der vorliegenden Regierungsvorlage Mehrbelastungen für den Insolvenzausfallsgeld-Fonds durch Übertragung der Administrationskosten verbunden seien, was entweder zu Leistungseinschränkungen, Erhöhung der Arbeitgeberbeiträge oder zu teuren Krediten führen werde.
Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein informierte die Abgeordneten darüber, dass die Einnahmen des Fonds derzeit bei 5 Mrd. S und die Ausgaben bei 3 Mrd. S liegen. In Folge von Belastungen aus der Vergangenheit sei der Fonds derzeit noch im Minus, werde aber voraussichtlich im 3. Quartal 2002 die Nulllinie überschreiten. Damit werde es dem Fonds möglich sein, einen Beitrag zur geplanten Senkung der Lohnnebenkosten zu leisten.
DEBATTE UND ABSTIMMUNG
Abgeordneter Günter Kiermaier (S) ersuchte den Wirtschaftsminister, Mehrbelastungen für kleinere und mittlere Betriebe dezidiert auszuschließen.
Abgeordneter Maximilian Hofmann (F) legte einen V-F-Abänderungsantrag vor, der die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder mit vier fixiert, feststellt, dass der Aufsichtsrat auch dem Sozialminister auskunftspflichtig sei und die Bestellung der Geschäftsführer bis zum 1. 11. 2001 vorsieht.
Auch Abgeordneter Dietachmayr (S) legte einen Abänderungsantrag seiner Fraktion vor, durch den im Interesse der Arbeitnehmer sichergestellt werden soll, dass der Forderungsübergang an den Fonds auch Ansprüche gegen mithaftende Dritte, insbesondere im Fall des Übergangs eines Unternehmens oder Unternehmensteils, Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Inhaber erfasst.
Abgeordneter Hermann Schultes (V) betonte die Vorteile einer Ausgliederung der Insolvenzentgeltsicherung für die Arbeitnehmer.
Abgeordneter Karl Dobnigg (S) erinnerte die Koalitionsparteien daran, dass im Falle einer Änderung hinsichtlich des Standorts Leoben eine Zustimmung der SPÖ im Plenum möglich wäre.
Bundesminister Bartenstein hielt die in der Koalitionsvereinbarung mit 0,4 % angegebene Lohnnebenkostensenkung für zu hoch gegriffen. Er hielt eine Reduzierung um 0,1 bis 0,2 % für möglich. Abgeordneten Dobnigg informierte der Minister darüber, dass Leoben im Zuge der MinRoG-Novelle ein Ausgleich für die Schließung der Geschäftsstelle geboten werden könnte.
Abgeordneter Hannes Bauer sprach sich für die Fortsetzung der Gespräche bis zum Plenum aus - Ausschussobmann Günter Puttinger (V) bekräftigte seinerseits die Bereitschaft, die Gespräche bis zum Plenum fortzusetzen.
Bei der Abstimmung wurde die Regierungsvorlage unter Berücksichtigung des eingebrachten Abänderungsantrages der Koalitionsparteien mit F-V-Mehrheit verabschiedet. Der S-Abänderungsantrag blieb in der Minderheit der Oppositionsparteien.
LIBERALERER BERUFSZUGANG FÜR PATENTANWÄLTE
Abschließend verabschiedete der Ausschuss einstimmig eine Änderung des Patentanwaltsgesetzes, die eine EU-konforme Liberalisierung des Zugangs zum Beruf des Patentanwaltes bringt. Wie Bundesministerin Monika Forstinger ausführte, entfällt künftig der österreichische Wohnsitz als Berufsvoraussitzung und die bislang obligatorische Praxis als Patentanwaltsanwärter. Eine siebenjährige Praxis im gewerblichen Rechtsschutz wird einer fünfjährigen Praxis als Patentanwaltsanwärter gleichgestellt. Der Kreis der Studien, deren Absolvierung Voraussetzung für die Ausübung des patentanwaltlichen Berufes ist, wird nunmehr generell mit "Technik oder Naturwissenschaften" umschrieben. Patentanwalts- und Eignungsprüfung werden um Kenntnisse über Gebrauchsmuster, Schutzzertifikat und Sortenschutz sowie das Sachverständigenwesen und die Gutachtenerstellung ergänzt. Der Beruf des Patentanwalts soll künftig auch in Form von Gesellschaften ausgeübt werden können. Im Hinblick auf das deutlich gestiegene Risiko im modernen Wirtschaftsleben wird Patentanwälten künftig eine Berufshaftpflichtversicherung vorgeschrieben, die Versicherungssumme soll 400.000 Euro (5,6 Mill. S) betragen. ( 484 d.B.).
(Schluss)