Parlamentskorrespondenz Nr. 771 vom 14.11.2001
VERWALTUNGSREFORM PASSIERT DEN VERFASSUNGSAUSSCHUSS
Wien (PK) – Konzentration der erstinstanzlichen Verfahren auf die Bezirksverwaltungsbehörden, Verfahrensbeschleunigung, Deregulierung, aber auch ein Sozialplan für Bundesbeamte sind die wesentlichen Punkte des Verwaltungsreformpaketes, das heute vom Verfassungsausschuss von den Regierungsparteien gegen die Stimmen der Opposition beschlossen wurde. Dabei wurden die beiden ursprünglichen Regierungsvorlagen noch durch zwei Abänderungsanträge und einen weiteren im Rahmen der Beratungen eingebrachten Gesetzesantrag adaptiert bzw. ergänzt.
Im einzelnen soll mit dem " Verwaltungsreformgesetz 2001 " ein weiterer Schritt in Richtung Verwaltungsreform gesetzt werden. Zentrale Punkte des Beschlusses sind eine weitgehende Verkürzung der Instanzenzüge sowie die Umsetzung des "One-Stop-Shop"-Prinzips für die Genehmigung aller gewerblichen Betriebsanlagen. Das heißt, alle für ein Vorhaben erforderlichen behördlichen Genehmigungen sollen künftig in einem gemeinsamen Verfahren behandelt und in einem Bescheid zusammengefasst werden, wobei die Bezirksverwaltungsbehörde die primär zuständige Verwaltungsbehörde ist.
Als Berufungsinstanz gegen erstinstanzliche Bescheide sind in zahlreichen der mittelbaren Bundesverwaltung zugeordneten Angelegenheiten die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern vorgesehen, wobei diese dem Abänderungsantrag zufolge nunmehr auch in der Sache selbst entscheiden dürfen und nicht nur, wie ursprünglich vorgesehen, Bescheide der ersten Instanz aufheben können. Allerdings kann die belangte Behörde, wenn es der Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens dient, dem widersprechen. In diesem Fall steht dem UVS lediglich eine kassatorische Entscheidungsbefugnis zu. Bereits anhängige Verfahren sollen nach der bisherigen Zuständigkeitsverteilung weitergeführt werden.
Neu ist auch, dass eine Behörde von der Einleitung und Durchführung eines Strafverfahrens absehen kann, wenn die Verfolgung aussichtslos erscheint oder der hierfür erforderliche Aufwand in einem Missverhältnis zum Grad und zur Bedeutung der Verwaltungsübertretung steht. Durch eine Änderung des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes und des Zustellgesetzes wird die Führung elektronischer Akten erleichtert und die Möglichkeit einer elektronischen Hinterlegung von Schriftstücken geschaffen, wobei mit dem Abänderungsantrag eine konsumentenfreundlichere Regelung in Bezug auf den Zustellnachweis getroffen wurde. Weiters wird das Allgemeine Verfahrensgesetz durch den Abänderungsantrag um eine Bestimmung ergänzt, derzufolge die jeweilige Personen-Identifikationszahl des Zentralen Melderegisters auch auf der Sozialversicherungs-Chipkarte gespeichert werden kann.
Ein weiterer Teil des Abänderungsantrages - das Kraftfahrgesetz betreffend - bringt Erleichterungen für Autofahrer. Künftig muss ein neu zugelassenes Fahrzeug erst nach drei Jahren zur ersten "Pickerl"-Überprüfung, die zweite Begutachtung ist nach weiteren zwei Jahren fällig. Erst danach sieht das Gesetz wie bisher eine jährliche Begutachtung vor. Diese Bestimmung gilt auch für bereits zugelassene Fahrzeuge - der Zulassungsbesitzer kann die Ausstellung einer neuen, länger gültigen Begutachtungsplakette verlangen.
Um die Erhebung notwendiger Daten weiterhin zu gewährleisten, schreibt ein neues Bundes-Berichtspflichtengesetz den Bezirksverwaltungsbehörden verpflichtend vor, alle Daten, die erforderlich sind, um gemeinschaftsrechtliche oder internationale Aufzeichnungs-, Melde- und Berichtspflichten zu erfüllen, dem jeweiligen Landeshauptmann zu übermitteln, der sie - gesammelt und bearbeitet - an das zuständige Bundesministerium weiterzuleiten hat.
Ein im Rahmen der Beratungen über das Verwaltungsreformgestz 2001 eingebrachter Gesetzentwurf für ein Deregulierungsgesetz enthält darüber hinaus den Auftrag an die einzelnen Ministerien, bei jeder geplanten Gesetzesänderung zu prüfen, ob das zu ändernde Gesetz oder einzelne Bestimmungen des Gesetzes noch notwendig und zeitgemäß sind oder ob die angestrebten Wirkungen nicht auch auf andere Weise erreicht werden könnten. Außerdem sind die Ministerien in Zukunft angehalten, die wesentlichen Auswirkungen von Gesetzen in finanzieller, wirtschafts-, umwelt- und konsumentenschutzpolitischer sowie sozialer Hinsicht abzuschätzen und zu prüfen, ob der Vollzug der in Aussicht genommenen Regelung keinen übermäßigen Aufwand in der Verwaltung nach sich zieht.
Weiters werden mit dem Deregulierungsgesetz auch im Eisenbahngesetz und im Rohrleitungsgesetz umfassende Verwaltungsvereinfachungen vorgenommen. Zudem wird zur Beschleunigung von Infrastrukturvorhaben beim Bau von Bundesstraßen und Hochleistungsstrecken im Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz eine Frist von 12 Monaten für die UVP eingeführt.
Zur sozial verträglichen Personalreduktion bei Arbeitsplatzauflassungen im Bundesdienst sieht eine 2. Dienstrechts- Novelle 2001, die als Teil des Reformpaketes heute vom Ausschuss mit F-V-Mehrheit mitbeschlossen wurde, im Sinne eines Bundesbeamten-Sozialplanes die Ausdehnung des bestehenden Vorruhestandsmodells für Beamte auf sämtliche Arbeitsplatzauflassungen, Abschlagszahlungen bei einem freiwilligen Austritt von Beamten aus dem Bundesdienst, großzügige Karenzierungsregelungen und die - bisher nur für Lehrer geltende - Möglichkeit der vorzeitigen Ruhestandsversetzung gegen einen - versicherungsmathematisch orientierten - Abschlag für alle Beamte vor.
Konkret kann damit ein über 55-jähriger Beamter bzw. Vertragsbediensteter künftig von Amts wegen karenziert werden, wenn sein Arbeitsplatz auf Dauer aufgelassen wird und kein gleichwertiger Arbeitsplatz im jeweiligen Ministerium zur Verfügung steht. Voraussetzung dafür ist allerdings eine Zustimmung des betroffenen Beamten, wobei er während der Karenzzeit 80 % seines letzten Monatsgehalts bekommt, wenn er der beabsichtigten Karenzierung innerhalb von 14 Tagen zustimmt, willigt er später ein, reduziert sich das Vorruhestandsgeld auf 75 % des letzten Gehalts. Stimmt der Beamte einer angebotenen Karenzierung nicht zu, kann er - ohne Gehaltsausgleich - auch auf einen niedriger bewerteten Arbeitsplatz versetzt werden. Auf die Pensionshöhe hat die Karenzierung keine Auswirkungen. Die Planstelle des Beamten bzw. Vertragsbediensteten wird ersatzlos eingezogen.
Parallel dazu soll "zur Verbesserung der Alterstruktur" der Beamten das derzeit auf Lehrer beschränkte Modell der freiwilligen vorzeitigen Ruhestandsversetzung auf alle Bundesbeamten ausgedehnt werden, wobei die für Lehrer geltende Regelung für die Laufzeit der geplanten Regelung suspendiert wird. Die vorzeitige Ruhestandsversetzung kann frühestens mit 55 Jahren beantragt werden, im Gegenzug gibt es - versicherungsmathematisch orientierte - Pensionsabschläge.
Die Bestimmungen des Sozialplangesetzes für Bundesbeamte werden laut Abänderungsantragmit Ende 2003 befristet, zumal die Regierung davon ausgeht, dass die Strukturmaßnahmen bis zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sein werden.
In der kontroversiell geführten Debatte äußerten sich die Vertreter der Regierungsparteien zustimmend, während die Abgeordneten von SPÖ und Grünen das Paket en bloc ablehnten.
Abgeordneter Michael Krüger (F) hob hervor, die Reform bringe eine Verringerung des Instanzenzuges, eine weitere Vertiefung des Subsidiaritätsprinzips und damit größere Bürgernähe. Er äußerte sich auch zuversichtlich darüber, dass die Bezirksverwaltungsbehörden fachlich in der Lage sein werden, den neuen Aufgaben nachzukommen.
Anders sahen dies die Abgeordneten Madeleine Petrovic und Eva Lichtenberger (beide G). Sie zogen die prognostizierten Einsparungen in Frage und rechneten vielmehr mit eklatanten Kostensteigerungen. Petrovic befürchtete eine Schmälerung des Rechtsschutzes gerade in Materien, die für die Lebensqualität relevant sind, und sprach von einem Bruch des Systems der mittelbaren Bundesverwaltung. Kritik übte sie auch an der Fristregelung bei der Umweltverträglichkeitsprüfung. Im Übrigen vermisste sie echte materielle Reformen. Lichtenberger wiederum bemängelte die Vorgangsweise beim elektronischen Verkehr mit der Behörde. Dabei werde wegen unzureichender Zustellregelungen das Risiko voll auf den Empfänger verlagert, meinte sie. Anträge der Grünen auf Einsetzung eines Unterausschusses zur weiteren Behandlung der Materie fanden bei der Abstimmung keine Mehrheit.
Abgeordneter Johann Maier (S) zweifelte ebenfalls am Spareffekt der Maßnahmen und erwartete Mehrkosten durch die Reform, wobei er auf diesbezügliche Aussagen des Städtebunds verwies. Personal würde nun bloß auf die Bezirksebene verlagert, argumentierte er. Maier kritisierte weiters, dass das Bauverfahren im Gemeindebereich verbleibe, von einem "one-stop-shop" könne in diesem wichtigen Bereich keine Rede sein. Im Übrigen komme es auf den Gebieten des Fahrschulwesens, der Luftfahrt und der Tankstellen zu einer neuen Bürokratisierung.
Abgeordnete Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V) bezeichnete das Paket als ersten Schritt einer Verwaltungsreform dem sowohl die Landeshauptleutekonferenz als auch namhafte Experten zugestimmt hätten. Wenn nun die Bezirksverwaltungsbehörden als zentrale Anlaufstellen festgeschrieben werden, dann sei dies eine wesentliche Vereinfachung für die Bürger.
Abgeordneter Peter Wittmann (S) kritisierte, dass die zentrale Melderegisternummer entgegen sämtlichen Zusagen nun mit Personaldaten verknüpft werde, was einen Eingriff in Persönlichkeits- und Datenschutzrecht darstelle.
Für Abgeordneten Otto Pendl (S) war der Bundesbeamten-Sozialplan unbefriedigend, da die Exekutive darin keinen Eingang gefunden hat.
Abgeordneter Johannes Jarolim (S) zeigte kein Verständnis dafür, dass es bei der Reform nicht gelungen ist, zu einer echten Landesverwaltungsgerichtsbarkeit zu kommen.
Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer bemerkte, dieses Paket enthalte mehr als in den letzten zehn Jahren im Bereich der Verwaltungsreform passiert sei. Sie hob den Aspekt der Deregulierung hervor und stellte überdies fest, die Reform verfolge den Zweck der Verwaltungsvereinfachung und der Verfahrensbeschleunigung und stelle zudem auch einen ersten Schritt bei der Einführung einer echten Landesverwaltungsgerichtsbarkeit dar. Die Einrichtung von Landesverwaltungsgerichtshöfen sei aber vorerst an der fehlenden Zweidrittel-Mehrheit gescheitert.
Für den Bundesbeamten-Sozialplan machte Riess-Passer die Politik der vergangenen Jahrzehnte verantwortlich, die einen überbordenden Beamtenapparat geschaffen habe, dessen Finanzierung nun nicht mehr gesichert sei. Die derzeitige Regierung versuche erstmals in den Zentralstellen Personal einzusparen. Die Vizekanzlerin betonte, dass der Sozialplan mit der Gewerkschaft einvernehmlich verhandelt worden sei.
Zwei Initiativanträge, in denen die SPÖ die Einführung der Landesverwaltungs-Gerichtsbarkeit fordert und Bestimmungen über das Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit vorschlägt, wurden einstimmig einem Unterausschuss zugewiesen.
Vertagt wurde hingegen ein SP-Antrag auf Sicherstellung des kostenfreien Zugriffs auf das RIS.
AUSSCHUSS ERZIELT EINSTIMMIGKEIT ÜBER RATIFIKATION DES NIZZA-VERTRAGES
Einhelligkeit herrschte über die Ratifikation des Vertrags von Nizza , der am 26. Februar 2001 von den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten in seiner endgültigen Fassung unterzeichnet wurde, nachdem er anlässlich des Europäischen Rates vom 7. - 11. Dezember 2000 beschlossen worden war. Die Parlamentskorrespondenz berichtete in ihrer Ausgabe vom 8.6.2001 ausführlich über den Nizza-Vertrag.
Abgeordneter Caspar Einem (S) meinte in der Debatte, der Vertrag sei nicht unbedingt eine der Höchstleistungen der EU, schaffe aber die institutionellen Voraussetzungen für die EU-Erweiterung als Ausdehnung des Raumes von Frieden und Stabilität in Europa. Risken, die mit der Erweiterung für Österreich verbunden sind, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt, sollten nun durch innerösterreichische Maßnahmen so gering wie möglich gehalten werden. Einem begrüßte es, dass es diesbezüglich im Vorfeld der Ausschussberatungen zu einer Verständigung mit den Regierungsparteien gekommen ist.
Die Abgeordneten Gerhard Kurzmann und Michael Krüger (beide F) hoben die Bedeutung der Erhaltung des Einstimmigkeitsprinzips in für Österreich sensiblen Bereichen wie Asyl- und Flüchtlingspolitik, Umweltpolitik und Wasserwirtschaft als besonders positiv hervor. Eine klare Absage erteilte Kurzmann dem von Prodi vorgebrachten Vorschlag einer EU-Steuer.
"Mit Bauchweh" und ohne große Begeisterung würden die Grünen der Ratifikation zustimmen, kündigte Abgeordnete Eva Lichtenberger an, die die Ergebnisse als zu sehr regierungslastig und zu wenig bürgernah bemängelte. In Zukunft müsse der Konventsprozess im Vordergrund stehen, mahnte sie und drängte auf ein hohes diesbezügliches Engagement Österreichs. Lichtenberger appellierte an die Bundesregierung, dabei Anliegen der Demokratisierung und der Menschenrechte zu einer Herzenssache zu machen.
Abgeordnete Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V) unterstützte die Ratifizierung des Vertrages, den sie als Basis für das Friedensprojekt der EU-Erweiterung wertete.
Vor einer zu starken Betonung des Veto-Rechts Österreichs warnte Abgeordneter Peter Schieder (S). Je mehr Österreich die Einstimmigkeit feiert umso klarer werden damit die Grenzen für eine weitere Vertiefung der Union gesetzt, gab er zu bedenken. Er urgierte des weiteren einen Kompromiss in der Frage Temelin und meinte, Veto-Drohungen könnten in Europa den Eindruck erwecken, dass es in der Regierung bremsende Kräfte gebe.
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bezeichnete den aktuellen Prozess nicht als perfekt, meinte jedoch, dies sei der einzige Weg gewesen, um die vitalen Interessen von kleinen Ländern zu wahren. Wichtig war für Schüssel auch, dass die österreichische "Sonderbehandlung" des Jahres 2000 in eine positive Initiative umgemünzt werden konnte. Die EU habe damit gezeigt, dass sie aus ihren Fehlern gelernt hat.
Schüssel begrüßte ferner, dass sich Österreich in so wichtigen Bereichen wie Verkehr und Wasserwirtschaft durchsetzen konnte und nicht in eine Vergemeinschaftung hineingezogen wurde.
Der Vertrag wurde einstimmig genehmigt.
Ebenfalls einstimmig verabschiedete der Ausschuss schliesslich eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über Regelungen zur partnerschaftlichen Durchführung der Regionalprogramme im Rahmen der EU-Strukturfonds in der Periode 2000-2006. (Schluss)
Links
- 170/A - Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO)
- 600 d.B. - Vertrag von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union,
- 564 d.B. - partnerschaftlichen Durchführung der Regionalprogramme
- 169/A - Bundes-Verfassungsgesetz zur Einführung einer Landesverwaltungsgerichtsbarkeit geändert wird
- 364/A(E) - weiterhin kostenloser Zugang zum RIS
- 772 d.B. - Verwaltungsreformgesetz 2001
- 842 d.B. - 2. Dienstrechts-Novelle 2001
- 1/A-VF - Verfassungsausschuss