Parlamentskorrespondenz Nr. 799 vom 21.11.2001
WIE GLAUBWÜRDIG IST DIE ÖSTERREICHISCHE ANTI-ATOMPOLITIK?
Wien (PK) - Eine große gelbe Schachtel mit dem Zeichen "Strahlengefahr" hatte Abgeordnete Dr. Glawischnig (G) ans Rednerpult mitgebracht, um die heutige Aktuelle Stunde des Nationalrates einzuleiten. Die Aufschrift lautete: "Kein österreichischer Steuerschilling für die EU-Atomindustrie".
Hintergrund dieser Aktion ist laut Glawischnig der österreichische Beitrag in der Höhe von 500 Mill. S zur Atomforschung der EU, die insgesamt 17 Mrd. S, unter anderem auch für die Entwicklung neuer Atomreaktoren aufwenden will. Und Österreich leiste dagegen keinen erstzunehmenden Widerstand, klagte Glawischnig. Die Bundesregierung sei im Begriff, dem Euratom-Rahmenprogramm und damit der Entwicklung neuer Technologien der Kernspaltung, neuen Reaktorkonzepten, der Fusionsforschung und deren Finanzierung mit österreichischen Steuergeldern zuzustimmen. Mehr noch: Als es den Grünen im Europäischen Parlament gelungen sei, dieses Programm um 100 Mill. Euro zu reduzieren, sei diese Reduzierung mit den Stimmen der Volkspartei zurück genommen worden.
Glawischnig sprach von einer heuchlerischen Anti-Atom-Politik, mit der die Glaubwürdigkeit Österreichs untergraben werde. Österreich sollte, statt für Kernenergieforschungsprojekte Geld aufzuwenden, für die Finanzierung von Alternativen zum AKW Temelin eintreten. Und an Ministerin Forstinger richtete die Abgeordnete die Aufforderung, "ein Veto gegen den Einsatz von 500 Mill. S an österreichischen Steuergeldern für die Atomwirtschaft einzulegen, statt die Nachbarn mit Vetodrohungen zu erpressen".
Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL wandte sich zu Beginn seiner Ausführungen gegen die, wie er sagte, "sehr geschickte, aber der Wahrheit nicht entsprechende Vermischung unterschiedlicher Themen". Das von Abgeordneter Glawischnig angesprochene Euratom-Programm habe mit Temelin nichts zu tun: kein einziger Schilling gehe nach Temelin. Bei den Verhandlungen über das sechste Rahmenprogramm sei es Österreich gelungen, eine Reihe von Passagen zu entfernen. Es gebe keine Förderung des Nuklearsektors, die Atomenergie gelte nicht als Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung, Forschungsgelder werden zu erneuerbaren Energieträgern verschoben und der Strahlenschutz wurde als Forschungsziel verankert. Österreich vertrete seine Position, keine EU-Gelder für die Erweiterung von Reaktoren und die Entwicklung neuer Reaktoren einzusetzen, mit Nachdruck, sagte Schüssel, räumte aber ein, dass es noch nicht gelungen sei, verbindliche europäische Sicherheitsstandards auszuarbeiten. Er fügte aber hinzu: "Wir nehmen uns dieses Ziel vor" und zeigte sich zuversichtlich, es erreichen zu können.
Hinsichtlich der Integration des EURATOM-Vertrages in den EU-Vertrag und der verbindlichen Festschreibung von Sicherheitsstandards hoffte der Bundeskanzler auf den Konvent über die Zukunft der Europäischen Union.
Abschließend erinnerte Bundeskanzler Schüssel daran, dass es mit der Eröffnung des Melker Dialogs gelungen sei, eine UVP, eine Liste von Sicherheitsmängeln und eine Liste von Expertenempfehlungen zu vereinbaren. Was im Interesse der Sicherheit der österreichischen Bevölkerung noch zu erreichen sei, sei die verbindliche Verankerung aller Punkte auch für den Fall einer Privatisierung von Temelin.
Abgeordnete Mag. SIMA (S) wies die Behauptung zurück, die Debatte über das EURATOM-Rahmenprogramm habe nichts mit Temelin zu tun. Hier werden Milliarden an Steuergeldern in die Kernkraftwerke der Zukunft investiert, sagte Sima und kritisierte, dass eine Aufstockung des EU-Kreditrahmens für die Fertigstellung von Kernkraftwerken in Osteuropa, darunter auch für die beiden Ersatzkernkraftwerke für Tschernobyl, geplant sei. Dagegen lasse die Bundesregierung wenige Aktivitäten erkennen, klagte Sima. "Im Ausland mit der Veto-Keule zu schwingen, ist zu wenig. Wo bleibt das politische Gegenkonzept zu EURATOM?", fragte die Abgeordnete und erkundigte sich nach der Umsetzung des vom Nationalrat beschlossenen Anti-AKW-Aktionsplans. "Wo sind", fragte Sima schließlich, "die Verbündeten, die die Bundesregierung unter den EU-Mitgliedsländern für die Durchsetzung der Anti-AKW-Politik gewinnen sollte?"
Abgeordneter Ing. WESTENTHALER (F) hielt fest, dass der überwiegende Teil der von Abgeordneter Glawischnig angesprochenen Gelder in Forschungen zur Atomsicherheit und in den Rückbau von AKW gehe. Es wäre daher fatal, aus dem EURATOM-Vertrag auszusteigen.
Unglaubwürdig sei die Anti-Atom-Politik die SPÖ, die noch 1978 für die Kernenergie eingetreten sei. Der FPÖ-Klubobmann zitierte in diesem Zusammenhang auch Pro-Atom-Äußerungen des heutigen Nationalratspräsidenten Heinz Fischer. Hätte die SPÖ bei der Zwentendorf-Abstimmung des Jahres 1978 gewonnen, wäre dieses Kernkraftwerk in Betrieb gegangen.
Parteivorsitzenden Gusenbauer kritisierte Westenthaler für seinen gestrigen Auftritt beim SPD-Parteitag, wo er "in der Rolle eines tschechischen Außenministers" aufgetreten sei, statt österreichische Interessen zu vertreten. Die Bevölkerung soll die Chance bekommen, im Rahmen eines Volksbegehrens ein klares Nein zu Temelin zu sagen, schloss Westenthaler und fügte hinzu: "Die FPÖ kämpft weiter gegen das Atomkraftwerk Temelin".
Abgeordneter KOPF (V) warf der SPÖ Doppelbödigkeit in der Anti-Atom-Politik vor und erinnerte daran, dass Bundesminister Einem dem fünften EURATOM-Rahmenprogramm zugestimmt habe, bei dem eine Erhöhung der Atomforschungsmittel vorgesehen war. Die Bundesregierung habe eine Verschiebung von Mitteln zu Gunsten von Forschungen für alternative Energieträger durchgesetzt. Oberstes Ziel dieser Bundesregierung sei der Ausstieg aller europäischen Länder aus der Kernenergie. Die Opposition unterlaufe diese Bemühungen. Abgeordneter Gusenbauer etwa habe es beim SPD-Parteitag verabsäumt, um Unterstützung gegen Temelin zu werben.
Die österreichische Bevölkerung habe ein Recht auf größtmögliche Sicherheit der AKW, speziell in Temelin. Dieses Ziel lasse sich nicht "mit der Pistole vor der Brust" durchsetzen, sondern durch hartes Verhandeln. Es sei das Verdienst des Bundeskanzlers und von Minister Molterer, den Melker Prozess in Gang gesetzt zu haben. Diese vernünftige Politik soll im Interesse der Sicherheit der Bevölkerung fortgesetzt werden. "Die Opposition führt keinen Kampf gegen Temelin, sie führt lediglich einen Kampf gegen diese erfolgreiche Bundesregierung", schloss Kopf.
Abgeordnete Dr. MOSER (G) sah die Glaubwürdigkeit der österreichischen Anti-AKW-Politik untergraben, weil Österreich bereit sei, 500 Mill. S zu einem EU-Programm für Kernforschungsprojekte beizutragen, das unter anderem auch der Kernfusionsforschung diene. Das Ziel des EURATOM-Vertrages, die Kernenergie zu fördern, sei nicht geändert worden, sagte Moser und wandte sich entschieden dagegen, dass Ersatzkernkraftwerke für Tschernobyl mit österreichischen Steuergeldern gebaut werden. Es gehe um sinnvolle Energieprojekte und um Ausstiegsoptionen für die Nachbarländer. Das brauche einen konkreten Aktionsplan, sagte die Abgeordnete der Grünen.
Bundesministerin Dr. FORSTINGER wies die Behauptungen der Oppositionsabgeordneten zurück und führte aus, dass sie die österreichische Anti-Atom-Position in Brüssel klar vertreten habe. Forstinger listete dazu auf: Verbesserung der Sicherheit in bestehenden Kernreaktoren, Forschung für den besseren Strahlenschutz der Bevölkerung, Rückbau von Kernkraftwerken, kein Beitrag Österreichs für Forschungen im Dienste neuer Reaktoren.
Abgeordneter Dr. CAP (S) hielt es als Faktum fest, dass die Bundesregierung in der Vergangenheit viel zu wenige Aktivitäten in der Anti-Atom-Politik gesetzt habe. Es gehe doch um den Ausstieg aus der Kernenergie und genau dazu habe der Bundeskanzler heute kein Wort gesagt. Angriffe der Freiheitlichen auf die SPÖ wies Klubobmann mit dem Hinweis darauf zurück, dass er selbst und andere in der SPÖ schon in den siebziger Jahren gegen die Kernenergie aufgetreten seien, während Jörg Haider noch auf dem F-Parteitag 1985 für eine positive Einstellung zur Kernenergie geworben habe.
Demgegenüber stellte Abgeordneter Mag. SCHWEITZER (F) fest, dass die FPÖ die "einzige wirklich glaubwürdige Partei im Kampf gegen die Kernenergie" sei. Abgeordnete Glawischnig habe ihre Glaubwürdigkeit aber verloren. Denn sie habe darauf verzichtet, das Protokoll der Verhandlungen zum EURATOM-Rahmenabkommen zu zitieren, aus dem hervorgehe, dass die Ministerin in Brüssel massiv dafür eingetreten sei, den EURATOM-Vertrag zu überarbeiten, ihn in den EU-Vertrag zu integrieren, das Ziel des Ausstiegs aus der Atomenergie festzuschreiben und unsichere Kernkraftwerke stillzulegen. Schweitzer stellte auch die Frage, warum Grüne und SPÖ Anti-Atom-Anträge der FPÖ in der Vergangenheit nicht unterstützt hätten.
Nationalratspräsident Dr. FISCHER hielt in einer Erklärung fest, dass es zwar richtig sei, dass er in den siebziger Jahren für den Fertigbau und die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf eingetreten sei, er als SPÖ-Klubobmann aber auch die Durchführung einer Volksabstimmung und das Atomsperrgesetz beantragt habe. Seit der Katastrophe von Tschernobyl lehne er die Nutzung der Kernenergie für Energiezwecke konsequent ab.
Abgeordneter Dr. BRUCKMANN (V) hält die friedliche Nutzung der Kernenergie für den "verhängnisvollsten technologischen Irrweg". Dennoch müsse man, so der Redner, die Realität berücksichtigen und diese sei, dass es mehr als 100 Kernkraftwerke in Europa gebe und viele davon sich in unmittelbarer Nähe Österreichs befänden. Wenn Österreich im Kampf für ein atomfreies Mitteleuropa eine Rolle spielen wolle, dann sei es notwendig, Mitglied von EURATOM zu sein und Forschung mit den Schwerpunkten Grundlagenforschung, Rückbau und Sicherheit zu unterstützen. Er habe in den letzten Wochen eine "Temelin-Hysterie" wahrgenommen, denn Temelin sei nur eines von mehreren unsicheren AKW in der Nähe der Grenze zu Österreich, von denen aber heute keine Rede mehr sei. Man müsse daher alles tun, dass Temelin jenen Sicherheitsstandards entspricht, die andere AKW auch haben, ein Nicht-Abschluss des Energiekapitels sei etwas anderes als ein absolutes Veto, so Bruckmann abschließend.
Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) kritisierte scharf die Zustimmung Österreichs zur Aufstockung des EURATOM-Budgets um 100 Mill. Euro. Bei EURATOM herrsche ebenfalls das Einstimmigkeitsprinzip, Österreich habe aber von seiner Vetomöglichkeit keinen Gebrauch gemacht und mitgeholfen, dass über die AKW in Osteuropa nun das Füllhorn ausgeschüttet werde. Petrovic griff damit scharf Infrastrukturministerin Forstinger an, die zwar auf einem unverbindlichem Papier den Rückbau der Atomenergie gefordert, den zusätzlichen Mitteln für den Ausbau aber zugestimmt habe. Das sei eine unehrliche Politik, so die Grün-Mandatarin. Mit der Haltung von Vetopolitik in Richtung Osten und Finanzzusagen an westliche Konzerne, die im Osten engagiert sind, verhindere man, dass Atomgegner in Tschechien gemeinsam mit Österreich das Aus für Temelin erzwingen. Die Bundesregierung mache damit das Geschäft der Atomkonzerne und erzwinge einen Schulterschluss pro Temelin. Unter Anspielung auf die Aussage des niederösterreichischen Landeshauptmannes in der letzten Pressestunde meinte sie, dass hier vor allem die "politischen Falschspieler die Karte im Ärmel" hätten.
Nach Beendigung der Aktuellen Stunde gab Präsident Fischer bekannt, dass die SozialdemokratInnen eine Dringliche Anfrage (3089/J) an den Bundeskanzler eingebracht haben, betreffend das Kraftwerk Temelin und die Vetodrohung der FPÖ gegen den Beitritt der tschechischen Republik zur Europäischen Union.
Zu Beginn der Sitzung wurde Mag. Hans LANGREITER (V) als neuer Abgeordneter angelobt. Er übernahm das Mandat seines aus dem Nationalrat ausgeschiedenen Fraktionskollegen Dr. Günther LEINER.
(Schluss Aktuelle Stunde/Forts. NR)