Parlamentskorrespondenz Nr. 772 vom 14.11.2001

PROGNOSEVERFAHREN ALS ENTSCHEIDUNGSHILFE NACH DER VOLKSSCHULE

Wien (PK) –  Der Unterrichtsausschuss beauftragte heute mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ auf Grund eines Entschließungsantrages die Bundesministerin für Bildung Wissenschaft und Kunst, die Entwicklung eines Prognoseverfahrens für den Übertritt von der Volksschule in die Sekundarstufe I in Auftrag zu geben. Die Koalitionsfraktionen sind damit von ihrer ursprünglichen Forderung nach Wiedereinführung der AHS-Aufnahmsprüfung abgerückt. Eltern und Schülern sollte dadurch beim Übertritt von der Volksschule in die Hauptschule oder AHS neben dem Abschlusszeugnis der vierten VS-Klasse und der Beratung durch die LehrerInnen eine weitere Entscheidungshilfe zur Verfügung stehen. Heftige Kritik übten daran die VertreterInnen der Oppositionsparteien, da dieser Vorstoß als de-facto-Misstrauensantrag in die Arbeit der Volksschullehrer zu werten und das Prognoseverfahren selbst vollkommen unausgegoren sei.

Auf massiven Widerstand der Opposition stieß auch das Bildungsdokumentationsgesetz, das unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrages mit den Stimmen der Koalitionsparteien angenommen wurde. SPÖ und Grüne äußerten grundlegende Bedenken hinsichtlich der Sammlung personenbezogener Daten, die für die Statistik ihrer Auffassung nach nicht relevant seien, und die Zugriffsrechte anderer Stellen. Bundesministerin Gehrer und die VertreterInnen von ÖVP und FPÖ argumentierten dem gegenüber, dass man für eine ernsthafte Erhebung von Bildungsverläufen sowie für Planungen genaue Daten benötige. Das Gesetz sei auch mit dem Datenschutzrat abgestimmt. Der S-Antrag auf Einsetzung eines Unterausschusses zu diesem Thema wurde von den Koalitionsparteien abgelehnt. 

Die S-Anträge zur Umbenennung des Unterrichtsgegenstandes "Leibesübungen" in "Bewegung und Sport" sowie zu einer Qualitätsoffensive an den Schulen und in der Erwachsenenbildung wurden ebenso wie die Petitionen und Bürgerinitiativen zur Qualitätssicherung im Bildungsbereich, zur Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen und gegen Sparmaßnahmen im Bildungsbereich vertagt, da sie zum Teil im Rahmen einer anstehenden SCHOG-Reform, zum Teil im Zusammenhang mit dem Bildungs-Volksbegehren diskutiert werden sollen.

Schließlich stimmten die Ausschussmitglieder einstimmig den Änderungen bezüglich der Abgeltung von Unterrichts-, Erziehungs- und Prüfungstätigkeiten im Schulwesen zu.

OPPOSITION: PROGNOSEVERFAHRENUNAUSGEGOREN

Der Entschließungsantrag der Koalitionsparteien zur Entwicklung eines Prognoseverfahrens für den Übertritt von der Volksschule in die Sekundarstufe I (512/A[E]) stieß auf heftigen Widerstand der Opposition.

In der Debatte kritisierte Abgeordneter Robert Rada (S), mit diesem Vorstoß stellten die Regierungsfraktionen den Volksschullehrern kein gutes Zeugnis aus, äußere sie doch massive Zweifel an der Urteilskraft des Lehrpersonals. Ein besseres Prognoseverfahren als den Ist-Zustand könne es aber nicht geben, meinte Rada, der auf die ebenso umfangreichen wie verdienstvollen Aktivitäten der Lehrerschaft hinwies. Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (S) übte vor allem harsche Kritik am Konzept des Prognoseverfahrens. Es werde überhaupt nicht geklärt, wie dieses konkret ins Werk gesetzt werden solle: Wann soll getestet werden, wer testet die Schüler, was soll getestet werden, wie werden die Eltern eingebunden? Alle diese Fragen seien ungeklärt, weshalb man dem Antrag nicht zustimmen könne.

Ähnlich abschlägig äußerten sich die Abgeordneten Beate Schasching, Kurt Gaßner und Christian Faul (sämtlich S). Abgeordneter Dieter Antoni (ebenfalls S) warf der Regierung überdies vor, über den Hebel eines Prognoseverfahrens de facto eine soziale Selektion zu bewirken, wogegen sich die Sozialdemokratie schärfstens verwahre. Man dürfe den Eltern nicht das Recht nehmen, die beste Bildung für ihre Kinder zu wählen, so Antoni. Ein solches Prognoseverfahren, das im übrigen völlig unausgegoren sei, sei vor diesem Hintergrund unverantwortlich. In diese Richtung ging auch die Wortmeldung des Abgeordneten Dieter Brosz von den Grünen. Aus dem Antrag gehe überhaupt nicht hervor, welchen Zweck dieses Verfahren haben und wie es in der Praxis aussehen solle. Schon allein deshalb könne man einem solchen Antrag nicht zustimmen. Überdies befürchtete Brosz, real gehe es nur darum, die GymnasiastInnen-Zahl zu senken, wie die Begründung des Antrags implizit nahe lege.

Die Abgeordneten Werner Amon (V), Sylvia Papházy und Udo Grollitsch (beide F) meinten hingegen, dieses Verfahren solle nur eine zusätzliche Hilfestellung für die Eltern bei ihrer Entscheidungsfindung sein. Man habe hier das Wohl der Kinder im Auge, stehe aber auch bei den VolksschullehrerInnen, die oftmals einem Druck seitens der Eltern ausgesetzt seien, ihrem Kind den Weg ins Gymnasium zu ebnen. Durch den von den Regierungsparteien vorgeschlagenen Weg könne man aber eine unabhängige Entscheidungshilfe bieten und eine Qualitätssicherung an den Nahtstellen bewerkstelligen. Dies werde sich auch auf die Qualität an den Schulen positiv auswirken, zeigte sich etwa Grollitsch überzeugt.

Der Antrag wurde schließlich mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ angenommen.

OPPOSITION: BUNDESSTATISTIKGESETZ IST VERSTOSS GEGEN BÜRGERRECHTE

KOALITION: ALLES MIT DATENSCHUTZRAT ABGESTIMMT

Mehrheitlich mit den Stimmen von FPÖ und ÖVP verabschiedete der Ausschuss die Vorlage eines Bundesgesetzes über die Dokumentation im Bildungswesen (Bildungsdokumentationsgesetz) unter Berücksichtigung eines ÖVP-FPÖ-Abänderungsantrages. Damit sollen die rechtlichen Voraussetzungen für zentrale- und dezentrale Register geschaffen werden, welche als Grundlage für Planung, Steuerung, die Wahrung der gesetzlichen Aufsichtspflichten und Statistik sowie registergestützte Zählungen zum Bildungsstand der österreichischen Bevölkerung dienen. Die bislang erstellte Statistik "Schulen und Hochschulen" kann auf Grund des neuen Bundesstatistikgesetzes und der Ausgliederung des Statistischen Zentralamtes nur mehr bis Ende 2002 fortgeführt werden. (832 d.B.)

Die Opposition übte daran heftige Kritik, da aus ihrer Sicht die zahlreichen personenbezogenen Daten für die Schulstatistik nicht von Relevanz seien. Abgeordneter Dieter Antoni (S) nannte als Beispiel die Sozialversicherungsnummer, das religiöse Bekenntnis, die sonderpädagogischen Fördermaßnahmen, individueller Schulerfolg oder die Inanspruchnahme von Transferleistungen. Er bezweifelte auch, dass dies alles wirklich verschlüsselbar sein soll. Antoni stellte nicht in Abrede, dass Österreich eine Bildungsstatistik braucht, da die Datenlage nicht gut sei. Die SozialdemokratInnen seien daher an einer gesetzlichen Grundlage für eine Bildungsstatistik äußerst interessiert, dem vorliegenden "eklatanten Verstoß gegen die Bürgerrechte" könne man jedoch nicht zustimmen. Der Abgeordnete trat daher dafür ein, sich in einem Unterausschuss gemeinsam mit Verfassungs- und Datenschutzexperten nochmals genauer zu beraten.

Seiner Auffassung schloss sich auch Abgeordnete Christine Muttonen (S) an, die das notwendige Fingerspitzengefühl vermisste und befürchtete, dass damit der sozialen Ausgrenzung Tür und Tor geöffnet werde. Auch die Abgeordneten Christian Faul und Erwin Niederwieser (beide S) teilten die von Antoni vorgebrachte Meinung. Niederwieser störte vor allem, dass vor Weiterleitung in die Statistik Austria das Ministerium direkten Zugriff auf die Daten hat.

Für Abgeordneten Brosz (G) sind die im Gesetz verankerten Auskunftsrechte der zentrale Kritikpunkt, denn die Daten seien zu sensibel, und die vorgesehene Verschlüsselung sei eigentlich eine Codierung, die zur Datensicherheit nichts beitrage. Brosz hält das Gesetz auch für nicht geeignet, die Lücken in der Schulstatistik zu schließen, da es hier offensichtlich um eine Gesamterfassung gehe, die mit Statistik nichts zu tun habe.

All diesen vorgebrachten Befürchtungen seitens der Opposition widersprachen die Abgeordneten der Koalitionsparteien. Die Abgeordneten Martin Graf und Sylvia Paphazy (beide F) meinten, dass die Opposition das Kind mit dem Bade ausschütte. Datenerfassung sei sensibel, vor allem wenn sie ohne Wissen der Betroffenen erhoben würden, aber das Gesetz lege ganz offen klar, welche Daten gesammelt würden. Außerdem müsse man den Meldungsverpflichtungen nachkommen, die für die langfristigen Planungen im Schulbereich unverzichtbar seien.

In gleicher Weise argumentierten die Abgeordneten Werner Amon, Gertrude Brinek und Wolfgang Großruck (alle V), die darauf hinwiesen, dass die Daten anonymisiert würden und man gegen Datenmissbrauch Schutzschilder eingebaut habe. Vor allem, so Brinek, seien Informationen über soziale Verhältnisse der SchülerInnen notwendig, um für das Beihilfensystem vorzusorgen.

Mit großem Bedauern nahm Bundesministerin Gehrer die ablehnende Haltung der Opposition zur Kenntnis, da die nun nicht mögliche Zwei-Drittel-Mehrheit dazu führe, dass die Privatschulen von der Statistik nicht erfasst werden könnten, und dem Ressort nun durch notwendige Einzelerhebungen Mehrkosten in der Höhe von 6 Mill. S erwüchsen. Damit werde auch eine durchgängige Möglichkeit verhindert, Fragen zu beantworten.

In Richtung des Abgeordneten Brosz meinte sie, dass das Gesetz ganz klar festlege, dass nur Daten abgefragt werden dürfen, die mit dem Schulbereich zusammenhängen. Der Datenschutzrat habe zugestimmt, die Sozialversicherungsnummer zu verwenden, weshalb diesbezügliche Bedenken unverständlich seien, das ganze Gesetz sei mit dem Datenschutzrat akkordiert. Gehrer machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass Unternehmen keinerlei Zugang zu diesen Daten hätten. Gemeinden könnten jedoch anonymisierte Daten zur Verfügung gestellt werden, was eine vernünftige Voraussetzung für eine einheitliche Erhebung anstelle der derzeit üblichen zahlreichen Erhebungen sei. Das Bundesministerium leite, ohne in die Daten hineinzuschauen, diese an die Statistik Austria weiter, die sie verarbeite, und schließlich dem Ministerium verschlüsselt zur Verfügung stelle, so die Ministerin.

Bei der Abstimmung wurde der Antrag auf Einsetzung eines Unterausschusses abgelehnt. Die Regierungsvorlage wurde unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrages mehrheitlich mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ angenommen.

Konkret regelt das Gesetz "die Verwendung von Daten der Schüler und Studierenden an Bildungseinrichtungen des Schul- und Erziehungswesens und die Erstellung von Bildungsstatistiken" (§1). Die automationsunterstützt zu verarbeitenden schüler- und studierendenbezogenen Daten werden taxativ aufgezählt, die dann sowohl in einer Gesamtevidenz der SchülerInnen als auch einer der Studierenden Eingang finden. Als Identifikator für den Registeraufbau und die Registerzählung soll die Sozialversicherungsnummer in Ermangelung einer derzeit verfügbaren allgemeinen Personenidentifikationsnummer fungieren. Im Sinne des Datenschutzes soll jedoch eine nicht-rückführbare Verschlüsselung der Sozialversicherungsnummer in den Gesamtevidenzen erfolgen. Die Abfrageberechtigungen werden vom zuständigen Minister den im Gesetz definierten Einrichtungen nur insoweit erteilt werden, als dies zur Wahrnehmung der Aufgaben erforderlich ist, die diese Einrichtungen zu erfüllen haben.

 

Darüber hinaus wird auch eine Evidenz über den Personal-, Betriebs- und Erhaltungsaufwand der Bildungseinrichtungen des Bundes zu führen sein. Weiters normiert das Gesetz, dass die "Statistik Österreich" jährlich eine Bundesstatistik zum Bildungswesen in regionaler Gliederung zu erstellen hat. Sie hat auch jährlich ein Register über den Bildungsstand der österreichischen Wohnbevölkerung, ebenfalls regional gegliedert, zu führen. (Fortsetzung)