Parlamentskorrespondenz Nr. 46 vom 30.01.2002
ENTSCHÄDIGUNGEN AUCH FÜR KRIEGSGEFANGENE DER WESTALLIIERTEN
Wien (PK) - Die Regierungsfraktionen und die Sozialdemokraten stimmten für die Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes, durch die auch die Gefangenen der Westalliierten in Entschädigungszahlungen eingezogen werden. Die Grünen stimmten gegen die Novelle, weil ihrer Meinung nach das Gesetz zu wenig differenziere.
Abgeordneter ÖLLINGER (G) kündigte gleich zu Beginn seiner Rede die Ablehnung der vorliegenden Novelle zum Kriegsgefangenentschädigungsgesetz durch die grüne Fraktion an. Dies sei kein Faustschlag ins Gesicht der PensionistInnen, wie dies Abgeordneter Bruckmann in einer Aussendung behauptet hatte, sondern liege darin begründet, dass das Gesetz zu wenig differenziere. Es biete keine hinreichende Sicherheit für den Ausschluss jener, die gerne dabei waren und auch bei besonderen Einheiten ihren Dienst versahen. Öllinger sprach sich dafür aus, auch die Opfer des Nationalsozialismus zu entschädigen und brachte in diesem Zusammenhang einen Antrag zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ein, wonach den Inhabern von Amtsbescheinigungen und Opferausweisen ein besonderer Freibetrag von 1.092 € jährlich abzuziehen sei. Er trat auch dafür ein, das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz auf Betroffene des 1. Weltkrieges auszudehnen.
Abgeordneter DIETACHMAYR (S) bezeichnete die Novelle als einen Erfolg für die Opposition, welche die Unterscheidung zwischen Ost- und Westgefangenen angeprangert hatte. Er wundere sich, dass sich der Minister auf solche Ungleichbehandlung eingelassen und diese noch im letzten Sommer verteidigt habe.
Als ältester Abgeordneter des Hohen Hauses und Mitglied des österreichischen Seniorenbundes sei es ihm ein "Herzensbedürfnis", sich zu diesem Tagesordnungspunkt zu melden, sagte Abgeordneter Dr. BRUCKMANN (V). In Richtung des Abgeordneten Öllinger blieb er bei seinem Vorwurf, dass die Ablehnung dieses Gesetzes durch die Grünen ein Faustschlag gegen die Ältesten in diesem Land sei, die unsagbares Leid hätten erdulden müssen. Diese Regierung sei angetreten, durch einen eisernen Sparkurs Freiräume zu schaffen und Akzente zu setzen, wie das Kinderbetreuungsgeld, die Behindertenmilliarde oder eben das gegenständliche Gesetz.
Für Abgeordneten Dr. OFNER (F) wird durch die Novelle eine Lücke geschlossen. In einer Replik auf die Rede des Abgeordneten Dietachmayr meinte er, dass die SPÖ 57 Jahre Zeit gehabt hätte, etwas in diese Richtung zu tun. Ofner hob insbesondere hervor, dass jede nach dem 8. Mai bestehende Gefangenschaft völkerrechtswidrig gewesen sei, denn nach dem Völkerrecht hätten ab diesem Datum alle entlassen werden müssen. Eine Entlassung hätte nach der Genfer Konvention auch dann erfolgen müssen, wenn die Gefangenen nicht ernährt werden konnten oder wollten, wie dies in den Rheinwiesenlagern unter den USA der Fall gewesen sei. Die Unterschiede zwischen Ost- und Westgefangenen seien oft geringer, als man annimmt. Ofner zeigte sich auch zufrieden darüber, dass von diesem Gesetz Zivilpersonen erfasst werden, die jahrelang in der Ferne gehalten wurden und dort schwer arbeiten mussten. Die Entschädigung sei zwar keine wirkliche Entschädigung, sondern eine symbolische Geste dafür, dass wir die Leiden der betroffenen Generation nicht vergessen wollen.
Abgeordneter NÜRNBERGER (S) gab ebenfalls seiner Zufriedenheit darüber Ausdruck, dass die ungerechte Unterscheidung zwischen Ost- und Westgefangenen nun beseitigt werde. Er erinnerte aber auch an jene, die im 1. Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft geraten waren, und forderte die Regierung auf, diese nicht zu vergessen. Ein entsprechender Abänderungsantrag soll daher auch diese Gruppe miteinbeziehen, da es keine Unterscheidung zwischen guten und schlechten Kriegen gebe.
Bundesminister Mag. HAUPT antwortete darauf, dass er nichts dagegen habe, Betroffene des 1. Weltkrieges miteinzubeziehen, im Ministerium habe sich jedoch niemand aus diesem Kreis gemeldet. Haupt dankte vor allem Universitätsprofessor Karner und seinem Institut, wo wertvolle Vorarbeit geleistet worden sei. Dem Vorwurf, man habe mit der ersten Stufe des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes Ungleichheit geschaffen, begegnete er mit dem Argument, dass man die Einigung über die Senkung der Reparationszahlungen nach Osten abgewartet habe. Sein Ziel sei aber immer die ganze Lösung gewesen.
Auch Abgeordneter Dr. TRINKL (V) wies darauf hin, dass die Opfer unserer Eltern Grundlage für die positive Entwicklung nach 1945 gewesen sei. Dass diese Bundesregierung nun ernsthaft darangegangen ist, eine kleine Anerkennung für diese verlorene Zeit zu gewähren, zeige die neue soziale Dimension. Trinkl bedauerte, dass die Grünen der Vorlage nicht zustimmen und sprach sich gegen Pauschalurteile aus. Er meinte dabei insbesondere die von Abgeordnetem Öllinger einmal gemachte Bemerkung, dass dies ein "Kriegsverbrecherentschädigungsgesetz" sei.
Abgeordneter BRUGGER (F) meinte, dass nach 57 Jahren der Kriegsgeneration jene Anerkennung gewährt werde, die sie verdient habe. Sie alle seien Leidtragende eines Kriegsgeschehens gewesen, das sich nicht wiederholen dürfe. Die Inhaftierung im Westen dürfe nicht schlechter gestellt werden als jene im Osten.
Abgeordneter RIEPL (S) ging ebenfalls auf die früher gemachte Unterscheidung zwischen Ost- und Westgefangenen ein und hob hervor, dass vor allem ÖGB, SP-Pensionistenverband und Betroffene auf deren Beseitigung gedrängt hätten. Zur neuen sozialen Dimension, die Abgeordneter Trinkl reklamiert hatte, falle ihm aber nur Pensionsanpassung 2002, Unfallrentenbesteuerung, "Ambulanzbesuchsstrafgebühr" und vieles mehr ein.
Positiv bewertete auch Abgeordneter DOLINSCHEK (F), dass es nun für 52.000 Personen Gerechtigkeit gebe. Die Summe sei eine kleine Anerkennung für jene, die an einem Krieg teilnehmen mussten, den keiner gewollt habe.
Seine letzte Rede nach 18 Jahren und 7 Monaten parlamentarischer Tätigkeit hielt Abgeordneter HAIGERMOSER (F). Er sei froh, dass er gerade bei der Diskussion zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz zum Abschied sprechen könne und dankte ausdrücklich Bundeskanzler Schüssel für dessen Einsatz in Russland, der zur Revision der Stalinurteile geführt habe. Eine Zukunft ohne Krieg könne man nicht auf dem Fundament des erhobenen Zeigefingers aufbauen, sondern auf Fundamenten wie Heimat und auf Distanzierung von Unrecht durch alle Seiten. In diesem Sinne sollte sich Tschechien ein Beispiel an den baltischen Ländern nehmen.
Haigermoser dankte insbesondere seinen Klubkollegen Helene Partik-Pable und Harald Ofner und richtete einen Appell an die Klubobleute Khol und Westenthaler, diese Koalition wie ein zartes Pflänzchen zu hegen. Österreich sei zu schön und zu liebenswert, um es einer rot-grünen Koalition zu überlassen, sagte er. Haigermoser verlieh jedoch seiner Hochachtung vor Anton Benya und Alois Mock Ausdruck und betonte, stolz darauf zu sein, gemeinsam mit beiden im österreichischen Parlament gearbeitet zu haben.
Als ein Bürgerrecht bezeichnete Haigermoser die Immunität, denn diese ermögliche es den Abgeordneten, sich geschützt für den Bürger einzusetzen. Er ging auch noch kurz auf die Debatte zu den Ladenöffnungszeiten ein und sprach sich dezidiert gegen die Nachtöffnung aus: "Nein zum Todesstoß für das Familienunternehmen." Totale Freiheit sei nicht alles, und in diesem Sinne brachte er auch Skepsis gegen die Globalisierung an.
Präsident Dr. FASSLABEND dankte dem scheidenden Abgeordneten Haigermoser für sein Engagement, seine Kompetenz und seine vielen erfrischenden, manchmal spitzen Reden, die seine Abgeordnetenkollegen aber nicht daran hindern, ihm seine Wertschätzung entgegenzubringen.
Abgeordneter Ing. WESTENTHALER (F) begrüßte den Beschluss zugunsten der Kriegsgefangenen der Westalliierten als eine Geste, die weit über die Grenzen Österreichs gesehen und gehört werden wird. Dann wandte sich der FP-Klubobmann Abgeordnetem Haigermoser zu, den er als einen großen Parlamentarier bezeichnete, der sich in 18 Jahren und 7 Monaten seiner Tätigkeit im Hohen Haus in 345 Reden als ein politischer Allrounder erwiesen habe. Haigermosers Leidenschaft habe der Wirtschaft gegolten, in der er sich für die sozial Schwachen, die kleinen Unternehmer und vor allem für die "Greißler" eingesetzt habe. Haigermoser sei der "Teamkapitän" im Freiheitlichen Klub gewesen und habe sich auch in schwierigen Zeiten als ein wahrer Freund erwiesen.
Abgeordneter Dr. KHOL (V) brachte einen Drei-Parteien-Abänderungsantrag zum Opferfürsorgegesetz ein, durch den auch die Kriegsgefangenen des 1. Weltkriegs berücksichtigt werden. Von Abgeordnetem Haigermoser verabschiedete sich der VP-Klubobmann mit den Worten, "er sei ein Mann, der mit Herz und Hirn Politik gemacht habe". Haigermosers Leidenschaft habe einer nichtsozialistischen Politik gegolten; er, Khol, hoffe, dass die Koalitionsparteien ihm noch viele Jahre lang die Freude machen werden, die Republik zu reformieren.
Bei der Abstimmung wurde der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit SP-FP-VP-Mehrheit verabschiedet. Der Entschließungsantrag der Grünen erhielt keine Mehrheit und wurde abgelehnt.
ÄNDERUNG DES OPFERFÜRSORGEGESETZES
Alle Fraktionen sprachen sich in der anschließenden Debatte zur Novellierung des Opferfürsorgegesetzes und des ASVG aus, durch die NS-Opfern im Ausland der Bezug von Pflegegeld aller Stufen ermöglicht wird.
Abgeordnete SILHAVY (S) dankte Nationalratspräsident Fischer für seine erfolgreiche Initiative zu einem Vier-Parteien-Antrag, der dafür sorge, dass Opfer des NS-Regimes ab 1. März 2002 Anspruch auf die Pflegestufen 1 bis 7 haben, auch wenn sie im Ausland leben. Außerdem wird ihnen die Möglichkeit des bevorzugten Nachkaufs von Pensionszeiten eingeräumt. An die Koalitionsparteien appellierte die Abgeordnete, bei den vom NS-Regime verfolgten Homosexuellen über ihren Schatten zu springen und auch für diese Gruppe einen weiteren Schritt der Versöhnung zu setzen.
Abgeordneter DONABAUER (V) strich die herzeigbaren Fortschritte heraus, die die gegenwärtige Regierung auf dem Weg der Vergangenheitsbewältigung getan habe. Donabauer erinnerte an die von allen Seiten gewürdigte Einrichtung des Versöhnungsfonds und des Restitutionsfonds und dankte Bundeskanzler Schüssel und der ehemaligen Nationalbankpräsidentin Schaumayer für ihren erfolgreichen Einsatz. Donabauer begrüßte auch die vorliegende Regelung zugunsten pflegebedürftiger NS-Opfer: "Diese Menschen sollen nicht länger warten müssen und dadurch neuerlich zu Opfern werden".
Abgeordnete HALLER (F) setzte sich mit der für sie unverständlichen Kritik der Grünen am Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz auseinander und wies die Behauptung zurück, der vorliegende Antrag zugunsten pflegebedürftiger Opfer des NS-Regimes sei ein Erfolg der Opposition. Die SPÖ sollte sich vielmehr fragen, warum es nach 30-jähriger sozialdemokratischer Regierung die gegenwärtige Regierung sei, die ein Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz in Angriff genommen habe und wesentliche Verbesserungen in ASVG und Opferfürsorge ermöglicht habe.
Abgeordnete Mag. STOISITS (G) wandte sich einmal mehr dagegen, Maßnahmen zur Aufarbeitung zur Geschichte und zur Bewältigung der NS-Vergangenheit mit Forderungen nach einem Schlussstrich unter die Vergangenheit zu verknüpfen. Angesichts der Demütigungen und Verfolgungen, die viele Menschen in der NS-Zeit erleiden mussten, könne es keinen Schlussstrich geben, es müsse vielmehr weiter heißen: Niemals vergessen! - In diesem Zusammenhang ersuchte Abgeordnete Stoisits, die beiden Anträge ihrer Fraktion auf finanzielle Unterstützung der jüdischen Gemeinde in Wien und auf zusätzliche Einwanderung endlich in Verhandlung zu nehmen.
Abgeordnete Mag. LAPP (S) sprach von einem Schritt zu mehr Gerechtigkeit für Menschen, denen in der Vergangenheit sehr viel Unrecht zugefügt wurde. Auch sie bekannte sich hinsichtlich der NS-Verbrechen zum Grundsatz "Niemals vergessen" und wies die Kritik der Abgeordneten Haller an ihrer Partei zurück, indem sie auf die Leistungen hinwies, die Sozialdemokraten wie Franz Vranitzky und Heinz Fischer für die Vergangenheitsbewältigung erbracht haben.
Auch Abgeordnete HEINISCH-HOSEK (S) erinnerte an die Einrichtung des NS-Opferfonds durch Franz Vranitzky und an die Einsetzung der Historikerkommission im Jahr 1998. Sozialdemokraten haben jene Politik eingeleitet, die von der jetzigen Bundesregierung fortgesetzt werde. Als Jugendpolitikerin betonte Heinisch-Hosek, wie wichtig es sei, weder im Moralischen noch im Materiellen einen Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit der Geschichte zu setzen.
Der Antrag auf Änderung des ASVG und des Opferfürsorgegesetzes wurde einstimmig angenommen. (Schluss Entschädigung/Forts. NR)