Parlamentskorrespondenz Nr. 874 vom 10.12.2001
LIEBE, HASS UND EIFERSUCHT - SZENEN EINER OLYMPISCHEN EHE
Wien (PK) - Der Besucher, der das Parlamentsgebäude durch den Haupteingang betritt, gelangt in das Obere Vestibül und begegnet dort den Nachbildungen von zehn antiken Götterstatuen aus weißem Marmor. Die nach exakten Plänen Theophil Hansens angefertigten und aufgestellten Skulpturen stehen in marmorverkleideten Wandnischen und fungieren symbolisch als Schutzgötter der häuslichen und staatlichen Ordnung. Wir setzen unsere Serie heute mit einem Porträt der Göttin Hera fort.
Die zahlreichen und oft widersprüchlichen Mythen über die oberste griechische Göttin Hera lassen uns bei der Lektüre immer wieder in die Tiefen des Kleinkriegs ehelichen Alltags herabsteigen, zumal ihr Gemahl Zeus es nicht lassen konnte, in fremden Revieren zu wildern - eine Provokation für die göttliche Gefährtin, die noch dazu als Schutzherrin der Frauen, der Ehe und des Hauses verehrt wurde und als Eileithyia, wie ihre Tochter, den Gebärenden beistand. Hera nahm ihrem Gatten die Seitensprünge auch außerordentlich übel, und verfolgte ihre Nebenbuhlerinnen sowie deren Kinder mit abgrundtiefem Hass - zum Beispiel Alkmene und Herakles, Io und Kallisto, Leto sowie Semele.
Dabei nahm laut den antiken Texten die inzestuöse Verbindung mit ihrem jüngeren Bruder Zeus einen durchaus wild romantischen Anfang. Zeus und Hera waren neben Demeter, Hades, Hestia und Poseidon Kinder von Kronos und Rhea. Kronos verschlang seine Kinder aus Angst davor, dass diese einmal einen Aufstand gegen ihn anzetteln könnten. Nur Zeus entging diesem Schicksal durch eine List seiner Mutter Rhea und der Gaia. Hera wurde später auch befreit und von Okeanos und Thetys erzogen. Andere Quellen sprechen davon, sie sei bei Temenos in Arkadien, bei den Horen in Euböa oder bei den Töchtern des Flusses Asterion in der Argolis aufgewachsen.
Über den Hochzeitsmythos sind die verschiedensten Versionen überliefert. Wer die treibende Kraft zu dieser Geschwisterehe war, ist nicht ganz geklärt, denn einmal ist davon die Rede, dass Zeus trotz vieler Liebschaften nur Hera als groß genug empfand, seine Gattin zu werden. Einer anderen Sage zufolge verführte Hera den jüngeren Bruder, in den sie sich sofort bei dessen Geburt verliebte. Auch ein Gesang des Homer berichtet davon, wie Hera, ausgestattet mit einem Zaubergürtel der Liebesgöttin, Zeus zur Wiederholung ihrer Hochzeit verlockt. Die Kinder bestiegen nach dieser Version auf dem Ida-Gebirge das Hochzeitsbett ohne Wissen der Eltern. Nach den Einwohnern der Insel Samos wurde die geheime Ehe auf Samos vollzogen. Die geheimen Flitterwochen sollen dreihundert Jahre lang gedauert haben. Eine weitere Geschichte erzählt von der Hochzeit im Palast des Okeanos, am westlichen Rand der Erde, an der alle Götter teilnahmen. Gaia, soll bei dieser Gelegenheit Hera die goldenen Äpfel geschenkt haben, die als Äpfel der Hesperiden bekannt sind und im Auftrag Heras von einer Schlange im Garten der Götter bewacht wurden.
Folgt man einem weiteren Mythos, so versuchte Zeus die ahnungslose Hera mit List zu verführen. Als er sie eines Tages auf einem Berg in der Landschaft Argolis allein erblickte, verwandelte er sich in einen Kuckuck, der sich aus Angst vor dem von ihm selbst inszenierten Unwetter in den Schoß der Einsamen flüchtete. Die Göttin erbarmte sich des armen Tieres und versteckte es unter ihrem Gewand, worauf er sofort seine wahre Gestalt annahm und sie zu seiner Geliebten machen wollte. Hera wehrte sich so lange, bis er ihr versprach, sie zu ehelichen.
Ihre hohe Stellung dokumentierte Hera damit, dass sie bei Beratungen und bei Festmahlen an der Seite ihres Gatten saß.
Sie gebar ihm den Kriegsgott Ares, Hebe, Sinnbild der Jugendschönheit, und Eileithyia, wie ihre Mutter eine Göttin der Geburt. Hephaistos brachte sie ohne männliches Zutun zur Welt - ein Aspekt, der im Hinblick moderner Technologien in der Medizin aktueller denn je ist. Den Entschluss, ein Kind von sich selbst zur Welt zu bringen, fasste sie als Trotzreaktion darauf, dass Zeus seine mit Metis gezeugte Tochter Pallas Athene durch Spaltung seines Hauptes aus seinem eigenen Kopf gebären ließ. Etwas verwirrend wird die Sache der Geburt der Athene insofern, als die meisten Quellen davon sprechen, dass Hephaistos Zeus den Kopf gespalten hat, obwohl er ja erst als Rache für diese Geburt das Licht der Welt erblicken konnte. Daher ist in anderen Überlieferungen von Prometheus als Geburtshelfer für Pallas Athene die Rede.
Als Hüterin der Ehe verfolgte sie nicht nur ihre Nebenbuhlerinnen mit Hass, sie war auch ein Muster an ehelicher Tugendhaftigkeit. Dies mussten Porphyrion und Ixion bitter büßen, als diese die göttliche Frau begehrten. Zeus veranlasste, dass Porphyrion seine Anmaßungen mit dem Leben bezahlen musste, Ixion wurde zu ewiger Pein im Tartarus verdammt.
Modern mutet auch Heras Disput mit Zeus darüber an, ob der Mann oder die Frau beim Geschlechtsverkehr die größere Lust empfindet. Jeder behauptete, der andere habe den größeren Genuss. Das Nachsehen bei dieser Diskussion hatte, wie so oft, der Dritte, denn der befragte Teiresias meinte, die Frau hätte neunmal größere Freuden, worauf ihn Hera mit Blindheit schlug. Zeus verlieh ihm aber die Gabe der Prophetie und ein langes Leben.
Hera war auch vor Eitelkeit nicht gefeit, und deshalb verfolgte sie die Trojaner mit ihrem Hass, nachdem sie gemeinsam mit Pallas Athene im Schönheitswettbewerb durch das Urteil des Paris der Liebesgöttin Aphrodite unterlegen war. Sie riskierte dabei sogar die Bestrafung durch Zeus, wenn sie gegen dessen Willen den Griechen zu Hilfe kam. Ihre Feindschaft erstreckte sich auch auf Äneas, Jason hingegen erfreute sich bei seinem Zug nach dem Goldenen Vlies ihrer Unterstützung.
Eine abgrundtiefe Feindschaft hegte sie auch gegenüber Herakles, dem Sohn des Zeus und der Alkmene. Aus Ärger über ihre Abneigung seinem Sohn gegenüber ließ Zeus sie sogar an einem goldenen Seil zwischen Himmel und Erde hängen. Sie war an beiden Händen gebunden, an ihren Füßen hingen Ambosse. Dieser Zwistigkeit ist nach griechischer Mythologie auch die Entstehung der Milchstraße zu verdanken. Denn derjenige, der an Heras Brüsten saugte, wurde unsterblich. Um seinem Sohn Herakles die Unsterblichkeit zu verleihen, legte Zeus den Säugling an Heras Brust, als diese in tiefen Schlaf gefallen war. Der Kleine hatte aber bereits in diesem zarten Alter enorme überschüssige Kräfte und biss so stark zu, dass Hera aufwachte und das Kind von sich stieß. Die Göttermilch ergoss sich daraufhin in weitem Bogen über den Himmel.
Hera hatte mehrere Beinamen: Pais, das Mädchen, Teleia, die Erfüllte, und Chera, die Einsame. Ihr Attribut war der Pfau, Symbol des unbeugsamen Stolzes. Heilig war ihr die Kuh, man sagte ihr auch nach, sie habe Kuhaugen, weshalb sie auch - von Homer - die "kuhäugige" Hera genannt wurde.
Die Statue der Hera, gestaltet vom Bildhauer Alois Düll, befindet sich im oberen Vestibül des Parlamentsgebäudes zwischen Zeus und Hephaistos. Die Göttin ist mit einem Diadem dargestellt, in der linken Hand hält sie eine Opferschale, vom Szepter in der rechten Hand ist kaum mehr etwas vorhanden. Bekleidet ist sie mit einem kurzärmeligen Chiton und einem Mantel. (Schluss)