Parlamentskorrespondenz Nr. 899 vom 17.12.2001
ARES UND HEPHAISTOS: DER LIEBHABER UND DER GATTE DER APHRODITE
Wien (PK) - Dass auch das Bild der Antike dem jeweiligen Zeitgeist unterliegt, zeigt eine Diskussion aus den ersten Jahren nach der Eröffnung des Parlaments: Gegen den erklärten Willen Theophil Hansens waren die Genitalien der nackten Götterstatuen im Jahr 1886 auf Wunsch der Präsidenten beider Häuser des Reichsrates mit Weinblättern aus Blech abgedeckt worden - erst ein Beschluss des Abgeordnetenhauses im Jahr 1906 sorgte dafür, dass die Skulpturen in ihrer ursprünglichen Gestalt betrachtet werden können.
ARES: EIN LIEBESTOLLER RAUFBOLD
Der griechische Kriegsgott Ares wird üblicher Weise mit dem römischen Mars gleich gesetzt. Und doch gibt es kaum Figuren der Mythologie des antiken Kosmos, die so voneinander verschieden sind und die die Unterschiede zwischen den beiden Kulturen so deutlich spiegeln. Denn Ares, der einzige Sohn, den Zeus mit seiner legitimen Schwester-Gattin Hera hatte, ist ein einfältiger, ziemlich tölpelhafter Kraftlackel und Raufbold, auf den sich das sprichwörtliche "homerische Gelächter" bezieht und der bei den Griechen kaum kultische Verehrung genießt. Der römische Mars hingegen ist eine geradezu den Staat tragende Figur von soldatischem Zuschnitt. Wen von beiden Theophil Hansen im Oberen Vestibül des Parlaments stehen haben wollte, oder ob er den einen für die Mitglieder des Herrenhauses und den anderen für das Abgeordnetenhaus gedacht hat, wird unergründlich bleiben.
Schon Kindern war es möglich, den etwas tölpelhaften Ares zu überwältigen - allerdings sehr besonderen Kindern, nämlich Otos und Ephialtes. Diese Söhne des Poseidon waren Giganten; im zarten Alter von neun Jahren waren sie schon 16 Meter groß. Sie bemächtigten sich des Ares und sperrten ihn in einen Bronzekrug. Dreizehn Monate lang blieb Ares so gefangen, und es war der findige Hermes, der ihn schließlich befreite.
Im Trojanischen Krieg steht Ares auf der Seite Asiens und mischt sich selbst in die Schlacht. Als ihn der Grieche Diomedes verwundet, schreit er - wie Homer in der Ilias berichtet - auf wie zehntausend Männer. Als er sich bei Zeus beklagt und dieser ihm untersagt, sich erneut ins Kampfgetümmel zu stürzen, beschimpft ihn seine Halbschwester Athene, worauf die Olympier zu raufen beginnen. Im Getümmel schleudert Ares seinen Speer gegen Athene, doch deren Brustpanzer macht sie unverwundbar. Athene hingegen streckt, wie David den Goliath, Ares mit einem Stein nieder - ein Sieg der Intelligenz über rohe Kraft. In dem olympischen Handgemenge bekam im übrigen auch Aphrodite Athenes Faust zu spüren, als sie Ares beispringen wollte.
Das wollte sie nicht ohne Grund, war doch der raue Kriegsgott der Liebhaber der Liebesgöttin. Die war ja eigentlich mit dem hässlichen Hephaistos verheiratet. Der wieder wusste nichts von der Liaison seiner Gemahlin, bis es ihm vom Sonnengott, der bekanntlich alles sieht, verraten wurde. Hephaistos war zwar nicht schön, aber auch nicht dumm und ungeschickt. Er befestigte über dem Liebeslager der beiden ein ebenso feines wie festes Netz, gab vor, sich zu seinen Verehrern nach Lemnos zu begeben - und ließ das Netz dann über seine Gemahlin und ihren Galan fallen. Der gehörnte Haphaistos schmähte die beiden nicht nur, sondern rief auch die übrigen Olympier herbei, die ob des Schauspiels in das berühmte homerische Gelächter ("asbestos gelos", unauslöschliches Gelächter, heißt es in der Ilias) ausbrachen. Man muss sich das im übrigen als Männerlachen vorstellen; die Frauen unter den Olympiern wandten sich verschämt ab.
Die Verbindung des Raufbolds und der Schönen blieb nicht ohne Folgen. Harmonia, die spätere Frau des Königs Kadmos von Theben, soll die Tochter dieser Liebe sein - eine andere Überlieferung sieht allerdings Zeus als Vater und Elektra, die Tochter des Atlas, als Mutter. Phobos (Furcht) und Deimos (Schrecken) sind allerdings mit Sicherheit Kinder des Ares, und sie begleiten ihn bis heute auf alle Schlachtfelder der Welt.
Während Ares/Mars seinen Platz - ausgeführt von Josef Beyer nach dem Ares Borghese des Alkamenes - im Parlament gefunden hat, blieb dies seiner Geliebten Aphrodite verwehrt. Man möchte nicht meinen, ausgerechnet die Göttin der Schönheit und der Liebe habe sich dagegen verwahrt, einem derartigen Ort ihre spezifischen Weihen zu gewähren.
HEPHAISTOS: KEIN ADONIS, ABER SCHLAU UND GESCHICKT
Für Theophil Hansen diente Hephaistos wohl als Inbegriff des tüchtigen Handwerkers, und so kam er vielleicht zu seinem Platz unter den Göttern im Oberen Vestibül des Parlaments. Sein Schöpfer Josef Beyer fertigte die Statue mangels passender antiker Vorbilder nach seinen eigenen Vorstellungen an.
Hephaistos war der Sohn der Hera - nach einer Version des Mythos auch des Zeus, nach einer anderen ohne Zutun eines Mannes. Vielleicht wäre diese zweite, von Hesiod überlieferte, Version eine plausible Erklärung dafür, dass er schon bei seiner Geburt von so ausgesuchter Hässlichkeit war, dass seine Mutter ihn entsetzt von Olymp schleuderte. Er stürzte ins Meer, wurde von Thetis - der späteren Mutter des Helden Achill - neun Jahre in deren Höhle aufgezogen und in seinen hervorragenden Fähigkeiten unterrichtet. Auf Bitten der Thetis fertigte er später, während des Trojanischen Kriegs, die herrliche Rüstung für Achill an, deren Pracht Homer in über 200 Versen seiner Ilias besingt.
Vorher aber schaffte Hephaistos die Rückkehr auf den Olymp. Er baute seiner Mutter Hera einen goldenen Thron. Als die darauf Platz nahm, war sie gefangen, und keiner der Götter konnte sie befreien. Also rief man den Hephaistos. Aber erst dem Dinonysos gelang es, den Misstrauischen betrunken zu machen und ihm so den Schlüssel für die Falle der Hera abzuluchsen.
Auf dem Olymp sorgte Hephaistos mit seinen handwerklichen Fähigkeiten für eine standesgemäße Wohnstatt und Ausstattung der Olympier, einschließlich der Blitze für Zeus und der Pfeile für Apollon und Artemis. Gleichwohl pflegten die Götter ihn zu verlachen, teils wegen seines Hinkens, das er sich bei seinem Sturz vom Olymp zugezogen hatte, und wegen seiner Schmiede-Rußigkeit, teils wegen der Hörner, die seine notorisch untreue Gattin Aphrodite ihm aufsetzte.
Mit seiner Mutter Hera scheint er sich versöhnt zu haben; denn in ihrem Streit mit Herakles ergriff er, sehr zum Ärger des Zeus, ihre Partei. Zeus packte ihn und warf ihn ein zweites Mal vom Olymp. Diesmal flog er einen ganzen Tag lang und stürzte schließlich auf die Insel Lemnos, deren Bewohner sich um ihn kümmerten und besonders verehrten. Zum Dank dafür lehrte er sie die Schmiedekunst, die sie in der Folge wie niemand sonst beherrschten.
Wo er seine Werkstatt hatte, ist umstritten. Manche meinen, unter dem Ätna, jedenfalls in einer vulkanischen Umgebung - für die Römer hieß er Vulcanus. Auch im Parlament wurde ihm von Hansen eine feurige Rolle zugeschrieben: Die Gesellen des Hephaistos zieren den als antike Säule gestalteten Rauchfang des Hauses. (Schluss)